Montag, 31. August 2020

Industriepark Oberelbe: Brauchen wir einen Industriepark am Feistenberg?



www.ipo-stoppen.com




Die Städte Pirna, Heidenau und Dohna gedenken, am Feistenberg entlang des Autobahnzubringers B172a auf einer Fläche von 150 Hektar den "Industriepark Oberelbe" zu errichten.
Was spricht für den Industriepark Oberelbe?
  1. Ohne neue Jobs überaltert die Region
  2. Die Wirtschaftsstruktur ist nicht ausgewogen 
  3. Das Lohnniveau muss angehoben werden 
  4. Die Kommunen brauchen mehr Steuereinnahmen 
  5. Handel ist auf Kaufkraft angewiesen 
Im verlinkten Artikel der Sächsischen Zeitung wird ausführlich zu den oben genannten Punkten beschrieben, welche Gründe für den Bau des Industrieparks Oberelbe sprechen.
Was spricht gegen den Industriepark Oberelbe?
  1. Das Landschaftsgebiet ist schon durch den Bau der A17 und der B172a stark betroffen und würde mit dem Bau des Industrieparks nachhaltig vollkommen verändert und somit versiegelt werden.
  2. Mensch und Tier sollen einen riesigen Industriepark billigen und versuchen sich damit zu arrangieren. Schon jetzt gibt es durch den abgeschlossenen Bau der A17 und der B172a keine ausreichenden Rückzugsmöglichkeiten für Tiere vieler Arten. Die Trassen bilden Barrieren und zerschneiden die Landschaft. An den Rändern der Autobahn wurden bescheidene Buschreihen an Hängen gepflanzt. Leider sind diese auch umzäunt. Tiere durchbrechen die Barrieren. Dies zeigt, wie sehr die Tiere unter dem Mangel eines Rückzugsgebietes leiden. Das betreffende Gebiet wird bis zum Bau des IPO von konventioneller Landwirtschaft genutzt. Eine weitere Zersiedlung der Landschaft wird keine Verbesserung des Lebens der Menschen und erst recht kein Überleben der Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen darstellen.
  3. Zudem ist ein Lärmschutz an der A17 im Bereich Großsedlitz quasi nicht vorhanden. Seit Jahren sind die Anwohner, besonders in der Nacht, vom Lärm der Autobahn beeinträchtigt. Die Lebensqualität ist gesunken. Mit dem Bau des IPO wird der Lärm zunehmen und Luftqualität weiter verschlechtert.
  4. Ein erhöhtes Verkehrsaufkommen und der damit verbundene Lärm und die Luftverschmutzung wird steigen.
  5. Das Gebiet, das für den Bau des Industrieparks vorgesehen ist, liegt in einer Frischluftschneise, die weite Teile Pirnas mit Kalt- bzw. Frischluft versorgt. Mit dem Bau des IPO würde dies nachhaltig gestört werden.
  6. Versiegelung von 150 Hektar Fläche.
  7. Es besteht weder bezahlbarer Wohnraum, noch die verfügbare Fläche um bezahlbaren Wohnraum für die zusätzlichen Einwohner zu schaffen.
  8. Der öffentliche Nahverkehr bietet zum jetzigen Zeitpunkt keine Pendelmöglichkeit für Beschäftigte des IPO.
  9. Ein Industriepark neben dem Barockgarten Großsedlitz?
Meiner Meinung nach ist das Projekt IPO keine Chance für die Region, es bedeutet nur den weiteren Werteverlust für die hier lebende Bevölkerung.  Niemand kann sich sicher sein, dass die risikoreiche Verwendung von mehr als 100(!) Millionen Euro Steuergelder zum Erfolg führen wird. Zudem treffen einige wenige Politiker und deren Stadträte riskante, irreversible Entscheidungen ohne die Meinung und Zustimmung der Bevölkerung einzuholen. Diese wird erst informiert, wenn „Tatsachen“  geschaffen wurden. Als bestes Beispiel ist der Vorentwurf des FNP der Stadt Heidenau zu nennen.
Was können wir tun?
Der beste Weg ist ein Dialog zwischen den Verantwortlichen des Projektes und den Bürgern der Region. Im Rahmen dieses Dialoges sollen die Vorteile und Nachteile erörtert und gemeinsam diskutiert werden. Wir, die Bürger der Region, sollten dann gemeinsam mit den Verantwortlichen Entscheidungen über das Schicksal des Projektes treffen und dies noch bevor größere Summen an Steuergeldern für das Projekt gebunden werden.
Welche Alternativen wären denkbar?
  1. Teile des Gebietes sollten renaturiert werden , d.h. einen Teil aufforsten und Gewässer anlegen, also eine Basis für die hier lebenden Tiere schaffen.
  2. Umbau der vorhandenen konventionellen Landwirtschaft in eine ökologische Landwirtschaft. Den Landwirten, die den Schritt in die richtige Richtung sollte eine anfängliche Unterstützung in Form Finanzierungsmöglichkeiten angeboten werden. Landwirtschaft ohne Gift funktioniert gibt es bereits und sie funktioniert. Wir können der Natur ein Stück zurückgeben. Wir sollten es sogar.
  3. Einige Streuobstwiesen anlegen, die ebenfalls zur Erhaltung der Artenvielfalt beitragen und den Menschen in der Region mit frischem Obst versorgt.
  4. "Kleinere" Gebiete zur Erschließung von Gewerbe und Industrie ausweisen, mit der  Vorgabe ein "Ausgleich" für ihre umweltbelastenden Verfahren zu schaffen. Stets umschlossen von großzügig angelegten Mischwald.
  5. Bereits bestehende Straßen ausbauen, d.h. umweltbewusste Gestaltung von Fahrtwegen und Schaffung von (Unter-)Querungsmöglichkeiten für die in der Region lebenden Tiere.
Wird es nicht Zeit, dass Sie wir und vor allem Sie, liebe Verantwortlichen des Projektes, aus Fehlern lernen und die Zukunft gemeinsam gestalten? Viele Bürger und Bürgerinnen dieser Region haben Ideen und möchten sich mit diesen einbringen. Wir, die Bürger, wollen respektiert werden. Wenn niemand mit uns kommuniziert, wie sollen wir eventuelle Vorteile des Projektes verstehen?
Gern stehe ich für Rückfragen zur Verfügung und stelle Kartenmaterial bereit. Wenn jemand Ideen, Anregungen oder Kritik mitteilen möchte, so bitte ich darum einen Kommentar zur Petition zu verfassen.
Informationsquellen:
Ein satirischer Kommentar zum Industriepark Oberelbe.
Im geplanten IPO der Kommunen Pirna, Dohna und Heidenau dürfen Industrieanla-gen gemäß der 4.Bundesimmissionschutzverordnung (4.BIDSchV, Anlage 1) gemäß der § 19 (mit Öffentlichkeitsbeteiligung) und § 10 (ohne Öffentlichkeitsbeteiligung) angesiedelt werden. Ein Ausschluss spezieller Industrieanlagen erfolgte durch die IPO-Planer bisher nicht. Unter die genehmigungsfähigen Anlagen fallen neben Müll-verbrennung, Tierkörperverwertung, Kraftwerke und Chemieanlagen jeder Art, La-gerung gefährlicher Stoffe auch industrielle Tiermastanlagen, so z.B. für mehr als 40.000 Stück Mastgeflügel oder auch mehr als 2000 Mastschweine. Es ist bekannt, dass der IPO zum großen Teil in einem für Pirna wichtigen Kaltluftentstehungsgebiet errichtet werden soll, dessen Luft sich selbst bei Windstille in die Talregion von Pir-nas Stadtzentrum bewegt. Nun könnte man meinen, es sei Geschmacksache, ob den Pirnaern die zu erwartende „würzige Landluft“ industrieller Tiermastanlagen zusagt oder nicht. (Die Einwohner von Krebs wissen schon lange, wovon hier die Rede ist.) Nein, hier handelt es sich um handfeste gesundheitsgefährdende Szenarien: Das aus Mastställen entweichende gasförmige Ammoniak (NH3) ist insgesamt für 45% an der Feinstaubbildung beteiligt, so dass in Gebieten solcher ländlicher Emissionen die Feinstaubbelastung ähnlich hoch ist wie im Zentrum von Großstädten (s. z.B. ARD, Monitor vom 17.1.19) Hinzu kommt die Feinstaubbelastung durch den Autobahnzu-bringer und der Südumfahrung. Dieser Schadstoffmix würde also ständig aus westli-cher Richtung über die Wohngebiete am Feistenberg und am Postweg in die Pirnaer Tallage hinab wabern. Bundesweit verursacht dies statistisch 50.000 vorzeitige To-desfälle pro Jahr, besonders bei ohnehin Lungen- und Herzkreislauf belasteten Ein-wohnern, die Erkrankungen als solche nicht mit gerechnet. Und in Pirna?

Bündnis 90/Die Grünen Pirna

Gemeinsam gegen Tönnies

Im schleswig-holsteinischen Kellinghusen haben Gewerkschafter, Tier- und Umweltschützer gegen den dortigen Schlachthof demonstriert

  • Von Dieter Hanisch
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  • 30.08.2020, 17:13 Uhr
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  • Lesedauer: 3 Min.
    • Rund 250 Teilnehmer zählte am Sonnabend die größte Demonstration, die die Kleinstadt Kellinghusen in Schleswig-Holstein seit Jahrzehnten erlebt hat. Die anwesende Polizei blieb bis auf die Regelung des Straßenverkehrs komplett arbeitslos. Die Demo richtete sich gegen den dortigen Tönnies-Schlachthof. Es war nicht die einzige Aktion gegen den Konzern in jüngster Zeit, immer häufiger wird gegen die Zustände in dem Unternehmen protestiert.
      Einheimische fühlten sich an die Zeiten gut besuchter Ostermärsche der Friedensbewegung vor der damalige Kaserne in dem Ort erinnert, in der sich ein mit nuklearen Sprengkörpern bestücktes Sondermunitionslager der US-Streitkräfte befand, oder an eine Demonstration gegen eine Versammlung norddeutscher Neonazis 1987. Diesmal brachte die Empörung über eine Ankündigung aus dem Hause Tönnies gegenüber 30 Beteiligten einer spektakulären Tierrechtsaktion im Herbst 2019 die Menschen auf die Straße. Darin wird eine zivile Schadenersatzforderung in Höhe von 37 354 Euro geltend gemacht, weil die »Tear Down Tönnies«-Aktivisten sich unter anderem an der Verladerampe des Schweineschlachtbetriebs angekettet und damit die Schlachtung für mehrere Stunden zum Erliegen gebracht hatten. Ein Polizeisprecher äußerte seinerzeit Verständnis für die Aktion und fing sich dafür aus dem Kieler Innenministerium und von seinen Vorgesetzten eine Rüge ein.
    • Ein Bündnis aus Gewerkschaftslinken von »Jour Fixe« aus Hamburg, Tier- sowie Umweltschützern hat nun zu einem Solidaritätsbündnis im Rahmen von »Gemeinsam gegen die Tierindustrie« zusammengefunden. Es wurde von Lorenz Gösta Beutin, klimapolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, unterstützt. Er wies darauf hin, dass wegen der hingenommenen Versäumnisse beim Klimaschutz, zu der auch die Thematik der Massentierhaltung gehört, die Protestform des zivilen Ungehorsams notwendig sei. Vor Ort sind es seit Monaten Grüne und Linke, die fordern, dass die letzte Stunde für den Schlachthof geschlagen hat, der derzeit 4300 Schlachtungen pro Tag vornimmt. Anlässlich der Demonstration am Rande seines Firmengeländes hatte der Betrieb indes offenbar den üblichen Arbeitsablauf umgestellt, vermisste man doch die sonst kontinuierlich anrollenden Viehtransporter.
      Während sich Kellinghusens Bürgermeister Axel Pietsch den Demo-Zug durch die Ortsmitte aus gebührendem Abstand neben seinem Fahrrad ansah, reihten sich Angehörige der Bürgerinitiative »SAUstarkes Kellinghusen« ins Bündnis ein. Kalle Spaymann von der Initiative verwies auf die Ankündigung des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil, dass die Zeit der runden Tische vorbei sei. Also gelte es, den SPD-Politiker beim Wort zu nehmen und ihn stetig an seine Versprechung zu erinnern, so Spaymann, der auch über die ökologischen Belastungen durch den Schlachthof berichtete und fragte, warum Tönnies ein Wasserpreisrabatt von 67 Prozent im Vergleich zu einem Normalhaushalt gewährt werde.
    • Annica, Aktivistin von »Tear Down Tönnies«, sagte, niemand lasse sich von Tönnies durch irgendwelche Drohgebärden einschüchtern. »Die Androhung einer Schadenersatzklage hat bereits eine enorme Spendenwelle als Unterstützung losgetreten.« Spontan entschloss man sich am Sonnabend, dass es bereits am 5. September vor dem Schlachthof in Kellinghusen wieder eine nächste Mahnwache geben soll. Am zweitgrößten Tönnies-Standort in Weißenfels gehen ebenfalls am 5. September Umweltschützer vom BUND und Naturfreunde unter der Losung »System Tönnies stoppen!« auf die Straße. Anlässlich der anstehenden Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen wird zudem für den 11. September nach Düsseldorf mobilisiert. Dort wird unter dem Motto »Tönnies dicht machen! Kuschelkurs mit Fleischindustrie stoppen!« demonstriert.
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Nach Anschlägen auf Frauenhäuser und linke Projekte: Anklage gegen mutmaßlichen AfD-Unterstützer

  • Politik
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  • Brandanschläge auf Frauenhäuser

Noch ein Brandstifter

Nach einer Serie von Brandanschlägen auf Frauenhäuser, linke Kulturzentren und alternative Wohnprojekte in der Bankenmetropole Frankfurt am Main und zwei weiteren Städten im Rhein-Main-Gebiet gibt es nun einen Tatverdächtigen. Der Fall könnte wegen Versäumnissen der Behörden auch ein parlamentarisches Nachspiel haben.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main bestätigte am Freitag auf nd-Anfrage, dass sie bereits im Mai Anklage gegen einen 47-Jährigen wegen 16 Taten erhoben habe, die zwischen Dezember 2018 und Dezember 2019 in Frankfurt, Hanau und Oberursel verübt wurden. Dabei handele es sich um Sachbeschädigung sowie versuchte und schwere Brandstiftung. Seit der letzten Tat befinde sich der Beschuldigte Joachim S. in Untersuchungshaft. Wann es zu einem Prozess vor dem Landgericht kommen wird, könne sie noch nicht sagen, erklärte eine Behördensprecherin. Die zuständige Strafkammer habe noch keinen Hauptverhandlungstermin anberaumt.
Brände hatte es unter anderem in den linken Treffpunkten »Café Exzess« im Frankfurter Stadtteil Bockenheim, in den Wohnprojekten »Assenland« und »Au« im Stadtteil Rödelheim sowie im »Lila Luftschloss« im Frankfurter Nordend gegeben. Weitere Angriffsziele des Täters waren das Hanauer Kulturzentrum »Metzgerstraße 8« und eine Einrichtung in Schwalbach (Main-Taunus-Kreis). In den meisten Fällen entstand größerer Sachschaden, verletzt wurde niemand. Betroffen waren dem Vernehmen nach auch selbstverwaltete Wohnhäuser im Rahmen des Projekts »Mietshäuser Syndikat«.
Inzwischen verdichten sich die Hinweise darauf, dass den Taten ein politisches Motiv zugrunde liegt. So habe Joachim S. im Frühjahr 2017 zunächst 65 Euro und im Spätsommer 2018 einen weiteren Betrag von knapp 1700 Euro an den hessischen AfD-Landesverband gespendet, berichtete die »Frankfurter Rundschau«. Der AfD-Landesverband wollte sich unter Verweis auf den »Datenschutz« nicht dazu äußern und erklärte lediglich, S. sei zu keinem Zeitpunkt Parteimitglied gewesen.
Kritiker weisen unterdessen darauf hin, dass Anwesende im Hanauer Projekt »Metzgerstraße 8« Joachim S. im Dezember 2018 festgehalten und der Polizei übergeben hätten, als er dort einen Brand gelegt hatte.
Obwohl S. bereits wegen Brandstiftung vorbestraft war – 2002 war er wegen einer solchen Tat vom Landgericht Darmstadt zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden –, wurde er damals nicht in U-Haft genommen.
Wie der Hessische Rundfunk berichtete, wurde S. in den folgenden Monaten mindestens zwei weitere Male in der Nähe von Brandorten von Polizisten festgenommen. Doch jedes Mal kam er bald darauf wieder auf freien Fuß. Erst im Dezember 2019 wurde er nach einer weiteren Brandstiftung verhaftet. Dem Zugriff seien »aufwändige verdeckte Ermittlungen« vorausgegangen, erklärte die Frankfurter Staatsanwaltschaft seinerzeit.
Die Linksfraktion im Wiesbadener Landtag hatte seit anderthalb Jahren Anfragen an die Landesregierung zu den Hintergründen der Brandstiftungen gestellt. Ihr innenpolitischer Sprecher Hermann Schaus verlangt nun in zwei Berichtsanträgen vom hessischen Innenministerium Aufklärung über die Arbeit und Erkenntnisse der Strafverfolgungsbehörden. »Im Verfassungsschutzbericht 2018 taucht das gesamte Ereignis absurderweise dann auch noch unter Linksextremismus auf – bizarrer geht es nicht«, moniert Schaus und fügt hinzu: »Dass diese Taten einen offensichtlich rechten Hintergrund hatten, wurde im Landtag und im VS-Bericht schlicht verschwiegen.«
Mit Blick auf den fragwürdigen Umgang der Behörden mit der Brandserie verweist Schaus darauf, dass auch die wegen des Mordes an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor Gericht stehenden Rechtsterroristen Stephan E. und Markus H. Unterstützer und Spender der AfD gewesen seien. Der Abgeordnete forderte die hessische AfD auf, die von Joachim S. überwiesenen Spendengelder umgehend an eine in der Seenotrettung im Mittelmeer engagierte Hilfsorganisation für Flüchtlinge zu übergeben. »Wer auf die Unterstützung von Terroristen und Brandstiftern baut, trägt in unerträglicher Weise dazu bei, das gesellschaftliche Klima zu vergiften«, so Schaus.
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Leo Fischer erklärt die neuen Corona-Verordnungen der Bundesregierung

Die Fallzahlen steigen wieder, Gott sei’s geklagt! Besinnungslos Feierwütige und hoffnungslos Unvorsichtige, die zum Beispiel die Schulpflicht wieder wahrnehmen, haben wieder für Neuinfektionen gesorgt, wie wir sie zuletzt im Mai hatten - im Mai 1349, dem Zeitalter des Schwarzen Tods. Denn einerseits sind natürlich alle tief besorgt, andererseits will gleichzeitig niemand auch nur ein Iota an seinem gewohnten Lebensstil ändern. Um diesem Umstand sowie der Armee der Clowns Rechnung zu tragen, die in diesen Tagen auf Geheiß eines porschefahrenden Kochs und eines frömmelnden Schnulzensängers durch Berlin kaspern, haben am Donnerstag Kanzlerin und Länderchefs über neue Corona-Regeln beraten.
Und Potzblitz: Die haben es sich in sich, diese neuen Regeln! Veranstaltungen mit über 100 000 Personen bleiben verboten, private Feiern mit mehr als 50 000 Personen ebenfalls. Pech für die Gastro-Branche: In Restaurants und Kneipen muss weiterhin ein Mindestabstand von anderthalb Zentimetern herrschen. In Innenräumen, die nicht belüftet werden können, wie etwa Bunkern oder Kühlschränken, gilt eine strenge Maskenpflicht, die jetzt in Extremfällen sogar mit einem Bußgeld von bis zu 5 Euro durchgesetzt werden kann. (Große Ausnahme ist hier das Bundesland Sachsen-Anhalt; Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) möchte damit gegen die »korrupte CDU-Corona-Diktatur des Satanisten-Reptils Merkel« protestieren.)
Leo Fischer war Chef des Nachrichtenmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik unterbreitet er der aufgeregten Öffentlichkeit nützliche Vorschläge.
Leo Fischer war Chef des Nachrichtenmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik unterbreitet er der aufgeregten Öffentlichkeit nützliche Vorschläge.
Auch andere Auflagen werden verstärkt: Reiserückkehrer aus Landstrichen, die aus Extremrisiko-Gebieten stammen, sollen ihre Personalien freiwillig in eine Excel-Tabelle schreiben, die eine einzelne Mitarbeiterin im Büro von Markus Söder auswertet. Auf Partys sollen aus Gründen des Jugendschutzes alkoholhaltige Mischgetränke an Minderjährige nur mehr bis zwei Uhr nachts ausgeschenkt werden - »mehr passt in so Halbstarke auch gar nicht rein«, so Söder feixend. Opern dürfen nur mehr zu einer Maximallänge von zweieinhalb Stunden auf die Bühnen, danach ist für jede Arie ein Bußgeld von 50 Euro fällig.
In zuletzt stark kritisierten Betrieben wie dem Schweineschlachter Tönnies müssen die als Werkswohnungen deklarierten Menschensilos mit gut sichtbaren Warn-Banderolen von der Außenwelt abgeschirmt werden. In anderen Betrieben, etwa der Logistikbranche, ist weiter Kurzarbeit angesagt; sollten sich in den Gängen die Leichen von Mitarbeitenden in Höhe von mehr als 50 Zentimetern stapeln, verlangt eine neue Verordnung kontinuierliches Lüften.
Diese drakonischen Maßnahmen sind für Corona-Leugner bzw. Menschen, die sich für die Rechte von Verschwörungs-Demos einsetzen (Bild, FAZ, SZ usf.), Kennzeichen einer heraufdämmernden Diktatur; sie dürften demnach bald wieder gelockert oder mit einem anderen, gleichermaßen sinnlosen Maßnahmenkatalog ersetzt werden. Auf keinen Fall, so Merkel und die Ministerpräsidentenrunde einhellig, dürfe am derzeitigen Wirtschafts- und Beschäftigungssystem irgendwas geändert werden. »Die Leute haben ja schon vorher gearbeitet bis zum Umfallen«, so ein Teilnehmer, »wenn sie wegen Corona umfallen, haben sie dabei wenigstens was für den Standort getan«.
Die »Stimme der Vernunft« plädiert dafür, diesen Rhythmus aus Lockerungen und Neuverkrampfungen noch einige Jahre durchzuhalten. Er wird die Leute bis zur Entwicklung eines Impfstoffs auf Trab halten, die Wirtschaft ankurbeln und eine wahrscheinlich insgesamt noch gut verkraftbare Anzahl von Betroffenen einen elendigen Tod oder Spätfolgen leiden lassen - deren Ent- bzw. Versorgung ja auch wiederum der Wirtschaft nutzt. Denn die Wirtschaft, die muss laufen! Bis zum letzten röchelnden Atemzug.
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Kommt die zweite Welle?

Die Öffentlichkeit folgt gebannt den neuesten Zahlen der frisch auf Sars-CoV-2 positiv Getesteten. Medien deuten jeden Anstieg als Vorläufer der nächsten Welle, Politiker erwägen Veränderungen der Hygieneauflagen. Das ist auch in Deutschland so. Für fundierte Einschätzungen und erst recht für Entscheidungen ist der Blick jedoch zu weiten: Auf die Zahl der Verstorbenen, der schwer oder leicht Erkrankten. Das Robert-Koch-Institut (RKI) erstellt tägliche Lageberichte, denen einige dieser Angaben zu entnehmen sind. Auch wenn es Ungenauigkeiten gibt, die sich etwa aus Meldeverzögerungen ergeben, sind die Zahlen doch zunächst ein Anhaltspunkt.
Schwieriger ist es, allgemeingültig zu erfassen, was nach dem Zeitpunkt der Testung passiert. In der schlechtesten Variante steht am Ende der Tod des Covid-19-Patienten. Mit Stand vom vergangenen Mittwoch waren in Deutschland 3,9 Prozent aller bestätigten Fälle verstorben, insgesamt 9280 Personen. Bis zu diesem Datum, dem 26. August, waren insgesamt 236 429 Fälle erfasst.
Noch einmal Glück hatten unter ihnen jene 34 Prozent, die zum Zeitpunkt der Testung ohne Symptome waren oder das am Ende auch blieben. Die Zahl der Genesenen ist eine weitere wichtige Größe. Sie wird meist über einen Algorithmus geschätzt, dazu zählen Fälle 14 Tage nach Krankheitsbeginn oder sieben Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus. Das RKI kommt hier auf 210 660 Personen. Jedoch ist dabei nicht bekannt, wie schwer die Krankheit verlief. Erfasst wurde nur die Häufigkeit bestimmter Symptome. Solche Angaben wiederum liegen aber nur für 83 Prozent der Fälle vor. Von diesen hatten 45 Prozent Husten, 38 Prozent Fieber und ein Fünftel Schnupfen, fast ebenso viele Halsschmerzen. Drei Prozent erlitten eine Lungenentzündung. Nicht bekannt ist, wie schwer diese Symptome waren und wie lang sie anhielten. Wer genaueres wissen will, muss einzelnen Studien suchen.
Bei den Genesenen gibt es wichtige Unterschiede: Ein Teil erreicht die vorherige Leistungsfähigkeit wieder. Eine andere Gruppe hat aber auch in den Folgemonaten zu kämpfen - mit körperlicher Schwäche, Atemnot, Schmerzen in Brust und Gliedmaßen, Schwindel. In internationalen Studien, vor allem aus Industrieländern, ist die Rede von bis zur Hälfte der Erkrankten, die nach Wochen oder Monaten noch nicht wieder fit sind. In Deutschland gibt es noch keine flächendeckende Nachbetreuung und Erfassung derartiger Fälle. Eine sogenannte Post-Covid-Ambulanz in Hannover versorgt diese Patienten. In Berlin haben die 30 Covid-19-Schwerpunktpraxen ein ambulantes Register zu dem Thema angeregt,
Relativ einfach lässt sich die Situation bei den Schwerkranken nachvollziehen. Stationär aufgenommen wurden bislang etwa 32 000 Infizierte. Am vergangenen Mittwoch waren in der gesamten Bundesrepublik 228 Menschen noch in intensivmedizinischer Behandlung, von denen 133 beatmet wurden. Bis zu diesem Tag war die Behandlung in etwa 16 500 Fällen abgeschlossen. Davon verstarben 4011 Erkrankte. Bei diesen Zahlen ist aber zu berücksichtigen, dass sie aus dem DIVI-Intensivregister stammen. Dorthin muss erst seit dem 16. April von jenen Krankenhäusern gemeldet werden, die Intensivbetten vorhalten.
Ein Vorteil der Kliniken für die Dokumentation der Krankheitsverläufe ist, dass die Patienten hier konzentriert sind, meist in extra Abteilungen. Das ermöglicht einen schnelleren Überblick, wie eine Studie aus 86 Krankenhäusern der Helios-Gruppe zeigt. Hierfür wurden die Daten von 1904 Covid-19-Patienten erfasst. Demnach wurden zwei von drei Intensivpatienten künstlich beatmet. Jeder dritte beatmete Intensivpatient starb, bei den übrigen Intensivpatienten war es jeder vierte. Die Ergebnisse entsprechen einer anderen Studie mit mehr als 10 000 Patienten aus insgesamt 920 Kliniken in Deutschland. Auch hier hatten Beatmungspatienten eine Überlebenschance von weniger als 50 Prozent. Von den stationär aufgenommenen Patienten ohne Beatmung starben 16 Prozent, in den Helios-Kliniken waren es 25 Prozent.
Der Verlauf der Erkrankung bei den nicht stationären Fällen ließe sich genauer durch die Auswertung von Routinedaten der Krankenversicherungen erfassen. Das geschieht bereits, allerdings laufen diese Angaben mit unterschiedlichem Tempo bei den Kassen ein. Bei den Krankschreibungen lässt sich am schnellsten eine Entwicklung erkennen. So meldete die Barmer unlängst, dass innerhalb von vier Wochen im Juni und Juli in der Gruppe der bis zu 39-Jährigen 31 Prozent mehr AU-Bescheinigungen wegen Covid-19 ausgestellt wurden als im gleichen Zeitraum zuvor. In der Gruppe ab 40 Jahren sei diese Zahl nur um ein Prozent gestiegen. Ambulante Diagnosen kommen jedoch bei den Kassen mit stärkerem Verzug an, Medikamentenabrechnungen ebenso. Gesicherte Schlussfolgerungen können die Kassen erst bis zu ein Dreivierteljahr später liefern. Natürlich sind das nicht die einzigen Quellen, aber sie gehen von den Daten von Millionen Versicherten aus.
Mit entsprechendem Wissen ließen sich am Ende nicht nur die Ressourcen des Gesundheitswesens besser planen. Auch Hygieneregeln könnten genauer angepasst werden. Vor den Gesundheitswissenschaften stehen also einige Herausforderungen. Noch ein Dämpfer zum Schluss: Aus den vorhandenen epidemiologischen Daten lässt sich kein individuelles Risiko ableiten, davor warnt auch das RKI. Und, abgesehen von jetzt wieder ansteigenden Infektionszahlen: Die Zahl der intensivmedizinischen Behandlungsfälle in den letzten zwei Monaten bildet im Verlauf eine fast schnurgerade Linie auf niedrigem Niveau. Ein ebensolches flaches Plateau zeigt sich seit Anfang Mai bei den Todesfällen. Zumindest daraus lässt sich keine jahreszeitliche Varianz der Pandemie ableiten.

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Robert Kennedy Jr. war Starredner bei der Corona-Demo

Antikommunist

Einst prägte sein berühmter Onkel den Satz »Ich bin ein Berliner«, am Samstag peitschte Robert F. Kennedy in Berlin einer Masse aus Corona-Maßnahmengegnern, Nazis, Verschwörungstheoretikern und Eso-Hippies ein. Für seine kruden Thesen – zum Beispiel, dass die Coronapandemie seit Jahrzehnten geplant sei und für die Einführung einer Digitalwährung genutzt werde, die der Beginn einer Sklaverei sei – erhielt der 66-Jährige viel Applaus.
Zwar schimpft der Rechtsanwalt, Umweltaktivist und Impfgegner gegen eine Elite von Milliardären, doch als Spross der Kennedy-Dynastie genoss er selbst so manches Privileg. Der Neffe von John F. Kennedy und Sohn von Robert »Bobby« Kennedy ging schon als Grundschüler an Eliteschulen, ein Studium unter anderem in Harvard folgte. Nicht zuletzt sein berühmter Nachname wird dem Unterstützer des einstigen US-Präsidentschaftskandidaten Al Gore manche Tür geöffnet haben.
Seit Jahren macht Kennedy als Impfgegner von sich reden und behauptet, dass es einen Zusammenhang zwischen Kinderimpfungen und Autismus gebe. Seiner Familie gehen seine Äußerungen schon länger zu weit. Er sei Teil einer »Kampagne, die Institutionen angreift, die sich für die Verringerung der Tragödie vermeidbarer Infektionskrankheiten einsetzen«, schrieben einige Kennedys vergangenes Jahr in einem offenen Brief.
Corona dürfte eine Familienwiedervereinigung erschwert haben. Im Mai unterstütze der Katholik ein verschwörungstheoretisches Pamphlet mehrerer Bischöfe, in dem behauptet wird, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie der »Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht« seien. Dass Kennedy mit seiner verkürzten Kapitalismuskritik Antikommunist ist, machte er in Berlin noch einmal deutlich. Natürlich musste er dafür seinen Onkel bemühen, der vor fast 60 Jahren im damaligen Westberlin an der »Front gegen den Totalitarismus« gesprochen habe.
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35000 Hippies, Verschwörungstheoretiker, und Neonazis trafen sich zur »Coronademo« von »Querdenken 711« in Berlin

Glitzer, Gates und Neonazis

Am Samstag demonstrierten in Berlin über 35 000 Menschen gegen die Corona-Beschränkungen der Bundesregierung. Das Bündnis »Querdenken 711« und zahlreiche Größen der rechtsextremen Szene hatten zu mehreren Demonstrationen aufgerufen.
Ein Demonstrationszug mit 18 000 Teilnehmenden wurde um 13 Uhr an der Friedrichstraße/Torstraße von der Polizei aufgehalten, weil die Protestierenden keine Abstände einhielten und sich verweigerten, stattdessen Masken aufzusetzen. Am frühen Nachmittag versammelten sich dann Zehntausende zur Großkundgebung an der Siegessäule. Während des Tages kam es an mehreren Stellen im gesamten Innenstadtgebiet zu Zusammenstößen mit der Polizei, unter anderem an der russischen Botschaft. Am frühen Abend warfen rechtsextreme Protestierende Flaschen und Steine auf Beamte, mindestens 200 Personen wurden festgenommen. Wie Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) auf einer Pressekonferenz sagte, waren rund 3000 Polizist*innen im Einsatz.

Auf dem Bebelplatz galt Abstand gegen Rechts

nd-Kompakt

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Noch bevor die Teilnehmenden der »Querdenken«-Demo die Berliner Innenstadt fluteten, versammelten sich die Gegendemonstranten: Pünktlich um Neun bauten Aktivist*innen einen kleinen Stand mit Plakaten und bunten Ansteckern auf dem Bebelplatz auf. In den vergangenen Tagen hatte ein bundesweites Bündnis antifaschistischer Verbände, darunter die »VVN-Bda«, »Omas gegen Rechts«, diverse Parteien und Gewerkschaften zu der Gegenkundgebung unter dem Motto »Abstand halten gegen Rechts« aufgerufen. Ziel sei es, nicht zuzulassen, dass »Nazis unwidersprochen durch das Zentrum Berlins marschieren«, hieß es darin.
Es sei unerträglich, dass die Querdenken-Demo Faschisten in ihren Reihen duldet, sagte Irmgard Wurdack vom Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus«, gegenüber »nd«. Dadurch würden Faschisten verharmlost, ihnen eine Bühne, ein Resonanzboden und ein ungeahnt großes Publikum geboten. Sie wies darauf hin, dass auch der rechtsextreme AfD-Politiker Björn Höcke und der Sprecher der Identitären Bewegung in Österreich zu der Querdenken-Demo aufgerufen hätten. Auch Hanna Reichhardt, stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos, betonte, dass die Mobilisierung zur »Querdenken«-Demo maßgeblich aus rechten Organisationen stattgefunden habe. Leute, die den Aufrufen von offen Rechtsextremen wie der Partei des »III. Weg« blind folgten, seien »genauso gefährlich, wie die Nazis selbst«, da sie ihre menschenfeindlichen Ideologien unterstützten.

Zubringerdemo hält keine Auflagen ein – und wird aufgelöst

Ab 11 Uhr versammelten sich dann bis zu 18.000 Menschen auf der Friedrichstraße. Ihr ursprünglicher Plan, eine Runde durch Berlins Innenstadt zu ziehen, um sich dann der Hauptkundgebung von »Querdenken« an der Siegessäule anzuschließen, scheiterte frühzeitig. Die Polizei stoppte den Demonstrationszug gegen Mittag an der Torstraße, da keine Abstände eingehalten wurden und auch ihr Vorschlag, stattdessen Masken aufzusetzen, flächendeckend ignoriert wurde. Stattdessen skandierten die Demonstranten »Diktatur« und »Widerstand«. Einige riefen die Polizisten auf, sich ihnen anzuschließen, andere meinten, unter den Uniformen seien sowieso nur »ferngesteuerte Roboter«. Die Polizei löste diesen Teil der Demonstration ab 13 Uhr auf, was mehrere Stunden andauerte.

An der Siegessäule sprechen die Verschwörungstheoretiker

Am Nachmittag strömten dann Zehntausende in Richtung Siegessäule, um an der Großkundgebung von »Querdenken 711« teilzunehmen. Auch hier zeigte sich wieder ein Mix an Hippies, Verschwörungstheoretikern und Corona-Leugnern, wobei eine zunehmende Zahl an offen erkennbaren Reichsbürgern und Neonazis im Strom mitlief. Unter den Linden kam es zu einem kurzen Aufeinandertreffen mit spontan versammelten Antifaschist*innen. Nach Tagesspiegel-Informationen wurde dabei einem Antifaschisten von einem Anhänger der rechten Hooligan-Szene ins Gesicht geschlagen.
Berlins Innensenator Geisel schätzt, dass sich etwa 35 000 Demonstrierende zum Beginn des Bühnenprogramms von »Querdenken711« auf den Straßen, Wiesen und Treppen rund um den großen Stern einfanden. Auch hier forderte die Polizei und der Veranstalter die Teilnehmenden unter Buhrufen wiederholt auf, die Abstände einzuhalten. Ordner mit gelben Westen begrenzten den Zufluss, – was eher weniger als mehr gelang.
Pünktlich um 15:30 Uhr eröffnete der Initiatior Michael Ballweg die Kundgebung mit dem Verlesen einiger Grundgesetze und dem Verweis auf den Artikel 146, der garantiere, dass das deutsche Volk sich eine neue Verfassung geben könne. Daraufhin erklärte er die Kundgebung zu einer »verfassungsgebende Versammlung«. Er forderte, alle zum Schutz vor dem Virus erlassenen Gesetze unverzüglich aufzuheben. Auch müsse die Bundesregierung geschlossen zurücktreten. Für diese Worte gab es minutenlangen Beifall. Die Zuschauer skandierten »Merkel muss weg« und »Wir sind das Volk«. Anschließend warnte er vor fremden »Aggressoren«, die die Polizei attackierten, um den Protest zu behindern, und behauptete, dass es unter den »Querdenkern« keine Rechtsextremen gäbe. Kurz danach sagte er allerdings, die »Querdenken«-Bewegung kenne weder Links noch Rechts.
Als Star-Redner präsentierte Ballweg den Neffen des ehemaligen US-Präsidenten von John F. Kennedy, Robert Francis Kennedy Junior. »Bill Gates hat seit Jahren diese Pandemie geplant«, sagte dieser. Bill Gates, Milliardär und Gründer von Microsoft, dient den Verschwörungsideologen schon lange als Projektionsplattform für ihre diffusen und antisemitischen Vorstellungen. Die Basis: Seine Stiftung, die Bill & Melinda Gates Foundation, ist einer der größten Geldgeber der Weltgesundheitsorganisation. Zudem setzt Gates sich öffentlichkeitswirksam für eine rasche Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid-19 ein. Kennedy Jr. behauptete weiter, der einzige Weg, Menschen zu versklaven, sei Ihnen Angst zu machen. Die deutsche Regierung habe die Pandemie genutzt, um »uns« das neue Mobilfunknetz 5G unterzuschieben. »Damit werden sie uns kontrollieren!«, brüllte er den jubelnden Massen zu.
Diese waren sich allerdings nicht immer so einig. So wurde ein Redner, der sich als Grünen-Politiker zu erkennen gab, ausgebuht. Auch sorgte ein Sprecher, der sich selbst als Marxist bezeichnete, für Raunen und Verwirrung im Publikum. Immer wieder kam es zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen den Zuschauern, so zum Beispiel in der Frage, ob man die Abstandsregeln einhalten solle, die von der Bühne aus durchgesagt wurden, damit die Kundgebung nicht aufgelöst werde.

Rechtsextreme versuchen, den Reichstag zu stürmen und greifen Polizisten an

Eine eindeutig rechtsextreme Demo fand zum gleichen Zeitpunkt mit etwa 300 Teilnehmern vor dem Reichstag statt. Die Redner sprachen von »Rassen«, »Schafen und Wölfen« und beschimpften Politiker als »Kindermörder« - bedienten sich also einer klaren Neonazi-Rhetorik. Auch äußerte sich ein Bühnenredner offen antisemitisch, indem er von der »Elite«, die auch die Redner der »Querdenken«-Demo als Schuldige benannten, als das »beherrschende Volk der Juden« sprach. Später versuchten Hunderte, den Reichstag »zu stürmen«. Die Polizei griff ein und löste die Demo auf. Es kam zu Festnahmen.
Gegen 18 Uhr kam es ebenfalls zu einer Gewalteskalation vor der russischen Botschaft. Innensenator Geisel sprach von etwa 3000 Rechtsextremisten und Reichsbürgern, die Steine und Flaschen auf Polizisten warfen. Etwa 200 Demonstranten wurden festgenommen, darunter auch der Vegan-Koch Attila Hildmann, der immer wieder durch Antisemitismus und Volksverhetzung auffällt.
Den ganzen Tag über beobachteten unsere Reporter*innen, die sich auch unter die Demonstrierenden mischten, bizarre Szenen. So versuchten zum Beispiel die Verteiler des rechtsextremen »Compact-Magazin«, Demonstranten von dem Mythos des »Aussterbens der Jahrtausende alten deutschen Kultur« zu überzeugen, während diese ihnen die Schönheit der Meditation nahe zu legen versuchten. Auch trafen sie mehrere Menschen auf der »Querdenker«-Demo, die antifaschistische Symbole trugen. Darauf angesprochen sagten diese, sie seien hier, damit die Linke die freiheitsliebenden Menschen der Mitte nicht verliere. Die antifaschistische Gegenpositionierung halten sie für falsch. Sie seien allerdings angepöbelt worden.
Für uns als Team war es schwer, mit Mund-Nase-Schutz zu berichten. Selbst ohne Maske wurden wir beim Filmen und Fotografieren mehrfach angeschrien, für wen wir denn berichteten. Ein Demonstrant beschimpfte unsere Reporterin als »Lügenpresse«.
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Tauende protestieren gegen Abriss von fünf Dörfern für Abbau von Braunkohle durch Energiekonzern RWE

Braunkohlegegner besetzen Bagger

Erkelenz. Braunkohlegegner haben am Sonntag einen Kohlebagger im rheinischen Tagebau Garzweiler besetzt. Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer, die sich vor Ort an einer Kundgebung beteiligte, verteidigte die Aktion. Die Ungerechtigkeit sei hier so groß, dass man sich dagegen wehren müsse, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Am Nachmittag beendete die Polizei die Aktion.
An der Kundgebung beteiligten sich nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 1000 und 3000 Menschen. Sie stellten sich, unter Einhaltung der Abstandsregeln, in einem Ring um das Dorf Lützerath, das zur Braunkohlegewinnung weggebaggert werden soll.
»Inmitten der Klimakrise alte Dörfer samt historischer Kirchen, Schulgebäuden und fruchtbaren Äckern für einen riesigen Tagebau zu opfern ist ein unverzeihlicher Fehler«, kritisierte der Greenpeace-Klimaexperte Bastian Neuwirth. »Wenn Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) als potenzieller Kanzlerkandidat Verantwortung für ganz Deutschland übernehmen will, dann muss er jetzt in seiner Heimat mit Klimaschutz anfangen.«
RWE will fünf Dörfer für den Tagebau abreißen. Das sei Teil des von Bund und Ländern erzielten Kohlekompromisses, argumentiert der Konzern. Der Kohleausstieg sei gesetzlich beschlossen, und RWE leiste dazu einen großen Beitrag. Die Kohle unter den Dörfern werde bereits von 2024 an benötigt.
Neubauer bezeichnete den Anfang 2019 erzielten Kohlekompromiss als überholt. »Seit der Kohlekommission haben sich die Verhältnisse radikal verändert«, sagte die 24-jährige Fridays-for-Future-Aktivistin. »Ein Kohlekompromiss, wie er damals geschlossen worden ist, wäre heute schon undenkbar. Wir verstehen heute, wie schnell wir aus der Kohle aussteigen müssen, um das Pariser Klimaabkommen einhalten zu können. Und wir wissen auch, dass wir das können.«
Die Demonstration verlief friedlich. Bei der Besetzung des Baggers am frühen Morgen kam es allerdings zu Handgreiflichkeiten. Die Umweltschutzbewegung Extinction Rebellion beschuldigte Sicherheitsleute von RWE, sie hätten Beteiligte gewürgt, geschubst und eine Journalistin zu Boden geworfen. Außerdem hätten sie ihr den Presseausweis abgenommen und ihre Kamera zerstört.
Ein RWE-Sprecher wies diese Darstellung zurück. Vielmehr seien zwei RWE-Mitarbeiter gewaltsam überrannt worden. Sie hätten Anzeige erstattet. Da trotz mehrfacher Aufforderung gegen das Film- und Fotografierverbot verstoßen worden sei, sei eine Kamera sichergestellt und der Polizei übergeben worden. Extinction-Rebellion-Sprecher Lukas Schnermann bestritt das: »Von uns ist ganz sicher keine Gewalt ausgegangen«, sagte er. Die Besetzer seien auch als erste auf dem Bagger gewesen, danach erst seien die Sicherheitsleute gekommen.
Die Polizei teilte am Abend mit, sieben Menschen seien auf den Kohlebagger gestiegen und hätten diesen besetzt. Eine Aktivistin habe die Plattform des Baggers schließlich freiwillig verlassen; die anderen seien bis zum Nachmittag vom Bagger »entfernt« worden. Insgesamt zwölf Aktivisten seien zur Identitätsfeststellung in polizeiliches Gewahrsam genommen worden. dpa/nd