Samstag, 25. August 2012
Mexikanische Journalistin Lydia Cacho flieht
er Tagesspiegel, 22.8.2012
Mexikanische Journalistin Lydia Cacho: Rette mich, wer kann
von Philipp Lichterbeck
Die investigative mexikanische Journalistin Lydia Cacho flieht vor dem organisierten Verbrechen.
Im Tagesspiegel-Interview vor etwas mehr als einem Jahr gab sich Lydia Cacho kämpferisch. „Nur weil ich meinen Job gut mache, soll ich aus meinem Heimatland fliehen?“ Sie antwortete auf die Frage, ob sie daran denke, Mexiko zu verlassen. Nein, das wolle ihr wirklich nicht in den Kopf.
Damals hatten die USA und Spanien der investigativen Journalistin Asyl angeboten, weil sie Morddrohungen erhielt. Aber Cacho fand, dass es feige wäre, das Angebot anzunehmen angesichts der Arbeit, die in Mexiko auf sie warte. Sie hatte gerade das Sachbuch „Sklaverei“ über den globalen Frauen- und Kinderhandel veröffentlicht.
Insbesondere ihre Schilderungen aus dem Innern der Zwangsprostitution dürften ihr viele neue Feinde in Mexikos Mafia beschert haben.
Nun ist Lydia Cacho überstürzt aus ihrer Heimatstadt Cancún geflüchtet und hält sich an einem unbekannten Ort auf, vermutlich in Spanien. Zwar hatte sie sich an die Mordankündigungen gewöhnt, wie sie sagte, aber die letzte Drohung erreichte eine neue Qualität. Offenbar ist es der Mafia gelungen, Cachos Sicherheitsnetzwerk zu infiltrieren. Die Umstände ihrer Flucht waren dementsprechend dramatisch. Cacho hat eine satellitengestützte Kommunikationsanlage in ihrem Haus. Diese ist nur mit Insiderwissen und einer aufwendigen technischen Ausrüstung anzuzapfen. Aber über genau diese Anlage erreichte Cacho ein Anruf. Eine Stimme habe gesagt: „Wir haben dich gewarnt Scheißnutte, leg dich nicht mit uns an. Wir machen Stücke aus dir.“ Nur zwei Quellen kamen laut Cacho infrage: die Marine oder ein Drogenkartell.
Cacho rief sofort ihren Anwalt und einige Berater an. Diese wiesen sie an, ihren Pass zu schnappen und zu verschwinden. Die Drohung könne nicht von irgendjemandem kommen und dieser jemand müsse sich im Umkreis von fünf Kilometern befinden. Da sie keine Probleme mit der Marine habe, vermutet Cacho in der spanischen Zeitung „El País“, müsse eins der Drogenkartelle hinter dem Anruf stecken.
Zu deren Nebengeschäften gehört auch der Menschenhandel. Cacho betreibt in Cancún eine Einrichtung für Kinder und Frauen, die der Prostitution entflohen sind, das Centro Integral de Atención a las Mujeres. Es ist eine ständige Provokation für die Mafia, die ohnehin noch eine offene Rechnung mit Cacho hat. In ihrem Buch „Demonios del Edén“ deckte die Reporterin 2005 einen Kinderpornoring in Cancún auf, dem Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik angehörten. Der Textilunternehmer Kamel Nacif und der Gouverneur von Puebla, Mario Marín, beschlossen daraufhin, Cacho verschwinden zu lassen. Die Journalistin wurde von Polizisten verschleppt und gefoltert. Nur dank des schnellen Handelns von Kollegen, Freunden und Menschenrechtsorganisationen überlebte sie.
Cachos jetzige Flucht unterstreicht erneut die Wehrlosigkeit von Berichterstattern in Mexiko. Der Staat ist weder in der Lage noch willens, selbst prominente Journalisten wie Cacho zu schützen. Die Justizministerin habe ihr geraten, mal für einige Monate zu verschwinden, erzählt Cacho. Sie ist sich aber auch bewusst, dass ihre Prominenz und zahlreiche internationale Auszeichnungen ihr eine gewisse Sicherheit geben, ebenso wie ihre Angewohnheiten, jede Drohung sofort öffentlich zu machen und Namen zu nennen.
Weniger bekannten Journalisten geht es erheblich schlechter. Mehr als 80 wurden in den vergangenen zehn Jahren, teils äußerst sadistisch, ermordet, mehr als ein Dutzend gelten als vermisst. Die alte Weisheit, dass Hunde die bellen, nicht beißen, gilt nicht mehr. Es gehört zu den neuen Mordritualen der Mächtigen, den Opfern ihren Tod anzukündigen.
Mexiko steht auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 149 und damit gleichauf mit Afghanistan. Es ist die Konsequenz aus dem entfesselten Drogenkrieg der konservativen Regierung, dem seit 2006 laut offiziellen Angaben rund 50 000 Menschen zum Opfer gefallen sind.
Über Mexiko hinaus aber gehört Cacho zu einer Reihe von investigativen Journalisten, die über die neue, globalisierte Mafia schreiben und ständig auf der Flucht sind. Zu ihnen zählt auch der Italiener Roberto Saviano, der in dem Buch „Gomorrha“ die internationale Wirtschaftskriminalität anschaulich macht. Über Cacho sagt Saviano, dass ihre Hartnäckigkeit ein Ansporn für jeden Journalisten sein müsse. Und Günter Wallraff nennt sie die mutigste Frau, die er kenne.
Im vorerst letzten Eintrag auf ihrer Internetseite schreibt Cacho unter der Überschrift „Anleitung zur Rettung Mexikos“: „Es gibt sie noch, diejenigen, die trotz ihrer Angst nicht zynisch werden, die sich nicht dem Terror der Unmöglichkeit ergeben, die wissen, dass die Hoffnung keine Frucht der Fantasie ist.“
URL: http://www.tagesspiegel.de/medien/mexikanische-journalistin-lydia-cacho-rette-mich-wer-kann/7037920.html
Basler zeitung
Verfolgt von Pädophilen und Menschenhändlern
Von Sandro Benini. Aktualisiert am 23.08.2012
Lydia Cacho, die mutigste Journalistin Mexikos, ist nach einer Morddrohung ins Ausland geflüchtet.
Deckte einen Pädophilenring auf, an dem mehrere libanesische Topbeamte beteiligt waren: Lydia Cacho fürchtet keine mächtigen Männer. (Bild: Keystone )
Den Anruf erhielt Lydia Cacho am 3. August in ihrem Haus in der mexikanischen Touristenstadt Cancún. Die Stimme am anderen Ende der Leitung sagte: «Wir haben es dir hundertmal gesagt, du verdammte Nutte: Leg dich bloss nicht mit uns an. Aber du begreifst es einfach nicht. Wir werden dich zerhacken und in kleinen Stücken nach Hause zurückschicken.» In Mexiko, wo fast täglich gefolterte, geköpfte, zerstückelte Körper gefunden und mehr Journalisten ermordet werden als in jedem anderen westlichen Land, ist eine solche Drohung wörtlich zu nehmen. Darum ist die Autorin, Journalistin, Feministin und Aktivistin Lydia Cacho jetzt ins Ausland geflüchtet.
Eine Million fürs Schweigen: Sie lehnte ab
Die 49-Jährige war seit Jahren bedroht worden, einmal hatte jemand an ihrem Auto die Radschrauben gelockert. Aber nach dem jüngsten Telefonanruf musste Mexikos Generalstaatsanwältin Marisela Morales eingestehen, dass die Behörden ausserstande seien, ihre Sicherheit zu garantieren.
Lydia Cacho gilt als mutigste Journalistin Mexikos. Schon ihre französischstämmige Mutter war Feministin, was den Vater halb im Scherz, halb ernsthaft sagen liess: «Du erziehst unsere Tochter so, dass kein Mann in diesem Land sie jemals lieben wird.» Vor zwölf Jahren gründete Cacho in Cancún ein Heim für misshandelte und sexuell ausgebeutete Mädchen und Frauen. 2003 erzählte ihr eines der Opfer, sie sei von einem libanesischen Unternehmer namens Jean Succar Kuri alias El Johnny missbraucht worden. Die Journalistin begann zu recherchieren und deckte einen Pädophilenring auf, an dem ein zweiter libanesischer Geschäftsmann namens Kamel Nacif sowie mehrere Politiker und Topbeamte beteiligt waren. An ihren Festen vergewaltigten sie Mädchen und Jungen zwischen 6 und 13 Jahren. Ein Abgesandter der Sexualverbrecher bot der Journalistin eine Million Dollar für ihr Schweigen, und als sie ablehnte, sagte er: «Du hast keine Ahnung, mit wem du dich anlegst.» Ihr Buch «Die Dämonen des Paradieses», in dem sie die pädophilen Unternehmer und Politiker denunziert, erschien trotzdem.
Lieber verfolgt als ermordet
Einen Monat später begriff Cacho, was der Unterhändler gemeint hatte: Da Nacif mit dem Gouverneur des Bundesstaates Puebla befreundet war, schickte dieser seine Polizisten nach Cancún, um die Autorin zu entführen. Auf der zwanzigstündigen Fahrt von Cancún nach Puebla steckte ihr einer der Beamten seine Pistole in den Mund und betatschte ihren Körper. Einmal hielten sie am Strand, wo die Polizisten eine Scheinhinrichtung durchführten. Es brauchte den Protest in- und ausländischer Journalisten, Intellektueller und Menschenrechtler, um Cacho wieder freizubekommen. Obwohl sie auch über die staatliche Entführungsaktion ein Buch schrieb und die Verantwortlichen anzeigte, wurde bis heute keiner von ihnen verurteilt.
Später dehnte die Journalistin ihre Recherchen über die sexuelle Ausbeutung Minderjähriger auf andere Länder aus: die Türkei, Israel, Japan, Kambodscha. Ihr Buch «Sklaverei. Im Inneren des Milliardengeschäfts Menschenhandel» erschien letztes Jahr auch auf Deutsch. Die jüngste Drohung könnte damit zusammenhängen, dass sie darin unter anderem den Menschenhandel mexikanischer Drogenkartelle schildert.
In einem Twitter-Eintrag versichert Cacho, sie werde nach Mexiko zurückkehren, sobald ihr Sicherheitsdispositiv verbessert sei. «Niemand wird mich auf Dauer vertreiben. Aber ich gehöre lieber zu den Verfolgten als zu den Ermordeten.»
URL: http://bazonline.ch/ausland/amerika/Verfolgt-von-Paedophilen-und-Menschenhaendlern/story/25875028
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