Sonntag, 12. Oktober 2014
Mafiöse Willkürherrschaft in Mexiko
Badissche zeitung v. 11.10.2014
PUEBLA. Als Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto im Dezember 2012 sein Amt antrat, verbannte er den Drogenkrieg von der Tagesordnung: Er fand fortan fern der Schlagzeilen statt und war dem Staatschef selten ein Wort wert. Und wenn, dann nur die triumphale Verkündung der Festnahme wichtiger Drogenbosse wie zuletzt von Vicente Carrillo Fuentes alias "El Viceroy", Chef des Juarez-Kartells in Torreón.
Peña von der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) brachte ein ehrgeiziges, wirtschaftliches Reformprogramm auf den Weg und sprach vom Mexiko der Zukunft. Doch nun holte ihn das Mexiko der Vergangenheit ein: Immer deutlicher wurde in den vergangenen Wochen, wie wenig einzelne Festnahmen das Grundproblem des lukrativen Drogenschmuggels und eines korrumpierten Staates lösen. Den Anfang machten im Januar die bewaffneten Bürgermilizen, die sich im Bundesstaat Michoacán gegen die Terrorherrschaft des dortigen Kartells erhoben. Sie waren militärisch so erfolgreich, dass Peña das Militär schicken und die in den Drogenhandel verstrickte politische Führungsriege des Bundesstaates absetzen musste. Die Selbstverteidigungsgruppen wurden der Polizei eingegliedert.
Doch Michoacán war kein Einzelfall: Vor zwei Wochen entführten Polizisten in Iguala im Bundesstaat Guerrero in Zusammenarbeit mit einem Kartell und offenbar im Auftrag des Bürgermeisters 43 Studenten. Nachdem einige verstümmelte Leichen gefunden wurden, protestierten Zehntausende Menschen die vergangenen Tage im ganzen Land.
Alle Fälle haben eines gemeinsam: Die Opfer der politisch-mafiösen Willkürherrschaft hatten schon lange vorher bei der Justiz, bei den Parteien, der Polizei und der Zentralregierung um Hilfe gefleht, doch alle stellten sich taub – und als die Bluttat geschehen war, setzten die Behörden alles daran, diese zu vertuschen. Nur den Recherchen einiger Medien, dem Aufbegehren der Bürger und dem Druck der US-Regierung ist es zu verdanken, dass erste Teile der Wahrheit ans Licht kamen. Das setzte Peña unter Zugzwang, der zunächst von "lokalen Problemen sprach", nun aber eine lückenlose Aufklärung und strenge Bestrafung derjenigen forderte, die das Image Mexikos derart beschmutzt hätten.
Doch auf Straflosigkeit beruht das System des Landes, wie Edgar Cortéz vom Zentrum für Menschenrechte und Demokratie betont. Bezeichnend dafür ist die Entführung der Lehramtsstudenten in Guerrero. Sie wurden verschleppt, weil sie die mafiösen Machenschaften des Bürgermeisters kritisierten. Der Bürgermeister von der linken Partei der Demokratischen Revolution (PRD), der offenbar Teil der lokalen Mafia ist und seine Polizei dieser Gruppe eingegliedert hat, hatte vor einigen Monaten bereits einen parteiinternen Kritiker eigenhändig umgebracht, wie Augenzeugen berichteten. Auch die entführten Studenten machten Druck und forderten Aufklärung. Doch nichts geschah. Die PRD, der Mörder und Opfer angehörten, wurde zwar bei der Staatsanwaltschaft und beim Innenminister vorstellig, erstattete aber keine Anzeige.
Das Hauptproblem liegt Cortéz zufolge bei der Justiz. Mehrfach wurde Mexiko vom Interamerikanischen Gerichtshof gerügt. An schlampigen Ermittlungsmethoden, politisch hörigen und unterfinanzierten Staatsanwaltschaften hätten weder diese Urteile noch die verabschiedete Strafrechtsreform etwas geändert. "Sowohl die außergerichtlichen Hinrichtungen wie auch das Verschwindenlassen zeigen, dass auf allen Ebenen des Staates und in allen Parteien ein autoritäres Gen überwiegt", sagt Cortéz, "denn statt diese gravierenden Menschenrechtsverletzungen juristisch aufzuarbeiten, wird versucht, sie politisch zu lösen, mit Absichtserklärungen und der Bestrafung einiger weniger Sündenböcke." Das löst jedoch nicht die Qualen der Familien der Opfer. Dabei geht es nicht nur um die 43 Studenten. Im Drogenkrieg zwischen 2006 und 2014 sind laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch 22 300 Menschen spurlos verschwunden.
URL: http://www.badische-zeitung.de/ausland-1/mafioese-willkuerherrschaft-in-mexiko--92641413.html
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