Samstag, 31. August 2013
Thüringer Kunst in Notre-Dame Peter Arlt
Beim »Neuaufbau« der Kunstmuseen in den östlichen deutschen Ländern gilt fast überall ein gleichmacherisches Ideal: Ganz oben in der Gunst stehen Georg Baselitz, A. R. Penck, Josef Beuys ..., nicht zu zeigen und gering zu schätzen sind der in der DDR gewachsene Bestand und die vor Ort entstandene Kunst.
Im Gegensatz dazu sei das Museum in Bautzen hervorgehoben, das die einheimischen Künstler ausführlich und würdevoll präsentiert. In Thüringen läßt sich eine museale Dokumentation der regional angesiedelten Kunst des 20. Jahrhunderts finden, vor allem solche nach 1945, insbesondere aus den drei Bezirken Erfurt, Gera und Suhl. Allerdings nicht in Erfurt oder Weimar, sondern in Mühlhausen. Im Museum am Lindenbühl, das gerade umgebaut wird, soll im nächsten Jahr eine Auswahl der »Sammlung Thüringer Kunst« präsentiert werden, die den Kunstraum Thüringen im 20. Jahrhundert ausleuchtet. Der Sammlungsleiter Jürgen Winter verortet ihn »Zwischen Wald und Welt« und beschreibt fundiert im gleichnamigen Buch individuelle Wege und wechselnde Verhältnisse zwischen regionaler Traditionsenge und Innovationsweite. Damit tritt er dem Klischee entgegen, Kunst in Thüringen beschränke sich auf selbstgenügsame Heimatverbundenheit, ohne dies auszuschließen. Die Frage, was es zwischen Thüringern, Sachsen, Mecklenburgern, Bayern oder Berlinern an Gemeinsamkeit und Anderssein gibt, stellt sich wenig. Den eigenen Weg zu finden, verlangt nicht, einem vage verbindenden Thüringer Grundgefühl zu folgen und nach regionalem, landsmannschaftlichem Purismus zu streben. Die Sammlung zeigt, wie viele überregionale und übernationale Einflüsse synthetisiert werden, um eine unverwechselbare, vielseitige Identität auszuprägen, die der Kunst erst den Reichtum gibt. Wie anderswo faszinieren auch im Kunstraum Thüringen die Spitzenwerke der Malerei und Grafik mit gestalterischer Dichte und handwerklichem Können, mit der Magie der Realität wie deren expressiver, phantasievoller Übersteigerung bis zur Abstraktion, öfters auch mit intelligenter Subversivität (Erfurter Ateliergemeinschaft oder D 206. Die Thüringer Sezession).
Inzwischen greift die Sammlung über ihren Schwerpunkt, die Zeitspanne zwischen 1945 und 1990, auf die Zeit der klassischen Moderne bis ins 19. Jahrhundert zurück und vor auf heutige Kunst. Das zeigen die 30 Neuerwerbungen, Grafiken und Aquarelle, der letzten drei Jahre jetzt in der Sonderausstellung »ARTgerechter Zuwachs« in der Müntzergedenkstätte St. Marien – eine gotische Kirche der einstigen Freien Reichsstadt Mühlhausen, die Notre-Dame Thüringens. Über einem Portal stehen Skulpturen auf dem Altan, Kaiser Karl IV., der oberste Stadtherr, der sich über eine Maßwerkbrüstung dem vorbeiführenden Steinweg der symbolischen Huldigung zuwendet. Möge er als Schutzpatron auf der Seite der Kunst stehen und bei künftigem Ratswechsel zusichern, die »Sammlung Thüringer Kunst« weiterhin zu bewahren und zu erweitern.
Für die Leiter der Museen, Thomas T. Müller und Jürgen Winter, besteht dazu Gewißheit, metaphorisch verknüpft mit den Neuerwerbungen »Kündender und Stiller Engel« des Weimarer Grafikers Walter Sachs, die lauthals und verschwiegen in Holzschnitten von 2012 gleichsam die Sammlungsunterstützung offenbaren.
»Wenn man sich mit bildender Kunst in Thüringen gültig auseinandersetzen will, wird Mühlhausen und seine Sammlung der zentrale Ort sein«, so prognostizierte einst Rudolf Kober. Er und Ruth Menzel betrieben mit zahlreichen Studenten an der Pädagogischen Hochschule Erfurt jahrelang kunsthistorische Territorienforschung. Ein Diplomand, Jürgen Winter, machte am Museum in Mühlhausen, über die regionale Kunstgeschichtsschreibung hinaus, die Sammlung der Artefakte zu seiner Passion. Wie beherzt er seine Chance wahrnahm, zeigte erstmals im November 1989 eine bescheidene, beachtliche Ansammlung.
Seit Jahren berichtet Jürgen Winter händeringend, zur 0-Euro-Ankaufssumme und Sponsorensuche verdammt zu sein, ein Mantra, mit Zaubersprüchen das eigene Opfer abzuwenden und einen annähernd repräsentativen Überblick aufzubauen. Ermöglicht werden Ankäufe vom Kunst-Ministerium und von der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, Art-Regio und der Sparkasse Unstrut-Hainich (vgl. Ossietzky 11/13).
Diesmal erwarb der Freundeskreis Mühlhäuser Museen von Otto Dix Lithographien der Passion, sechs kleinere Blätter zur Leidensgeschichte Christi aus dem Jahre 1960. Selbst wenn Dix in seinem Spätwerk weniger unverkennbar bleibt, überzeugt der expressive Realismus des Atheisten Dix zur ins Menschheitliche gesteigerten christlichen Thematik.
Die schamlose Kunstpolitik verursacht den zweiten Weg: »Was man sich nicht kaufen kann, muß man sich eben schenken lassen.« Den Schenkungen schaut man wiederum schamlos ins Maul. Qualität und keine Beliebigkeit!
Herausragend die Schenkung von Handzeichnungen und Aquarellen des 2005 verstorbenen Geraer Künstlers Hans Blunck aus der Hand der Frau des Künstlers. Das Werk, wie die an Lyonel Feininger erinnernde »Vorstadtdame«, 1976, oder die Landschaften, wie »Mongolisches Touristencamp«, 1977, oder »Norwegische Impressionen«, 1991, harrt noch einer Aufarbeitung. Die international anerkannte Geraer Künstlerin Gerda Lepke schenkte über 40 Siebdruck-Zeichnungen, die bei Kreuzigung und Grablegung mit sensibel ertastenden und Trauer tragenden Linien anrühren. Scheinbar kinderleicht spielen die hochartifiziellen Linienverläufe bei Reiner Ende in den »Kleidern des neuen Kaisers«, 2011, über mehrere reale Motive hinweg. Von Roger Bonnard, der einst als Dreher in die DDR gekommen war, in Dresden als Maler und Grafiker ausgebildet wurde und in Weimar und Sainte-Maure lebt, zeigen Farbaquatinten, wie er den deutschen »Geist« und französischen »esprit« auslegt. In einer meditativen Bildschrift rundet Martin Max im Holzschnitt »Stundenblatt« das vegetabile Zifferblatt, auf dem römische Zahlen spuken und Gesichter sich verwandeln im Tages- zum Jahresraum. Den Sammlungsbestand bereichern Farbgrafiken von Erik Buchholz, Beate Debus, Gisela Eichardt und Sabine Rittweger. Vielleicht fliegt der Sammlung noch die in der Weimarer Villa Haar gezeigte Tuschezeichnung »Frohlockender Engel« von Walter Sachs zu, um der Mühlhäuser Sammlung großformatig das Paradies zu verkünden.
Bis 1. September 2013, dienstags bis sonntags 10-17 Uhr
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen