Mittwoch, 15. August 2012
USA: Mexikanische Friedenskarawane im Land der Waffen
Statistisch gesehen kommen auf die 313 Millionen US-Amerikaner, nach Schätzungen, 270 Millionen Schusswaffen. Foto: Caravana de la paz
Von Emilio Godoy | Mexiko-Stadt | IPS |
Die mexikanische Anti-Gewalt-Bewegung, die wiederholt mit Friedenskarawanen durch das lateinamerikanische Land auf ihr Anliegen aufmerksam gemacht hat, ist zu ihrem einmonatigen Protestzug durch den Süden der USA aufgebrochen. Sie fordert, dass Washington der Verbreitung von Schusswaffen einen Riegel vorschiebt.
»Die USA sollen damit aufhören, so viele Waffen zu produzieren, die uns und ihren eigenen Bürgern so viel Leid bringen.
Die Waffenindustrie verdient Milliarden«, sagt der mexikanische Friedensaktivist Fernando Ocegueda.
Der Karawane für Frieden mit Gerechtigkeit und Würde gehören Aktivisten und Gewaltopfer an. Mexiko wird durch den Krieg zwischen den verschiedenen Drogenkartellen aufgerieben. Die kriminellen Banden behaupten sich mit Hilfe tausender Waffen, die illegal die US-Grenze passieren.
In den Vereinigten Staaten sind rund 100.000 Waffenverkaufsstellen zugelassen, von denen nach Angaben der mexikanischen Regierung rund 12.000 im Grenzgebiet zu Mexiko angesiedelt sind. Laut dem Büro zur Kontrolle von Alkoholika, Tabak, Schusswaffen und Sprengsätzen (ATF) im US-amerikanischen Justizministerium gibt es in den USA 55.000 zugelassene Waffengeschäfte, davon 6.700 an der US-mexikanischen Grenze.
Bald jeder US-Amerikaner hat eine Waffe
Statistisch gesehen kommen auf die 313 Millionen US-Amerikaner nach Schätzungen von ‘GunPolicy’, einem Programm der Sydney School of Public Health’ der Universität von Sydney, 270 Millionen Schusswaffen. Sie alle befinden sich in der Hand von Zivilisten.
Zwischen 1994 und 2004 hatte die Regierung in Washington den Verkauf von Feuerwaffen an Privatpersonen verboten. Friedensorganisationen setzen sich für eine Wiedereinführung dieser Regelung ein.
»Wir sind verzweifelt, weil uns keiner Aufmerksamkeit schenkt. Wir wissen, dass der Verkauf von Waffen im großen Stil betrieben wird. Wir wollen mit unserem Marsch durch die USA ein Bewusstsein dafür schaffen, wie wichtig es ist, den uneingeschränkten Verkauf dieser Waffen zu unterbinden, damit sie nicht über die Grenze nach Mexiko geschmuggelt werden«, so Ocegueda.
Der Mexikaner, der mit Elektroartikeln handelt, hatte nach der Entführung seines Sohnes Fernando im Februar 2007 in Tijuana im mexikanischen Bundesstaat Baja California durch mutmaßliche Mitglieder der inzwischen aufgelösten mexikanischen Sonderpolizei AFI die Menschenrechtsorganisation ‘Unidos por los Desaparecidos de Baja California’ gegründet.
Von den 70 Personen, die an der Friedenskarawane teilnehmen, sind 54 direkte oder indirekte Opfer von Gewalt. Die Karawane, die sich seit dem 12. August auf US-amerikanischem Boden befindet, wird an verschiedenen Etappenzielen wie Los Angeles, Phoenix, Tucson, El Paso, New Orleans, Atlanta, Chicago und New York Halt machen. Die mexikanischen Aktivisten werden sich mit Vertretern von etwa 80 US-Organisationen über Möglichkeiten einer alternativen Drogenpolitik und über Maßnahmen zur Bekämpfung des Waffenschmuggels und der Geldwäsche austauschen.
Ende der US-Militärhilfe für Mexiko gefordert
Die mexikanischen Aktivisten fordern die sofortige Einstellung von US-Geldern für die mexikanischen Streitkräfte. Die Mittel müssten in Projekte der menschlichen Sicherheit umgeleitet werden. Darüber hinaus verlangen sie von den USA eine Entmilitarisierung der Grenze und Entkriminalisierung der illegalen Einwanderer.
»Wir wollen dem US-Volk klarmachen, dass es uns mit seiner Drogenabhängigkeit und seinen Waffen tötet und unsere Demokratie gefährdet«, betont der Lyriker Javier Sicilia, der nach dem Mord an seinem Sohn Juan im März 2011 die Bewegung für den Frieden mit Gerechtigkeit und Würde ins Leben gerufen hat.
Die Karawane durch den Süden der USA ist die dritte, die Sicilia anführt. Im Juni und im September 2011 hatte er von der Mitte des Landes aus einen Protestzug in den Norden und einen weiteren in den Süden organisiert, um Zeugenaussagen über die Gewalt im Lande zu sammeln und um Unterstützung für seine Kampagne gegen die Straflosigkeit zu werben.
»Wir hoffen, dass wir einen breiten Dialog über unseren Beitrag zum Frieden in Mexiko in Gang bringen können«, sagt Ted Lewis von der US-Organisation ‘Global Exchange’, die die Friedenskarawane unterstützt.
Durch die mexikanische Mafia, die den Drogenhandel Südamerikas in Richtung USA kontrolliert, und die Militarisierung des Drogenkampfes seit dem Amtsantritt von Staatspräsident Felipe Calderón im Dezember 2006 ist das lateinamerikanische Land zu einem der gewalttätigsten Staaten der Welt verkommen. Mehr als 60.000 Menschen sind nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen seither getötet worden, weitere 250.000 wurden vertrieben, 10.000 Menschen sind ‘verschwunden’ und 8.000 Kinder wurden zu Waisen.
»Besonders schmerzt uns die Gleichgültigkeit. Die mexikanischen Behörden sind nicht bereit, in die Verantwortung zu gehen und uns zu entschädigen«, klagt Guadalupe Fernández von der mexikanischen Verschwundenenorganisation ‘Fuerzas Unidas por Nuestros Desaparecidos’, die an der Friedenskarawane teilnimmt. Ihr Sohn José Robledo, ein Ingenieur, verschwand im Januar 2009 im nordmexikanischen Bundesstaat Coahuila.
Nach ATF-Angaben hat die Inventur US-amerikanischer Waffengeschäfte ergeben, dass im Zeitraum 2008 bis 2010 62.000 Schusswaffen aus US-Waffengeschäften abhanden kamen. Ein Teil von ihnen könnte in kriminelle Hände geraten sein.
USA in der Pflicht
Calderón hat mehrfach die Waffenpolitik des Nachbarlandes kritisiert. Konkrete Maßnahmen sind jedoch ausgeblieben. »Wenn der politische Wille und soziale Druck vorhanden sind, könnte US-Präsident Barack Obama diesen Waffenhandel unterbinden. US-Waffen haben uns den Krieg gebracht, nun fordern wir von den USA, dass sie uns helfen, den Frieden wieder herzustellen«, sagt Sicilia.
»Will die mexikanische Regierung ernst genommen werden, muss sie handeln. Die nächste Regierung könnte für eine nicht verhandelbare Lösung des Problems eintreten«, meint Lewis von Global Exchange in Anspielung auf den Calderón Nachfolger Enrique Peña von der Partei der Institutionalisierten Revolution, der im Dezember sein Amt antreten wird.
Ende Juli haben die USA, Russland und China die Verhandlungen für ein internationales Waffenhandelsabkommen blockiert.
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