Freitag, 23. August 2013
Ägyptische Militärregierung wird weiter aus EU unterstützt
IMI-Standpunkt 2013/042
Eine "Referenz in Sachen Demokratie und Menschenrechte"?
Mit einer gehörigen Portion Ideologie versuchte der Außenminister Luxemburgs, Jean Asselborn, die anhaltende Unterstützung der EU- und NATO-Staaten für die ägyptische Militärrergierung zu rechtfertigen – und die daraus sich offen ergebenden Widersprüche zu übertünchen: „Wir sind eine Referenz für die arabische Welt und vor allem für Ägypten, was Rechtsstaatlichkeit angeht, was Menschenrechte angeht, was Demokratie angeht“, so Asselborn in einem Interview am 20. August mit dem Deutschlandfunk (1). Die heftigste Phase der Proteste gegen die Räumung der Camps von Anhängern des gestürzten Präsidenten Mursi war gerade vorüber, etwa 800 Tote zu beklagen. Ein Augenzeugenbericht der Journalistin Sarah Carr berichtete von einer Situation, in der Demonstranten auf einer Brücke von zwei Seiten beschossen wurden, viele stürzten sich in Panik in die Tiefe (2). Es kam im Zuge der Auseinandersetzung auch zu Übergriffen gegen christliche Einrichtungen und andere Minderheiten. Am Tag zuvor wurde berichtet, dass mindestens 35 mutmaßliche Muslimbrüder bei einem Gefangenentransport an Tränengas erstickten. Die Verhaftungswellen gegen Führungsfiguren der Muslimbrüderschaft waren zu dieser Zeit noch im vollen Gange.
Die erwogenen „Sanktionen“
Konkreter Anlass für das Interview war jedoch das für den kommenden Tag geplante Sondertreffen der EU-Außenminister zu Ägypten. Asselborn sprach sich klar gegen „Sanktionen“ und damit implizit für die weitere Unterstützung der Militärregierung (bzw. der vom Militär eingesetzten Übergangsregierung) aus. Er kritisierte sogar, dass Deutschland einige Hilfen, die direkt über die ägyptische Regierung laufen, bereits eingefroren hatte, „bevor wir europäische Richtlinien fixiert haben zu Ägypten“.
Generell herrscht ein seltsamer Begriff von „Sanktionen“ vor, wenn es um Ägypten geht. Gemeint ist dann fast ausschließlich der Stop zugesagter Transferleistungen, die immer an Bedingungen gekoppelt sind. So schwammig sich diese in der Praxis auch ausnehmen, so rechtfertigt die Absetzung der Regierung durch das Militär doch in jedem Falle ein Einfrieren von Kooperationsprogrammen. Sanktionen, wie sie ansonsten in der Außenpolitik viel weitergehend verstanden werden, gegen unliebsame Regime in großem Maßstab zum Einsatz kommen und von den EU-Außenministern oder auf globaler Ebene vom UN-Sicherheitsrat beschlossen werden, wurden bislang noch nicht einmal ernsthaft erwogen. Gemeint sind damit Maßnahmen, die den Handel mit einzelnen Güter(gruppe)n, Entitäten oder Personen verbieten und es den Mitgliedsstaaten erlauben, dieses Verbot auch durchzusetzen. Solche Sanktionen haben in der Vergangenheit ganz überwiegend zu einer Eskalation der Lage beigetragen, weil sie die Lage der Bevölkerung weiter verschlimmern (3). Das gilt in vielen Fällen auch für das Einfrieren von Hilfsgeldern, was die EU in der Vergangenheit mehrfach genutzt hat, um in Putschsituationen Einfluss auf den Lauf der Dinge zu nehmen. So verwerflich es ist, Entwicklungshilfegelder einzusetzen, um eigene Interessen durchzusetzen, ist es doch moralisch angezeigt, die aktive finanzielle Unterstützung für Putschregierungen, die mit Massenverhaftungen und militärischer Gewalt gegen Bevölkerungsgruppen vorgehen, einzustellen. Asselborn sieht das nicht so. Deshalb vermeidet er auch, wie viele seiner Amtskollegen, das Wort „Putsch“, obgleich er einräumt: „Das stimmt, Mursi ist gewählt worden, demokratisch gewählt worden.“
Roadmap zur „Versöhnung“
Was die Legitimität der aus dem Putsch hervorgegangenen Regierung unter der Kontrolle des Militärchefs Abdel Fattah al-Sisi angeht, wird Asselborn nur sehr indirekt deutlich, wenn es darum geht, was nun geschehen solle: „Die eigene Roadmap der Übergangsregierung, des Übergangspräsidenten“ müsse umgesetzt werden, „das heißt, schnelle Ausarbeitung einer Verfassung, Wahlen organisieren, legitime Regierung, Militärs in die Kasernen, inklusive aller Schichten der ägyptischen Bevölkerung müssen vertreten sein. Das ist, glaube ich, die Grundbotschaft, die wir geben müssen.“ Das ist v.a. Politikersprech vom Feinsten: Eine Militärregierung soll eine Verfassung ausarbeiten und Wahlen organisieren, aus denen dann eine legitime Regierung hervorgehen soll. Eine Regierung übrigens, die jederzeit wieder damit rechnen muss, vom Militär gestürzt zu werden, weil das ja bereits zuvor zwei Mal im Abstand von zweieinhalb Jahren international akzeptiert wurde.
Ähnlich dubios kaschierte Ahnungslosigkeit sind auch Asselborns Vorschläge zum Ende der Gewalt: „[I]ch weiß nicht, wie man das anders sagen soll, [dass] die Gewalt gestoppt werden muss, aber, damit sie gestoppt wird, braucht man eine nationale Versöhnung. Und hier sind die Militärs und die Übergangsregierung vor allem gefordert.“ Versöhnung klingt gut! Aber was ist damit gemeint, wenn sie von denen ausgehen soll, die offensichtlich bislang am meisten Gewalt ausgeübt haben und sich gleichzeitig weigern, mit denen zu verhandeln, die (auch) „Blut an den Händen“ haben? Und welche Gewalt ist eigentlich gemeint, wenn sie erst enden kann, wenn es „nationale Versöhnung“ gab? Letztlich scheint mit dieser „Versöhnung“ genau die gewaltsame Niederschlagung von Protest bei gleichzeitiger Massenmobilisierung der eigenen, ebenfalls zunehmend militant agierenden Anhängerschaft gemeint zu sein, die wir in diesen Tagen beobachten mussten. Deshalb will Asselborn die Übergangsregierung und ihre „Roadmap“ ja auch weiter unterstützen.
Die Gefahr eines Bürgerkrieges?
Wie gefährlich dieses Vorgehen ist, beschreibt Eric Trager vom Washington Institute for Near East Policy in einem Artikel für die New Republic (4). Nachdem er die Muslimbruderschaft als streng hierarchische Organisation darstellt, schließt er Überlegungen an, ob die Strategie des Militärs zur Lähmung der Muslimbruderschaft nicht zu erfolgreich war: „Indem die oberen Ebenen der Organisation entfernt wurden, hat das Militär einen Strategiewechsel für sie unmöglich gemacht. Es hat nun keine Möglichkeit mehr, die Bruderschaft zu verpflichten, ihre zerstörerischen Proteste aufzugeben und statt dessen wieder in den politischen Prozess einzutreten, was angeblich das Ziel des Militärs ist, weil alle leitenden und lokalen Führer, die ihren Kadern einen Kurswechsel auftragen könnten, von der Bühne verschwunden sind. Schlimmer noch: durch die Desorganisation der geschlossensten islamistischen Gruppe haben die Generäle hunderttausende hochideologisierte Muslimbrüder zu freien Radikalen gemacht, die nicht mehr auf ihre normalerweise vorsichtigen Führer hören werden.“
Obgleich auch das reichlich alarmistisch wirkt, spricht Trager nur von einem drohenden „islamischen Aufstand“, der Ägypten treffen könnte. Andere – auch das ägyptische Militär – gingen bereits vor dem letzten Putsch deutlich weiter und warnten damals schon vor einem „Bürgerkrieg“, ein Wort das seit dem in der Berichterstattung über Ägypten immer wieder auftaucht und damals schon als Anzeichen gewertet werden konnte, dass das Militär nicht eben zimperlich vorgehen würde. Ein Wort, das sicherlich nicht zufällig ins Spiel kam, denn die Aussicht auf einen weiteren Bürgerkrieg in einem an Israel grenzenden Land, durch dessen Suez-Kanal zudem noch durchschnittlich 60 Frachtschiffe und rund eine Million Barrel Öl pro Tag transportiert werden, mag manchen westlichen Politiker, wie etwa Asselborn, zur Nachsicht mit der Putschregierung bewogen haben. Insofern war die Eskalationsstrategie des ägyptischen Militärs absehbar. Je höher die Gefahr eines Zusammenbruchs, desto freiere Hand hat die Militärregierung.
Exzess
Nicht nur die Gewalt in den Straßen und die mediale Hetze, auch das Vorgehen der Justiz trägt jedoch nicht nur moralisch, sondern auch realpolitisch Züge eines Exzesses. Die Anklage gegen Mohammed el-Baradei und v.a. die geplante Freilassung Husni Mubaraks verweisen wie auch das gemeinsame Vorgehen von Militär und Polizei bei der Niederschlagung des Protests auf einen fatalen Kompromiss zwischen altem Regime (in Verwaltung, Justiz und Polizei) und neuer Militärführung, bei dem sich beide Seiten freie Hand lassen und gegenseitig aufschaukeln. Insofern droht die Lage doch auch aus Sicht der Militärführung und ihrer heimlichen Verbündeten im Westen außer Kontrolle zu geraten und auch militärisch weiter zu eskalieren. Dass tatsächlich ein Bürgerkrieg mit mehreren gut bewaffneten und militärisch organisierten Parteien droht, erscheint zwar unwahrscheinlich, anhaltende Auseinandersetzungen mit radikalisierte Muslimbrüder, aus Libyen einsickernden Waffen und Kämpfern wären jedoch durchaus denkbar – und ein willkommener Anlass für die dauerhafte Aufrechterhaltung der Gewaltherrschaft. In dieser Situation ist es nicht nur geboten, deutliche Worte zu finden, sondern die Putschregierung auch als das zu benennen, was sie ist, und alle Unterstützung einzustellen. Der notorisch vorgetragene Verweis auf Saudi Arabien, das angeblich bereits Milliarden in Aussicht gestellt hat, um ausbleibende Militärhilfen der USA zu kompensieren, ist dabei Augenwischerei. Das Argument, dass Regierungen ausbleibende Hilfe oder Handel mit anderen Staaten kompensieren, hat selbst bei „echten“ Sanktionen – etwa gegenüber dem Iran oder Syrien – nie eine Rolle gespielt. Vor allem aber übersieht es, dass Saudi Arabien selbst von westlichen Waffenlieferungen und Ausbildungsunterstützung abhängig ist und das ägyptische Militär eigenständig niemals so kontinuierlich auf dem neuesten Stand halten kann, wie es die USA in den letzten 30 Jahren taten.
Der Verlust der US-Hilfen wäre schmerzlich für die Militärführung, kann aber nur ein Anfang sein. Falls sich die EU tatsächlich für eine „Referenz für die arabische Welt … was Rechtsstaatlichkeit angeht, was Menschenrechte angeht, was Demokratie angeht“ hält, wäre sie ohnehin verpflichtet, den Militärputsch und die Massaker auf den Straßen scharf zu verurteilen und ihre Schlüsse daraus ziehen: Das wäre auch ein erster Schritt, die Macht der Militärs in Ägypten zumindest auf lange Sicht nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Denn wenn Martin Gehlen in der Zeit Online schreibt, „die Armee könnte bald einflussreicher sein als unter Mubarak“, dann ist das noch untertrieben (5). Sie ist jetzt schon mächtiger als je zuvor.
Anmerkungen
(1) „Asselborn: EU muss Ägyptern Perspektive geben“, Interview von Mario Dobovisek mit Jean Asselborn, Deutschlandfunk, 20.08.2013.
(2) Sarah Carr: An account of the Ramses violence, http://www.madamasr.com/content/account-ramses-violence.
(3) Solche Sanktionen stellen oft einen ersten Schritt auch zur militärischen Intervention dar und bereiten ihr auch theoretisch durch eine Einschränkung der Souveränität bzw. der formalen Gleichheit der Staaten den Boden (vgl.: Christoph Fleischmann: Smart Sanctions oder Mittel der Kriegsführung? MDR Politikum vom 07.02.2013). Sie werden deshalb nicht nur wegen ihrer Auswirkung für die Bevölkerung – im Gegensatz zu Einstellung aller aktiven Unterstützungsleistungen – vom Autor nicht befürwortet.
(4) Eric Trager: The Islamic Insurgency That Could Soon Hit Egypt – The danger in destroying the Muslim Brotherhood’s leadership, New Republic, 19.08.2013, http://www.newrepublic.com/article/114367/egypts-muslim-brotherhood-islamist-insurgency.
(5) Martin Gehlen: Der Militärstaat kehrt zurück, in Zeit Online vom 18.08.2013.
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