Dienstag, 23. Juni 2020

Berliner Frauenhäuser warnen vor »lebensgefährlichen Zuständen« bei Vollbelegung

Schutzräume ohne Schutz

Die Frauenhäuser der Hauptstadt schlagen Alarm. Sie warnen vor den Folgen einer 100-prozentigen Auslastung. Damit könnten die durch Corona nötigen Abstandsregelungen und Kontaktbeschränkungen nicht gewährleistet werden. Dennoch schreibe die Senatsgesundheitsverwaltung eine volle Belegung der Betten vor, heißt es in einem Brief an die frauenpolitischen Sprecherinnen im Berliner Abgeordnetenhaus.
Unterzeichnet haben ihn einige, aber nicht alle Frauenhäuser - anonym, denn sie fürchten Repressalien. Die Träger der Frauenhäuser sind finanziell von der Gesundheitsverwaltung abhängig. »Aufgrund von großer Sorge vor weiteren Repressalien durch die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung haben sich leider nicht alle Berliner Frauenhäuser diesem Brief anschließen können und auch wir möchten aus demselben Grund nicht namentlich in Erscheinung treten«, ist laut der »Berliner Zeitung« weiter in dem Brief zu lesen.
Die Unterzeichner*innen kritisieren den hohen Druck, der von der Gesundheitsverwaltung ausgehe. Die Gesundheit der Bewohnerinnen und Mitarbeiterinnen stehe auf dem Spiel, die Situation sei »lebensgefährlich«, zitiert dazu die »Berliner Zeitung« die Leiterin eines Hauses. Voll belegt habe man die Zimmer auch vor der Coronakrise nicht, schlicht und einfach deshalb, weil diese zu klein für mehr als eine Frau und ihre Kinder seien.
Auch bei der Erstellung von Pandemieplänen sei man alleingelassen worden, so die Kritik der Frauenhäuser. Dabei hätte die Verwaltung sich an Plänen aus anderen Bundesländern orientieren können.
Auf die Frage nach Masken und Desinfektionsmitteln habe die Gesundheitsverwaltung mit dem Satz »Stellen Sie sich bei Kaufland an!« geantwortet, heißt es im Brandbrief.
Anja Kofbinger, Sprecherin für Frauenpolitik der Grünen-Fraktion, äußerte sich am Montag entsetzt: »In einer Zeit, in der Abstandsgebote Leben retten können und wir diese in Restaurants, Kneipen und Kulturangeboten durchsetzen, dürfen nicht ausgerechnet Zufluchtsorte wie Frauenhäuser zu einer Vollbelegung gedrängt werden.« Sie erwarte eine umgehende Klärung der Vorwürfe und sei selbst mit Hochdruck dabei, den Schilderungen der Frauenhäuser nachzugehen, erklärte Kofbinger gegenüber »nd«.
Ines Schmidt von der Linksfraktion sagte, man sei dabei, alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen »um alle Unklarheiten zu klären und zu beseitigen.« Und auch die frauenpolitische Sprecherin der FDP, Maren Jasper-Winter, forderte ein unverzügliches Handeln des Senats. »Die Situation zeigt nach wie vor, dass wir unter anderem ein weiteres Frauenhaus in Berlin brauchen. Leider hat R2G unsere Anträge hierzu abgelehnt.« Die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung teilte auf Anfrage mit, man sei mit den Frauenhäusern im Gespräch.
Zu Beginn der Coronakrise und einem erwarteten Anstieg häuslicher Gewalt wurde immer wieder die Relevanz von Frauenhäusern betont. Die Senatsverwaltung hatte daher rund 130 neue Schutzunterkünfte geschaffen. Zudem kam es zu einer Systemumstellung: Frauen sollen derzeit zunächst in angemieteten Hotels unterkommen, bevor sie anschließend auf Frauenhäuser verteilt werden. Jedoch gäbe es dabei massive Probleme, so die Kritik der Frauenhäuser: Die Hotels seien mangelhaft mit Personal ausgestattet, in der Vermittlung würden Fehler unterlaufen und wichtige Dokumente blieben unbearbeitet.
Der Personalmangel sei vor allem deshalb problematisch, weil viele der schutzsuchenden Frauen auch psychisch enorm belastet seien. Sie bräuchten nicht nur eine Unterkunft, sondern auch Beratung. Erst im März hatte die bundesweite Frauenhaus-Koordinierungsstelle betont: »Frauenschutz ist mehr als Frauenhäuser bauen!«

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