Samstag, 31. August 2013
Syrien: Das Erste, was im Krieg stirbt, ist die Wahrheit!
Von N.N.
In den letzten Tagen sah es danach aus, als sei ein westlicher Militärschlag gegen das widerständige Syrien keine Frage des »ob«, sondern nur noch eine des »wann«. Nun hat die um die USA, Frankreich und die Türkei gruppierte Achse jener Staaten, die bereit sind, auch ohne UN-Mandat und wider geltendes Völkerrecht, einen »begrenzten Schlag« gegen Syrien durchzuführen, einen deutlichen Rückschlag erlitten.
Am 29. August brach das Londoner Parlament Großbritannien aus der antisyrischen Interventionsfront heraus. »Die Regierung wurde mit einer bemerkenswerten Mehrheit von 285 zu 272 Stimmen daran gehindert, einen… törichten Angriff gegen Syrien zu starten«, schrieb am 30. August die britische Tageszeitung »The Guardian«, die das Votum als »Demütigung… von historischem Ausmaß« für Premierminister Cameron und als »beinahe beispielloses Scheitern« eines britischen Premierministers im Bereich der Außenpolitik wertete.
Einer der Hauptgründe für Camerons Niederlage war sein Unvermögen, klare Beweise dafür zu vorzulegen, dass die reguläre syrische Armee für den die »rote Linie« der USA überschreitenden Chemiewaffeneinsatz vom 21. August verantwortlich sei. Auch die USA, Frankreich und die Türkei sind nicht imstande, ihre Behauptung von »Assads Schuld« zu belegen.
Die Vorgehensweise der auf einen Militärschlag gegen Syrien erpichten Staaten ist in vielerlei Hinsicht widerrechtlich. Sie widerspricht nicht nur dem Gewaltverbot im internationalen Recht – sie läuft, was die Anschuldigungen gegen die syrischen Streitkräfte betrifft, auch nationalen Rechtsgrundsätzen wie der Unschuldsvermutung, der zufolge der Angeklagte bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig gilt, und dem Prinzip »In dubio pro reo« (»im Zweifel für den Angeklagten«) zuwider.
Es lohnt sich, der Frage nachzugehen:
Welchen Grund hätten die syrischen Streitkräfte gehabt, Giftgas einzusetzen?
Zur Zeit des Chemiewaffeneinsatzes befanden sich Chemiewaffeninspekteure der Vereinten Nationen in Syrien. »Es wäre sehr seltsam«, äußerte der schwedische Diplomat Rolf Ekéus, »wenn die syrische Regierung ausgerechnet in dem Moment zu solchen Mitteln greifen würde, wenn die Beobachter im Land sind«.
Auch wäre der Einsatz von Chemiewaffen, wie der libanesische Politologe Sohail Natour hervorhob, für die syrische Regierung »keine zwingende Notwendigkeit« gewesen. »Die syrische Armee habe die untereinander zerstrittenen Rebellen in den letzten Monaten mit konventionellen Mitteln in die Defensive gedrängt. Nur im umgekehrten Fall, gibt Natour zu bedenken, könnte sich Assad dazu entschließen, chemische Kampfstoffe als ’allerletztes Mittel der Verteidigung‘ einzusetzen«, hieß es in der »Badischen Zeitung«.
»Aus der logischen Überlegung her«, schlussfolgerte Prof. Günter Meyer, ein ausgewiesener Kenner der Nahost-Region, in einer ZDF-Sondersendung vom 27. August, »kann das Assad-Regime nicht dafür verantwortlich sein«. »Wenn wir uns wirklich fragen: ’Wer hat ein Interesse an einem Einsatz von Massenvernichtungswaffen mit chemischen Kampfstoffen?‘, dann kann das nicht das Regime sein, das genau weiß: ’Das ist die rote Linie. Wenn wir chemische Kampfstoffe einsetzen, dann haben wir die stärkste Weltmacht gegen uns‘.«
Prof. Meyer fügte hinzu: »Allein die Aufständischen dürften das Ganze inszeniert haben«. Dafür sprechen auch die Funde von chemischen Substanzen in von den »Auständischen« genutzten Tunneln im Damaszener Vorort Jobar. Schon Ende Mai hatte die türkische Polizei bei einer Razzia bei Anhängern des syrischen Al-Kaida-Ablegers »Jahbat Al-Nusra« zwei Kilo des Nervengases Sarin gefunden.
Die russische Nachrichtenagentur »RIA Nowosti« berichtete am 21. August zum jüngsten Chemiewaffeneinsatz: »’Die selbstgemachte Rakete wurde am frühen Mittwochmorgen von den Stellungen der Regimegegner aus abgefeuert worden‘, erklärte der russische Außenamtssprecher Alexander Lukaschewitsch. Ziel des Beschusses sei ein östlicher Vorort von Damaskus gewesen, in dem die syrischen Regierungstruppen in den letzten Tagen intensiv gegen die Oppositionskämpfer vorgegangen seien. Eine ähnliche Rakete haben Terroristen am 19. März 2013 in Khan al-Assal eingesetzt, hieß es«.
Ein Sprecher des Außenministeriums des Iran gab bekannt: »Wir sind äußerst beunruhigt über die Informationen über einen Einsatz von chemischen Waffen in Syrien, und wir verurteilen die Verwendung dieser Waffen. Es gibt Beweise, dass dies terroristische Gruppierungen verbrochen haben«.
Syriens Informationsminister Omran Al-Zoubi legte in einem Interview mit dem libanesischen Nachrichtensender »Al-Mayadeen« dar, »Satellitenbilder und Augenzeugenberichte belegten…, dass die in Frage kommenden Geschosse von Orten abgefeuert worden seien, die von den Aufständischen kontrolliert würden. Ziele seien Gebiete gewesen, in denen es noch Zivilbevölkerung gebe. Die Aufständischen trügen die volle Verantwortung für diese Angriffe« (»junge Welt«, 26. August). Entsprechende Beweise legte der syrische Vizeaußenminister am 28. August den UN-Chemiewaffeninspekteuren vor.
Darüber hinaus »erklärte der Chef der kurdischen PYD im Norden Syriens, Saleh Muslim, das Regime in Damaskus sei nicht für den Chemiewaffeneinsatz verantwortlich. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters beschuldigte er indirekt die Aufständischen. Es gebe dort Kräfte, die das Regime als Schuldigen darstellen wollten« (»junge Welt«, 29. August).
Längere Zeit war der einzige »Beweis«, auf den sich die kriegstreiberische US-Regierung in ihrer Kampagne gegen die syrische Regierung stützen konnte, ein angeblicher Mitschnitt eines Telefonats zwischen syrischen Militärs. Doch auch beim US-Geheimdienst gibt es Zweifel: »Die US-Geheimdienste halten eine Verbindung der syrischen Regierung mit der angeblichen Giftgas-Attacke vergangene Woche für nicht bewiesen. (…) Abgehörte Telefongespräche brächten keinen Hinweis auf eine direkte Verbindung zwischen den Attacken und der Regierung Bashar al-Assads oder auch nur einem hochrangigen Militär«, informierte am 29. August die Agentur AP, die aus einem Bericht des obersten Geheimdienstchefs zitierte.
US-Außenminister John Kerry präsentierte deshalb am 30. August ausgerechnet in Form eines Geheimdienstberichts einen weiteren »Beweis«. Im Hinblick auf eine Veröffentlichung derartiger Pseudobelege durch westliche Politiker hatte Prof. Günter Meyer vom Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt einige Tage zuvor bereits festgestellt: »Sie werden sie vorlegen müssen, aber wir haben schon einmal gesehen, welche Belege die Amerikaner vor dem Einmarsch im Irak vorgelegt haben. Diese Belege kann man beliebig fälschen und beliebig auslegen. Das heißt, es wird mit Sicherheit keinen eindeutigen Beweis dafür geben, und auch die UN-Kommission soll ja nicht beweisen, wer für die Anschläge verantwortlich ist, sondern nur, dass ein Anschlag vorgekommen ist«.
Es passt nicht in das Bild vom vermeintlichen »Giftgasmörder« Assad, dass die syrische Regierung die UN-Inspekteure um die Prüfung weiterer Giftgasvorfälle gebeten hat. Dennoch werden die Anschuldigungen gegen sie von der antisyrischen Aggressionsachse aufrechterhalten: »Das ist ein brutal abgekartetes Spiel«, erläuterte der linke Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke. »Bis vor zwei Tagen galt noch die Losung ’Damaskus muss eine Untersuchung des Giftgaseinsatzes zulassen‘ – was die syrische Regierung dann auch bewilligt hat. Dann hieß es aus den USA, jetzt sei es spät, es lasse sich nichts mehr finden – was aber jeder Experte als absurd bezeichnet. Jetzt verlautet aus Washington, die USA hätten eigene Erkenntnisse, sie bräuchten gar keine UN-Untersuchung« (»junge Welt«, 28. August).
Die – trotz der nunmehrigen Nichtbeteiligung Großbritanniens – ununterbrochenen Kriegsmachenschaften gegen Syrien stoßen auf den heftigen Widerstand der Völker: Selbst in den USA sind 60 Prozent der Bürger gegen eine Intervention. Eines ist jetzt schon gewiss: Das Erste, was im Krieg stirbt, ist die Wahrheit!
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