Samstag, 31. August 2013
Jürgen Rose Gewissen ist keine Krankheit (2)
Nachdem der Oberleutnant der Bundesluftwaffe Philip Klever sich unter Berufung auf sein Gewissen geweigert hat, durch den ihm befohlenen Einsatz in Afghanistan aktiv zu der nicht mandatierten und daher völkerrechtswidrigen »Operation Enduring Freedom« beizutragen, ist er nun den Repressalien seiner Vorgesetzten ausgesetzt (s. Ossietzky 16/13). Klevers Kameraden registrieren derweil aufmerksam den Umgang mit dem Gewissenstäter. Unter dem Siegel der Anonymität werden sie deutlich: »Ich persönlich finde es eine mutige Entscheidung, aber auch eine richtige Entscheidung. Wenn er sein Gewissen gefragt hat und er mit diesem Einsatz in Afghanistan Probleme hat, dann muß er so handeln, und das ist ja auch sein gutes Recht und so dann auch von der Bundeswehr anerkannt worden«, gibt einer zu Protokoll. Die Reaktion der Bundeswehr wird als »unbeholfen« qualifiziert. Daß an Klever ein Exempel statuiert werden soll, steht außer Frage: »Es soll damit ... erzeugt werden, daß man sich genau überlegt, ob man sich auch über die Folgen seiner Gewissensentscheidung im klaren ist. Will ich mit diesen Konsequenzen leben, also daß ich möglicherweise aus meiner Heimatregion oder der Region, wo ich mich gerade wohlfühle, wegversetzt werde, will ich auf den Kreis meiner Arbeitskollegen verzichten, will ich isoliert in einem Einzelbüro sitzen und Aufgaben erhalten, die eindeutig unter meiner Qualifikation sind? Durch all diese Maßnahmen überlegen sich natürlich die anderen Kollegen, ob sie auch so eine Entscheidung treffen, und es wird den Kameraden gezeigt, was passieren kann, wenn sie nur ihr Recht wahrnehmen und einen Befehl oder einen Einsatz aus Gewissensgründen verweigern.« Das, was da passiere, sei »schlimm, weil man ja nur sein Gewissen gefragt hat und das einem sagt, daß man damit nicht mehr so klarkommt«. Daher sei es »schade, daß die Bundeswehr mit so einem subtilen Vorgehen wie bei Herrn Klever solche Überlegungen unterbindet«. Welch verheerende Folgen seine schikanöse Behandlung nach sich zieht, wird klar benannt, wenn einer seiner Kameraden formuliert: »Ich glaube, daß in Zukunft nicht mehr so viele Leute bei uns eine Entscheidung wegen ihres Gewissens verweigern. Es wurden ja schon Nachfolger für ihn benannt, die sich sofort bereit erklärt haben, weil man natürlich immer die Konsequenzen im Hinterkopf hat. Ich denke, daß es für die Soldaten, die sich hier wohlfühlen, sicherlich ein abschreckendes Beispiel ist. Ich denke, daß das Signal sein soll: Überlegt genau, ob ihr in eurem Umfeld verbleiben wollt oder ob ihr in eine Isolation gesteckt werdet, nichts mehr mit euren Kameraden zu tun habt oder sogar gleich versetzt werdet und damit auch aus eurem Freundeskreis, Familie und so gerissen werdet. Ich denke, daß das Signal, daß zum Beispiel der Versetzungsantrag für ihn geschrieben wurde, daß das sehr bewußt geschehen ist, und daran ist ... gekoppelt ...: Mach‘ das, was ich will, oder ich mache etwas, was du nicht willst. Denn es ist schon etwas sehr Besonderes, daß ein Vorgesetzter für einen Soldaten einen Versetzungsantrag schreibt, das habe ich bislang noch nicht erlebt ... Mir ist kein Fall bekannt ... Und das hat sicherlich einen Eindruck bei den Kameraden hinterlassen, und da überlegt man es sich schon zweimal.« Wie ausgeprägt die Empathie mit dem sanktionierten Kameraden Klever ist, geht aus folgender Einlassung hervor: »Natürlich muß sich Klever von seinen Kameraden immer anhören, daß er in ›Isolationshaft‹, im ›Loch‹, im ›Gefängnis‹ oder im ›Kerker‹ ist ... Es ist zwar kein Gefängnis, aus dem er nicht herausgehen darf, aber er wurde schon aus der Gemeinschaft genommen. Also ich habe mich gewundert, daß sein Schreibtisch leer war und er nicht da war, und dann sah ich ihn niedergeschlagen auf einem Stuhl mit einer Tasse Kaffee sitzen, und dann sagte er, daß jetzt gerade sein Vorgesetzter einen Versetzungsantrag für ihn schreibt und er jetzt auch aus dem Großraumbüro von seinem Arbeitsplatz weg muß und in ein Einzelzimmer kommt. Das war erst einmal eine Situation, wo ich ziemlich geschluckt habe. So ein Versetzungsantrag ist ... ziemlicher Druck, ... der ja vor allem das Privatleben betrifft, denn er lebt ja mit seiner Freundin zusammen, ... dann muß er sich bei einer Versetzung auf eine Wochenendbeziehung einstellen, und das ist natürlich eine große Belastung. Ich denke, das war vorher absehbar, ... er mußte schon damit rechnen, daß Veränderungen in seinem Leben passieren. Aber ich finde das nicht fair ... Es ist ja schon ein Denkzettel oder eine Retourkutsche, die er jetzt bekommt.« Daß die eingangs zitierte »Angst vor der Massenverweigerung« angesichts von Gewissenstätern wie Philip Klever und seinen Vorgängern in den Reihen der Bundeswehr nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, mag die Aussage eines Kameraden illustrieren, der ihn wissen ließ: »Ich kann Dich verstehen. Wenn jetzt so etwas in Syrien losgeht, dann mach‘ ich da auch nicht mit.«
Angesichts des schäbigen Umgangs einer von Ignoranz und Intransigenz geprägten Militärbürokratie mit einem Staatsbürger in Uniform, der nichts weiter getan hat, als dem Postulat des Doyens der Inneren Führung, Generalleutnant Wolf Graf von Baudissin, zu folgen, indem er ein »ständig waches Gewissen« an den Tag legte, ist man geneigt, eine Träne der Verzweiflung zu weinen, in der der Salz des Ärgers die Feuchtigkeit der Anteilnahme zu verkrusten droht. Denn eigentlich sollten die Goldbesternten im Berliner Bendlerblock Purzelbäume freudiger Erregung darüber schlagen, wie vorbildhaft loyal der Subaltern-Offizier Klever genau den Pflichten nachkommt, welche die höchsten Generäle der Bundeswehr dereinst deklamierten. So pochte der vormalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General Klaus Naumann, in seinem Generalinspekteursbrief 1/1994 gar auf eine soldatische Pflicht zur Gehorsamsverweigerung: »In unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Ethik stehen dem Gehorsamsanspruch des Dienstherrn das Recht und die Pflicht zur Gehorsamsverweigerung gegenüber, wo eben diese Rechtsstaatlichkeit und Sittlichkeit mit dem militärischen Auftrag nicht mehr in Einklang stehen, der Soldat damit außerhalb der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung gestellt würde.« Zwei Jahre zuvor hatte Generalleutnant Peter von Kirchbach in der vom Bundesministerium der Verteidigung herausgegebenen Offizierszeitschrift Truppenpraxis angemerkt: »Die Spannung [zwischen Freiheit und Gehorsam, J. R.] besteht in der Bindung an Befehle einerseits, in der Bindung an ein Wertesystem andererseits. Die Spannung besteht in der Bindung und Treuepflicht an den Staat einerseits und dem Wissen, daß staatliches Handeln immer nur das Vorletzte sein kann und daß das an ein höheres Wertesystem gebundene Gewissen eine entscheidende Berufungsinstanz sein muß. Sicher wird der Staat seinen Bürgern normalerweise nicht zumuten, gegen den Rat ihres Gewissens zu handeln. Der Staat der Demokratie wird sich im Gegenteil auf die Werte berufen, in denen das Gewissen gründet. Im Wissen um diese Spannung aber und im Wissen, nicht jedem Anspruch zur Verfügung zu stehen, besteht letztlich der Unterschied zwischen Soldat und Landsknecht.«
Seitdem sich freilich unsere gesamtdeutsche Armee an der Durchsetzung der Globalisierung mit militärischen Gewaltmitteln beteiligt, müssen derartige Gewissensappelle aus Generalsmunde lediglich als hohle Phrasen erscheinen.
Dessenungeachtet erweisen sich von Zeit zu Zeit immer wieder SoldatInnen eben nicht als bloße Handwerker des Krieges »mit flatternden Idealen und einem in Landesfarben angestrichenen Brett vor dem Kopf«, wie der herausragende deutsche Publizist und Pazifist Kurt Tucholsky einst notierte, sondern wie im Falle Klever mitunter auch als Verfassungspatrioten. Angesichts dieser Tatsache kommen sowohl die politische Leitung als auch die militärische Führung um die Erkenntnis nicht herum, daß, wie der schweizerische Divisionär, also Generalmajor, Gustav Däniker schrieb, »nicht nur der einzelne Soldat, sondern selbst die härteste Truppe eine Seele besitzt, und ebenso ein Gewissen, das ihr sagt, was man tun darf und was nicht«. Die hieraus zwingend folgende Konklusion brachte in bestechender Weise ein Justizminister der Vereinigten Staaten von Amerika, Ramsey Clark, der seinem Land zu einer Zeit diente, in dem es noch kein Überwachungs-, Mord- und Folterstaat, sondern ein Rechtsstaat war, auf den Punkt, als er den nicht erst für den »Staatsbürger in Uniform« im Rahmen moderner Kriegführung, sondern für jeden Soldaten schon immer geltenden kategorischen Imperativ definierte, der da lautet: »Die größte Feigheit besteht darin, einem Befehl zu gehorchen, der eine moralisch nicht zu rechtfertigende Handlung fordert.« Feige ist er demnach wahrlich nicht, der Oberleutnant der Luftwaffe Philip Klever.
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