Mittwoch, 29. August 2012

The Day After (III)

DAMASKUS/BERLIN german-foreign-policy vom 27.08.2012 (auf Kommunisten-online am 29. August 2012) – Am morgigen Dienstag stellen syrische Oppositionelle in Berlin der Weltöffentlichkeit Pläne zur Neuordnung Syriens vor. Die Pläne sind unter Anleitung deutscher Regierungsberater in Kooperation mit US-Stellen hinter verschlossenen Türen erarbeitet worden; sie sollen nach dem Sturz des jetzigen Regimes, den die deutsche Auslandsspionage aktiv unterstützt, schnellstmöglich verwirklicht werden. Über die bislang unter strikter Geheimhaltung tagende Planungsgruppe werden mittlerweile erste Details bekannt. Demnach ist an der Erstellung der Neuordnungspläne, die unter anderem Elemente für eine neue Verfassung beinhalten, nicht nur ein bei Bündnis 90/Die Grünen organisierter syrischer Exilpolitiker beteiligt, sondern auch ein an der höchstrangigen Ausbildungsstätte des Pentagon lehrender Wissenschaftler. Äußerungen von an den Planungen beteiligten Exilsyrern lassen deutlich erkennen, dass die Berliner Syrien-Vorhaben den Charakter eines Va Banque-Spiels tragen. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die an den Aktivitäten führend beteiligt ist, hat unlängst ein mehrjähriges Forschungsprojekt initiiert, mit dem sie angesichts der Umbrüche in großen Teilen der arabischen Welt den dortigen Elitenwandel systematisch unter die Lupe nimmt. Damit gibt sie Berlin auch über Syrien hinaus die Möglichkeit, sein Einflussstreben zu maximieren. Premiere in Berlin Am morgigen Dienstag stellen syrische Oppositionelle erstmals umfassende Pläne zur Neuordnung Syriens vor. Ort ihres Auftritts ist die Berliner Bundespressekonferenz, wo gewöhnlich Sprecher der Bundesregierung Medienvertretern Rede und Antwort stehen. Die Pläne, die die Syrer präsentieren, sind im Rahmen eines deutsch-amerikanischen Projekts mit dem Titel „The Day After“ erstellt worden, für das auf deutscher Seite die vom Bundeskanzleramt finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) federführend war, auf US-Seite das United States Institute of Peace (USIP) (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Einbezogen worden sind rund 45 syrische Regimegegner, von denen es heißt, sie repräsentierten die wichtigsten Strömungen der Opposition - von der Muslimbruderschaft bis zu Milizionären von der Free Syrian Army (FSA). Am Nachmittag sollen dann die Resultate von „The Day After“ in den Räumlichkeiten der SWP handverlesenen Funktionsträgern aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft näher erläutert werden. Der Exilverband Syrian National Council (SNC), der zwar im Land selbst kaum verankert ist, von den westlichen Staaten aber als maßgebliche Oppositionsorganisation anerkannt wird, hat mittlerweile angekündigt, die Pläne als „Roadmap“ für die Zeit nach dem Sturz des Regimes übernehmen zu wollen. Va Banque Inzwischen werden erste Details über die bisher strikt geheim tagende Planungsgruppe bekannt. Demnach gehört ihr der 1974 geborene, 1996 aus Syrien geflohene und heute in Berlin lebende Ferhad Ahma an, der seit Ende 2011 im SNC mitarbeitet und in ihm den kurdischsprachigen Teil der syrischen Opposition vertritt. Ahma, auf Bezirksebene für Bündnis 90/Die Grünen aktiv, lobte bereits im Februar die Zusammenarbeit des Auswärtigen Amts mit syrischen Regimegegnern [2]; wie er berichtet, umfassen die Resultate von „The Day After“ Planungen für die Umstrukturierung der syrischen Repressionsapparate sowie Vorschläge für eine neue Verfassung. Ahma gesteht offen ein, dass die von den arabischen Golfdiktaturen und den westlichen Führungsmächten unterstützten Bemühungen, Assad zu stürzen, klaren Va Banque-Charakter tragen. „Nach Assad ist mit Chaos zu rechnen“, äußert der SNC-Politiker: Scheiterten die Bemühungen um Neuordnung, „dann wird das Land auseinanderfallen“.[3] In die Unterstützung der Oppositionsmilizen ist auf deutscher Seite vor allem der Bundesnachrichtendienst involviert (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Allzu zerstritten Kritisch äußert sich auch Amr al Azm, Professor an der Shawnee State University in Portsmouth (Ohio) und SNC-Gründungsmitglied, der sich morgen an der Vorstellung der Resultate von „The Day After“ beteiligen wird. Al Azm hat vor kurzem festgestellt, die westlichen Staaten realisierten mittlerweile, „dass der SNC nicht die Rolle spielen können wird, die sie ihm zugedacht haben“.[5] Grund sind neben der schwachen Verankerung in Syrien die zahlreichen inneren Streitigkeiten, die der Verband bis heute nicht beigelegt hat. Der SNC werde zumindest von den USA „nicht mehr als die einzige, nicht einmal als die dominante Oppositionsgruppierung betrachtet“, erläuterte Al Azm. In deutschen Medien lässt er sich mit einer Einladung an Berliner Einflussagenten zitieren: „Wenn der Regimewechsel kommt, dann werden wir sehr viel Hilfe brauchen - auch aus Deutschland.“[6] Neben Al Azm werden an der morgigen Vorstellung der „The Day After“-Planungen auch die SNC-Mitglieder Afra Jalabi und Murhaf Jouejati teilnehmen. Jalabi, eine in Montreal lebende Publizistin, hat sich unter anderem mit feministischen Auslegungen des Koran befasst und bildet im SNC einen gewissen - im Westen gern hervorgehobenen - Gegenpol zur Muslimbruderschaft, die in dem Dachverband eine führende Rolle spielt. Jouejati lehrt „Middle East Studies“ an der National Defense University in Washington, der höchstrangigen Ausbildungsstätte des US-Verteidigungsministeriums. Langjährige Kontakte In die Berliner Aktivitäten zur Neuordnung Syriens ist auch der prominente Oppositionelle Riad Seif involviert. Während bei „The Day After“ Pläne entworfen wurden, hat Berlin mittlerweile ein Büro eingerichtet, das die Vorbereitungen einer multinationalen „Arbeitsgruppe“ zur Umgestaltung der syrischen Wirtschaft koordiniert (german-foreign-policy.com berichtete [7]). An einem Treffen der „Arbeitsgruppe“ am 16. August im Auswärtigen Amt nahm auch Seif teil und führte am Rande der Zusammenkunft ein Gespräch mit dem deutschen Außenminister. Der Syrer war in den 1980er Jahren einer der erfolgreichsten Privatunternehmer seines Landes; in den 1990er Jahren trieb er als unabhängiger Parlamentsabgeordneter die Deregulierung der syrischen Ökonomie voran. Damals entwickelten sich seine bis heute tragfähigen Beziehungen nach Deutschland: Seif produzierte für den deutschen Adidas-Konzern und hielt Kontakt zum heutigen Direktor der SWP, Volker Perthes, der ihn in einem seiner recht prominenten Bücher über die arabische Welt als Modellbeispiel eines syrischen Oppositionellen porträtierte.[8] Als Seif in offenen Konflikt mit dem Regime geriet und inhaftiert wurde, da stärkte Berlin, das sich sonst nicht scheute, syrische Flüchtlinge abzuschieben, ihm den Rücken: 2003 erhielt Seif den Weimarer Menschenrechtspreis, später forderten zahlreiche Politiker seine Freilassung. Mit deutscher Hilfe konnte er im Juni Syrien verlassen; seitdem hält er sich in der Bundesrepublik auf. Elitenwandel Die SWP, die führend an „The Day After“ beteiligt ist, hat inzwischen ein neues Forschungsprojekt gestartet, das den aktuellen „Elitenwandel“ in der arabischen Welt untersucht. Ein solches Vorhaben hatte sie erstmals in den Jahren 2001 bis 2003 durchgeführt; damals ging es darum, Verschiebungen in den arabischen Eliten unter die Lupe zu nehmen, die durch Generationswechsel und durch nötige Modernisierungsmaßnahmen unvermeidlich schienen. Man müsse „sich ernsthaft mit der neuen Elitengeneration und ihren Interessen“ befassen, schrieb damals die SWP; wenn nötig gelte es auch, „altgedienten Partnern, die Wandel blockieren“, entschieden entgegenzutreten.[9] Der Beistand, den etwa Riad Seif - er wurde damals von der SWP als Angehöriger aufstrebender Eliten identifiziert - wenig später aus Deutschland erhielt, trug dieser Forderung Rechnung; heute zahlt er sich aus. Wie die SWP jetzt schreibt, will sie an ihr damaliges Projekt anknüpfen und die künftigen Eliten in der arabischen Welt möglichst präzise identifizieren; das soll „die von der Bundesregierung aufgelegten Transformationspartnerschaften“ mit mehreren Staaten des Nahen und Mittleren Ostens „analytisch unterfüttern und forschend und politikberatend begleiten“.[10] Das Vorhaben dient einer möglichst wirksamen deutschen Einflusspolitik nicht nur in Syrien, sondern in der gesamten arabischen Welt. Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen Syrien-Politik finden Sie hier: Kriegsdrohungen gegen Syrien, Irans Achillesferse, Kriegsszenarien für Syrien, Kriegsszenarien für Syrien (II), Mit der UNO zur Eskalation, Marktwirtschaft für Syrien, Die jemenitische Lösung, Schmuggelkontrolleure, Nach vierzig ruhigen Jahren, The Day After, The Day After (II) und Verdeckte Kriegspartei. [1] s. dazu The Day After siehe [2] Worauf die Syrer in Deutschland hoffen; www.zeit.de 10.02.2012 [3] Wie in Berlin die Zeit nach Assad geplant wird; www.welt.de 20.08.2012 [4] s. dazu Verdeckte Kriegspartei [5] Washington backs away from supporting SNC; www.dailystar.com.lb 17.08.2012 [6] „Da fliegen die Fetzen“; www.tagesschau.de 21.08.2012 [7] s. dazu Marktwirtschaft für Syrien [8] Volker Perthes: Geheime Gärten. Die neue arabische Welt, München 2002 [9] Volker Perthes (Hg.): Elitenwandel in der arabischen Welt und Iran, SWP-Studie S41, Dezember 2002 [10] Elitenwandel und neue soziale Mobilisierung in der arabischen Welt; www.swp-berlin.org

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