Freitag, 23. August 2013
Mexiko erfindet seine Ölindustrie neu
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Wall Street Journal Deutschland, Sonntag, 18.8.2013
Von LAURENCE ILIFF und JUAN MONTES
MEXIKO-STADT--75 Jahre lang war die mexikanische Öl- und Gasindustrie fest in der Hand des Staates. Das soll sich jetzt ändern: Private Unternehmen könnten Zugang zu einigen der größten noch unangetasteten Ölfeldern der Welt gewinnen und einen neuen Energieboom auslösen.
In dieser Woche hat die Regierung ihren Vorschlag für eine Verfassungsänderung vorgestellt, laut dem der Staat sich mit privaten Unternehmen zusammentun dürfte, um Öl und Gas zu fördern. Mexiko ist der drittwichtigste Erdöllieferant der USA und hat die viertgrößten Schiefergasreserven der Welt.
Der staatliche Ölkonzern Petróleos Mexicanos, der bisher allein die Öl- und Gasförderung in Mexiko bestreitet, zahlt derzeit eine Gebühr an Firmen, die in seinem Auftrag Ölfelder erkunden oder Bohrungen vornehmen. Doch dieses Modell ist für die großen Ölkonzerne nicht attraktiv und hat zu einem Einbruch der mexikanischen Ölförderung geführt.
Für Ölkonzerne, die seit langem schon vergeblich nach neuen Ölfeldern suchen, sind die vertraute Geologie und die politischen Bedingungen in Mexiko sehr attraktiv – vor allem verglichen mit der Arktis oder politisch instabilen Regionen in Afrika und dem Nahen Osten.
1938 war Mexiko der erste große Ölproduzent, der diese Industrie verstaatlichte. Der Gesetzesvorschlag hat im Kongress gute Chancen, doch unter nationalistischen Politikern und in der Öffentlichkeit muss die Regierung mit Protest rechnen. Die mexikanischen Energiegesetze gehören weltweit zu den restriktivsten. Sie sind etwa vergleichbar mit denen in Kuwait und strenger als die in Kuba.
„Wenn Mexiko dieses Gesetz in Kraft setzt und es auf den Straßen friedlich bleibt, dann wird das Land einen wichtigen Schritt nach vorne machen", sagt Enrique Krauze, ein bekannter mexikanischer Historiker.
Der Staat hofft auf Investoren
Der Staat hofft durch die Liberalisierung der Ölindustrie auf Milliarden Dollar an Investitionen, auf eine bessere Wettbewerbsfähigkeit durch niedrigere Ölpreise für Unternehmen und darauf, dass das Land an anderen Schwellenmärkten vorbeiziehen wird.
„Das ist der erste Schritt, um in Mexiko einen Energiesektor für das 21. Jahrhundert aufzubauen", sagte Präsident Enrique Peña Nieto im Fernsehen.
Die Initiative könnte einige Ölkonzerne dennoch enttäuschen und auch hinter dem zurückbleiben, was viele ölproduzierende Staaten bieten. Zum Beispiel bekämen private Ölkonzerne keine Konzessionen, die ihnen Besitzrechte auf Ölfelder einräumen würden. Außerdem würden die Konzerne nicht das geförderte Öl, sondern einen entsprechenden Geldbetrag erhalten.
Dieses Modell der Gewinnbeteiligung ähnelt dem in Ecuador, Iran, Irak und Malaysia, erklären mexikanische Politiker. In Brasilien, Norwegen und den USA gehören den Ölkonzernen die geförderten Rohstoffe.
Ob Ölkonzerne Interesse an den mexikanischen Ölfeldern zeigen werden, werde von Details abhängen, die erst in der zweiten Gesetzgebungsrunde in den kommenden Monaten entschieden werden, sagen Analysten. Zum Beispiel wird es darum gehen, wie hoch die Steuern und Gebühren für private Unternehmen sein werden.
Manche Analysten rechnen damit, dass Mexiko die Anzahl der Unternehmen einschränken wird, die auf seinem Staatsgebiet forschen und bohren dürfen. In dem Fall würde der Staat sich wahrscheinlich auf große Konzerne wie Exxon Mobil, Royal Dutch Shell und Chevron konzentrieren, die Erfahrung mit Tiefsee- und Schieferbohrungen haben.
„Es kann sein, dass Mexiko nur ein paar an Land und ein paar Partner auf See sucht", sagt Brian Youngberg, Analyst bei Edward Jones.
Chevron zum Beispiel wäre froh über neue Investitionschancen in Mexiko. „Die Rentabilität, die Stabilität des Investitionsklimas und die Unverletzlichkeit von Verträgen sind wichtige Faktoren bei Investitionsentscheidungen", sagt Chevron-Sprecher Kent Robertson.
Für Mexiko steht viel auf dem Spiel. Unter der Führung des staatlichen Ölkonzerns Pemex ist die Produktion des Landes in zehn Jahren um ein Viertel auf 2,5 Millionen Barrel pro Tag gefallen. Neue Ölquellen sind nur schwer und mit hohen Investitionen erreichbar. Es hat auch nichts geholfen, dass Pemex seine jährlichen Investitionen im gleichen Zeitraum auf etwa 20 Milliarden Dollar verfünffacht hat.
Mexiko geht von riesigen Energievorkommen aus
Schon jetzt importiert Mexiko Benzin und Erdgas und gibt dafür die Hälfte seiner Einnahmen aus der Ölförderung wieder aus, sagt die Regierung. Zwar hat Mexiko riesige Gasreserven, doch Pemex hat bisher erst drei Schieferbohrungen in Angriff genommen, sagt Peña Nieto, während die USA allein im Jahr 2012 über 9.100 Bohrlizenzen an 170 Unternehmen vergeben haben.
Mexiko schätzt, dass es auf seinem Staatsgebiet 87 Milliarden Barrel Öl und Gas gibt, etwa so viel, wie auch Brasilien in seinen Offshore-Ölfeldern zu finden hofft. „Das ist wahrscheinlich das größte noch unangetastete Ölfeld, das es gibt", sagt John Padilla, Managing Director bei der Energieberatungsfirma IPD Latin America.
Der mexikanische Kongress werde sich ab September mit dem Gesetzesvorschlag beschäftigen, sagen Politiker. Die konservative Opposition – die Partido Acción Nacional, die Mexiko von 2000 bis 2012 regierte - will den Vorschlag unterstützen. Peña Nietos Regierungspartei Partido Revolucionario Institucional hätte damit die nötige Zweidrittelmehrheit, um die Verfassung zu ändern.
Der Präsident wurde auch wegen seines Versprechens gewählt, Mexiko wieder an die Spitze der Schwellenländer zu bringen. In den vergangenen zehn Jahren wuchsen Brasilien und China deutlich schneller.
Die schärfsten Kritiker der Verfassungsänderung könnte womöglich die Menschen im Land sein. Der nationalistische Politiker Andrés Manuel López Obrador, der die vergangenen zwei Präsidentschaftswahlen verloren hat, nannte den Vorschlag „Hochverrat" und hat versprochen, seine Unterstützer zu mobilisieren und das Gesetz aufzuhalten.
Historiker sagen, dass der Ölnationalismus in Mexiko tief verankert ist, auch weil er jahrzehntelang in den Schulbüchern als große Errungenschaft des Landes gelehrt wurde.
Wird die Reform der Ölbranche nicht allzu radikal, könnte auch der „Pakt für Mexiko" die Verfassungsänderung überstehen. Der Parteienzusammenschluss hat dieses Jahr bereits mehrere wichtige Initiativen auf den Weg gebracht.
„[Die Reform] ist konservativer, als manche Leute es sich gewünscht hätten, aber womöglich ist das ein Vorteil", sagt John Padilla. Dadurch könnten Konflikte mit den nationalistischen Wählern vermieden werden. „Wenn dieser Vorschlag Zustimmung findet, beginnt erst die harte Arbeit an den Details."
Mitarbeit: David Luhnow, Tom Fowler und Ben Lefebvre
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