Am Nachmittag des 18. Juni erschossen Polizisten im Bremer Arbeiterviertel Gröpelingen einen 54 Jahre alten Marokkaner. Dem soll ein Streit vorhergegangen sein, zu dem vier Polizisten (zwei in zivil und zwei in Uniform) gerufen wurden.
Der Erschossene soll ein Messer getragen haben und soll einen Polizisten damit attackieren haben wollen. Ein Teil des Polizeieinsatzes und wie die Polizei den Mann erschießt, wurden von einem Anwohner auf Video festgehalten.
Was ist zu sehen auf dem Video? Man sieht, wie die vier Polizisten mit der Waffe im Anschlag denjenigen, den sie wenig später erschießen werden, in die Ecke eines Hinterhofs gedrängt haben. Er hat etwas in der Hand, aber eine Messer ist im Video nicht klar erkennbar. Der Marokkaner wirkt der Konfrontation mit vier Bewaffneten entsprechend etwas nervös, aber alles andere als aggressiv. Mehrfach fordert er die bewaffneten Beamten auf, wegzugehen. Alle Rückzugswege sind ihm abgeschnitten. Lautstark besprechen die Polizisten den Einsatz von Pfefferspray gegen den Mann. Einer der Uniformierten nähert sich dafür dem Mann, er setzt zuerst das Pfefferspray ein, daraufhin läuft der Umzingelte auf ihn zu, es fallen zwei Schüsse, der Mann fällt zu Boden und bleibt liegen. Noch nach den Schüssen hört man die Polizisten laut rufen: „Das Messer weg!“. All das ist zu sehen in dem Video, das knapp über eine Minute dauert. Der Mann erlag seinen Schussverletzungen. Auch Kinder beobacheten das Geschehen von den umliegenden Balkonen.
Laut Aussage der Polizei soll der Mann „psychosoziale Krise“ gehabt haben. Ob es eine gute Idee ist, mit vier Bewaffneten so jemanden in eine Ecke zu drängen, bleibe hier als Frage unbeantwortet. Aber einige Dinge können klar festgestellt werden:
1. Während die Polizei von Notwehr spricht, ist der Einzige, der in dem veröffentlichten Video Notwehr leisten könnte, der Erschossene. Die Aggression geht von der Polizei aus, die mit vier Pistolen den Mann umzingelt hat und bevor er losläuft Pfefferspray gegen ihn einsetzt. Wer schon mal Pfefferspray abbekommen hat, weiß, dass man in der Regel instinktiv als erstes versucht, von dem Ort wegzukommen, in dem das Pfeffer in der Luft ist. So jemand weiß auch, dass man leicht die Sicht und/oder die Orientierung verliert. Man ist also nicht in der Lage, jemanden wirklich gezielt anzugreifen. Wer sich das Video genau anschaut, sieht auch, dass die Haltung des Mannes beim Laufen nicht der eines gezielten Angriffs entspricht. Der Mann wurde somit ermordet.
2. Der Mord hat einen klaren Klassencharakter. Gröpelingen ist eines der ärmsten Arbeiterviertel in Bremen. Hier sind bis zu ein Drittel der Einwohner arbeitslos (das war schon vor Corona so, die Zahl ist jetzt wahrscheinlich noch höher), die Armut ist groß; die meisten, die hier leben, sind Migranten aus den unterdrückten Nationen. Die Situation der Menschen vor Ort wird nicht nur durch die sogenannten „Corona-Krise“ verschärft; auch vorher gab es unter anderem schon eine systematische Kampagne der Wohnungsmonopole und der Stadt, um das Viertel aufzuwerten - das setzt die Menschen in Gröpelingen einem noch größeren Druck aus. Das führt nicht nur zu gerechtfertigter Wut, sondern auch zu vielen Problemen bei den Menschen. Alkoholsucht, Drogenkonsum und damit einhergehende psychische Probleme sind hier keine Seltenheit. Der Ermordete war Migrant aus einer unterdrückten Nation, einer der ärmsten Nordafrikas. Ob mit einem weißen „Deutschen“ im Bonzenviertel Schwachhausen in dieser Situation gleich umgegangen worden wäre, ist fraglich. Während (mindestens) ein krankes Schwein in den letzten Wochen durch die Stadt ziehen kann und auf Spielplätzen Messer anbringt oder im Sand versteckt, um Kinder zu verletzen oder zu töten und die Polizei sich machtlos gibt, etwas dagegen zu tun (z.B. Spielplätze bewachen), können für einen unbequemen Marokkaner vier Beamte abgestellt werden. So offenbart der bürgerliche Staat ein weiteres Mal seinen Klassencharakter.
3. Nicht erst seit kurzer Zeit ist klar, dass die deutsche Polizei mit Migranten nicht besonders sanft umgeht und dass nach jeder Ermordung eines Migranten gelogen wird, dass sich die Balken biegen. Der Mord an Adel B. in Essen letztes Jahr ist eines der markantesten Beispiele, weil hier durch Handyaufnahmen eines Anwohners und die Arbeit von Revolutionären vor Ort die Lügengeschichte der Bullen denunziert werden konnte. Es ist aber leider auch nicht der einzige Fall. So wurden in den letzten Jahren immer wieder Migranten von der Polizei erschossen oder auf andere Art und Weise getötet. Mal soll ein Flüchtling Beamte mit einer Hantelstange attackiert haben wie in Stade, mal soll sich ein Afrikaner selber angezündet haben, wie im Fall von Oury Jalloh 2005 in Dessau. Die Polizisten werden mit der ganzen Macht des Staates geschützt, von der Polizeigewerkschaft, über die bürgerlichen Parteien bis hin zu den Gerichten. Die „Gewaltenteilung“ ist ein Treppenwitz, wenn es darum geht, die bewaffneten Söldner des bürgerlichen Staates zu schützen. Schließlich muss die Bourgeoisie auch Vertrauen in ihre Söldner demonstrieren, damit diese ihre Interessen schützen.
In einer Situation, in der überall auf der Welt Millionen von Menschen gegen rassistische Polizeigewalt auf die Straße gehen, birgt die Ermordung eines Marokkaners durch die deutsche Polizei natürlich eine große politische Explosivität. Unter anderem darum forderten die Bullen in den sozialen Netzwerken auch dazu auf, das Video von der Ermordung nicht weiter zu verbreiten. Aber das kann nicht verhindern, dass es in den Vierteln weiter brodelt …
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