Dienstag, 30. Juli 2019

Der Mord der russischen LGBT-Aktivistin Jelena Grigorjewa wirft Fragen auf

»Was hat das mit Politik zu tun?«

Acht Messerstiche und Strangulationspuren - an dem gewaltsamen Tod von Jelena Grigorjewa, deren Leiche am 21. Juli in Sankt-Petersburg aufgefunden wurde, gibt es keinen Zweifel. Dagegen toben über die Mordmotive erbitterte Auseinandersetzungen. Die aus Nowgorod stammende Grigorjewa war seit langem öffentlich aktiv. Zuerst, so das Nachrichtenportal »The Village«, engagierte sie sich in nationalistischen Kreisen, später wechselte sie in die Reihen der rechtsliberalen Opposition. Im vergangenen Winter hatte die 41-Jährige ihr öffentliches Coming-out als Bisexuelle und widmete sich seitdem verstärkt dem Kampf um LGBT-Rechte (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transpersonen) in Russland.
Ihre Mitstreiter pochen darauf, dass der Mord politisch motiviert war. Schließlich bekam das Opfer regelmäßig Morddrohungen. Erst vor kurzem machte sie im Netz publik, dass eine Gruppe namens »Pila protiw LGBT« (»Die Säge gegen LGBT«) ihr online mitteilte, sie befände sich nun auf deren Tötungsliste. Die Behörden, so die Aktivisten, haben die Beschwerden Grigorjewas über die Drohungen ignoriert und nichts unternommen, um den Verdacht des politischen Mords zu überprüfen. Die Webseite der seit 2018 aktiven »Pila«-Gruppe ist nun gesperrt, aber die Drohnachrichten wurden von Grigorjewa selbst noch kurz vor ihrem Tod veröffentlicht. Es ist nicht der erste Fall, dass die Gruppe sich mit Morddrohungen zu Wort meldete.
Doch das staatliche Ermittlungskomitee weiß die Vorwürfe zu kontern. Bereits am 25. Juni wurde ein Tatverdächtiger festgenommen, angeblich ein Bekannter Grigorjewas. Doch weitere Details wurden öffentlich kaum bekannt. Nach Angaben des oppositionellen Nachrichtenportals »Meduza.io«, handelt es sich dabei um einen Einwanderer aus Kirgistan, andere Medien schreiben von einem 40-jährigen Bewohner der Region Baschkirien. Das Ermittlungskomitee ließ mitteilen, dass die Verstorbene eine »asoziale Lebensweise geführt habe«, was sich unter anderem in regelmäßigen Alkoholkonsum, auch in der Gesellschaft des Tatverdächtigen zeige.
An diese Sichtweise knüpft auch der staatliche Fernsehkanal Rosssija 24 an. »Was hat das alles überhaupt mit Politik zu tun«, fragte der Moderator am 23. Juli. Ein tragischer Vorfall mit alltäglichem Hintergrund werde von der Opposition ausgeschlachtet, so der Grundton der Sendung. Zuletzt habe Jelena Grigorjewa auf der Parkbank Alkohol konsumiert. Die Drohungen im Netz seien vermutlich lediglich »Fake News«, »um Aufregung zu erzeugen«.
Kurz vor den Regionalwahlen im Herbst ist die Stimmung aufgeheizt. In Moskau nahm die Polizei am 23. Juli einen Teilnehmer einer Gedenkveranstaltung kurzzeitig fest, weil er ein Bild von Grigorjewa mit sich führte, auf dem sie ein proukrainisches Plakat trägt. Während die politischen Deutungskämpfe in Russland weiterlaufen, erhielt Jelena am Samstag eine kirchliche Beerdigung.
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