Sonntag, 12. Oktober 2014
Ulrike Meinhof lebt!
Ulrike wäre am 7. Oktober 2014 80 Jahre alt geworden.
Viel ist schon zu ihr geschrieben worden und ich denke, sie wird präsent in den Herzen und Köpfen der revolutionären Linken weltweit bleiben. Nicht nur bei denen, sondern auch bei Einigen, die anfangen, sich zu wehren.
Wie soll ich zu Ulrike schreiben? Wie können wir sie, eine Revolutionärin, angemessen würdigen?
Am einfachsten ist es ist für mich, einige Stationen ihres Lebens zu skizzieren, die vor allem mir wichtig waren. Mir ist dabei bewusst, dass das alles nur Auszüge sein können.
1967/1968
Während einer Demonstration gegen den Besuch des Schah von Persien am 2. Juni 1967 in Westberlin wurde der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen.
Die Erschießung Ohnesorgs war ein Fanal für Viele aus meiner Generation: wir begriffen, was für ein Staat die BRD ist - kein demokratischer Staat, sondern autoritär, der nie mit dem Faschismus gebrochen hatte, denn viele ehemalige Nazis wie Kiesinger, Lübke, Globke, Buback oder Schleyer übten wichtige Funktionen im sogenannten Rechtsstaat aus. Die Regierung der BRD war natürlich für das Folterregime Iran ein wichtiger Handelspartner.
Der Polizist Kurras wurde wegen der Erschießung von Benno nie belangt.
Die BRD war für die USA ein wichtiger Militärstützpunkt, ein Drehkreuz, von wo aus die USA die Bombenangriffe gegen die Bevölkerung Vietnams koordinierte. 1972 griff deshalb die RAF, in der Zeit war auch Ulrike dort organisiert, zwei US-Stützpunkte in Frankfurt und Heidelberg an.
Mir empfahlen FreundInnen nach dem 2. Juni 1967, die Artikel von Ulrike in der Zeitschrift "Konkret" zu lesen. Vieles war mir als knapp 17-jährigem in der Zeitschrift neu und unverständlich. Doch über Ulrikes Texte bekam ich langsam einen Begriff von der Situation und fing an, mich zu politisieren.
Die Reportagen Ulrikes über Heime, über proletarische Jugendliche, waren mir wichtig. Ihr Film "Bambule", über eine Rebellion in einem Heim für heranwachsende Frauen, durfte 24 Jahre nicht im Fernsehen gezeigt werden, weil Ulrike sich kurz vor Aufführung im Fernsehen der RAF angeschlossen hatte.
Viele von uns, so auch ich, haben später ähnliche Arbeiten mit unterprivilegierten Jugendlichen gemacht. In Hamburg holten wir z. B. 1973 Jugendliche aus Heimen raus, die dann mit uns zusammen das Haus in der Ekhofstraße besetzten und militant verteidigten.
Ein knappes Jahr später, am 10. April 1968, schoss ein durch die Springer-Presse, Berliner Senat und Bundesregierung aufgehetzter Arbeiter auf den bekanntesten Sprecher der Außerparlamentarischen Opposition (APO) Rudi Dutschke und verletzte ihn lebensgefährlich.
An diesem Tag nahm ich mit Freunden an meiner ersten Demonstration teil, gemeinsam blockierten wir den Springerverlag in Hamburg, um die Auslieferung dieser Hetzblätter zu verhindern. Ulrike begleitete diese Aktionen nicht nur journalistisch, sondern war selbst auf der Straße. Im Grunde fing sie schon damit an, die Aufhebung von Kopf- und Handarbeit zu praktizieren und damit die Fessel und damit den Bruch des bürgerlichen Leben zu forcieren.
Ende des Jahres 1968 wurde deutlich, dass diese anti-autoritäre Bewegung an Grenzen stieß. Sie splitterte sich in verschiedene Organisationen auf. Schon in dieser Zeit berichtete sie in "Konkret" über eine Aktion gegen Kaufhäuser. Andreas Baader und Gudrun Ensslin und zwei weitere Männer zündeten aus Prostest gegen den Konsumterror und den Vietnamkrieg 2 Kaufhäuser in Frankfurt an. Sie wurden alle zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt
Ulrike schrieb in "Konkret" 14/1968 dazu:
„Das progressive Moment einer Warenhausbrandstiftung liegt nicht in der Vernichtung der Waren, es liegt im Gesetzesbruch...
Es bleibt aber auch, was Fritz Teufel auf der Delegiertenkonferenz des SDS gesagt hat: es ist immer noch besser, ein Warenhaus anzuzünden, als ein Warenhaus zu betreiben. Fritz Teufel kann manchmal wirklich sehr gut formulieren.“
Anfangs war diese Kaufhausaktion in der Protestbewegung sehr umstritten, selbst der SDS, die radikalste Studentenorganisation, distanzierte sich. Das änderte sich und Ulrikes Artikel haben bestimmt dazu beigetragen. Es zeigt sich an diesem Artikel aber auch, dass über die Anwendung von revolutionären Interventionsmethoden breit diskutiert wurde, d. h. die später entstehenden bewaffneten Gruppen wie die RAF oder die „Bewegung 2. Juni“ waren Ergebnisse davon und agierten weltweit mit anderen Guerillagruppen gegen den Imperialismus.
Das Zitat von Fritz drückt auch aus, dass das Leben im Kapitalismus für viele damals keine Perspektive war, im Grunde das, was heute mit „Kapitalismus tötet!“ bezeichnet wird.
RAF
Am 14. Mai 1970 wurde Andreas Baader, der wegen der militanten Aktion gegen Kaufhäuser eingesperrt war, in Berlin befreit. Das ist sozusagen die „Geburtsstunde“ der RAF.
Als Gefangene sagte Ulrike Meinhof 1974 im Prozess dazu:
„unsere aktion am 14. mai 1970 ist und bleibt die exemplarische aktion der metropolenguerilla. in ihr sind/waren schon alle elemente der strategie des bewaffneten, antiimperialistischen kampfes enthalten: es war die befreiung eines gefangenen aus dem griff des staatsapparats. ....war exemplarisch, weil es im antiimperialistischen kampf überhaupt um gefangenenbefreiung geht, aus dem gefängnis, dass das system für alle ausgebeuteten und unterdrückten schichten des volkes schon immer ist und ohne historische perspektive als tod, terror, faschismus und barbarei;“
http://www.labourhistory.net/raf/read.php?id=0019710501
Ulrike kannte ich ja nicht persönlich, sondern nur durch ihre Artikel. Ich konnte trotzdem ihren Schritt in die RAF gut nachvollziehen. Sie redete nicht nur von Umsturz, sondern versuchte, das auch praktisch werden zu lassen.
Des-Informationspolitik der Herrschenden
Viele Militante hatten Kinder: Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ilse Schwipper oder Willy Peter Stoll.
Natürlich versuchten oft die Medien, Polizei und Geheimdienste, die Militanten generell wegen ihrer Kinder zu erpressen und/oder zu diffamieren. Das betraf auch Ulrike. Einmal, weil sie selbst zu den Waffen griff und zum Anderen, weil sie als Frau ihre Kinder zurück ließ.
Tauchten KämpferInnen ab, um den Kampf mit anderen Mittel weiterzuführen, sorgten sie dafür, dass es für die Kinder eine gute Lösung gab.
Wenn die Kontakte auf Grund dieser Bedingungen beendet werden, ist es für beide Seiten nicht einfach, eine optimale Lösung für die Eltern und Kinder zu finden.
Klar war, die zurückgelassenen Kindern sollten gut unterkommen, sei es bei linken GenossInnen oder korrekten Verwandten.
So erzählte der kommunistische Schriftsteller Christian Geissler in einem Radiointerview 2005, dass sich Ulrike kurz vor ihrem Schritt in die RAF viele Gedanken um ihre zurückgelassene Kinder machte.
So sollten ihre Kinder in ein Palästinenserlager gebracht werden, was bekanntlich durch Stefan Aust, der eng mit den Geheimdiensten zusammenarbeitet, verhinderte wurde.
http://www.political-prisoners.net/nullaefinito/Christian_Geissler/Interview_mit_Christian_Geissler.mp3
Nach der Verhaftung von Illegalen wurde teilweise der Kontakt zu den Kindern wieder aufgenommen.
Was tun
Ich hatte ja schon die Zersplitterung der radikalen Linken Ende der sechziger Jahre angesprochen: viele gingen in die SPD oder DKP und Andere gründeten kommunistische Gruppen. All diese Ansätze waren entweder opportunistisch und/oder revisionistisch. Kurzum, sie hatten nichts mehr mit den progressiven Inhalten der APO zu tun: anti-kapitalistisch, antagonistisch und internationalistisch.
Wir hingegen versuchten, unsere Praxis mit der Politik der Guerilla zu verbinden.
Da war es nur konsequent, die Gefangenen aus der RAF aus den Isolationsbunker heraus zu kämpfen. Ich schloss mich deshalb den „Komitees gegen Folter an den politischen Gefangenen in der BRD“ an.
Nach der Festnahme zahlreicher Mitglieder aus der RAF wurde mit strikter Isolation und Sonderbehandlung versucht, die Gefangenen zu brechen und zu zerstören. Ulrike wurde am 15. Juni 1972 in Hannover durch Verrat verhaftet.
Die Weggesperrten aus der RAF wurden in verschiedenen Knästen vollständig isoliert. Ulrike z. B. wurde im „Toten Trakt“, d. h. in einem leeren, unbelegten, von der restlichen Anstalt auch räumlich isolierten Trakt der JVA Köln-Ossendorf, eingesperrt. Sie wurde von jeglicher Außenwelt akustisch und visuell abgeschnitten. Ihre Zelle war vollständig weiß gestrichen. Es war ihr verboten, Bilder, Kalender o. ä. an die Wände zu hängen. Das Fenster ließ sich gar nicht, später nur einen winzigen Spalt, öffnen, davor engmaschige, kaum durchsichtige Fliegengaze. Die Neonbeleuchtung wurde auch nachts nicht abgeschaltet. Im Winter war die Zelle permanent unterkühlt.
Zu den Wirkungen dieser wissenschaftlich ausgeklügelten „Weißen Folter“ schreibt Ulrike Meinhof in einem Brief: „Das Gefühl, es explodiert einem der Kopf … Das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepresst, das Gefühl, das Gehirn schrumpelt einem allmählich zusammen, wie Backobst z. B., das Gefühl, man stünde ununterbrochen, unmerklich, unter Strom, man würde ferngesteuert - das Gefühl, die Assoziationen würden einem weggehackt - das Gefühl, die Zelle fährt. …. Rasende Aggressivität, für die es kein Ventil gibt. Das ist das Schlimmste. Klares Bewusstsein, dass man keine Überlebenschance hat; völliges Scheitern, das zu vermitteln; … Das Gefühl, es sei einem die Haut abgezogen worden.“
Uns gelang es durch zahlreiche Aktionen, neben Ulrike die insgesamt acht Monate da drin war, auch Gudrun Ensslin, die mit ihr drei Monate zusammen im Toten Trakt isoliert war, heraus zu holen.
Isolationsfolter wurde also systematisch 1972 gegen die Gefangenen aus der RAF, der „Bewegung 2. Juni“ und später auch gegen Gefangene aus dem anti-imperialistischen Widerstand angewandt.
Die Inhaftierten kämpften dagegen in zehn kollektiven Hungerstreiks gegen die rigiden Bedingungen.
Wir konnten trotz unseres vielfältigen Widerstandes weder die Isolation stoppen, noch verhindern, dass neun Gefangene aus diesen Zusammenhängen den Knast nicht überlebten.
Der Tod Ulrike Meinhofs
Am 8. Mai 1976 wird Ulrike Meinhof in ihrer Zelle tot aufgefunden. Eine internationale Untersuchungskommission, die im übrigen durch die deutschen Behörden auf verschiedenste Art und Weise behindert wird, kommt u. a. zu folgendem Ergebnis:
„Die Behauptung der staatlichen Behörden, Ulrike Meinhof habe sich durch Erhängen selbst getötet, ist nicht bewiesen, und die Ergebnisse der Untersuchungen der Kommission legen nahe, dass sich Ulrike Meinhof nicht selbst erhängen konnte. Die Ergebnisse der Untersuchungen legen vielmehr den Schluss nahe, dass Ulrike Meinhof tot war, als man sie aufhängte, und es beunruhigende Indizien gibt, die auf das Eingreifen eines Dritten im Zusammenhang mit diesem Tod hinweisen. … jeder Verdacht (ist) gerechtfertigt angesichts der Tatsache, dass die Geheimdienste - neben dem Gefängnispersonal - Zugang hatten zu den Zellen des 7. Stocks, und zwar durch einen getrennten und geheimen Eingang.“
http://www.labourhistory.net/raf/documents/0019760508_03.pdf
Trotzdem wurde und wird offiziell und medienwirksam Ulrike Meinhofs Tod als Selbstmord dargestellt.
Was bleibt
Sei es die Ausbeutung und die Kriege im Trikont, im Inneren die Gewalt und die Unterdrückung auf den Straßen, die Verschärfung in den Heimen und den Knästen - gegen all das hat sich Ulrike gewehrt.
All diese Bedingungen haben sich nicht verbessert, sondern in den letzten 25 Jahren eher noch verschärft und warten auf revolutionäre Veränderungen!
So wird die Isolation „Made in Stammheim“ auch weiterhin gegen Gefangene hier eingesetzt. Die Maßnahmen bekommen vor allem die §129b Gefangenen und die rebellischen Eingesperrten zu spüren. Die Isolationsfolter wird von der BRD in andere Länder exportiert, wie im Sommer nach Griechenland.
Das alles sind Gründe, gegen die Ulrike mit Anderen kämpfte, es liegt an uns, diesen Kampf um Befreiung weiter zu führen.
Machen wir uns keine Illusionen, der Weg dahin wird lang und hart sein!
"was die herrschende klasse an uns hasst, ist, dass die revolution trotz hundert jahre repression, faschismus, antikommunismus, imperialistischer kriege, völkermord wieder ihren kopf erhebt" (aus der Rede von Ulrike am 13. 9. 74 vor Gericht in Berlin wegen der Befreiung von Andreas Baader)
Ulrike lebt!
Redaktion des Gefangenen Info
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