IMI-Analyse 2019/021 - in: Telepolis, 12.7.2019
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 15. Juli 2019
In ihrem Koalitionsvertrag
hatten sich CDU/CSU und SPD darauf verständigt, die aus dem Jahr 2000
stammenden „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export
von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ bis Ende 2018 zu
aktualisieren. Auf den ersten Blick suggerierte die betreffende Passage,
es gehe darum, die Richtlinien restriktiver zu gestalten. Näher
betrachtet war darin aber – augenscheinlich bewusst – lediglich die Rede
davon, man beabsichtige die Ausfuhrbestimmungen zu „schärfen“.
Tunlichst wurde es vermieden, von einer „Verschärfung“ zu sprechen, wodurch der Rücken für Veränderungen in alle denkbaren Richtungen frei blieb.[1]
Am 26. Juni 2019 wurde besagte Neufassung mit etwa sechsmonatiger Verzögerung schließlich veröffentlicht. In ihrer dementsprechenden Presseerklärung schrieb sich die SPD umgehend auf die Fahnen, hierdurch eine „restriktivere Genehmigungspraxis“ auf die Schiene gesetzt zu haben. Auch Medien wie zum Beispiel das ZDF strickten mit Überschriften wie „Strengere Regeln für Rüstungsexporte“ an diesem Mythos eifrig mit. Diese Einschätzung ist jedoch allenfalls zu einem Teil richtig: Zwar wurden nun einige Kontrollelemente neu in die Richtlinien aufgenommen, vieles davon ist aber eher kosmetischer Natur und reichlich vage formuliert. Vor allem wurde aber dafür gesorgt, dass vorhandene Schlupflöcher sperrangelweit offengehalten und unter Verweis auf die Debatte um europäische Rüstungsgroßprojekte sogar neue aufgemacht wurden. Friedensforscher befürchten sogar „de facto die Aushebelung der deutschen Rüstungsexportkontrolle durch europäische Rüstungskooperation.“
So fällt die Bewertung bestenfalls zwiespältig aus, was nicht zuletzt auch daran liegen dürfte, dass nicht nur bei CDU/CSU, sondern auch in der SPD die wirtschaftliche und vor allem auch machtpolitische „Notwendigkeit“ von Rüstungsexporten im Grundsatz in keiner Weise in Frage steht. Die überarbeiteten Grundsätze, die überdies auch nur eine politisch-moralische, keine rechtliche Bindewirkung entfalten, dienen deshalb nicht zuletzt dazu restriktiv zu blinken, um gleichzeitig Rüstungsexporte auch künftig im großen Stil durchwinken zu können.
1. Rüstungsexporte und machtpolitische Interessen
Dass ein Interesse an hohen Profiten der Rüstungsindustrie zur DNA der wirtschaftsnahen CDU gehört, ist geschenkt. Doch auch in der SPD fällt immer wieder auf, dass zumindest Teile der Partei mit den Interessen der Branche sympathisieren. Ein Grund hierfür dürfte der immer noch weitverbreitete Mythos von der „Jobmaschine Rüstung“ sein, obwohl Untersuchungen zeigen, dass sich weder hohe Rüstungsausgaben im Allgemeinen noch Rüstungsexporte im Besonderen positiv auf die Schaffung von Arbeitsplätzen auswirken.[2]
Dass die Industrie dennoch in der SPD teils offene Türen einrennt, hat sicherlich etwas mit den gut organisierten Bereichen der IG Metall zu tun, die sich als Vertreter der – vergleichsweise wenigen[3] – Beschäftigten im Rüstungssegment verstehen. Das allein scheint allerdings bei weitem nicht ausreichend, um den Einfluss der Branche erklären zu können. Wichtiger noch dürften andere Überlegungen sein, die in der SPD ebenso angestellt werden, wie bei ihren Koalitionspartnern aus CDU und CSU. Namentlich geht es darum, dass es sich bei dem Erhalt einer starken rüstungsindustriellen Basis – für den Exporte wiederum zwingend notwendig sind – um ein machtpolitisches Interesse allererster Güte handelt.
Unumwunden wurde dies zum Beispiel in einer rüstungspolitischen Grundsatzrede im Oktober 2014 vom damaligen SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zum Ausdruck gebracht, mit der die von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ausgerufene „Agenda Rüstung“ flankiert werden sollte: „Die Erhaltung der Bündnisfähigkeit und der dazu notwendigen rüstungstechnologischen Kernkompetenzen sind ein zentrales außen- und sicherheitspolitisches Interesse der Bundesrepublik Deutschland.“ Erforderlich sei hierfür eine „exportpolitische Flankierung der Verteidigungsindustrie“, unter anderem, indem über eine „Konsolidierung“ (Bündelung) des europäischen Rüstungssektors sogenannte Eurochampions geschaffen werden, die eine kritische Größe erreichen, um „erfolgreich“ auf den Weltmärkten konkurrieren zu können.
Wörtlich hieß es in Gabriels Rede: „Die Verteidigungsindustrie in der EU ist nach wie vor national ausgerichtet und stark fragmentiert. […] Folgen dieser unbefriedigenden Situation sind hohe Kosten und nachteilige Folgen für den internationalen Wettbewerb, aber auch negative Auswirkungen für die Streitkräfte. Es ist erklärtes Ziel der EU und der Bundesregierung, den bisher stark zersplitterten europäischen Verteidigungsmarkt neu zu gestalten und die europäische wehrtechnische industrielle Basis zu stärken. Die starke und wettbewerbsfähige deutsche Industrie könnte von einer solchen Entwicklung deutlich profitieren. […] Europäische, nicht nationale Champions sind geboten. Nur die Kooperation und zum Teil auch das Zusammengehen von Unternehmen in Europa kann es ermöglichen, dass eine echte rüstungstechnologische Basis in Europa aufrechterhalten wird.“
Diese Punkte wurden dann – weitgehend sogar wortwörtlich – in das im Juli 2015 veröffentlichte „Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland“ übernommen[4], das seither den Rahmen vorgibt, an dem sich die deutsche Rüstungspolitik orientiert. So existiert also schon länger eine Große Koalition, die in Rüstungsexporten zuallererst einen wichtigen Faktor sieht, um eine machtpolitisch als essentiell wahrgenommene rüstungsindustrielle Basis zu stärken. Die „Logik“ hinter diesen Überlegungen wurde in der Süddeutschen Zeitung kürzlich noch einmal folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Auch Brigadegeneral a.D. Erich Vad, lange Jahre militärpolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, weiß, was mit dem Export von Rüstungsgütern frei Haus geliefert wird: Einfluss. ‚Wenn wir liefern, sind sie von uns abhängig. Wenn die einen Mist bauen, können wir die Lieferung einstellen, die Wartung stoppen oder einfach keine Ersatzteile mehr schicken. Das kann man auch als Instrument der Außenpolitik nutzen.‘ […] Umgekehrt funktioniert die Logik nicht weniger erbarmungslos. Verfügt ein Staat über keine eigene Rüstungsindustrie, dann muss er Waffen einkaufen – und wird abhängig. […] In einem Land wie Deutschland kann eine eigene wehrtechnische Industrie in der Tat nur überleben, wenn sie exportieren darf. Sonst muss sie entweder massiv subventioniert werden oder sie wandert ins Ausland ab.“
2. Einbruch der Rüstungsexporte?
Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher, gewerkschaftlicher, besonders aber machtpolitischer Interessen sollte es nicht verwundern, dass sich die Politik in den letzten Jahren allen Lippenbekenntnissen zum Trotz nicht gerade sonderlich darum verdient gemacht hat, die Rüstungsexporte substanziell zurückzufahren.
Medial wird allerdings etwas ganz anderes vermittelt: Folgt man etwa dem Handelsblatt, so sind die Rüstungsexporte – der „restriktiven“ Haltung der SPD geschuldet – nun zum dritten Mal in Folge eingebrochen: „Der Abwärtstrend bei den deutschen Rüstungsexporten hält an. Vom 1. Januar bis zum 31. März [2019] genehmigte die Bundesregierung Lieferungen im Wert von 1,12 Milliarden Euro und damit weniger als 2018 durchschnittlich pro Quartal (1,21 Milliarden Euro). […] Die Industrie führt den Trend auf die besonders restriktive Haltung der Bundesregierung gegenüber Ländern außerhalb von EU und Nato seit ihrem Amtsantritt im März 2018 zurück. […] 2018 brachen die Genehmigungen um fast ein Viertel auf 4,82 Milliarden Euro ein. Es war das dritte Jahr in Folge, in dem die Rüstungsindustrie einen Rückgang hinnehmen musste. Ein Wachstum gab es zuletzt 2015, damals auf einen Rekordwert von 7,86 Milliarden Euro. Seitdem geht es bergab.“
Diese „Tatsache“ wird nun von interessierten Kreisen dazu genutzt, um die scheinbar generell zu restriktive Genehmigungspraxis ganz grundlegend zu kritisieren. Die Sache hat nur einen Haken: Tatsächlich entspricht es zwar der Realität, dass die Einzelgenehmigungen mit 4,82 Mrd. Euro (2018) gegenüber den hohen Vorjahreszahlen, 7,50 Mrd. (2015), 6,84 Mrd. (2016) und 6,24 Mrd. (2017) deutlich zurückgingen. Sie liegen damit aber immer noch über dem Schnitt der Genehmigungen in den Jahren 2004 bis 2014 (ca. 4,67 Mrd.). Vor diesem Hintergrund also ernsthaft von einem „Einbruch“ zu sprechen, ist – vorsichtig formuliert – höchst relativ.
Zumal der Deutschlandfunk am 10. Juli 2019 über eine Antwort auf eine Anfrage der Grünen berichtet, aus der hervorgeht, dass sich die Bundesregierung im zweiten Quartal mächtig ins Zeug gelegt zu haben scheint, sodass es in Sachen Rüstungsexportgenehmigungen wieder aufwärts geht: „Die Bundesregierung hat im ersten Halbjahr Rüstungsexporte im Wert von 5,3 Milliarden Euro genehmigt und damit mehr als im gesamten Vorjahr.“
Auffällig ist auch der unverändert hohe Anteil von Exporten an sog. Drittländer, also an Staaten, die nicht der EU oder NATO angehören (und ihnen auch nicht gleichgestellt sind). Hier schwanken die Zahlen zwar stark, aber es lässt sich dennoch erkennen, dass der Anteil in der Tendenz eher steigt und auch im Jahr 2018 mit 53 Prozent hoch ausfiel.
3. Nationale und europäische Umgehungstaktiken
Mit Blick auf die Rüstungsexportrichtlinien ist es wichtig zu wissen, dass es sich dabei um wenig mehr als um eine Absichtserklärung handelt, die in der politischen Realität nahezu beliebig zurechtgebogen werden kann, wie Otfried Nassauer in „Streitkräfte & Strategien“ verdeutlicht: „Politische Grundsätze sind keine gesetzliche, sondern eine politische Regelung – eine politische Willensbekundung der Bundesregierung. Sie ändern die Rechtsgrundlagen nicht, sondern dienen im Rahmen der geltenden nationalen Gesetze und des Völkerrechts als zusätzliche politische Gestaltungsgrundlage für die Genehmigung oder Ablehnung konkreter Exportanträge für Rüstungsgüter.“
Darüber hinaus werden die Richtlinien in der Regel großzügig und tendenziell – aller Kritik aus dieser Ecke zum Trotz – zugunsten industrieller und machtpolitischer Interessen ausgelegt. So hieß es zwar schon in den Rüstungsexportrichtlinien aus dem Jahr 2000, eine „Einwendung“ gegen Waffenlieferungen würde durch die Bundesregierung „in der Regel“ unter anderem gemacht für „Exporte in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind“. Dies hat aber nicht verhindert, dass Waffen munter in Länder verbracht werden, die aktiv in Kriegshandlungen involviert sind. So kritisierte die „Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung“ (GKKE) in ihrem jüngsten, Anfang 2019 erschienenen Rüstungsexportbericht: „Am stärksten [in den Jemen-Krieg] involviert sind nach Saudi-Arabien die Vereinigten Arabischen Emirate – beide entsenden eine Vielzahl von Kampfflugzeugen, um mit Luftschlägen die Huthi-Rebellen im Jemen zu bekämpfen – sowie Ägypten, das sich mit Kriegsschiffen an der Seeblockade im Roten Meer sowie an der strategisch wichtigen Bab al-Mandab Meerenge beteiligt. Ungeachtet dessen erteilte die Bundesregierung zwischen 2015 und 2017 Genehmigungen für Rüstungsexporte im Gesamtwert von über 2,6 Milliarden Euro an diese drei Staaten.“
Diese hohen Zahlen sind auf den ersten Blick allein schon deshalb verwunderlich, weil auf EU-Ebene – eigentlich – rechtlich bindende Rüstungsexportrichtlinien existieren, die dem Wortlaut nach recht viele problematische Felder abdecken. Außerdem verweisen sowohl die politischen Grundsätze aus dem Jahr 2000 und nun auch die jüngst aktualisierte Fassung explizit auf die EU-Regelungen als bindenden Rahmen der deutschen Exportpolitik.[5] Dabei handelt es sich um den „Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008“, der acht Kriterien enthält, bei deren Verletzung eine Exportgenehmigung versagt (Kriterien 1-4) oder zumindest erwogen (Kriterien 5-8) werden sollte (siehe Kasten).
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Die EU-Rüstungsexportrichtlinien (“acht Kriterien”)
1.) Respekt vor internationalen Verpflichtungen/Verträgen; 2.) Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts; 3.) Sicherheitslage des Landes (ob etwa Bürgerkrieg herrscht); 4.) Gefährdung von Frieden und Stabilität in einer Region (keine Exporte in Krisengebiete); 5.) Wahrung von Bündnisinteressen; 6.) Haltung bezüglich Terrorismus; 7.) Gewährleistung kein Weitertransfer an problematische Länder/Gruppen (Endverbleib); 8.) Vereinbarkeit mit der technischen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Empfängerlandes (Entwicklungsverträglichkeit).
Quelle: Gemeinsamer Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern
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Wie gesagt, die Kriterien sind – an sich – sehr engmaschig und würden bei konsequenter Anwendung auch den Großteil der europäischen Waffenexporte unmöglich machen. Doch auch hier gibt es – natürlich – einen Haken: Die Auslegung der Kriterien obliegt den Mitgliedsstaaten! Ob also zum Beispiel Saudi Arabien aus Sicht eines bestimmten EU-Landes die Menschenrechte verletzt, hängt im Wesentlichen davon ab, ob es gegebenenfalls dort Rüstungsgüter in Millionen- oder gar Milliardenhöhe an den Mann bringen will. Dies führt in der Praxis zu massenweisen Verstößen gegen die acht Kriterien, die systematisch u.a. für Deutschland durch das „Bonn International Center for Conversion“ (BICC) untersucht werden. Im Rüstungskontrollbericht der GKKE für das Jahr 2017 heißt es dazu: „Nach Ermittlungen des BICC hat die Bundesregierung im Jahr 2017 4.020 Lizenzen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern in 65 Staaten erteilt, die mindestens hinsichtlich eines der acht Kriterien des Gemeinsamen Standpunktes des EU als problematisch eingestuft werden können. Der Wert der 2017 erteilten Ausfuhrgenehmigungen in diese Länder liegt bei 3,878 Milliarden Euro.“
Zu den Schwächen der EU-Rüstungsexportrichtlinien gehört unter anderem, dass ein transparentes Erfassungssystem fehlt – im Prinzip übermitteln die Staaten an die EU Zahlen, wie es ihnen gerade beliebt (daher rühren auch die teils hohen Schwankungen in den EU-Berichten). Vor allem aber existiert keine offizielle Stelle, die die Einhaltung der acht Kriterien durch die Mitgliedsstaaten prüft, geschweige denn deren Verletzung sanktioniert. Überraschenderweise verabschiedete selbst das Europäische Parlament im November 2018 eine auf Grundlage eines Berichts der Linksfraktion GUE/NGL erarbeitete Entschließung, in dem diese Punkte kritisiert und Änderungen eingefordert wurden: „Das Europäische Parlament […] kritisiert die systematische Nicht-Anwendung der acht Kriterien durch die Mitgliedstaaten und die Tatsache, dass Militärtechnologie Bestimmungsorte und Endnutzer erreicht, die die im Gemeinsamen Standpunkt festgelegten Kriterien nicht erfüllen; wiederholt seine Forderung nach einer unabhängigen Bewertung der Einhaltung der acht Kriterien des Gemeinsamen Standpunkts durch die Mitgliedstaaten; hält es für notwendig, eine größere Konvergenz in der Anwendung der acht Kriterien zu fördern; bedauert, dass es keine Bestimmungen zur Sanktionierung von Mitgliedstaaten gibt, die beim Erteilen von Genehmigungen die Einhaltung der acht Kriterien nicht vorab geprüft haben; fordert die Mitgliedstaaten mit Nachdruck auf, die Kohärenz bei der Umsetzung des Gemeinsamen Standpunkts zu verbessern, und empfiehlt ihnen, Vorkehrungen für die Durchführung unabhängiger Kontrollen zu treffen“.
Leider haben die Positionen des Europäischen Parlaments in Sachen Rüstungsexporte keine rechtlich bindende Wirkung, weshalb damit zu rechnen ist, dass die Staaten an ihrer Auslegungspraxis auch nach der für Ende des Jahres erwarteten Überarbeitung des Gemeinsamen Standpunktes munter festhalten werden.
Im Ergebnis lässt sich somit festhalten, dass die Rüstungsexportrichtlinien, beziehungsweise deren Auslegung, in den letzten Jahren beim besten Willen nicht als sonderlich restriktiv bezeichnet werden können. Tatsächlich wurde sowohl auf europäischer wie auch auf nationaler Ebene tunlichst darauf geachtet, dass genügend Spielraum für eine umfassende Rüstungsexportpraxis blieb – und bedauerlicherweise dürfte sich dies auch mit der Neufassung der deutschen Rüstungsexportrichtlinien nicht grundsätzlich ändern.
4. Richtlinien: Vage Verbesserungen…
Die am 26. Juni 2019 aktualisierten Richtlinien weisen zumindest drei Neuerungen auf, die sich zumindest potenziell positiv auf die bisherige Exportpraxis auswirken könnten.
Erstens wurde die Möglichkeit für „Post-Shipment-Kontrollen“, also Endverbleibskontrollen im Empfängerland nach erfolgtem Waffenexport, nun explizit aufgenommen, nachdem Sigmar Gabriel sie bereits in seiner Zeit als Wirtschaftsminister (2013 bis 2017) eingeführt hatte. Hier handelt es sich unzweifelhaft um einen Fortschritt gegenüber der vorherigen Fassung, auch wenn die konkrete Ausgestaltung noch nicht allzu fortgeschritten scheint, wie bei „Streitkräfte & Strategien“ erklärt wird: „Erste solche sogenannte Post-Shipment-Kontrollen für kleine und leichte Waffen sind inzwischen durchgeführt worden. Die Erfahrungen werden derzeit ausgewertet. Die Möglichkeit zu solchen Kontrollen wurde in die Politischen Grundsätze aufgenommen. Allerdings wird sich erst in Zukunft zeigen, ob die Kontrollen von kleinen und leichten Waffen auf andere Rüstungsgüter ausgeweitet werden.“
Der zweite Bereich betrifft den Export von Technologie ins Ausland, der nun im Prinzip an die Einhaltung der politischen Grundsätze gebunden wird: „Vor der Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen für Technologie ist zu prüfen, ob hierdurch der Aufbau von ausländischer Rüstungsproduktion ermöglicht wird, die nicht im Einklang mit der in diesen Grundsätzen niedergelegten restriktiven Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung steht.“ Im Prinzip ist diese neue Passage natürlich zu begrüßen, aber leider bleibt vieles vage und unklar. Insbesondere Firmenverlagerungen und Joint Ventures werden nicht ernsthaft adressiert, wie Simone Wisotzki von der „Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung“ (HSFK) und Max Mutschler vom „Bonn International Center for Conversion“ (BICC) bemängeln: „Es ist gut, dass die Bundesregierung dem Aufbau ausländischer Rüstungsproduktion durch deutsche Rüstungsunternehmen in Zukunft größere Aufmerksamkeit widmen will als bisher. So führt etwa die weltweite Proliferation von Kleinwaffen aus ausländischer Produktion mit deutscher Lizenz und Technologie die fatalen Folgen der bisherigen Blindheit der Bundesregierung für diese Problematik vor Augen. Ob sie es mit dieser Absichtserklärung tatsächlich ernst meint, muss die Bundesregierung erst noch durch die entsprechende Genehmigungspraxis beweisen. Außerdem sollte sie endlich einen Genehmigungsvorbehalt für die Gründung von Joint Ventures und Tochterunternehmen deutscher Rüstungsfirmen im Ausland einführen, um zu verhindern, dass Firmen wie Rheinmetall diese Gesetzeslücke nutzen und, zum Beispiel über ein Tochterunternehmen in Italien, weiter Bomben an Saudi-Arabien liefern.“
Besonders aber ein dritter Aspekt mit einem – zumindest auf den ersten Blick – gewissen Potenzial, rückte umgehend in die Kritik der Rüstungslobby: Das scheinbare Exportverbot von Klein- und Leichtwaffen. Auch wenn die Umsätze dieser Waffen im Vergleich zu den Kriegswaffen vergleichsweise gering sind[vi], wäre ein generelles Ausfuhrverbot aufgrund ihrer verheerenden Wirkung tatsächlich ein immenser Fortschritt.
Und auf den ersten Blick scheint dies auch der Fall zu sein, denn in die Richtlinien wurde folgende Passage neu aufgenommen: „Der Export von Kleinwaffen in Drittländer soll grundsätzlich nicht mehr genehmigt werden.“ Daraufhin meldete sich umgehend der „Bund der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ (BDSV) in einer Pressemitteilung kritisch zu Wort: „Das vollständige Exportverbot von Kleinwaffen in Drittländer, so wie es bereits im Koalitionsvertrag verankert wurde, ist eine zwar politisch nachvollziehbare Entscheidung, berücksichtigt aber nicht, dass es auch Drittländer gibt, die eine demokratisch gewählte Regierung haben und auch internationale Menschenrechtsstandards einhalten. Daher ist eine solche Pauschalisierung eher unangemessen und auch hier sollte die Einzelfallentscheidung wieder greifen.“
Damit referierte der BDSV allerdings lediglich, was ohnehin bereits Position der Bundesregierung ist – nämlich dass grundsätzlich aus ihrer Sicht eben keinesfalls immer bedeutet, wenn etwa Regierungssprecher Steffen Seibert zu Protokoll gibt: „Das bedeutet gleichzeitig, dass es in begründeten Einzelfällen Ausnahmen geben kann; es handelt sich also nicht um ein Komplettverbot, sondern um ein grundsätzliches Verbot.“
Darüber hinaus wird hier noch so getan, als wäre mit grundsätzlich so etwas wie in der Regel gemeint. Dies ist aber erfahrungsgemäß nicht der Fall, stattdessen wurden Exporte in Drittstaaten eher regelmäßig durchgewunken, wie zum Beispiel bei „Streitkräfte & Strategien“ betont wird: „In der Praxis können die Ausnahmen jedoch auch Überhand nehmen. Seit 19 Jahren steht nämlich bereits in den Politischen Grundsätzen, dass Exporte von Kriegswaffen in Drittstaaten nur in Ausnahmefällen genehmigt werden. […] Aus der theoretisch möglichen Ausnahme ist also in der Praxis die Regel geworden.“
Auch in der Neufassung der Richtlinien wird der besonders heikle Kriegswaffenexport an Drittländer kaum prinzipiellen Beschränkungen unterworfen, „sicherheitspolitische Interessen“ können jederzeit geltend gemacht werden, um alle anderen Hürden aus dem Weg zu räumen: „Der Export von nach KrWaffKontrG und AWG genehmigungspflichtigen Kriegswaffen wird nicht genehmigt, es sei denn, dass im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der Bündnisinteressen für eine ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung sprechen.“
Grundsätzlich – und in der Praxis wohl deutlich näher am Wortsinn eigentlich immer – sind außerdem auch gemäß der neuen Richtlinien wie schon in der vorherigen Version Ausfuhren an Verbündete zu genehmigen: „Der Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in EU-Mitgliedstaaten, NATO-Länder und NATO-gleichgestellte Länder […] ist grundsätzlich nicht zu beschränken, es sei denn, dass aus besonderen politischen Gründen in Einzelfällen eine Beschränkung geboten ist.“
Während also auf der einen Seite dafür gesorgt wurde, dass die wichtigsten Exportschlupflöcher offen bleiben, wurden parallel dazu mit Blick auf europäische Rüstungsprojekte einige ganz neue Fässer aufgemacht.
5. … und neue (EU-)Einfallstore
Auf die – aus herrschender Sicht – zwingende Notwendigkeit einer Bündelung der europäischen Rüstungsindustrie wurde bereits oben verwiesen. In diesem Zusammenhang sollen die drei derzeit größten länderübergreifenden EU-Vorhaben – Eurodrohne (MALE RPAS), Kampfpanzer (MCGS) und Luftkampfsystem (FCAS) – die Bildung eines europäischen Rüstungskomplexes vorantreiben. Doch ihre Realisierungschancen hängen im Wesentlichen davon ab, dass über Exporte eine kritische Masse erreicht werden kann, die den Bau erst ermöglicht, die heimischen Märkte würden hier schlicht nicht ausreichen. Vor diesem Hintergrund wurde der Bundesregierung in den letzten Monaten von interessierter Seite ein ums andere Mal ins Stammbuch geschrieben, die allzu „restriktiven“ Regelungen hierzulande würden die Realisierung der EU-Großvorhaben gefährden (siehe Kasten).
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Keine Rüstungsexporte – Keine Rüstungsindustrie
„Die Steigerung der Exporte trägt wesentlich dazu bei, die kritische Masse europäischer Rüstungsunternehmen zu erhalten. […] Ohne Exporte würden viele EU-Unternehmen […] ums Überleben kämpfen.“ (Report of the Group of Personalities on the Preparatory Action for CSDP-related research, EUISS, Paris, Februar 2016, S.44f.)
„Wer (…) Exporte um jeden Preis verhindern will, muss ehrlich sagen, dass er diese Industrie grundsätzlich in Deutschland nicht will.“ (Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU-Vorsitzende, FAZ, 1.3.2019)
„Der europäische Markt allein reicht nicht aus, um die großen deutsch-französischen und europäischen Ausrüstungsvorhaben wirtschaftlich tragfähig zu machen, wie den neuen deutsch-französischen Kampfpanzer oder die nächste Generation von Kampfflugzeugen.“ (Anne-Marie Descôtes, französische Botschafterin in Deutschland, BAKS-Arbeitspapier 7/2019)
„Das ist die Gretchenfrage für die Zukunft der europäischen Rüstungsindustrie: Ohne die Fähigkeit zum Export werden Großprogramme – wie etwa das europäische Luftkampfsystem FCAS – nicht die Stückzahlen erreichen, um zu wettbewerbsfähigen Kosten zu produzieren.“ (Tom Ender, Ex-Airbus-Chef, Handelsblatt, 18.4.2019)
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Und hier liegt auch der Grund, weshalb Fragen des Exportes europäischer Gemeinschaftsprodukte mit bislang nicht gekannter Prominenz in die Neufassung der Richtlinien hineingedrückt wurden. Ziel müsse es sein, die „europäische verteidigungsindustrielle Basis zu stärken“ sowie die „Konvergenz von Entscheidungen über Ausfuhren von Rüstungsgütern zu fördern und gemeinsame Ansätze zu entwickeln“.
Dieser klare Zungenschlag in Richtung Industrieförderung wird noch ergänzt um eine Art Export-Freifahrtschein für Produkte mit deutschen Teilen, indem eine sogenannte de-minimis-Regelung verankert wurde.[7] Simone Wisotzki und Max Mutschler schreiben zu den Auswirkungen: „Die Anwendung einer de-minimis-Regelung würde allerdings bedeuten, dass solche Einwände nur noch dann geltend gemacht werden sollen bzw. können, wenn der Anteil der deutschen Teile am Gesamtsystem über einem bestimmten Wert- oder Prozentsatz (wie hoch dieser sein soll, wird in den Grundsätzen nicht genannt) liegt. Solche de-minimis-Regelungen sind nicht neu; sie kamen auch schon bei früheren Kooperationsverträgen zum Einsatz. Allerdings handelte es sich dabei in der Regel um sehr geringe Wertsätze. Im Zuge des Drängens insbesondere Frankreichs auf laxere Exportkontrollen stehen jedoch Sätze von bis zu 30 Prozent zur Diskussion. Das wäre beim Export von Rüstungskomponente[n] de facto die Aushebelung der deutschen Rüstungsexportkontrolle durch europäische Rüstungskooperation.“
Vor diesem Hintergrund weist Otfried Nassauer auf den Richtungscharakter der Richtlinien hin, in denen zwar einige – allerdings reichlich vage und ignorierbare – Verbesserungen zu finden sind, denen aber gerade mit Blick auf die EU-Passagen massive Verschlechterungen gegenüber stehen: „Der CDU/CSU gelang es dagegen, Änderungen in die neuen Politischen Grundsätze zu integrieren, die den Charakter des Dokumentes mittelfristig verändern können. Auf Initiative der Unionsparteien wurden verstärkt industriepolitische Zielsetzungen in das Dokument integriert. Noch sind diese allgemeiner Natur – künftige Konkretisierungen deuten sich allerdings bereits an. […] Zwei Stoßrichtungen werden hier erkennbar: Zum einen wird für gemeinsame europäische Rüstungsprojekte eine Sonderrolle proklamiert. Sie sind politisch gewünscht und gewollt. Das könnte auch beim Rüstungsexport Berücksichtigung finden.“
6. Moral und Interessen ausbalancieren?
Immer wieder werfen Frankreich und andere Länder Deutschland besonders in Sachen Rüstungsexporte nach Saudi Arabien überbordenden moralischen Rigorismus vor. Diese Kritik rief unter anderem den Friedensforscher Herbert Wulff auf den Plan, der in einer Replik schrieb: „In den EU-Kriterien [heißt es], dass ‚das Bestehen oder die Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Konfliktes zwischen dem Empfängerland und einem anderen Land‘ ein Ausschlussgrund sind. […] Die Frage ist also nicht, warum Deutschland kurzfristig die Waffenlieferungen stoppte, sondern warum die Exporte überhaupt genehmigt wurden. Und warum Frankreich und Großbritannien nun mit moralisch erhobenem Zeigefinger deutsche Unzuverlässigkeit im Rüstungsexport beanstanden. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wieso liefern EU-Länder ungeniert in diese Kriegs- und Konfliktregion? Was sind die EU-Rüstungsexportregularien wert, wenn sie derart missachtet werden?“
Derlei naheliegende Überlegungen hielt den BDSV in seinem Kommentar zu den neuen Exportrichtlinien natürlich nicht ab, die Steilvorlage aus den anderen EU-Ländern aufzugreifen: „Die Bundesregierung bekennt sich aber auch zu mehr Gemeinsamkeiten in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik innerhalb Europas. Dies aber bedingt aus unserer Sicht eine gewisse Kompromissbereitschaft und eben nicht ein ‚Überstülpen‘ deutscher Vorstellungen“. Ins selbe Horn stieß auch der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter, als er forderte: „Wir müssen hier Moral, Interessen und Werte schon etwas stärker ausbalancieren.“
Auch die Richtlinien selber greifen in gewisser Weise das Spannungsfeld zwischen Moral und Interessen auf, indem die Bundesregierung betont bei „Exportvorhaben des Kooperationspartners“ beide Gesichtspunkte zu berücksichtigen-, bevor Einwände geltend gemacht würden: „Die Bundesregierung wird hierbei sorgfältig zwischen dem Kooperationsinteresse und dem Grundsatz einer restriktiven Rüstungsexportpolitik unter Berücksichtigung des Menschenrechtskriteriums abwägen.“
Auf welche Seite sich die Bundesregierung allerdings bei einem Zielkonflikt zwischen Moral und Interesse schlagen wird, hat sie bereits in einem Zusatzabkommen zum „Aachener-Vertrag“ am 14. Januar 2019 überdeutlich zur Schau gestellt. Darin erteilte sie Frankreich im Prinzip einen Persilschein, gemeinsame Rüstungsgüter nach Gutdünken in jeden Winkel der Welt zu exportieren: „Die Parteien werden sich nicht gegen einen Transfer oder Export in Drittländer stellen, es sei denn in außergewöhnlichen Fällen, in denen direkte Interessen oder die nationale Sicherheit betroffen wären.“
Anmerkung
[1] Die wörtliche Passage im Koalitionsvertrag lautete: „Wir schärfen noch im Jahr 2018 die Rüstungssexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 und reagieren damit auf die veränderten Gegebenheiten.“
[2] Die Untersuchungen beziehen sich zwar auf die USA, dürften sich aber wohl auch auf Deutschland übertragen lassen.
[3] Eine vom „Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ in Auftrag gegebene Studie kam zu dem Ergebnis, im Kernbereich der Rüstungsindustrie seien 17.000 Menschen beschäftigt, im erweiterten Bereich 80.000. Vgl. WifOR, Quantifizierung der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie für den deutschen Wirtschaftsstandort, Berlin 2012.
[4] Gleichzeitig definierte das Papier aber auch eine Reihe von „Schlüsseltechnologien“, die ungeachtet der vollmundig propagierten Europäisierung des Rüstungssektors fest in deutscher Hand bleiben sollen.
[5] Im Jahr 2000 bezog sich die entsprechende Passage der Richtlinien noch auf den „Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren vom 8. Juni 1998“, erst mit Verabschiedung des Gemeinsamen Standpunkts im Jahr 2008 wurden die Richtlinien rechtlich bindend.
[6] Im Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für das Jahr 2018 heißt es: „Der Gesamtwert der Genehmigungen für Kleinwaffen und Kleinwaffenteile belief sich im Jahr 2018 auf 38,91 Millionen Euro. Im Jahr 2017 lag der Wert bei 47,82 Millionen Euro. Die Genehmigungen von Kleinwaffen für Drittländer umfassten 2018 einen Wert von 403.703 Euro (Vorjahr: 15,1 Millionen Euro).“
[7] Wörtlich heißt es in der Neufassung der Richtlinien: „Für deutsche Zulieferungen von Teilen (Einzelteilen oder Baugruppen), die Kriegswaffen oder sonstige Rüstungsgüter sind, können Regelungen Anwendung finden, die der Integration der zugelieferten Teile in übergeordnete (Waffen-)Systeme Rechnung tragen, insbesondere de-minimis-Regelungen.“
Am 26. Juni 2019 wurde besagte Neufassung mit etwa sechsmonatiger Verzögerung schließlich veröffentlicht. In ihrer dementsprechenden Presseerklärung schrieb sich die SPD umgehend auf die Fahnen, hierdurch eine „restriktivere Genehmigungspraxis“ auf die Schiene gesetzt zu haben. Auch Medien wie zum Beispiel das ZDF strickten mit Überschriften wie „Strengere Regeln für Rüstungsexporte“ an diesem Mythos eifrig mit. Diese Einschätzung ist jedoch allenfalls zu einem Teil richtig: Zwar wurden nun einige Kontrollelemente neu in die Richtlinien aufgenommen, vieles davon ist aber eher kosmetischer Natur und reichlich vage formuliert. Vor allem wurde aber dafür gesorgt, dass vorhandene Schlupflöcher sperrangelweit offengehalten und unter Verweis auf die Debatte um europäische Rüstungsgroßprojekte sogar neue aufgemacht wurden. Friedensforscher befürchten sogar „de facto die Aushebelung der deutschen Rüstungsexportkontrolle durch europäische Rüstungskooperation.“
So fällt die Bewertung bestenfalls zwiespältig aus, was nicht zuletzt auch daran liegen dürfte, dass nicht nur bei CDU/CSU, sondern auch in der SPD die wirtschaftliche und vor allem auch machtpolitische „Notwendigkeit“ von Rüstungsexporten im Grundsatz in keiner Weise in Frage steht. Die überarbeiteten Grundsätze, die überdies auch nur eine politisch-moralische, keine rechtliche Bindewirkung entfalten, dienen deshalb nicht zuletzt dazu restriktiv zu blinken, um gleichzeitig Rüstungsexporte auch künftig im großen Stil durchwinken zu können.
1. Rüstungsexporte und machtpolitische Interessen
Dass ein Interesse an hohen Profiten der Rüstungsindustrie zur DNA der wirtschaftsnahen CDU gehört, ist geschenkt. Doch auch in der SPD fällt immer wieder auf, dass zumindest Teile der Partei mit den Interessen der Branche sympathisieren. Ein Grund hierfür dürfte der immer noch weitverbreitete Mythos von der „Jobmaschine Rüstung“ sein, obwohl Untersuchungen zeigen, dass sich weder hohe Rüstungsausgaben im Allgemeinen noch Rüstungsexporte im Besonderen positiv auf die Schaffung von Arbeitsplätzen auswirken.[2]
Dass die Industrie dennoch in der SPD teils offene Türen einrennt, hat sicherlich etwas mit den gut organisierten Bereichen der IG Metall zu tun, die sich als Vertreter der – vergleichsweise wenigen[3] – Beschäftigten im Rüstungssegment verstehen. Das allein scheint allerdings bei weitem nicht ausreichend, um den Einfluss der Branche erklären zu können. Wichtiger noch dürften andere Überlegungen sein, die in der SPD ebenso angestellt werden, wie bei ihren Koalitionspartnern aus CDU und CSU. Namentlich geht es darum, dass es sich bei dem Erhalt einer starken rüstungsindustriellen Basis – für den Exporte wiederum zwingend notwendig sind – um ein machtpolitisches Interesse allererster Güte handelt.
Unumwunden wurde dies zum Beispiel in einer rüstungspolitischen Grundsatzrede im Oktober 2014 vom damaligen SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zum Ausdruck gebracht, mit der die von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ausgerufene „Agenda Rüstung“ flankiert werden sollte: „Die Erhaltung der Bündnisfähigkeit und der dazu notwendigen rüstungstechnologischen Kernkompetenzen sind ein zentrales außen- und sicherheitspolitisches Interesse der Bundesrepublik Deutschland.“ Erforderlich sei hierfür eine „exportpolitische Flankierung der Verteidigungsindustrie“, unter anderem, indem über eine „Konsolidierung“ (Bündelung) des europäischen Rüstungssektors sogenannte Eurochampions geschaffen werden, die eine kritische Größe erreichen, um „erfolgreich“ auf den Weltmärkten konkurrieren zu können.
Wörtlich hieß es in Gabriels Rede: „Die Verteidigungsindustrie in der EU ist nach wie vor national ausgerichtet und stark fragmentiert. […] Folgen dieser unbefriedigenden Situation sind hohe Kosten und nachteilige Folgen für den internationalen Wettbewerb, aber auch negative Auswirkungen für die Streitkräfte. Es ist erklärtes Ziel der EU und der Bundesregierung, den bisher stark zersplitterten europäischen Verteidigungsmarkt neu zu gestalten und die europäische wehrtechnische industrielle Basis zu stärken. Die starke und wettbewerbsfähige deutsche Industrie könnte von einer solchen Entwicklung deutlich profitieren. […] Europäische, nicht nationale Champions sind geboten. Nur die Kooperation und zum Teil auch das Zusammengehen von Unternehmen in Europa kann es ermöglichen, dass eine echte rüstungstechnologische Basis in Europa aufrechterhalten wird.“
Diese Punkte wurden dann – weitgehend sogar wortwörtlich – in das im Juli 2015 veröffentlichte „Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland“ übernommen[4], das seither den Rahmen vorgibt, an dem sich die deutsche Rüstungspolitik orientiert. So existiert also schon länger eine Große Koalition, die in Rüstungsexporten zuallererst einen wichtigen Faktor sieht, um eine machtpolitisch als essentiell wahrgenommene rüstungsindustrielle Basis zu stärken. Die „Logik“ hinter diesen Überlegungen wurde in der Süddeutschen Zeitung kürzlich noch einmal folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Auch Brigadegeneral a.D. Erich Vad, lange Jahre militärpolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, weiß, was mit dem Export von Rüstungsgütern frei Haus geliefert wird: Einfluss. ‚Wenn wir liefern, sind sie von uns abhängig. Wenn die einen Mist bauen, können wir die Lieferung einstellen, die Wartung stoppen oder einfach keine Ersatzteile mehr schicken. Das kann man auch als Instrument der Außenpolitik nutzen.‘ […] Umgekehrt funktioniert die Logik nicht weniger erbarmungslos. Verfügt ein Staat über keine eigene Rüstungsindustrie, dann muss er Waffen einkaufen – und wird abhängig. […] In einem Land wie Deutschland kann eine eigene wehrtechnische Industrie in der Tat nur überleben, wenn sie exportieren darf. Sonst muss sie entweder massiv subventioniert werden oder sie wandert ins Ausland ab.“
2. Einbruch der Rüstungsexporte?
Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher, gewerkschaftlicher, besonders aber machtpolitischer Interessen sollte es nicht verwundern, dass sich die Politik in den letzten Jahren allen Lippenbekenntnissen zum Trotz nicht gerade sonderlich darum verdient gemacht hat, die Rüstungsexporte substanziell zurückzufahren.
Medial wird allerdings etwas ganz anderes vermittelt: Folgt man etwa dem Handelsblatt, so sind die Rüstungsexporte – der „restriktiven“ Haltung der SPD geschuldet – nun zum dritten Mal in Folge eingebrochen: „Der Abwärtstrend bei den deutschen Rüstungsexporten hält an. Vom 1. Januar bis zum 31. März [2019] genehmigte die Bundesregierung Lieferungen im Wert von 1,12 Milliarden Euro und damit weniger als 2018 durchschnittlich pro Quartal (1,21 Milliarden Euro). […] Die Industrie führt den Trend auf die besonders restriktive Haltung der Bundesregierung gegenüber Ländern außerhalb von EU und Nato seit ihrem Amtsantritt im März 2018 zurück. […] 2018 brachen die Genehmigungen um fast ein Viertel auf 4,82 Milliarden Euro ein. Es war das dritte Jahr in Folge, in dem die Rüstungsindustrie einen Rückgang hinnehmen musste. Ein Wachstum gab es zuletzt 2015, damals auf einen Rekordwert von 7,86 Milliarden Euro. Seitdem geht es bergab.“
Diese „Tatsache“ wird nun von interessierten Kreisen dazu genutzt, um die scheinbar generell zu restriktive Genehmigungspraxis ganz grundlegend zu kritisieren. Die Sache hat nur einen Haken: Tatsächlich entspricht es zwar der Realität, dass die Einzelgenehmigungen mit 4,82 Mrd. Euro (2018) gegenüber den hohen Vorjahreszahlen, 7,50 Mrd. (2015), 6,84 Mrd. (2016) und 6,24 Mrd. (2017) deutlich zurückgingen. Sie liegen damit aber immer noch über dem Schnitt der Genehmigungen in den Jahren 2004 bis 2014 (ca. 4,67 Mrd.). Vor diesem Hintergrund also ernsthaft von einem „Einbruch“ zu sprechen, ist – vorsichtig formuliert – höchst relativ.
Zumal der Deutschlandfunk am 10. Juli 2019 über eine Antwort auf eine Anfrage der Grünen berichtet, aus der hervorgeht, dass sich die Bundesregierung im zweiten Quartal mächtig ins Zeug gelegt zu haben scheint, sodass es in Sachen Rüstungsexportgenehmigungen wieder aufwärts geht: „Die Bundesregierung hat im ersten Halbjahr Rüstungsexporte im Wert von 5,3 Milliarden Euro genehmigt und damit mehr als im gesamten Vorjahr.“
Auffällig ist auch der unverändert hohe Anteil von Exporten an sog. Drittländer, also an Staaten, die nicht der EU oder NATO angehören (und ihnen auch nicht gleichgestellt sind). Hier schwanken die Zahlen zwar stark, aber es lässt sich dennoch erkennen, dass der Anteil in der Tendenz eher steigt und auch im Jahr 2018 mit 53 Prozent hoch ausfiel.
3. Nationale und europäische Umgehungstaktiken
Mit Blick auf die Rüstungsexportrichtlinien ist es wichtig zu wissen, dass es sich dabei um wenig mehr als um eine Absichtserklärung handelt, die in der politischen Realität nahezu beliebig zurechtgebogen werden kann, wie Otfried Nassauer in „Streitkräfte & Strategien“ verdeutlicht: „Politische Grundsätze sind keine gesetzliche, sondern eine politische Regelung – eine politische Willensbekundung der Bundesregierung. Sie ändern die Rechtsgrundlagen nicht, sondern dienen im Rahmen der geltenden nationalen Gesetze und des Völkerrechts als zusätzliche politische Gestaltungsgrundlage für die Genehmigung oder Ablehnung konkreter Exportanträge für Rüstungsgüter.“
Darüber hinaus werden die Richtlinien in der Regel großzügig und tendenziell – aller Kritik aus dieser Ecke zum Trotz – zugunsten industrieller und machtpolitischer Interessen ausgelegt. So hieß es zwar schon in den Rüstungsexportrichtlinien aus dem Jahr 2000, eine „Einwendung“ gegen Waffenlieferungen würde durch die Bundesregierung „in der Regel“ unter anderem gemacht für „Exporte in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind“. Dies hat aber nicht verhindert, dass Waffen munter in Länder verbracht werden, die aktiv in Kriegshandlungen involviert sind. So kritisierte die „Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung“ (GKKE) in ihrem jüngsten, Anfang 2019 erschienenen Rüstungsexportbericht: „Am stärksten [in den Jemen-Krieg] involviert sind nach Saudi-Arabien die Vereinigten Arabischen Emirate – beide entsenden eine Vielzahl von Kampfflugzeugen, um mit Luftschlägen die Huthi-Rebellen im Jemen zu bekämpfen – sowie Ägypten, das sich mit Kriegsschiffen an der Seeblockade im Roten Meer sowie an der strategisch wichtigen Bab al-Mandab Meerenge beteiligt. Ungeachtet dessen erteilte die Bundesregierung zwischen 2015 und 2017 Genehmigungen für Rüstungsexporte im Gesamtwert von über 2,6 Milliarden Euro an diese drei Staaten.“
Diese hohen Zahlen sind auf den ersten Blick allein schon deshalb verwunderlich, weil auf EU-Ebene – eigentlich – rechtlich bindende Rüstungsexportrichtlinien existieren, die dem Wortlaut nach recht viele problematische Felder abdecken. Außerdem verweisen sowohl die politischen Grundsätze aus dem Jahr 2000 und nun auch die jüngst aktualisierte Fassung explizit auf die EU-Regelungen als bindenden Rahmen der deutschen Exportpolitik.[5] Dabei handelt es sich um den „Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008“, der acht Kriterien enthält, bei deren Verletzung eine Exportgenehmigung versagt (Kriterien 1-4) oder zumindest erwogen (Kriterien 5-8) werden sollte (siehe Kasten).
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Die EU-Rüstungsexportrichtlinien (“acht Kriterien”)
1.) Respekt vor internationalen Verpflichtungen/Verträgen; 2.) Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts; 3.) Sicherheitslage des Landes (ob etwa Bürgerkrieg herrscht); 4.) Gefährdung von Frieden und Stabilität in einer Region (keine Exporte in Krisengebiete); 5.) Wahrung von Bündnisinteressen; 6.) Haltung bezüglich Terrorismus; 7.) Gewährleistung kein Weitertransfer an problematische Länder/Gruppen (Endverbleib); 8.) Vereinbarkeit mit der technischen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Empfängerlandes (Entwicklungsverträglichkeit).
Quelle: Gemeinsamer Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern
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Wie gesagt, die Kriterien sind – an sich – sehr engmaschig und würden bei konsequenter Anwendung auch den Großteil der europäischen Waffenexporte unmöglich machen. Doch auch hier gibt es – natürlich – einen Haken: Die Auslegung der Kriterien obliegt den Mitgliedsstaaten! Ob also zum Beispiel Saudi Arabien aus Sicht eines bestimmten EU-Landes die Menschenrechte verletzt, hängt im Wesentlichen davon ab, ob es gegebenenfalls dort Rüstungsgüter in Millionen- oder gar Milliardenhöhe an den Mann bringen will. Dies führt in der Praxis zu massenweisen Verstößen gegen die acht Kriterien, die systematisch u.a. für Deutschland durch das „Bonn International Center for Conversion“ (BICC) untersucht werden. Im Rüstungskontrollbericht der GKKE für das Jahr 2017 heißt es dazu: „Nach Ermittlungen des BICC hat die Bundesregierung im Jahr 2017 4.020 Lizenzen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern in 65 Staaten erteilt, die mindestens hinsichtlich eines der acht Kriterien des Gemeinsamen Standpunktes des EU als problematisch eingestuft werden können. Der Wert der 2017 erteilten Ausfuhrgenehmigungen in diese Länder liegt bei 3,878 Milliarden Euro.“
Zu den Schwächen der EU-Rüstungsexportrichtlinien gehört unter anderem, dass ein transparentes Erfassungssystem fehlt – im Prinzip übermitteln die Staaten an die EU Zahlen, wie es ihnen gerade beliebt (daher rühren auch die teils hohen Schwankungen in den EU-Berichten). Vor allem aber existiert keine offizielle Stelle, die die Einhaltung der acht Kriterien durch die Mitgliedsstaaten prüft, geschweige denn deren Verletzung sanktioniert. Überraschenderweise verabschiedete selbst das Europäische Parlament im November 2018 eine auf Grundlage eines Berichts der Linksfraktion GUE/NGL erarbeitete Entschließung, in dem diese Punkte kritisiert und Änderungen eingefordert wurden: „Das Europäische Parlament […] kritisiert die systematische Nicht-Anwendung der acht Kriterien durch die Mitgliedstaaten und die Tatsache, dass Militärtechnologie Bestimmungsorte und Endnutzer erreicht, die die im Gemeinsamen Standpunkt festgelegten Kriterien nicht erfüllen; wiederholt seine Forderung nach einer unabhängigen Bewertung der Einhaltung der acht Kriterien des Gemeinsamen Standpunkts durch die Mitgliedstaaten; hält es für notwendig, eine größere Konvergenz in der Anwendung der acht Kriterien zu fördern; bedauert, dass es keine Bestimmungen zur Sanktionierung von Mitgliedstaaten gibt, die beim Erteilen von Genehmigungen die Einhaltung der acht Kriterien nicht vorab geprüft haben; fordert die Mitgliedstaaten mit Nachdruck auf, die Kohärenz bei der Umsetzung des Gemeinsamen Standpunkts zu verbessern, und empfiehlt ihnen, Vorkehrungen für die Durchführung unabhängiger Kontrollen zu treffen“.
Leider haben die Positionen des Europäischen Parlaments in Sachen Rüstungsexporte keine rechtlich bindende Wirkung, weshalb damit zu rechnen ist, dass die Staaten an ihrer Auslegungspraxis auch nach der für Ende des Jahres erwarteten Überarbeitung des Gemeinsamen Standpunktes munter festhalten werden.
Im Ergebnis lässt sich somit festhalten, dass die Rüstungsexportrichtlinien, beziehungsweise deren Auslegung, in den letzten Jahren beim besten Willen nicht als sonderlich restriktiv bezeichnet werden können. Tatsächlich wurde sowohl auf europäischer wie auch auf nationaler Ebene tunlichst darauf geachtet, dass genügend Spielraum für eine umfassende Rüstungsexportpraxis blieb – und bedauerlicherweise dürfte sich dies auch mit der Neufassung der deutschen Rüstungsexportrichtlinien nicht grundsätzlich ändern.
4. Richtlinien: Vage Verbesserungen…
Die am 26. Juni 2019 aktualisierten Richtlinien weisen zumindest drei Neuerungen auf, die sich zumindest potenziell positiv auf die bisherige Exportpraxis auswirken könnten.
Erstens wurde die Möglichkeit für „Post-Shipment-Kontrollen“, also Endverbleibskontrollen im Empfängerland nach erfolgtem Waffenexport, nun explizit aufgenommen, nachdem Sigmar Gabriel sie bereits in seiner Zeit als Wirtschaftsminister (2013 bis 2017) eingeführt hatte. Hier handelt es sich unzweifelhaft um einen Fortschritt gegenüber der vorherigen Fassung, auch wenn die konkrete Ausgestaltung noch nicht allzu fortgeschritten scheint, wie bei „Streitkräfte & Strategien“ erklärt wird: „Erste solche sogenannte Post-Shipment-Kontrollen für kleine und leichte Waffen sind inzwischen durchgeführt worden. Die Erfahrungen werden derzeit ausgewertet. Die Möglichkeit zu solchen Kontrollen wurde in die Politischen Grundsätze aufgenommen. Allerdings wird sich erst in Zukunft zeigen, ob die Kontrollen von kleinen und leichten Waffen auf andere Rüstungsgüter ausgeweitet werden.“
Der zweite Bereich betrifft den Export von Technologie ins Ausland, der nun im Prinzip an die Einhaltung der politischen Grundsätze gebunden wird: „Vor der Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen für Technologie ist zu prüfen, ob hierdurch der Aufbau von ausländischer Rüstungsproduktion ermöglicht wird, die nicht im Einklang mit der in diesen Grundsätzen niedergelegten restriktiven Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung steht.“ Im Prinzip ist diese neue Passage natürlich zu begrüßen, aber leider bleibt vieles vage und unklar. Insbesondere Firmenverlagerungen und Joint Ventures werden nicht ernsthaft adressiert, wie Simone Wisotzki von der „Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung“ (HSFK) und Max Mutschler vom „Bonn International Center for Conversion“ (BICC) bemängeln: „Es ist gut, dass die Bundesregierung dem Aufbau ausländischer Rüstungsproduktion durch deutsche Rüstungsunternehmen in Zukunft größere Aufmerksamkeit widmen will als bisher. So führt etwa die weltweite Proliferation von Kleinwaffen aus ausländischer Produktion mit deutscher Lizenz und Technologie die fatalen Folgen der bisherigen Blindheit der Bundesregierung für diese Problematik vor Augen. Ob sie es mit dieser Absichtserklärung tatsächlich ernst meint, muss die Bundesregierung erst noch durch die entsprechende Genehmigungspraxis beweisen. Außerdem sollte sie endlich einen Genehmigungsvorbehalt für die Gründung von Joint Ventures und Tochterunternehmen deutscher Rüstungsfirmen im Ausland einführen, um zu verhindern, dass Firmen wie Rheinmetall diese Gesetzeslücke nutzen und, zum Beispiel über ein Tochterunternehmen in Italien, weiter Bomben an Saudi-Arabien liefern.“
Besonders aber ein dritter Aspekt mit einem – zumindest auf den ersten Blick – gewissen Potenzial, rückte umgehend in die Kritik der Rüstungslobby: Das scheinbare Exportverbot von Klein- und Leichtwaffen. Auch wenn die Umsätze dieser Waffen im Vergleich zu den Kriegswaffen vergleichsweise gering sind[vi], wäre ein generelles Ausfuhrverbot aufgrund ihrer verheerenden Wirkung tatsächlich ein immenser Fortschritt.
Und auf den ersten Blick scheint dies auch der Fall zu sein, denn in die Richtlinien wurde folgende Passage neu aufgenommen: „Der Export von Kleinwaffen in Drittländer soll grundsätzlich nicht mehr genehmigt werden.“ Daraufhin meldete sich umgehend der „Bund der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ (BDSV) in einer Pressemitteilung kritisch zu Wort: „Das vollständige Exportverbot von Kleinwaffen in Drittländer, so wie es bereits im Koalitionsvertrag verankert wurde, ist eine zwar politisch nachvollziehbare Entscheidung, berücksichtigt aber nicht, dass es auch Drittländer gibt, die eine demokratisch gewählte Regierung haben und auch internationale Menschenrechtsstandards einhalten. Daher ist eine solche Pauschalisierung eher unangemessen und auch hier sollte die Einzelfallentscheidung wieder greifen.“
Damit referierte der BDSV allerdings lediglich, was ohnehin bereits Position der Bundesregierung ist – nämlich dass grundsätzlich aus ihrer Sicht eben keinesfalls immer bedeutet, wenn etwa Regierungssprecher Steffen Seibert zu Protokoll gibt: „Das bedeutet gleichzeitig, dass es in begründeten Einzelfällen Ausnahmen geben kann; es handelt sich also nicht um ein Komplettverbot, sondern um ein grundsätzliches Verbot.“
Darüber hinaus wird hier noch so getan, als wäre mit grundsätzlich so etwas wie in der Regel gemeint. Dies ist aber erfahrungsgemäß nicht der Fall, stattdessen wurden Exporte in Drittstaaten eher regelmäßig durchgewunken, wie zum Beispiel bei „Streitkräfte & Strategien“ betont wird: „In der Praxis können die Ausnahmen jedoch auch Überhand nehmen. Seit 19 Jahren steht nämlich bereits in den Politischen Grundsätzen, dass Exporte von Kriegswaffen in Drittstaaten nur in Ausnahmefällen genehmigt werden. […] Aus der theoretisch möglichen Ausnahme ist also in der Praxis die Regel geworden.“
Auch in der Neufassung der Richtlinien wird der besonders heikle Kriegswaffenexport an Drittländer kaum prinzipiellen Beschränkungen unterworfen, „sicherheitspolitische Interessen“ können jederzeit geltend gemacht werden, um alle anderen Hürden aus dem Weg zu räumen: „Der Export von nach KrWaffKontrG und AWG genehmigungspflichtigen Kriegswaffen wird nicht genehmigt, es sei denn, dass im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der Bündnisinteressen für eine ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung sprechen.“
Grundsätzlich – und in der Praxis wohl deutlich näher am Wortsinn eigentlich immer – sind außerdem auch gemäß der neuen Richtlinien wie schon in der vorherigen Version Ausfuhren an Verbündete zu genehmigen: „Der Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in EU-Mitgliedstaaten, NATO-Länder und NATO-gleichgestellte Länder […] ist grundsätzlich nicht zu beschränken, es sei denn, dass aus besonderen politischen Gründen in Einzelfällen eine Beschränkung geboten ist.“
Während also auf der einen Seite dafür gesorgt wurde, dass die wichtigsten Exportschlupflöcher offen bleiben, wurden parallel dazu mit Blick auf europäische Rüstungsprojekte einige ganz neue Fässer aufgemacht.
5. … und neue (EU-)Einfallstore
Auf die – aus herrschender Sicht – zwingende Notwendigkeit einer Bündelung der europäischen Rüstungsindustrie wurde bereits oben verwiesen. In diesem Zusammenhang sollen die drei derzeit größten länderübergreifenden EU-Vorhaben – Eurodrohne (MALE RPAS), Kampfpanzer (MCGS) und Luftkampfsystem (FCAS) – die Bildung eines europäischen Rüstungskomplexes vorantreiben. Doch ihre Realisierungschancen hängen im Wesentlichen davon ab, dass über Exporte eine kritische Masse erreicht werden kann, die den Bau erst ermöglicht, die heimischen Märkte würden hier schlicht nicht ausreichen. Vor diesem Hintergrund wurde der Bundesregierung in den letzten Monaten von interessierter Seite ein ums andere Mal ins Stammbuch geschrieben, die allzu „restriktiven“ Regelungen hierzulande würden die Realisierung der EU-Großvorhaben gefährden (siehe Kasten).
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Keine Rüstungsexporte – Keine Rüstungsindustrie
„Die Steigerung der Exporte trägt wesentlich dazu bei, die kritische Masse europäischer Rüstungsunternehmen zu erhalten. […] Ohne Exporte würden viele EU-Unternehmen […] ums Überleben kämpfen.“ (Report of the Group of Personalities on the Preparatory Action for CSDP-related research, EUISS, Paris, Februar 2016, S.44f.)
„Wer (…) Exporte um jeden Preis verhindern will, muss ehrlich sagen, dass er diese Industrie grundsätzlich in Deutschland nicht will.“ (Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU-Vorsitzende, FAZ, 1.3.2019)
„Der europäische Markt allein reicht nicht aus, um die großen deutsch-französischen und europäischen Ausrüstungsvorhaben wirtschaftlich tragfähig zu machen, wie den neuen deutsch-französischen Kampfpanzer oder die nächste Generation von Kampfflugzeugen.“ (Anne-Marie Descôtes, französische Botschafterin in Deutschland, BAKS-Arbeitspapier 7/2019)
„Das ist die Gretchenfrage für die Zukunft der europäischen Rüstungsindustrie: Ohne die Fähigkeit zum Export werden Großprogramme – wie etwa das europäische Luftkampfsystem FCAS – nicht die Stückzahlen erreichen, um zu wettbewerbsfähigen Kosten zu produzieren.“ (Tom Ender, Ex-Airbus-Chef, Handelsblatt, 18.4.2019)
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Und hier liegt auch der Grund, weshalb Fragen des Exportes europäischer Gemeinschaftsprodukte mit bislang nicht gekannter Prominenz in die Neufassung der Richtlinien hineingedrückt wurden. Ziel müsse es sein, die „europäische verteidigungsindustrielle Basis zu stärken“ sowie die „Konvergenz von Entscheidungen über Ausfuhren von Rüstungsgütern zu fördern und gemeinsame Ansätze zu entwickeln“.
Dieser klare Zungenschlag in Richtung Industrieförderung wird noch ergänzt um eine Art Export-Freifahrtschein für Produkte mit deutschen Teilen, indem eine sogenannte de-minimis-Regelung verankert wurde.[7] Simone Wisotzki und Max Mutschler schreiben zu den Auswirkungen: „Die Anwendung einer de-minimis-Regelung würde allerdings bedeuten, dass solche Einwände nur noch dann geltend gemacht werden sollen bzw. können, wenn der Anteil der deutschen Teile am Gesamtsystem über einem bestimmten Wert- oder Prozentsatz (wie hoch dieser sein soll, wird in den Grundsätzen nicht genannt) liegt. Solche de-minimis-Regelungen sind nicht neu; sie kamen auch schon bei früheren Kooperationsverträgen zum Einsatz. Allerdings handelte es sich dabei in der Regel um sehr geringe Wertsätze. Im Zuge des Drängens insbesondere Frankreichs auf laxere Exportkontrollen stehen jedoch Sätze von bis zu 30 Prozent zur Diskussion. Das wäre beim Export von Rüstungskomponente[n] de facto die Aushebelung der deutschen Rüstungsexportkontrolle durch europäische Rüstungskooperation.“
Vor diesem Hintergrund weist Otfried Nassauer auf den Richtungscharakter der Richtlinien hin, in denen zwar einige – allerdings reichlich vage und ignorierbare – Verbesserungen zu finden sind, denen aber gerade mit Blick auf die EU-Passagen massive Verschlechterungen gegenüber stehen: „Der CDU/CSU gelang es dagegen, Änderungen in die neuen Politischen Grundsätze zu integrieren, die den Charakter des Dokumentes mittelfristig verändern können. Auf Initiative der Unionsparteien wurden verstärkt industriepolitische Zielsetzungen in das Dokument integriert. Noch sind diese allgemeiner Natur – künftige Konkretisierungen deuten sich allerdings bereits an. […] Zwei Stoßrichtungen werden hier erkennbar: Zum einen wird für gemeinsame europäische Rüstungsprojekte eine Sonderrolle proklamiert. Sie sind politisch gewünscht und gewollt. Das könnte auch beim Rüstungsexport Berücksichtigung finden.“
6. Moral und Interessen ausbalancieren?
Immer wieder werfen Frankreich und andere Länder Deutschland besonders in Sachen Rüstungsexporte nach Saudi Arabien überbordenden moralischen Rigorismus vor. Diese Kritik rief unter anderem den Friedensforscher Herbert Wulff auf den Plan, der in einer Replik schrieb: „In den EU-Kriterien [heißt es], dass ‚das Bestehen oder die Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Konfliktes zwischen dem Empfängerland und einem anderen Land‘ ein Ausschlussgrund sind. […] Die Frage ist also nicht, warum Deutschland kurzfristig die Waffenlieferungen stoppte, sondern warum die Exporte überhaupt genehmigt wurden. Und warum Frankreich und Großbritannien nun mit moralisch erhobenem Zeigefinger deutsche Unzuverlässigkeit im Rüstungsexport beanstanden. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wieso liefern EU-Länder ungeniert in diese Kriegs- und Konfliktregion? Was sind die EU-Rüstungsexportregularien wert, wenn sie derart missachtet werden?“
Derlei naheliegende Überlegungen hielt den BDSV in seinem Kommentar zu den neuen Exportrichtlinien natürlich nicht ab, die Steilvorlage aus den anderen EU-Ländern aufzugreifen: „Die Bundesregierung bekennt sich aber auch zu mehr Gemeinsamkeiten in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik innerhalb Europas. Dies aber bedingt aus unserer Sicht eine gewisse Kompromissbereitschaft und eben nicht ein ‚Überstülpen‘ deutscher Vorstellungen“. Ins selbe Horn stieß auch der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter, als er forderte: „Wir müssen hier Moral, Interessen und Werte schon etwas stärker ausbalancieren.“
Auch die Richtlinien selber greifen in gewisser Weise das Spannungsfeld zwischen Moral und Interessen auf, indem die Bundesregierung betont bei „Exportvorhaben des Kooperationspartners“ beide Gesichtspunkte zu berücksichtigen-, bevor Einwände geltend gemacht würden: „Die Bundesregierung wird hierbei sorgfältig zwischen dem Kooperationsinteresse und dem Grundsatz einer restriktiven Rüstungsexportpolitik unter Berücksichtigung des Menschenrechtskriteriums abwägen.“
Auf welche Seite sich die Bundesregierung allerdings bei einem Zielkonflikt zwischen Moral und Interesse schlagen wird, hat sie bereits in einem Zusatzabkommen zum „Aachener-Vertrag“ am 14. Januar 2019 überdeutlich zur Schau gestellt. Darin erteilte sie Frankreich im Prinzip einen Persilschein, gemeinsame Rüstungsgüter nach Gutdünken in jeden Winkel der Welt zu exportieren: „Die Parteien werden sich nicht gegen einen Transfer oder Export in Drittländer stellen, es sei denn in außergewöhnlichen Fällen, in denen direkte Interessen oder die nationale Sicherheit betroffen wären.“
Anmerkung
[1] Die wörtliche Passage im Koalitionsvertrag lautete: „Wir schärfen noch im Jahr 2018 die Rüstungssexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 und reagieren damit auf die veränderten Gegebenheiten.“
[2] Die Untersuchungen beziehen sich zwar auf die USA, dürften sich aber wohl auch auf Deutschland übertragen lassen.
[3] Eine vom „Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ in Auftrag gegebene Studie kam zu dem Ergebnis, im Kernbereich der Rüstungsindustrie seien 17.000 Menschen beschäftigt, im erweiterten Bereich 80.000. Vgl. WifOR, Quantifizierung der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie für den deutschen Wirtschaftsstandort, Berlin 2012.
[4] Gleichzeitig definierte das Papier aber auch eine Reihe von „Schlüsseltechnologien“, die ungeachtet der vollmundig propagierten Europäisierung des Rüstungssektors fest in deutscher Hand bleiben sollen.
[5] Im Jahr 2000 bezog sich die entsprechende Passage der Richtlinien noch auf den „Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren vom 8. Juni 1998“, erst mit Verabschiedung des Gemeinsamen Standpunkts im Jahr 2008 wurden die Richtlinien rechtlich bindend.
[6] Im Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für das Jahr 2018 heißt es: „Der Gesamtwert der Genehmigungen für Kleinwaffen und Kleinwaffenteile belief sich im Jahr 2018 auf 38,91 Millionen Euro. Im Jahr 2017 lag der Wert bei 47,82 Millionen Euro. Die Genehmigungen von Kleinwaffen für Drittländer umfassten 2018 einen Wert von 403.703 Euro (Vorjahr: 15,1 Millionen Euro).“
[7] Wörtlich heißt es in der Neufassung der Richtlinien: „Für deutsche Zulieferungen von Teilen (Einzelteilen oder Baugruppen), die Kriegswaffen oder sonstige Rüstungsgüter sind, können Regelungen Anwendung finden, die der Integration der zugelieferten Teile in übergeordnete (Waffen-)Systeme Rechnung tragen, insbesondere de-minimis-Regelungen.“
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