In der TAZ-Kolumne „All cops are berufsunfähig“ philosophierte Hengameh Yaghoobifarah über die Abschaffung der Polizei. Innenminister Horst Seehofer wollte die Autor*in zunächst anzeigen, sieht davon nun aber ab. Stattdessen plant er ein Gespräch mit der Chefredaktion der TAZ. Mehrere Polizeigewerkschaften haben jedoch schon Strafanzeigen gestellt. Entbrannt ist eine gesamtgesellschaftliche Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen der Pressefreiheit und wie viel Kritik im Umgang mit der Polizei erlaubt wird.
„Wir erklären uns solidarisch mit Hengameh Yaghoobifarah“, sagt Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe. Der Verein stellt sich stets auf die Seite Linken, die aufgrund ihrer politischen Arbeit und ihrer Systemkritik staatlicher Repression ausgesetzt sind.
„Es verwundert uns nicht, dass der Innenminister ein Exempel statuieren wollte“, sagt Anja Sommerfeld - wohl habe er gehofft, dass eine breite Solidarisierung mit der Person und dem Text ausbleibt. Dem ist jedoch nicht so.
Doch worum geht es im Text überhaupt? Die Kolumne (https://taz.de/Abschaffung-der-Polizei/!5689584/) kritisiert das System Polizei, welches immer wieder zu Gewalt und Missbrauch seitens einiger seiner Träger führt, und problematische Strukturen, basierend auf Zwang, Unterordnung und Machtstrukturen. Die Kritik daran ist nicht neu. Der Text widmet sich jedoch zugespitzt der Frage, was denn mit den Polizist*innen passiert, wenn die Polizei abgeschafft würde.
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt“, heißt es in Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes. Auch die TAZ-Kolumne fällt als satirischer Meinungsbeitrag in diesen Rahmen. Einige, die den Text wohl nur unzureichend verstanden haben, sahen und sehen dies wohl anders. So auch Rainer Wendt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) – der selbst immer wieder durch Skandale und seine Nähe zur AfD in den Fokus der Medien gerät. Seine Gewerkschaft stellte eine Strafanzeige. „Die Berufsvertretung werde solche Denkweisen mit „allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen“, zitiert die FAZ (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/polizeigewerkschaft-erstattet-strafanzeige-gegen-taz-16818137.html). „Schon dieses mit dem Wunsch nach Zensur und Denkverboten verbundene Vorgehen verurteilen wir zutiefst“, so Sommerfeld.
Mehr noch befremdete aber das geplante Vorgehen des Innenministers Horst Seehofer, der ausgerechnet in der BILD-Zeitung laut darüber spekulierte, ob er nicht ebenfalls eine Anzeige wegen „Volksverhetzung“ stellen sollte.
Im weltweiten Presseindex, den die Organisation Reporter ohne Grenzen jährlich veröffentlicht, steht die BRD auf Rang elf – noch hinter Costa Rica und Jamaica. (https://www.reporter-ohne -grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2020/Rangliste_der_Pressefreiheit_2020_-_RSF.pdf) Als gegenwärtige Hindernisse journalistischer Arbeit betrachtet die Organisation neben der Sammelwut des Bundesnachrichtendienstes, Hasskriminalität im Netz etc. auch die Tatsache, dass Journalist*innen zunehmend auch von der Polizei an ihrer Arbeit gehindert werden (der komplette Bericht findet sich unter https://www.reporter-ohne-grenzen.de/nahaufnahme/2020/)
Anstatt dagegen vorzugehen, bekräftigte Horst Seehofer diese Tendenz und versuchte selbst, eine Journalist*in zum Schweigen zu bringen – wohl, um von Missbrauchs-, Gewalt-, Veruntreuungs- und Skandalen im rechtsextremen Spektrum in den Reihen der Polizei abzulenken, deren oberster Dienstherr Seehofer als Bundesinnenminister ist. „Dass hat er die Anzeige schlussendlich nicht gestellt hat, können wir nur begrüßen.“, sagt Anja Sommerfeld. „Weitere staatliche Angriffe auf die Pressefreiheit sind damit aber nicht auszuschließen. Wir zeigen uns solidarisch mit den Betroffenen und hoffen, dass auch der Fall der TAZ das Thema in der Öffentlichkeit nochmals verdeutlicht.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen