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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0563 .......... 23. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1.) Neue IMI-Analysen: Mali: Afrique-Europe-Interact und Rüstung digital;
2.) die erste IMI-Analyse einer (vermutlich) dreiteiligen Reihe: „Die
Bundeswehr und das Virus“.
Natürlich hat sich auch die Informationsstelle Militarisierung Gedanken
gemacht, wie sich die Corona-Pandemie auf ihre Arbeit einerseits und die
Protestkultur andererseits auswirken könnte und hat dazu eine erste
kurze Stellungnahme veröffentlicht:
IMI-Mitteilung
(Antimilitaristische) Politik in Zeiten der Pandemie
https://www.imi-online.de/2020/03/17/antimilitaristische-politik-in-zeiten-der-pandemie/
(17.3.2020)
2.) Neue IMI-Analysen: Mali: Afrique-Europe-Interact & Rüstung digital
Seit der letzten IMI-List sind eine Reihe neuer Texte entstanden. Neben
der IMI-Analyse zum Corona-Virus, die sich unten in dieser Mail findet,
haben wir nun auch alle Artikel des aktuellen Schwerpunkts des
IMI-Magazins AUSDRUCK „Rüstung digital“ als Html-Versionen online
gestellt. Außerdem frisch erschienen ist eine kritische
Auseinandersetzung mit den Positionen von Afrique-Europe-Interact
bezüglich des Mali-Konfliktes:
IMI-Analyse 2020/12
Grundsätzliches Missverständnis der deutschen Außenpolitik in Mali
Afrique-Europe-Interact und das Phantasma militärisch gestützter
Selbstermächtigung
http://www.imi-online.de/2020/03/16/grundsaetzliches-missverstaendnis-der-deutschen-aussenpolitik-in-mali/
Christoph Marischka (16. März 2020)
IMI-Analyse 2020/14 - in: AUSDRUCK (März 2020)
KI und Geopolitik
Die unheilige Allianz von Risikokapital, Wissenschaft und Politik
http://www.imi-online.de/2020/03/17/ki-und-geopolitik/
Christoph Marischka (17. März 2020)
IMI-Analyse 2020/13 - in: AUSDRUCK (März 2020)
Digitalisierung der Bundeswehr
Weg in die (Tech)Aufrüstungsspirale
http://www.imi-online.de/2020/03/17/digitalisierung-der-bundeswehr/
Martin Kirsch (17. März 2020)
IMI-Analyse 2020/11 - in: AUSDRUCK (März 2020)
Mensch-Maschine
EU Großprojekte zum Manned-Unmanned-Teaming
http://www.imi-online.de/2020/03/16/mensch-maschine/
Marius Pletsch (16. März 2020)
IMI-Analyse 2020/10 - in: AUSDRUCK (März 2020)
EUropas (digitale) Aufrüstung
PESCO, DG Defence und EU-Verteidigungsfonds
http://www.imi-online.de/2020/03/16/europas-digitale-aufruestung/
Tobias Pflüger (16. März 2020)
IMI-Analyse 2020/09 - in: AUSDRUCK (März 2020)
5G-Offensive
Zwischen Gefechtsfeld und Geopolitik
http://www.imi-online.de/2020/03/16/5g-offensive/
Jürgen Wagner (16. März 2020)
3.) IMI-Analyse: Die Bundeswehr und das Virus (I)
IMI-Analyse 2020/15
Die Bundeswehr und das Virus (I)
28. Januar bis 15. März 2020 - Was bisher geschah
http://www.imi-online.de/2020/03/17/die-bundeswehr-und-das-virus-i/
https://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2020-15-Corona.pdf
Martin Kirsch (17. März 2020)
Seit Ende 2019 verbreitet sich das neue Corona-Virus (SARS-CorV-2) von
der chinesischen Provinz Hubei aus über den gesamten Planeten. Am 11.
März erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Ausbruch des
Corona-Virus zur globalen Pandemie. Seitdem das Virus Ende Januar 2020
die Bundesrepublik erreicht hat, ist die Bundeswehr an Krisenstäben und
mit direkten Maßnahmen beteiligt.
Unter den Erkrankten befinden sich auch Soldat*innen. Kasernen wurden
vorübergehend geschlossen. Die Quarantänefälle in den Streitkräften
liegen im höheren dreistelligen Bereich.
Internationale Manöver wurden abgesagt oder werden im kleinen Rahmen als
digitale Simulationen fortgeführt – darunter auch das Großmanöver
Defender 2020. Viele Kasernen arbeiten auf Sparflamme und auch
Soldat*innen werden ins Homeoffice geschickt.
Aktuell ist die Bundeswehr einerseits damit beschäftigt, die Ausbreitung
des Virus in den eigenen Reihen einzudämmen. Die “Einsatzbereitschaft”
soll aufrechterhalten werden. Andererseits laufen die Auslandseinsätze
weitestgehend weiter. Der Bundestag hat entsprechende
Mandatsverlängerungen, u.a. für Afghanistan, vorgezogen und die
Vorschriften für Truppenbewegungen in die Einsatzgebiete wurden verschärft.
Bis zum Wochenende war die Bundeswehr bereits mit Maßnahmen im Rahmen
der Amtshilfe, darunter Testkapazitäten für zivile Behörden und
Beschaffung von Medizinprodukten für das Bundesgesundheitsministerium,
aktiv.
Aktuell laufen die Vorbereitungen für großflächigere Einsätze der
Bundeswehr im Inland im Rahmen von Katastrophen-Einsätzen, wie sie
bereits am 13. März durch den bayerischen Ministerpräsidenten Söder
gefordert wurden.
Dieser Text soll einen Überblick über die Ereignisse bis zum Wochenende
14./15. März geben.
Ein zweiter Text, der sich mit den aktuellen Ereignissen
(Grenzschließungen, Katastrophenfall) seit dem Wochenende und der Rolle
der Bundeswehr als Krisenakteur intensiver beschäftigt ist momentan in
Arbeit.
Deutschlands erster Infektionsfall und die Rückholaktion aus Wuhan
Der erste bestätige Fall des neuen Corona-Virus in Deutschland wurde am
28. Januar 2020 bei einem Mitarbeiter des Automobilzulieferers Webasto
im Landkreis Starnberg bei München festgestellt. Zuvor war er von einer
Dienstreise aus Schanghai zurückgekehrt. Wie die Bundeswehr am 29.
Januar auf ihrer Website meldete, ist sie seitdem aktiv.[1] Der Test auf
das Virus wurde vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München
durchgeführt. Die zwischen der Rückkehr des ersten Patienten nach
Deutschland und der Diagnose infizierten Personen in der Großregion
München bildeten das erste Infektions-Cluster in Deutschland.
Der erste große mediale Auftritt der Bundeswehr im Zusammenhang mit dem
Corona-Virus ereignete sich bereits in den Folgetagen. Nach einer
Anfrage aus dem Außenministerium und mehrtägigen Verhandlungen über
Überflugs- und Landerechte startete am 29. Januar ein Großraumflugzeug
der Flugbereitschaft der Luftwaffe, verstärkt durch Soldat*innen des
Sanitätsdienstes der Bundeswehr, vom Flughafen Köln-Bonn aus nach China.
Angekommen in Wuhan, dem Epizentrum der Corona-Epidemie, wurden 115
deutsche Staatsbürger an Bord genommen, um sie auszufliegen. Nach der
Rückkehr am ersten Februar wurden alle Ausgeflogenen vom Flughafen
Frankfurt in eine zuvor eingerichtete Quarantäne-Einrichtung in die
Südpfalz-Kaserne der Luftwaffe in Germersheim zwischen Mannheim und
Karlsruhe verbracht.
Begleitet wurde das Geschehen von einer breiten medialen
(Live-)Berichterstattung.
Nach Tests, die bereits am Flughafen durchgeführt worden waren, wurden
zwei Infizierte am Folgetag in naheliegende Krankenhäuser gebracht. Die
verbleibenden Rückkehrer wurden am 16. Februar aus der Quarantäne in der
Kaserne entlassen. An der Versorgung der unter Quarantäne stehenden
Personen waren neben Einheiten des vor Ort stationierten
Luftwaffenausbildungszentrums auch Angehörige des Sanitätsdienstes der
Bundeswehr und weiterer militärischer Einrichtungen sowie zivile
Behörden des Landes Rheinland-Pfalz, des Roten Kreuzes und des THW
beteiligt. Bereits am 05. Februar, während der noch laufenden
Quarantäne, meldete sich Bundesgesundheitsminister Spahn per
Videobotschaft via Twitter zu Wort, um der Bundeswehr seinen Dank
auszudrücken.
Auch in den folgenden Wochen waren die Flugbereitschaft der Luftwaffe
und der Sanitätsdienst der Bundeswehr aktiv, um Deutsche, die mit
französischen, italienischen und britischen Maschinen aus China
ausgeflogen wurden, nach Deutschland zu überführen und vorübergehend zu
isolieren.
Während die Rückholaktionen europäischer Bürger aus China gegen Ende
Februar beendet wurden, begann die erste größere Infektionswelle in
Deutschland, die vermutlich von erkrankten Urlaubsrückkehren aus
Norditalien ausgelöst wurde.
Erkrankte Soldat*innen, Verdachtsfälle und geschlossene Kasernen
Das bisher größte Infektionscluster in Deutschland entstand am 15.
Februar durch den Besuch von zwei Italien-Rückkehrern auf einer
Karnevalsfeier im Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen.
Unter den rund 300 Besucher*innen der Veranstaltung befand sich auch ein
Soldat der Luftwaffe, der am 26. Februar positiv auf das Corona-Virus
getestet wurde und in Folge zur Behandlung ins
Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz gebracht wurde.
Laut Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer zählt die Bundeswehr,
Stand 13.03.2020, insgesamt 18 bestätigte Infektionen und 120
“begründete Verdachtsfälle” – Tendenz steigend.[2]
Der erste Corona-Fall innerhalb einer Einrichtung der Bundeswehr – die
Quarantänestation der Wuhan-Rückkehrer ausgenommen – traf am 5. März
einen Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes in der
Adenauer-Kaserne in Köln. Die Dienststelle wurde vorübergehend
heruntergefahren. Weitere Verdachtsfälle wurden aus dem Amt für
Heeresentwicklung in derselben Liegenschaft in Köln und aus dem
Ausbildungszentrum für Spezialkräfte im Baden-Württembergischen
Pfullendorf gemeldet.[3]
Weitere drei bestätigte Fälle von Corvid-19 traten am 09. März in der
Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg auf. Der Betrieb in den
Stadtteilen Olsdorf und Blankenese wurde bis zum 20. März eingestellt
und rund 350 Personen vorsorglich in häusliche Isolation geschickt. Bis
zum 13. März wurden unter den Verdachtsfällen drei weitere Soldat*innen
positiv getestet.[4] Der fünfte bestätigte Infektionsfall wird ebenfalls
am 9. März aus dem Bundesamt für Personalmanagement in der Kölner
Lüttich-Kaserne gemeldet. Rund 100 Kontaktpersonen werden in häusliche
Quarantäne geschickt.[5] Die Kaserne wird für zwei Tage geschlossen.
Auch an der Universität der Bundeswehr in Hamburg bestätigte sich am 12.
März ein Verdachtsfall. Nachdem das Gelände vorübergehend abgeriegelt
wurde, konnten zivile Angestellte den Heimweg antreten. Noch am selben
Tag wurde der Betrieb der beiden Bundeswehr-Universitäten in Hamburg und
München bis Ostern weitestgehend eingestellt.[6] Auch an Zentrum Innere
Führung in Koblenz werden ab dem 16. März vorerst keine Lehrgänge mehr
stattfinden.[7] Am 13. März meldet auch das Kommando des Heeres in
Straußberg bei Berlin einen positiven Test auf das Corona-Virus und
Quarantänemaßnahmen für Kontaktpersonen.[8] Abgesehen von einem Kernteam
werden die meisten Soldat*innen des Kommandos ins Homeoffice geschickt.
Am 13. und 15. März verkünden die Kommandos der Bereiche
Streitkräftebasis und Luftwaffe, aus denen bisher keine Corona Fälle
bekannt sind, via Twitter,[9] dass auch hier in diversen Fällen
Homeoffice angesetzt wird, um den Betrieb auf ein Minimum zu reduzieren.
Auch für die unterstellten Truppenteile werden Dienstreisen und
Übungsvorhaben abgesagt. Am 9. März wurde zudem der erste Corona-Fall
unter den Mitarbeiter*innen des NATO-Hauptquartiers in Brüssel gemeldet.[10]
In Quarantäne befinden sich seit dem 10. März auch angehörige der
Führungsspitze der Bundeswehr und weiterer NATO-Streitkräfte. Nach der
“Land Forces Commanders Conference” der U.S. Army Europe am 6. März in
Wiesbaden wurde bekannt, dass zwei anwesende Generäle, der polnische
Chef des Streitkräftekommandos, Jaroslaw Mika, und der italienische
Heeres-Stabschef, Salvatore Farina, an Corvid-19 erkrankt sind. Seit dem
stehen u.a. der Kommandeur der US-Army Europe, General Christopher
Cavoli, und der Inspekteur des Heeres der Bundeswehr, General Alfons
Mais, als Kontaktpersonen vorsorglich unter Quarantäne.[11]
Abbruch von NATO- und EU-Manövern
Die norwegische Armee, Ausrichter des NATO-Wintermanövers Cold Responce
mit geplanten 14.000 Soldat*innen aus 10 Nationen, beendete die
Großübung am 11. März vorzeitig. Die Finnische Armee hatte bereits am 8.
März die Anreise ihrer Soldat*innen zur Übung ausgesetzt.
Von der als “unkontrolliert” bezeichneten Ausbreitung des Virus in
Norwegen ist auch eine Garnison der norwegischen Armee betroffen, die
vollständig unter Quarantäne gestellt wurde.[12] Die ebenfalls an der
Übung beteiligten Gebirgsjäger, Fernspäher und Transportflieger der
Bundeswehr kehrten bis zum Wochenende nach Deutschland zurück.
Einen Tag später, am 12. März, wird auch das Mega-Manöver Defender 2020
zur Verlegung von US- und NATO-Truppen quer durch Europa nach Polen und
ins Baltikum stark reduziert. Wegen der Corona-Epidemie hatte das
Pentagon strikte Reisebeschränkungen erlassen. 15.000 der geplanten über
20.000 US-Soldat*innen traten ihren Weg nach Europa gar nicht an.
Deutschland, das als Drehscheibe der Truppenverlegungen im Zentrum der
Übung stehen sollte, sagte am 13. März zudem das untergeordnete Manöver
auf dem Truppenübungsplatz Bergen in Niedersachsen mit einer
vorgesehenen Beteiligung von 250 Bundeswehrsoldat*innen ab.[13]
Am 16. März verkündete die Streitkräftebasis der Bundeswehr, dass alle
Truppenverlegungen und Übungen im Rahmen von Defender 2020 in
Deutschland eingestellt wurde. Ob geplante Teilübungen in Polen und den
baltischen Staaten, in modifizierter Form, weiter stattfinden werden ist
aktuell noch offen.
Bereits am 1. März hatte Alexander Neu, Verteidigungspolitiker der
Linken im Bundestag, gefordert: “Defender muss sofort gestoppt werden.
Schon ohne das Auftreten des Virus Covid-19 ist das Manöver aus
friedenspolitischer Sicht unverantwortlich. Nun kommt aber die Gefahr
einer weiteren Verbreitung der Corona-Epidemie hinzu“. Zur Begründung
sagte er: “Es ist nicht nachvollziehbar, wenn einerseits Kitas,
Verwaltungen und Schulen geschlossen werden, andererseits aber das
Militär, ohne dass es eine Notwendigkeit dafür gibt, weitermacht wie
bisher. (…) Bei fast allen großen Epidemien der Vergangenheit hat das
Militär eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung gespielt. Eine
Eindämmung der Corona-Welle, ohne Einschränkungen der Militärbewegungen
ist ungleich schwieriger“.[14]
Von der Bundeswehr selbst wurde die vom 13. bis 27. März geplante
EU-Großübung “European Challenge” in der vorgesehenen Form abgesagt. Zur
Zertifizierung der EU-Battlegroup sollten rund 3.000 Soldat*innen aus
neuen EU-Staaten auf Truppenübungsplätzen in Bayern und
Baden-Württemberg trainieren.[15] Vier Nationen sagten die Teilnahme
ganz ab. Die verbleibenden fünf Nationen werden eine kleine
softwarebasierte Übung der Führungsebene durchführen.
Auswirkung auf Auslandseinsätze – Vorgezogene Mandatsverlängerungen
Um einer möglichen Beschlussunfähigkeit des Bundestages durch weitere
Quarantänefälle zuvorzukommen, wurden Abstimmungen über
Mandatsverlängerungen für Auslandseinsätze der Bundeswehr vorgezogen.
Eine fehlende Mandatsverlängerung durch das Parlament hätte einen
Abbruch der Einsätze zur Folge haben können. Im Windschatten der
Krisenmeldungen wurden die Mandate für UN-Einsätze im Sudan und Südsudan
bereits am 12. März verlängert. Die Abstimmung über eine
Mandatsverlängerung wurde – mit der Begründung der Verringerung von
Ansteckungsgefahren – erstmals per Handzeichen durchgeführt.[16]
Während die mediale Aufmerksamkeit den Schulschließungen in den
Bundesländern und dem Beschluss über ein Paket zur Stützung der
Wirtschaft im Bund galt, wurden am Freitag, dem 13. März, weitere
Mandate verlängert. Neben der Verlängerung des NATO-Einsatzes im
Mittelmeer unter dem Namen Sea Guardian, der jetzt zudem durch eine
EU-Mission erweitert werden kann, wurde auch das Mandat für den
Bundeswehreinsatz in Afghanistan verlängert.[17] Den bereits vor dem
brüchigen Friedensabkommen zwischen Taliban und US-Administration
hochgradig umstrittenen Einsatz ohne ernst zu nehmende Debatte durch das
Parlament zu winken, ist dabei ein besonderer Skandal. Während weite
Teile der Großen Koalition, sowie weitere Abgeordnete von FDP und Grünen
per abnicken im Parlament vermeintliche Klarheit für die Einsätze
geschaffen haben, gestalten sich Truppenbewegungen in die Einsatzgebiete
deutlich schwieriger.
Bereits am 06. März hatte der Sprecher der UN für Peacekeeping-Einsätze,
Nick Birnback, mitgeteilt, dass neun Staaten, darunter China, Südkorea,
Italien, Frankreich und Deutschland die Rotation von Soldat*innen und
Polizist*innen in UN-Missionen verschoben haben. Zudem forderte er alle
beteiligten Staaten auf, die aktuellen Kontingente für einen
dreimonatigen Rotationsstopp in den Einsätzen zu belassen.[18] Von
Seiten der Bundeswehr wurde verkündet nur zuvor getestete Soldat*innen
in die Auslandseinsätze zu schicken, um Ansteckungsrisiken in den
Einsatzgebieten zu minimieren. Auch hier zeigt sich die staatliche
Prioritätensetzung, wenn Tests für Einsatzkontingente genutzt werden,
während flächendeckende Tests in der Bevölkerung mit der Begründung
fehlender Kapazitäten, verweigert werden.
Weitere Unklarheiten für Truppenverlegungen aus Deutschland sind
entstanden, seitdem diverse Staaten die Bundesrepublik zum Risikogebiet
erklärt haben und Einreisen von Personen aus Deutschland massiven
Einschränkungen unterliegen, oder gänzlich verboten wurden. So sieht die
malische Regierung bei Einreisen aus Deutschland eine zweiwöchige
Quarantäne vor. Die Durchführung des aktuell anstehenden
Kontingentswechsels steht daher, laut Aussagen des Spiegels auch in
einem bundeswehrinternen Papier, in Frage.[19] Zudem herrscht aktuell
Unklarheit, ob die vorgesehene Ablösung der Besatzungen deutscher
Tornado-Aufklärungsflugzeuge im Counter-Daesch-Einsatz über Syrien durch
die italienische Luftwaffe unter den aktuellen Bedingungen in Italien
überhaupt umsetzbar ist.
Der einzige Einsatz, der wegen der Corona-Epidemie formal ausgesetzt
wurde, ist seit dem 4. März die Ausbildungsmission der Bundeswehr im
Zentralirak bei Bagdad. Währenddessen läuft die Ausbildung im
nordirakischen Erbil weiter.[20] Am 15.03. betonte
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, dass die
“Einsatzbereitschaft” der Bundeswehr, sowohl in der Lands- und
Bündnisverteidigung, als auch für die Auslandseinsätze gegeben sei.[21]
Vorbereitung auf Krisenmodus und erste Amtshilfemaßnahmen
Wie bereits erwähnt ist die Bundeswehr seit dem ersten Corona-Patienten
in Deutschland im Januar mit kleineren Amtshilfemaßnahmen für zivile
Behörden aktiv.
Die internen Notfallsysteme wurden seit dem Fall eines ersten erkrankten
Soldaten Ende Februar hochgefahren. Die Koordination wurde vom Kommando
Sanitätsdienst in Koblenz übernommen.
Seitdem bereiten sich auch die fünf Bundeswehrkrankenhäuser in Koblenz,
Hamburg, Berlin, Ulm und Westerstede auf die vermehrte Behandlung von
militärischen und zivilen Patienten vor. Seit dem 11. März hält die
Bundeswehr 1.200 Quarantäneplätze für Zivilpersonen vor, die keinen Ort
für eine häusliche Isolation in Privatunterkünften haben. Dafür wurden
Orte in Kasernen eingerichtet und Personal der Sanitätsregimenter
abgestellt.[22] Laut Aussage des Sprechers des Sanitätsdienstes soll die
Zahl dieser Plätze weiter erhöht werden.
Parallel zu den verkündeten Schulschließungen am 13. März startete der
Sanitätsdienst zudem einen Aufruf an Reservist*innen mit medizinischen
Kompetenzen, sich für einen freiwilligen Reservedienst in den
Bundeswehrkrankenhäusern zu melden.[23] Über das Wochenende hatten sich
730 Personen gemeldet von denen zeitnah 380 in den Reservedienst gehen
sollen.[24]
Während das Verteidigungsministerium bis zum Wochenende, abgesehen von
der Rückholaktion aus Wuhan, extrem zurückhaltend über Aktivitäten der
Bundeswehr für zivile Behörden kommuniziert hat, häufen sich seitdem die
Meldungen über Amtshilfemaßnahmen. Nachdem Bayerns Ministerpräsident
Söder am Freitag, den 13. März, einen flächendeckenden Einsatz der
Bundeswehr zur Unterstützung ziviler Stellen gefordert hatte und der
besonders betroffene Kreis Heinsberg in NRW öffentlich Amtshilfe durch
die Bundeswehr angefragt hatte, meldete sich Verteidigungsministerin
Kramp-Karrenbauer am 15. März in der Bild am Sonntag zu Wort.[25]
In einem Interview berichtet sie von Unterstützungsleistungen der
Bundeswehr. So habe das Beschaffungsamt der Bundeswehr den Einkauf von
Atemschutzmasken, Schutzanzügen und Medikamenten für das
Bundesgesundheitsministerium übernommen. Zudem würden bereits
Lagerkapazitäten, “medizinisches Personal zur Unterstützung ziviler
Kräfte und Laborkapazitäten” durch die Bundeswehr zur Verfügung gestellt.
Mit der Ausrufung des Katastrophenfalls in Bayern am 16. März, der neben
besserer Koordination auch mit der Möglichkeit eines vereinfachten
Einsatzes der Bundeswehr begründet wird, ist von einer Ausweitung der
Aktivitäten der Bundeswehr auszugehen. Während aktuell noch keine
Anfragen an die Bundeswehr aus Bayern bekannt sind, brachte Söder
bereits die Einrichtung von Notkrankenhäusern und Unterkünften in leeren
Messe- und Veranstaltungshallen ins Gespräch. Über medizinisches
Personal und entsprechende Infrastruktur der Bundeswehr hinaus sind
zudem Einsätze der ABC-Einheiten der Bundeswehr denkbar.
Folgt man der von Innenminister Seehofer und Bundespolizeipräsident
Romann im Rahmen der Verkündung von Grenzschließungen am 15. März
ausgegebenen Linie, ist davon auszugehen, dass in den kommenden Tagen
auch die Debatte über die Unterstützung der Polizei durch die Bundeswehr
zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Grenzkontrollen
beginnen wird. Sicher ist bisher, dass die Bundeswehr sich, neben der
Bekämpfung des Virus in den eigenen Reihen aktuell auch auf ihre Rolle
als Krisenakteur vorbereitet. Die politischen Weichenstellungen dafür
werden mit der Ausrufung des Katastrophenfalls aktuell geschaffen. Zudem
ist davon auszugehen, dass – wie bereits bei den Schulschließungen auch
bei der Ausrufung des Katastrophenfalls – ein Dominoeffekt unter den
Bundesländern eintreten könnte.
ANMERKUNGEN
[1] Sanitätsdienst der Bundeswehr, Coronavirus: Münchener Institut
erbringt Nachweis, 29.01.20, bundeswehr.de
[2] Welt am Sonntag, Interview mit Annegret Kramp-Karrenbauer, Nr. 11,
15.03.20, S.4
[3] Merkur.de, Coronavirus: Bundeswehr sucht Freiwillige für
Sanitätsdienst - die Reaktion kommt umgehend, 16.03.20, merkur.de
[4] Bundeswehr, 13. März 2020 – Aktuelle Information von der
Führungsakademie, 14.03.20, bundeswehr.de
[5] Deutscher Bundeswehrverband, Kölner Lüttich-Kaserne wegen Coronafall
geschlossen, 09.03.20, dbwv.de
[6] Augen geradeuas!, Coronavirus: Bundeswehr-Universitäten stellen
Lehrbetrieb ein (Zusammenfassung), 12.03.20, augengeradeaus.net
[7] Bundeswehr, Zentrum Innere Führung - Lehrgänge abgesagt, 15.03.20,
bundeswehr.de
[8] Bundeswehr, Kommando Heer reagiert auf Corona-Pandemie, 13.03.20,
bundeswehr.de
[9] Die Streitkräftebasis, via Twitter: @SKB_JSEC, 14.03.20, 19:26 Uhr,
twitter.com; und: Team Luftwaffe, via Twitter: @Team_Luftwaffe,
15.03.20, 16:52 Uhr, twitter.com
[10] NATO, Statement by the NATO Spokesperson on COVID-19, 09.03.20,
nato.int
[11] Augen gerdadeaus!, Sammler Coronavirus in der Bundeswehr:
Heeresinspekteur in häuslicher Quarantäne, zwei Kasernen geschlossen
(Nachtrag), 10.03.20, augengeradeaus.net
[12] Augen geradeaus!, Coronavirus: Norwegen beendet vorzeitig Übung
‚Cold Response“, 11.03.20, augengeradeaus.net
[13] Presse- und Informationszentrum der Streitkräftebasis, via
persseportal.de, DEFENDER-Europe 20: Absage deutscher Übungsbeteiligung,
13.03.20, presseportal.de
[14] MdB Alexander S. Neu, Alexander Neu fordert Stopp des US-Manövers
Defender Europe 2020 wegen Coronavirus, 01.03.20, dielinke-nrw.de
[15] Bundeswehr, Coronavirus wirkt sich auf Übung European Challenge
aus, 12.03.20, bundeswehr.de
[16] Augen geradeaus!, Bundestag verlängert Bundeswehr-Beteiligung an
UN-Missionen im Sudan – erstmals per Handzeichen, 12.03.20,
augengeradeaus.net
[17] Augen geradeaus!, Bundestag verlängert Bundeswehr-Einsätze in
Afghanistan und im Mittelmeer,, 13.03.20, augengeradeaus.net
[18] The New York Times, UN: 9 Countries Delay Rotating Troop and Police
Over Virus,06.03.20, nytimes.com
[19] Der Spiegel, Unterstützung bei Labortests - Corona-Krisenregion
Heinsberg bittet Bundeswehr um Notfallhilfe, 13.03.20, spiegel.de
[20] Deutscher Bundeswehrverband, Bundeswehr: Ausbildungsmission im
Zentralirak wegen Corona ausgesetzt,02.03.20, dbwv.de
[21] Welt am Sonntag, AKK
[22] Tagesspiegel, Morgenlage aus der Hauptstadt - Bundeswehr
organisiert 1200 Plätze für Coronavirus-Quarantäne, 11.03.20,
tagesspiegel.de
[23] Bundeswehr, Reservisten für die Bundeswehrkrankenhäuser gesucht!,
13.03.20, bundeswehr.de
[24] Augen geradeaus!, Corona-Pandemie und Bundeswehr: Sammler 16. März,
16.03.20, augengeradeaus.net
[25] Welt am Sonntag, AKK
IMI-List - Der Infoverteiler der
Informationsstelle Militarisierung
Hechingerstr. 203
72072 Tübingen
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