Donnerstag, 4. Juni 2020

[IMI-List] [0562] Relaunch AUSDRUCK / Schwerpunkt: Rüstung Digital / Artikel: Digitalisierung und (Tech)Aufrüstungsspirale

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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0562 .......... 23. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

1.) der Hinweis auf die anlässlich der 100. Ausgabe runderneuerte
Version des IMI-Magazins Ausdruck – diesmal mit dem Schwerpunkt:
„Rüstung digital!“;

2.) die IMI-Analyse: „Digitalisierung der Bundeswehr: Weg in die
(Tech)Aufrüstungsspirale“.


1.) Relaunch: AUSDRUCK – Das IMI-Magazin Nr. 100 (März 2020)

Zur 100. Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK haben wir Konzept und Layout
ein gutes Stück überarbeitet und – hoffentlich – verbessert.

Nicht zuletzt aufgrund der massiven Preiserhöhungen der Post haben wir
uns entschieden, auf einen vierteljährlichen Erscheinungsrhythmus bei
einem deutlich erhöhten Umfang umzusteigen (diesmal 68S A4). Außerdem
wird es künftig weiter einen aktuellen Magazinteil geben, der aber um
einen thematischen Schwerpunkt ergänzt wird. Wie oben bereits
geschrieben, dreht sich der Schwerpunkt in dieser Ausgabe um das Thema
„Rüstung digital“.

Einige weitere Überlegungen, die in den Relaunch eingeflossen sind,
finden sich im Editorial, das im Anschluss an die Inhaltsangabe folgt.
Wie gewohnt können die Gesamtausgabe und auch die Einzelartikel auch
gratis auf der IMI-Seite abgerufen werden.

Selbstverständlich bekommen IMI-Mitglieder den AUSDRUCK auf Wunsch
weiter in Print zugesendet und er lässt sich auch separat zum Preis von
4,50 Euro (plus Porto) bestellen: imi@imi-online.de


AUSDRUCK – Das IMI-Magazin Nr. 100 (März 2020)

Gesamte Ausgabe hier:
https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-Maerz-2020-Web.pdf


SCHWERPUNKT: RÜSTUNG DIGITAL

-- Editorial (Martin Kirsch, Christoph Marischka)
https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-Editorial.pdf

-- KI und Geopolitik (Christoph Marischka)
https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-CM-KI.pdf

-- Mensch-Maschine: EU-Großprojekte zum Manned-Unmanned-Teaming (Marius
Pletsch)
https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-MP-MUMT.pdf

-- EUropas (digitale) Aufrüstung (Tobias Pflüger)
https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-TP-EU.pdf

-- Profiteure: Drei Beispiele aus der digitalen Aufrüstung
https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-Profiteure.pdf

-- 5G-Offensive: Zwischen Gefechtsfeld und Geopolitik (Jürgen Wagner)
https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-JW-5G.pdf

-- Digitalisierung der Bundeswehr: Weg in die (Tech)Aufrüstungsspirale
(Martin Kirsch)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-MK-DigitalisierungBW.pdf


MAGAZIN

KRIEGSLOGISTIK
Großmanöver Defender 2020: Mit Tempo in den Neuen Kalten Krieg (Jürgen
Wagner)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-JW-Defender.pdf

KLIMA & KRIEG
Klimawandel und militärische Planungen (Karl-Heinz Peil)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-KHP-Klima.pdf

DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR
Nationaleuropäisches Rüstungsspagat (Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-JW-Spagat.pdf

Bundeswehr-Einsätze: Eine (miserable) kursorische Bilanz (Jens Wittneben)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-JWi-Bilanz.pdf

Mali: Für einen Ausstieg aus dem Terror der Aufrüstung (Christoph Marischka)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-CM-Mali.pdf

Per EU-Umweg zur Atommacht? (Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-JW-Atom.pdf

EU-MILITARISIERUNG
Neue Ufer: EU-Marinemission am Persischen Golf beschlossen (Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-JW-Marine.pdf

PULVERFASS IRAN
Politik der Hinrichtung (Marius Pletsch)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-JW-Marine.pdf

Editorial

Der erste Ausdruck der IMI erschien im Juli 2003. Damals war der Name
Programm. IMI-Texte sollten gesammelt zu Papier gebracht werden, um
kritische Informationen und Analysen auch jenseits des Internets
zugänglich zu machen. An dieser Grundausrichtung hat sich bis heute
nichts geändert. Auslandseinsätze, die EU als militärischer Akteur,
Atomwaffen und die Restauration der Militärmacht Deutschland sind uns
als Themen leider erhalten geblieben. Mit dieser 100. Ausgabe des
Ausdrucks wollen wir an die letzten 17 Jahre anknüpfen und haben doch
(mal wieder) einiges verändert.
Ausgehend von kleineren und größeren Änderungsvorschlägen haben wir nach
intensiven Diskussionen einen größeren Sprung gemacht, als zu Beginn
gedacht. Geändert hat sich nicht nur das Layout. Aus der Idee, ein Thema
über die aktuellen Ereignisse und Texte hinaus intensiver zu bearbeiten,
ist eine neue, deutlich breiter aufgestellte Schwerpunktredaktion
hervorgegangen, die pro Ausgabe ein Thema ausführlicher behandelt.
Dieser Prozess des Umbaus war allerdings auch mit einigen Hürden
versehen. Nicht nur Layout und Texte für den Thementeil, sondern auch
Absprachen und Kommunikationswege mussten sich neu finden. Die 100.
Ausgabe des Ausdrucks ist damit also nicht nur ein Jubiläum, sondern
auch ein kleiner Neuanfang. Das Ergebnis kann sich aber sehen lassen. An
dieser Stelle auch ein fettes Dankeschön an alle, die sich an der
Entstehung dieses 100. Ausdrucks beteiligt haben.

Die Digitalisierung gilt aktuell als technologischer und
gesellschaftlicher Megatrend. In der Wirtschaft wird bereits von einer
vierten industriellen Revolution geschwärmt – der ersten, die ausgerufen
wird, bevor sie ihre Wirkung überhaupt voll entfaltet. Hinter diesem
Trend wollen auch die Militärs in Zeiten zunehmender Großmachtkonflikte
nicht zurückstehen. So wird nicht nur im Silicon Valley, sondern auch in
den Verteidigungsministerien in Washington, Paris, Moskau, Peking oder
Berlin nach sog. „Sprunginnovationen“ gesucht – technologischen
Quantensprüngen, die es vor der Konkurrenz zu entdecken und zu
implementieren gelte. Startups und Risikokapital sehen auch in
militärischen Anwendungen neue Märkte und die EU will massiv in diese
neuen Technologien investieren. „Digitalisierung“ ist dabei nicht nur
ein Modewort, sondern die Vision einer umfassenden „Kampfwertsteigerung“
mit der Unterstützung durch Künstliche Intelligenz. Ausgegangen wird von
einem voll vernetzten „gläsernen Gefechtsfeld“ auf dem neben Menschen
und Waffensystemen aus Stahl vor allem Sensoren, Drohnen und Roboter
eine völlig neue Rolle einnehmen. Zwei EU-Großprojekte arbeiten an der
umfassenden Kooperation von bemannten und unbemannten Waffensystemen. Um
an dem Wettrennen der Militärmächte um technologische Führerschaft
teilnehmen zu können, ist auch die Bundeswehr auf dem Weg, sich enger
mit Wissenschaft und Industrie zu verzahnen und begibt sich damit auf
den Weg in eine permanente Aufrüstungsspirale. Allerdings gibt es auch
Widerstände gegen die digitale Aufrüstung und Versuche ihrer
Regulierung, die in dieser Ausgabe leider zu kurz kommen (siehe z.B.
https://www.stopkillerrobots.org/). Vielleicht sind sie ja bei
Gelegenheit einen eigenen Schwerpunkt wert (Martin Kirsch und Christoph
Marischka).


2.) IMI-Analyse: Digitalisierung der Bundeswehr: Weg in die
(Tech)Aufrüstungsspirale

IMI-Analyse
Digitalisierung der Bundeswehr: Weg in die (Tech)Aufrüstungsspirale
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-100-MK-DigitalisierungBW.pdf
Martin Kirsch

Seit der Aufstellung eines eigenen Truppenteils für den Cyber- und
Informationsraum im Jahr 2017 wird in der Bundeswehr verstärkt über das
Thema Digitalisierung geredet. Während die Landstreitkräfte bei diesem
Technologiesprung – außer mit vereinzelten Rüstungsprojekten – lange
eher im Hintertreffen waren, haben sie sich mit dem Heer an der Spitze
in den letzten Jahren zunehmend zur politischen und technischen
Triebfeder entwickelt. Ausgehend vom Szenario einer Konfrontation mit
einem ebenfalls modern gerüsteten Gegner (Russland) soll sich jedoch
nicht nur die Technik der Truppe ändern. In drei Thesenpapieren, die
zwischen Herbst 2017 und Frühjahr 2018 im Kommando Heer entstanden,
sollen auch die Struktur der Truppe und der gesamte Rüstungsprozess
grundlegend neu aufgestellt werden. Neben mehr Geld soll ein besonderes
Augenmerk auf ein Rüstungsmodell gelegt werden, das sich an der
Softwareentwicklung orientiert und eine schnellere Aufrüstung
ermöglichen soll. Dafür fordern die Thesenpapiere auch mehr Kompetenzen
für das Militär bei Auswahl, Tests und Kaufentscheidungen für neues
Material.

Military Internet – Das Tactical Edge Network

Kern der aktuellen Aufrüstungsbestrebungen der Landstreitkräfte ist es,
ein umfassendes Kommunikationsnetzwerk zu errichten, das auch unter
Kriegsbedingungen an der Front noch in der Lage ist, digitale Daten- und
Sprachverbindungen herzustellen.

Dieses Netzwerk („Military Internet“) ist die digitale
Basisinfrastruktur, um perspektivisch rund 25.000 Fahrzeuge und 50.000
Soldat*innen miteinander zu vernetzen und neue Anwendungen wie autonome
(Waffen-)Systeme, Künstliche Intelligenz, Big Data, Advanced Analytics
oder eine digitale Lagekarte für die Truppe nutzbar zu machen. Ziel ist
ein sogenanntes ‚gläsernes Gefechtsfeld‘, das durch überlegene
Aufklärung, Geschwindigkeit und in Echtzeit koordinierte Waffenwirkung
geprägt ist.

Nach mehrfacher Umbenennung der Vorläuferprojekte wurde im Juni 2019 in
Brüssel ein Vertrag zwischen deutschem und niederländischem
Verteidigungsministerium unterzeichnet, der den gemeinsamen Aufbau eines
„Tactical Edge Network“ (TEN) regelt.[1] Tactical Edge (taktische Kante,
sowie taktischer Vorteil) steht dabei für die letzten Kilometer zwischen
dem Gefechtsstand im Feld und der unmittelbar umkämpften Front, die mit
einem engmaschigen Kommunikations- und Datennetz überzogen werden sollen.

Einen Schritt weiter ist die Bundeswehr bereits damit, die Verwaltung,
Logistik und den Grundbetrieb in Deutschland – die sogenannte weiße
(nicht-militärische) IT – auf den neuesten Stand zu bringen. Dieses
Großprojekt mit dem Namen „Herkules“ wurde von der eigens dafür
geschaffenen BWI GmbH umgesetzt. Zwischen 2006 und 2016 wurden deutlich
über 7 Mrd. Euro in die Modernisierung aller Computer, Telefone,
Netzwerke, Server und Rechenzentren der Bundeswehr in Deutschland
gesteckt und ein eigenes Glasfasernetz aufgebaut.[2] Seitdem der
Netzaufbau abgeschlossen ist und die Industriepartner Siemens und IBM
wieder aus der Tochtergesellschaft des Bundes ausgestiegen sind, mausert
sich diese nach eigener Darstellung zu einem „führenden IT-Systemhaus“.
Dabei beschränkt sich die BWI mittlerweile nicht mehr auf die weiße IT,
für die sie ursprünglich eingerichtet wurde, sondern steigt seit 2018
verstärkt in die unmittelbar militärische (grüne) IT ein. Beispielhaft
dafür stehen die Übernahme der Kommunikationsstruktur für den Einsatz
der Bundeswehr im Kosovo 2018, die eigenständige Entwicklung von
5G-Anwendungen für die Kampftruppe und der Einstieg in die
„Systempflege“ der Führungsinformationssysteme der Bundeswehr –
inklusive der deutschen Anteile am „Afghanistan Mission Network“ – seit
Januar 2020.[3]

Eine Personalie, die dieses Zusammenwachsen von BWI und der
Digitalisierung der Landstreitkräfte verkörpert, ist der ehemalige
Dreisternegeneral Frank Leidenberger. In seiner letzten Verwendung bei
der Bundeswehr bis Mitte 2018 maßgeblich an der Entwicklung des Projekts
„Digitalisierung Landbasierter Operationen“ (D-LBO) beteiligt, ist er
mittlerweile Chief Strategy Officer (CSO) und Mitglied der vierköpfigen
Geschäftsleitung der BWI GmbH.[4]

General Leidenberger – Von Afghanistan zum „Mister Digitalisierung“

Frank Leidenberger begann seine Karriere in der Bundeswehr in den 1980er
Jahren und studierte im Rahmen seiner Offiziersausbildung Wirtschafts-
und Organisationswissenschaften an der Bundeswehruni in München. Nach
einem Umweg über den Auslandsgeheimdienst BND nahm er leitende
Funktionen in nationalen und multinationalen Führungsstäben ein, bevor
er 2008 in den Generalsrang befördert wurde. Im Rahmen seiner
Bundeswehrkarriere absolvierte er zwischen 1998 und 2016 einen
Auslandseinsatz in Bosnien und drei Einsätze in Afghanistan, in denen er
jeweils Führungsfunktionen übernahm.[5]

Der wohl wichtigste Einsatz für Leidenberger war seine Verwendung als
Kommandeur des deutschen Einsatzkontingents in Afghanistan und
Regionalkommandeur Nord der ISAF-Truppen in den Jahren 2009 und 2010.
Hier führte Leidenberger monatelange gemeinsame Kampfeinsätze von
afghanischer Armee und NATO-Truppen und war an der Umstellung der
Bundeswehrmission auf das Paradigma der Aufstandsbekämpfung beteiligt.
Hier lernte er den Krieg aus der Nähe kennen.

Ausgehend von diesen Erfahrungen wurde er Teil der sogenannten
„Afghanistan-Connection“[6], einem Netzwerk aus rund 30
Afghanistanoffizieren, die sich in den Einsätzen kennengelernt hatten
und es sich zur Aufgabe machten, Handlungsfähigkeit vor Vorschriften zu
stellen. Geprägt von den Einsatzerfahrungen hielten sich die Beteiligten
des Netzwerks nicht nur in Afghanistan, sondern auch bei der Besetzung
von Posten in Deutschland gegenseitig den Rücken frei.

Um schnell an gewünschte Waffen und Ausrüstungsgegenstände für die
Einsätze zu kommen, nutzte das Netzwerk den sogenannten
„Einsatzbedingten Sofortbedarf“.[7] Kleine Mengen an Material,
Fahrzeugen und Waffen wurden am regulären Beschaffungsprozess vorbei
gekauft, um sie direkt im Einsatz zu testen. Hatten sich diese bewährt,
wurde dann mit dem Argument, das Material hätte im Einsatz bereits Leben
gerettet, politischer Druck ausgeübt, um die für gut befundene
Ausrüstung in größeren Mengen zu beschaffen.

Zwischen den späteren Auslandseinsätzen war Leidenberger auf
verschiedenen Posten in Ministerium und Bundeswehrführung mit Aufgaben
rund um Transformation und Organisationsentwicklung betraut. Im
September 2016, kurz nachdem im Weißbuch der Bundeswehr die Landes- und
Bündnisverteidigung neben den Auslandseinsätzen wieder zur strategischen
Priorität erklärt wurde, übernahm Leidenberger, mittlerweile im Rang
eines Dreisternegenerals, den Posten als Kommandeur der deutschen
Anteile der Multinationalen Korps und für die militärische
Grundorganisation im Kommando Heer. In dieser Funktion war er für alle
Aufgaben vom Grundbetrieb über Beschaffung und Ausbildung, bis zur
Landes- und Bündnisverteidigung zuständig, die nicht unmittelbar mit den
Auslandseinsätzen zusammenhängen. Auf diesem Posten leitete er eine
Arbeitsgruppe zur Zukunft der Landstreitkräfte und zeichnete für drei
Thesenpapiere verantwortlich.

Aufgrund der Thesenpapiere und weiterer Aussagen Leidenbergers, die die
politische Führung um von der Leyen teils frontal angriffen, zog er sich
im Spätsommer 2018, ohne Chancen auf Beförderung und mit drohender
Entlassung, aus der Bundeswehr zurück.[8] Bei seiner offiziellen
Verabschiedung wurde er vom damaligen Inspekteur des Heeres, Jörg
Vollmer, als „Mister Digitalisierung“ der Bundeswehr bezeichnet.[9]
Diese Rolle füllt Leidenberger, mittlerweile von seinem neuen Posten als
Spitzenmanager bei der BWI, weiter aus.

Thesenpapiere aus dem Heer (I und II) – (Digitaler) Krieg der Zukunft

Zwischen Herbst 2017 und Frühjahr 2018 wurden im Kommando Heer unter der
Führung von General Leidenberger drei Thesenpapiere erarbeitet, welche
die Zukunft der Landstreitkräfte, deren Entwicklung, Ausrichtung und
Digitalisierung in den letzten Jahren geprägt haben und weiterhin prägen.

Das erste der drei Papiere nimmt unter dem Titel „Wie kämpfen
Landstreitkräfte künftig?“ „den Kampf gegen einen gleichwertigen Gegner
als Grundstein der Überlegungen.“[10] Diesem Gedanken folgend wird ein
Feind angenommen, der über Artillerie und Luftwaffe sowie Drohnen und
Fähigkeiten zur Cyber- und Informationskriegführung verfügt und dem man
auf einem digitalisierten, gläsernen Gefechtsfeld begegnet. Zudem
beinhaltet das Papier ein fiktives Szenario „Zielbild Landstreitkräfte
2026+“,[11] das ausgehend von der Alarmierung der Schnellen
Eingreiftruppe der NATO (Very High Readiness Joint Task Force, VJTF)
unter deutscher Führung ein Kriegsszenario gegen Russland durchspielt.
Darin „kommt es nach einer Phase von Desinformation, separatistischen
Aktivitäten, lokalen Angriffen von Separatisten und verdeckt
operierenden Special Operation Forces zum Angriff der gegnerischen
Hauptkräfte.“[12] Eine Schlussfolgerung, die das Papier daraus zieht,
ist die Relevanz der sogenannten „Golden Hour“ (goldene Stunde), in der
in einer Kombination aus schneller Bewegung auf dem Gefechtsfeld,
Cyberangriffen und Informationsoperationen ein entscheidender
Angriffsvorteil gegenüber dem Gegner erzielt werden könne.

Um auf diese Bedingungen vorbereitet zu sein, versucht das zweite
Thesenpapier bereits im Titel einen Teil der Antwort zu finden – die
„Digitalisierung von Landoperationen“.

Dazu heißt es: „Die Digitalisierung wirkt auf allen Ebenen und ist mit
der einhergehenden Automatisierung und Autonomisierung einer der
Megatrends der Zukunftsentwicklung.“[13] Daher solle „das Heer eine
konsequente digitale Vernetzung von LandSK [Streitkräften] und somit die
Gestaltung der Digitalisierung der Streitkräfte vorantreiben.“
Leidenberger und sein Team argumentieren, dass digitale Landstreitkräfte
„effizienter und effektiver“ agieren und langfristig Geld und Personal
sparen würden. Den üblichen Managementsprechblasen, die in Politik und
Wirtschaft zum Thema Digitalisierung geprägt werden, wird hier ein
weiteres Argument hinzugefügt, das seit langem bei der Einführung neuer
Waffensysteme zu hören ist. So wird behauptet, die „Digitalisierung
fördert die Präzision“ und erhöhe das „operative Tempo“. Zudem
ermögliche die Digitalisierung eine „Just-in-Time Wirkung“[14] – wobei
sich hinter dem Begriff der Wirkung die Zerstörung durch Waffenanwendung
verbirgt.

Als Herausforderungen der Digitalisierung werden u.a. die
„Identifizierung von neuartigen Anwendungsoptionen der
Informationstechnologie“, der „Mut zum Bruch mit bewährter Technik“,
sowie der „Mut zum Erschließen disruptiver Innovationen“ gesehen.
Außerdem sei die „Beherrschbarkeit digitaler Systeme unter
Gefechtsstress“ sicherzustellen.[15]

Thesenpapiere aus dem Heer (III) – Rüstungswesen für den digitalisierten
Krieg

Das dritte Thesenpapier – „Rüstung digitalisierter Landstreitkräfte“ –
wurde auch in den Medien aufgegriffen[16] und kostete Leidenberger
vermutlich seine militärische Karriere. An zentraler Stelle erhebt er
darin folgenden Vorwurf: „Die Verfahren für Planung, Beschaffung und den
Haushaltsvollzug sind regelmäßig zu langsam und gefährden so die äußere
Sicherheit Deutschlands.“[17] Unter der Kapitelüberschrift „The Need for
Speed!“ werden dann klare politische Forderungen gestellt, wie sich das
Heer einen ihm genehmen Rüstungsprozess in Zukunft vorstellt: „Selbst
auferlegte und weitgehend auf zivilen Vorgaben beruhende nationale
Regelungen verhindern, dass die Landstreitkräfte mit der technologischen
Entwicklung Schritt halten. Diese Regelungen und Bestimmungen können und
müssen angepasst werden. Sie stehen dem Ziel der konsequenten Erneuerung
der Landstreitkräfte entgegen.“[18] Damit wird der Kern der Probleme im
zivilen Bereich verortet, der für die digitale Aufrüstung zunehmend
unter militärisches Kommando genommen werden soll. Hier schlägt die
Arroganz des Einsatzoffiziers Leidenberger voll durch, der gefälligst
Beinfreiheit von zivilen Vorgaben und Einflussnahmen verlangt, um die
Bundeswehr kriegsfähig machen zu können.

Während sich Zivilist*innen aus der konkreten Beschaffung weitgehend
heraushalten sollen, wird der zivilen Forschung und Wirtschaft eine umso
höhere Bedeutung zugeschrieben. So habe der Technologiesprung vom ersten
internetfähigen Handy zum ersten Smartphone keine zehn Jahre gedauert,
während die Bundeswehr in Teilen bis in die 2030er Jahre die letzte
Generation der Analogfunktechnik aus den 1980er Jahren nutze – ein
Innovationszyklus von über 40 Jahren. Aktuell seien Innovationen aus der
zivilen Wirtschaft, wie Big Data, Künstliche Intelligenz und Advanced
Analytics von großer Bedeutung: „Ein Großteil dieser Entwicklungen hat
militärische Relevanz, sowohl als wachsendes Bedrohungspotenzial auf
gegnerischer Seite, wie auch als militärischer Fähigkeitszuwachs eigener
Streitkräfte.“[19] Um diese militärischen Potentiale zu realisieren,
fordert das dritte Thesenpapier die Umsetzung vier konkreter Vorschläge,
die den Rüstungsprozess der deutschen Nachkriegszeit grundlegend
umkrempeln sollen, um dem digitalisierten Krieg der Zukunft gerecht zu
werden.

Defence Innovation Hub

Ausgangspunkt der Überlegung ist das bereits seit 2017 existierende
Cyber Innovation Hub (CIH) der Bundeswehr. Es ist dafür zuständig, in
enger Zusammenarbeit mit Startups und Entwickler*innenszene neue
Technologien für die Cybertruppe der Bundeswehr zu identifizieren. Folgt
man den Plänen des dritten Thesenpapiers, soll diese Funktion auf die
gesamte Truppe und damit auch auf die Landstreitkräfte übertragen
werden.[20]

Ein künftiges Defence Innovation Hub (DIH) solle permanent einen Blick
auf die Entstehung neuer Technologien werfen, um Forschung und
Entwicklung auf militärisch wertvolle Ansätze und Ergebnisse zu
durchleuchten. Hier sollen einerseits neue Technologien identifiziert
werden, die bisher im Militär gar nicht bekannt waren und andererseits
Probleme in der militärischen Entwicklung in der Startup- und
Entwickler*innenszene bekannt gemacht werden, um deren Ideen anzuregen
und sie, wenn brauchbar, für das Militär verwertbar zu machen.

Test- und Versuchsverband 4.0

Während das Defence Inovation Hub proaktiv nach neuen Entwicklungen
suchen soll, rückt das nächste Vorhaben näher an den tatsächlichen
Beschaffungsprozess der Bundeswehr heran: Mit einer kleinen Anzahl an
Waffensystemen, Fahrzeugen, Soldat*innen und Techniker*innen soll mit
dem Test- und Versuchsverband eine Truppe geschaffen werden, die in der
Lage ist, Gefechtssituationen realitätsnah zu simulieren, um in dieser
Umgebung die Brauchbarkeit bereits existierender Produkte für die Truppe
zu überprüfen. „In künftigen Test- und Versuchsstrukturen wird
idealerweise im Wettbewerb gegeneinander erprobt. Nutzernahe Validierung
einerseits und die Vereinfachung möglicher Beschaffungen andererseits
sind das Ziel.“[21] Das schnelle, intensive und gleichzeitige Testen
mehrerer Optionen erlaube, nach der Logik des Thesenpapiers, auch zehn
Systeme für gescheitert zu erklären. Wenn aber das elfte die
Anforderungen erfülle, sei das relevante System gefunden. Solange ein
hoher Durchsatz und eine gewisse Streuung beim Suchen vorhanden sei,
würden gefundene Fehler zum Teil des Auswahlprozesses – ein Test- bzw.
Investitionsmuster, das dem Vorgehen von Risikokapitalgebern für
Startups sehr nah kommt.

Zudem solle das als Gewinner aus dem Test hervorgegangene Produkt dann
ohne weitere große Hürden zeitnah beschafft werden. Ein Prozedere, das
Beschaffungsbehörden, Materialprüfung und politisch-administrative
Verfahren in den Hintergrund stellt, um auf schnellem Wege das zu
beschaffen, was die Truppe für brauchbar hält.

„System Brigade“ im „Spiralmodell“

Um die im DIH oder nach Tests gefundenen Produkte schnell und funktional
in die Truppe zu bringen, ist weiterhin vorgesehen, alle
Entwicklungsschritte in Netzwerken und Großsystemen zu denken. Während
in der bisherigen Projektrüstung ein Wunschzettel für einen neuen Panzer
geschrieben wurde, dieser dann an die Industrie ausgeschrieben und z.T.
in jahrzehntelanger Entwicklungsarbeit neu konzipiert wurde, um dann
über lange Jahre vom Prototyp bis zum modifizierten Endprodukt in der
Breite in die Truppe eingeführt zu werden, soll die Systemrüstung einen
grundlegend anderen Ansatz verfolgen.[22]

Um diese Systemlogik im praktischen Prozess umsetzen zu können,
orientiert sich Leidenberger am Spiralmodell aus der
Softwareentwicklung. Dieses Modell durchläuft keine lineare
Schrittfolge, um zu einem zuvor definierten Ziel zu gelangen. Vielmehr
werden Teilschritte einer Spiralbewegung definiert, die zu einem
nächsten Plateau führen, wo die Spiralbewegung von Neuem beginnt. In der
Softwareentwicklung lauten diese Schritte: Zielbestimmung,
Risikoanalyse, Programmieren und Testen. Übertragen auf den
Rüstungsprozess einer Brigade (5.000 Soldat*innen samt Gerät) sieht das
modifizierte Spiralmodell nach Leidenberger dann so aus: Innovationen
beobachten, Anwendungen testen und in die aktuell älteste Brigade
einrüsten. Eine Brigade als Gesamtsystem soll in diesem Durchgang auf
den neuesten Stand gerüstet werden, um voll einsatzbereit zu sein.
Währenddessen finden Weiterentwicklungen im Defence Innovation Hub und
im Test-und Versuchsverband statt. Die nächste, jetzt älteste Brigade
wird dann bereits auf den nächsthöheren Stand gerüstet, bis die
perspektivisch zehnte und letzte Brigade dieses System durchlaufen hat.
Zu diesem Zeitpunkt ist die erste Brigade bereits so veraltet, dass sie
wieder in das System eingespeist wird. So entsteht eine permanente
Aufrüstungsspirale, um immer eine Brigade auf das jeweils neuste
technische Niveau zu bringen und sie aus der Sicht der Militärs erst
damit einsatzbereit zu machen. Dieses Rüstungsmodell braucht allerdings
auch eine spezifische Infrastruktur.

Werft fürs Heer – Systemzentrum Digitalisierung

Das „System Brigade“, das von Leidenberger in einer Rede 2018 in seiner
Gesamtheit mit einer Fregatte, also einem Kriegsschiff, verglichen wird,
brauche in dieser Analogie eine „Werft fürs Heer“.[23] Hinter diesem
Bild verbirgt sich eine riesige Aufrüstungsfabrik, die das Material
einer gesamten Brigade aufnehmen und auf den nächsten Stand rüsten kann.

In einem „Systemzentrum Digitalisierung Land“,[24] wie die Werft im
Bundeswehrsprech heißen soll, würden Planer*innen, Beschaffer*innen,
Truppe und ausgewählte Industriepartner zusammenarbeiten. In der
Führungsetage solle ein sogenanntes „Lifecycle Program Management“
durchgeführt werden. Es wäre dafür verantwortlich, die Planung der
jeweiligen Aufrüstungsschritte zu überblicken und mögliche Brüche in
Systemkomponenten der bestehenden Brigaden zu identifizieren, die
womöglich parallel ausgebessert werden müssten, um eine fehlende
Kompatibilität mit neuen Systemen zu vermeiden. Mit dieser Werft in den
Händen des Heeres würde, neben der dort betriebenen
Aufrüstungsmaschinerie, auch der gesamte Rüstungsprozess vom
Identifizieren neuer Technologien über das Testen bis zum endgültigen
Einrüsten in bestehende Systeme, deutlich näher an die Truppe rücken und
der Einfluss der Militärs auf diesen Bereich erheblich steigen.

2019 – Jahr der Umsetzung

Während General Leidenberger sich 2018 aus der Bundeswehr zurückgezogen
hat, funktionieren seine Netzwerke weiter. So wurde er in der Umsetzung
des Megaprojekts „Digitalisierung Landbasierter Operationen“ (D-LBO) von
seinem vorherigen Vorgesetzten und Afghanistan-Buddy Jörg Vollmer
flankiert. Vollmer erklärte in einem Newsletter des Förderkreises
Deutsches Heer e.V. (FDH) das Jahr 2018 zum „Jahr der Wahrheit“[25] mit
Blick auf die künftige Vollausstattung der Bundeswehr und die
Digitalisierung der Landstreitkräfte. Im Dezember 2018 konnte er dann,
zumindest für den Bereich der Digitalisierung, Vollzug melden. In der
Offiziersschule des Heeres in Dresden wurde das Großprojekt D-LBO in
einer Zeremonie offiziell vorgestellt und als erster konkreter Schritt
die Einrichtung des geforderten Test- und Versuchsverbandes in Munster
bekanntgegeben. Zudem legte das Kommando Heer einen „Plan Heer“ vor,[26]
laut dem die von der Bundeswehr geführte NATO-Speerspitze (VJTF) 2023
als erste Systembrigade ausgestattet werden soll, um in weiteren
Schritten bis 2032 das voll digitalisierte „Heer 4.0“ zu erreichen.

Auf diesen ersten Teilerfolg aufbauend ließ es sich Vollmer nicht
nehmen, das Jahr 2019 zum „Jahr der Umsetzung!“[27] zu erklären. Im
Laufe des Jahres hat der Test- und Versuchsverband ein „Battle
Management System“, eine Führungssoftware für die digitalisierte Truppe,
getestet, das für die VJTF 2023 angeschafft und dort erstmals im großen
Maßstab angewendet werden soll. Damit ist das Heer auf dem besten Weg,
die Funktionsweise des „einsatzbedingten Sofortbedarfs“ aus Afghanistan
im Kontext der Landes- und Bündnisverteidigung und der regelmäßigen
selbstgewählten NATO-Verpflichtungen (z.B. VJTF) zum Dauerzustand zu
machen. Außerdem scheinen sich auch die Pläne für eine „Werft fürs Heer“
zu konkretisieren. In der „Roadmap Digitale Bundeswehr“ als Teil des
„Ersten Berichts zur Digitalen Transformation“[28] des
Verteidigungsministeriums aus dem Oktober 2019 wird die „Fortführung der
Test- und Versuchsstrukturen, Experimentierfähigkeit und Erarbeitung der
Grundlagen zum Aufbau eines bundeswehr- und streitkräftegemeinsamen
‚Systemzentrums Digitalisierung Land‘ am Standort Munster“ als eines von
sechs aktuell zu erarbeitenden Projekten gelistet. Die vor zwei Jahren
noch als offensive These vorgetragenen Pläne scheinen also konkret zu
werden. Im Zuge der Vorstellung ihrer „Initiative Einsatzbereitschaft“
im Februar 2020 hat Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer zudem klar
gemacht, dass sie hinter der Idee steht, die regelmäßigen
NATO-Verpflichtungen (VJTF) als Testrahmen für künftige
Beschaffungsprozesse zu nutzen.[29] Damit ebnet sie den Weg, um das
System des „einsatzbedingten Sofortbedarfs“ zum permanenten
Rüstungsinstrument zu machen.

Unklar ist allerdings noch die Realisierung des „Defence Innovation
Hub“. Das Cyber Innovation Hub als aktuelles Vorbild macht momentan eher
durch Skandale auf sich aufmerksam[30] und eignet sich damit wenig als
Werbung für weitere Vorstöße in diese Richtung. Momentan scheinen sich
allerdings sowohl das in Planung befindliche Systemzentrum in Munster
als auch Leidenbergers aktueller Arbeitgeber BWI auf den Weg zu machen,
die Rolle des DIH zumindest in Teilen auszufüllen. Wofür das Cyber
Innovation Hub allerdings bereits gut zu sein scheint, ist der pompöse
Auftritt, mit dem die Bundeswehr an den ‚Spirit‘ der Startup-Szene
anknüpfen und diese für sich gewinnen will. Ein Werbebanner des CIH
nutzt das ehemalige interne Firmenmotto von Facebook und macht damit
eine ‚Innovation‘ aus der zivilen Wirtschaft für das Militär nutzbar:
Vor dem Bild eines schießenden Panzers prangt der Schriftzug: „Move fast
and break things“ (Beweg dich schnell und zerstöre Dinge).[31] Mit
diesem Sinnspruch, der ohne einen Funken von Zurückhaltung als
Werbebotschaft genutzt wird, zeigt sich, welche gefährliche und
hochgradig zerstörerische Mischung entsteht, wenn Digitalisierung,
Startups und disruptive Technologie, bzw. Ideologie, auf Militär und
Rüstungswirtschaft treffen, um einen militärisch-industriellen
Technologiesprung herbeizusehnen.

Weg in die (Tech)Aufrüstungsspirale

Auf der „Land Warfare Conference“ 2018 in London[32] sprach Leidenberger
vor den versammelten Generälen und Militärplanern verbündeter
Streitkräfte, ausgehend von den Auseinandersetzungen in der Ukraine und
einem Russland zugeschriebenen, bisher nicht aufgeklärten Cyberangriff
auf den Bundestag, von einem „lauwarmen Krieg“, der bereits begonnen
habe. Nimmt man diese Aussage, die Vorbereitung auf einen potenziellen
Krieg gegen einen „gleichwertigen Gegner“ und die hier beschriebenen
Aufrüstungspläne ernst, kann es hilfreich sein nach historischen
Vorbildern dieser aktuell anlaufenden Rüstungsmaschine zu fragen.

In den Thesenpapieren wird ein Weg vorgezeichnet, das Rüstungswesen, das
sich im Deutschland der Nachkriegszeit gebildet hatte, grundlegend
umzustrukturieren und den Militärs darin mehr Einfluss zu verschaffen.
Angestrebt ist das permanenten Scannen ziviler Forschung und Entwicklung
auf militärische Verwertbarkeit, der Wille zur eigenständigen
Weiterentwicklung durch das Militär, in enger Kooperation mit der
wehrtechnischen Industrie, sowie das Testen der in Frage kommenden
(Waffen)Systeme durch Kampftruppen. Darauf folgen soll die
flächendeckende Aufrüstung am Fließband, um einen Angriffsvorteil und
„Wirkungsüberlegenheit“ durch Technologie zu erlangen. Diese Strukturen
für das schnelle nutzbar machen neuer Technologien sind nicht neu!

Nach einem ähnlichen Muster arbeiteten bereits die
Heeresversuchsanstalten der Wehrmacht. Neben der bekanntesten
Einrichtung in Peenemünde zur Erforschung von Raketentechnik (V2)[33]
wurde in Hillersleben in Sachsen-Anhalt an Artillerie und Riesenkanonen
(Dora) und in Kummersdorf-Gut in Brandenburg neben Panzern und Raketen
auch an Atomenergie geforscht und gemeinsam mit der Industrie
entwickelt.[34] Ein weiterer Standort war die Heeresversuchsstelle
Munster-Nord in der Lüneburger Heide. Dort, wo das „Systemzentrum
Digitalisierung Land“ der Bundeswehr eingerichtet werden soll, wurde
bereits ab 1935 an Gasmunition für den bevorstehenden Zweiten Weltkrieg
gearbeitet.[35] Neben Entwicklungen, die ihren Weg in die Kampftruppe
fanden, überhoben sich die Heeresversuchsanstalten in ihrem Größenwahn,
losgelöst von jeglichen zivilen Rückbindungen, allerdings auch an
diversen Megaprojekten.

Ein Vorbild für das bisher nur auf dem Papier erdachte Defence
Innovation Hub der Bundeswehr findet sich wiederum im
militärisch-industriellen Komplex der US-Armee im Kalten Krieg. Die
Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) wurde 1958 vom
Pentagon gegründet, um den US-Streitkräften einen Technologievorsprung
zu sichern. Das Beste aus Wissenschaft, Industrie und Militär sollte –
und soll noch heute – hier zusammenkommen um, gefördert mit
Milliardensummen, an der Zukunft des Krieges zu arbeiten. Aktuell wird
dort u.a. an (teil)autonomen Kampf- und Logistikrobotern und
Exoskeletten geforscht und versucht herausfinden, “wie Maschinen
menschenähnliche Kommunikations- und Denkfähigkeiten”[36] erlangen können.

Die Bundeswehr ist, neben einer anderen politischen Ausgangslage, auch
in puncto Personenstärke, Material- und Haushaltsumfang mit ihrem
historischen Vorgänger, der Wehrmacht, und der US-Armee nicht zu
vergleichen. Das hält sie aber nicht davon ab, immer aktiver nach
(digitalen) Technologiesprüngen zu suchen, die eine
„Wirkungsüberlegenheit“ im Kriegsfall ermöglichen sollen. Ein
brandgefährliches Unterfangen, um in der Liga der Militärmächte
mitspielen zu können. Aktuell entstehen in der Bundeswehr die
Grundsteine einer (auf-)rüstungswirtschaftlichen Maschinerie, gebaut auf
den Thesen des lauwarmen Kriegers Leidenberger, die sich mit einem
bitterbösen Wort zusammenfassen lassen – Vorkriegszeit.

Ein Scheitern, wie das diverser Megaprojekte, wäre auch für die
Digitalisierung der Bundeswehr wünschenswert. Diese Hoffnung ersetzt
allerdings nicht die Notwendigkeit eines klaren Widerspruchs aus der
Gesellschaft, gegen steigende Militärausgaben, Forderungen der Loslösung
des Militärs von zivilen Vorgaben und die anlaufende
Aufrüstungsmaschinerie in immer engerem Verbund mit (Tech-)Industrie und
Wissenschaft.
Anmerkungen

[1] Dorothee Frank, Europäische Sicherheit & Technik, Deutschland und
Niederlande beschließen gemeinsame Digitalisierung der Landstreitkräfte,
26. Juni 2019, esut.de
[2] Spiegel, Bundeswehr-Modernisierung - Milliardenauftrag für Siemens
und IBM, 13.12.2006, spiegel.de
[3] BWI, Einsatznahe IT: BWI übernimmt Betreuung von HaFIS für die
Bundeswehr, 31.01.2020, bwi.de
[4] BWI, Unser Management-Team, bwi.de
[5] Assosiation of the United States Army, Lt. Gen. Frank Leidenberger -
Commander, DEU Elements Multnational Corps and Basic Military
Organization - German Army, ausa.org
[6] Tagesspiegel und Magazin FAKT(MDR) - Die Afghanistan-Connection,
afghanistan-connection.de
[7] FAZ, Bundeswehr kauft Gewehre für Millionen - weil sie gerade zu
haben sind , 27.09.2015, faz.net
[8] Spiegel, Leyen-kritischer General verlässt die Truppe, 03.08.2018,
spiegel.de
[9] Presse- und Informationszentrum des Heeres, Amtswechsel im Kommando
Heer: "Mister Digitalisierung" meldet sich ab, 03.09.2018, presseportal.de
[10] Kommando Heer, Autorenteam, Thesenpapier I - Wie kämpfen
Landstreitkräfte künftig?, S.5, via augengeradeaus.net
[11] KdoH, Thesen I, S. 17ff
[12] KdoH, Thesen I, S. 18
[13] Kommando Heer, Autorenteam, Thesenpapier II - Digitalisierung von
Landoperationen, S. 4, via augengeradeaus.net
[14] KdoH, Thesen II, S. 6
[15] KdoH, Thesen II, S. 8f
[16] Thorsten Jungholt, Welt, Alarmruf aus der Kommandozentrale des
Heeres, 02.04.2018, welt.de
[17] Kommando Heer, Autorenteam, Thesenpapier I - Rüstung
digitalisierter Landstreitkräfte, S. 7,  via augengeradeaus.net
[18] KdoH, Thesen III, S. 5
[19] KdoH, Thesen III, S. 8
[20] KdoH, Thesen III, S. 10
[21] KdoH, Thesen III, S. 11
[22] KdoH, Thesen III, S. 8ff
[23] Lt Gen Frank Leidenberger - How Allies Will Manoeuvre Beyond 2025:
RUSILWC18, via youtube.com
[24] KdoH, Thesen III, S. 10
[25] Generalleutnant Jörg Vollmer, Inspekteur des Heeres, 2018 – Das
Jahr der Wahrheit!, in: Infobrief Heer, Publikationsorgan des
Förderkreises Deutsches Heer e.V. (FKH), Nr.1 Februar 2018, 22.
Jahrgang, S. 1, fkhev.de
[26] Kommando Heer, Daniel Rasch, Die Umsetzung des Plans Heer beginnt,
06.12.18, deutschesheer.de, als PDF via augengeradeaus.net
[27] Generalleutnant Jörg Vollmer, Inspekteur des Heeres, 2019 – Das
Jahr der Umsetzung!, in: Infobrief Heer, Publikationsorgan des
Förderkreises Deutsches Heer e.V. (FKH), Nr.1 Februar 2019, 23.
Jahrgang, S. 1, fkhev.de
[28] Bundesministerium der Verteidigung, Erster Bericht zur Digitalen
Transformation des  Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der
Verteidigung, Berlin, Oktober 2019, S. 29, bmvg.de
[29] BMVg, Rede von Kramp-Karrenbauer: „Bundeswehr fit machen für die
Zukunft“, 06.02.2020, bmvg.de
[30] Uli Hauck, Tagesschau, Cyber-Innovationszentrum - Kritik an teurem
Bundeswehr-Startup, 21.01.2020, tagesschau.de
[31] Cyber Innovation Hub der Bundeswehr, über den offiziellen Auftritt
bei flickr.com
[32] Lt Gen Frank Leidenberger - How Allies Will Manoeuvre Beyond 2025:
RUSILWC18, via youtube.com
[33] Günther Jikeli (Hrsg.): Raketen und Zwangsarbeit in Peenemünde. Die
Verantwortung der Erinnerung. Friedrich-Ebert-Stiftung, Schwerin 2014,
library.fes.de
[34] Solveig Grothe, Spiegel, Schießplatz Kummersdorf - Deutschlands
gefährlichstes Denkmal, spiegel.de
[35] Michael Grube, Kampfstoff in Munster-Nord - Heeresversuchsstelle
Raubkammer, geschichtsspuren.de
[36] Oliver Bünte, Heise, US-Verteidigungsministerium will 2 Milliarden
US-Dollar in KI investieren, heise.de


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