Sonntag, 28. Juli 2019

Omar Znkawan ist aus Syrien zu seinem Bruder nach Moabit geflohen. Mit einem Stipendium des Berliner Senats versucht er nun, westliche und arabische Musik zusammenzubringen.

Im Februar 2018 geht für Omar Znkawan ein Traum in Erfüllung. Gebannt sitzt der junge Mann auf einem der hölzernen Stühle der Berliner Philharmonie und lauscht den Klängen, die sich von der tiefen Bühne in den hohen Saal aufspannen. Als Student in Syrien hat Omar auf einem kleinen Fernseher Konzerte in der fernen Philharmonie angeschaut und davon geträumt, selbst einmal als Musiker in Europa zu spielen. »In der großen und berühmten Stadt Berlin«, sagt er heute pathetisch. Doch sein Weg hierher hat wenig mit der Erfüllung eines Traums zu tun.
Omar hat die Musik schon als Kind geliebt. Mit 14 läuft er mit einer Jugendgruppe durch die Straßen seiner Heimatstadt Homs und bläst begeistert in seine Trompete. Er hört alles, mag klassische und orientalische Musik und am liebsten Jazz. »Wenn ich das gehört habe, fühlte ich etwas ganz anderes, etwas Neues«, sagt Omar. Mit 16 beginnt er, Klarinette und Saxophon zu lernen. »Ich denke, ich wollte einfach ein bisschen besonders sein«, sagt er heute und lacht.
Auch sonst ist vieles besonders an Omar. Er ist der erste Musiker in der Familie, bekommt einen Platz im ersten Jahrgang der neuen Fakultät für Musikpädagogik in Homs. Dort gibt es nicht mal einen Lehrer für Klarinette. Also reist Omar fast täglich 160 Kilometer nach Damaskus ins Konservatorium, um bei einem russischen Dozenten Klarinette zu studieren. »Wir haben uns mit Händen und Füßen verständigt«, erklärt Omar, »und manchmal auch nur über die Musik«. Nach seinem Abschluss wird er der erste Lehrer für Klarinette an der Universität in Homs. Nebenbei tourt er mit einer internationalen Big Band durch Syrien. »Ich war nie in anderen Ländern, aber ich habe über diese Musiker die Welt kennengelernt«, sagt er. Und noch etwas lernt er dabei: Dass ziemlich viele Syrer Jazz mögen. Die Konzerte sind gut besucht. Es ist die glücklichste Zeit in Omars Leben.
Dann passiert das, was Omar »die Katastrophe« nennt. In seiner Heimatstadt brechen schwere Gefechte aus, Panzer feuern auf Demonstranten, fast jeden Tag gibt es Tote. Homs ist tagelang ohne Strom, von der Außenwelt abgeriegelt. Im Winter 2012 fallen die ersten Bomben. Die Wohnung der Familie Znkawan brennt aus. Plünderer nehmen mit, was die Flammen übriglassen. Omar, seine drei Geschwister und die Mutter fliehen westwärts und kommen in der kleinen Stadt Mashta al Helou unter. Ein Jahr lang verlassen sie kaum das Haus.
Ratatata! So erinnert sich Omar an den Klang des Krieges. Seine Musik soll ihn übertönen. Deshalb pendelt er schon bald wieder etliche Kilometer, durch Dutzende Kontrollpunkte, um im zerstörten Homs zu lehren. Sein Orchester soll lauter spielen, seine Chorschüler lauter singen als die Schüsse. Die Musik sichert sein Überleben: Er verdient ein wenig Geld und wird nicht in die Armee eingezogen, solange er als Dozent arbeitet. So geht es ein paar Jahre. Der Krieg zieht in andere Teile des Landes, aber die Fronten zwischen den Menschen bleiben. Omars Chor tritt trotzdem auf. Und im Publikum sitzen sie alle, die Gegner und Befürworter Assads und solche, die noch ganz andere Vorstellungen haben - und lauschen verblüfft. Omar mischt klassische westliche mit traditionell arabischer Musik, er arrangiert Stücke, die das scheinbar Unvereinbare zusammenführen. »Viele versuchten, unser Land mit Waffen zu verändern. Ich habe es lieber mit der Musik versucht«, erklärt er.
Doch der Krieg verstummt nicht. Als Omar im Sommer 2017 seinen Pass verlängern will, erklärt der Beamte plötzlich, dass er sofort in die Armee eingezogen werden soll. Zwei Tage hat er Zeit, um sich von der Universität Homs abzumelden. Aber Omar fährt nicht nach Homs. Er versteckt sich in der Wohnung der Familie in Mashta al Helou. Zwei lange Monate lang. »Ich kann nicht auf andere Leute zielen«, denkt er. Irgendwann greift er zum Handy und ruft seinen Schwager an, der in die Türkei geflüchtet ist. Der nennt ihm die Namen der Männer in der Stadt, die ihn nach Norden bringen. In zehn Nächten schafft er es an die türkische Grenze, ohne aufzufliegen.
Als Omar über die Grenze rennt, raus aus dem Land, dass ihn die Musik gelehrt hat, ist der Klang des Krieges lauter als jemals zuvor. Um ihn prasseln die Schüsse. Und nichts ist mehr da, um sie zu übertönen. Seine Instrumente hat er verkauft, um die Flucht zu bezahlen.
Es beginnt die stillste Zeit in Omars Leben. Er kommt bei seiner Schwester unter, in einer kleinen Stadt an der türkischen Küste, in der sich niemand für seine Musik interessiert. Dort sitzt Omar alleine vor der Webcam und dirigiert seinen Chor in Syrien. Er kauft die billigste Klarinette, die er finden kann und übt leise. »Aber die meiste Zeit habe ich nur Musik in meinem Kopf gemacht«, sagt er. Dem Bruder, der über das Telefon erzählt, dass er versuche, ihn nach Berlin zu holen, mag er nicht glauben.
Real wird es erst, als die deutschen Beamten in der Botschaft in Istanbul das Visum in seinen Pass drücken. Zwei Tage später schließt er seinen Bruder am Flughafen Tegel in die Arme. »Am 14. Dezember 2017« - das Datum wird Omar nie wieder vergessen. Es markiert einen Neuanfang. Neben seinem Bruder stehen Reinhard und Brigitte Nake, die geholfen haben, ihn legal nach Deutschland zu bringen. In ihrer hellen Wohnung in Moabit haben sie vor drei Jahren ein Zimmer für Omars jüngeren Bruder Taher freigeräumt, jetzt steht ein zweites Bett darin. An einer Wand hängt eine große Syrienkarte, mit Bleistift ist Omars Fluchtweg markiert. »Wir sind alle Geistesverwandte«, sagt Reinhard, der selbst nach Westberlin geflüchtet ist.
Zu Omars erstem Geburtstag in Berlin sammelt das Ehepaar Geld. Omar kauft sich davon ein neues Saxophon. Langsam kehrt die Musik in sein Leben zurück. Aber Omar spielt jetzt anders. Die Melodien, die seine Kindheit prägten, die nicht erlernt sind, sondern »im Blut fließen«, wie er sagt, sind ihm wichtig geworden. Monatelang versucht er, die Vierteltöne der traditionellen arabischen Musik auf seinen westlichen Instrumenten zu spielen. Wieder soll die Musik zusammenzubringen, was oft gegensätzlich erscheint. »Für westliche Ohren klingt die arabische Musik oft monoton«, erklärt Omar. Doch wenn er sie mit einer Jazzband spielt, können die Menschen in Deutschland vielleicht Gefallen daran finden, glaubt er. Mithilfe eines Stipendiums des Berliner Senats arbeitet er seitdem an seiner Idee. Und dann ist es soweit: Mit Musikern aus der Türkei, Japan und Syrien spielt er sein erstes Konzert in Berlin. »Ich war sehr nervös, was die Menschen sagen würden«, gibt er zu. Aber als das Publikum begeistert klatscht, weiß er, dass seine Idee aufgegangen ist.
Wenn Omar an die Zukunft denkt, träumt er davon, dass für seine Familie endlich Ruhe einkehrt. Und dass er in Deutschland viele Menschen von seiner Musik begeistern kann. Und auch Omars größter Traum hat sich erfüllt: Im September darf er zurück in die Berliner Philharmonie. Nur: Dieses Mal wird er mit auf der Bühne stehen.
Wer Omar einmal live sehen möchte: Am 7. September spielt er mit seiner Band in der Werkstatt der Kulturen in Neukölln und am 20. und 21. September mit dem Ornina Syrian Orchestra im Kammermusiksaal der Philharmonie.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1123436.syrien-der-klang-des-krieges.html


Schlagwörter zu diesem Artikel:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen