Mittwoch, 25. September 2019

Industriepark Oberelbe: Brauchen wir einen Industriepark am Feistenberg?



Die Städte Pirna, Heidenau und Dohna gedenken, am Feistenberg entlang des Autobahnzubringers B172a auf einer Fläche von 150 Hektar den "Industriepark Oberelbe" zu errichten.
Was spricht für den Industriepark Oberelbe?
  1. Ohne neue Jobs überaltert die Region
  2. Die Wirtschaftsstruktur ist nicht ausgewogen 
  3. Das Lohnniveau muss angehoben werden 
  4. Die Kommunen brauchen mehr Steuereinnahmen 
  5. Handel ist auf Kaufkraft angewiesen 
Im verlinkten Artikel der Sächsischen Zeitung wird ausführlich zu den oben genannten Punkten beschrieben, welche Gründe für den Bau des Industrieparks Oberelbe sprechen.
Was spricht gegen den Industriepark Oberelbe?
  1. Das Landschaftsgebiet ist schon durch den Bau der A17 und der B172a stark betroffen und würde mit dem Bau des Industrieparks nachhaltig vollkommen verändert und somit versiegelt werden.
  2. Mensch und Tier sollen einen riesigen Industriepark billigen und versuchen sich damit zu arrangieren. Schon jetzt gibt es durch den abgeschlossenen Bau der A17 und der B172a keine ausreichenden Rückzugsmöglichkeiten für Tiere vieler Arten. Die Trassen bilden Barrieren und zerschneiden die Landschaft. An den Rändern der Autobahn wurden bescheidene Buschreihen an Hängen gepflanzt. Leider sind diese auch umzäunt. Tiere durchbrechen die Barrieren. Dies zeigt, wie sehr die Tiere unter dem Mangel eines Rückzugsgebietes leiden. Das betreffende Gebiet wird bis zum Bau des IPO von konventioneller Landwirtschaft genutzt. Eine weitere Zersiedlung der Landschaft wird keine Verbesserung des Lebens der Menschen und erst recht kein Überleben der Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen darstellen.
  3. Zudem ist ein Lärmschutz an der A17 im Bereich Großsedlitz quasi nicht vorhanden. Seit Jahren sind die Anwohner, besonders in der Nacht, vom Lärm der Autobahn beeinträchtigt. Die Lebensqualität ist gesunken. Mit dem Bau des IPO wird der Lärm zunehmen und Luftqualität weiter verschlechtert.
  4. Ein erhöhtes Verkehrsaufkommen und der damit verbundene Lärm und die Luftverschmutzung wird steigen.
  5. Das Gebiet, das für den Bau des Industrieparks vorgesehen ist, liegt in einer Frischluftschneise, die weite Teile Pirnas mit Kalt- bzw. Frischluft versorgt. Mit dem Bau des IPO würde dies nachhaltig gestört werden.
  6. Versiegelung von 150 Hektar Fläche.
  7. Es besteht weder bezahlbarer Wohnraum, noch die verfügbare Fläche um bezahlbaren Wohnraum für die zusätzlichen Einwohner zu schaffen.
  8. Der öffentliche Nahverkehr bietet zum jetzigen Zeitpunkt keine Pendelmöglichkeit für Beschäftigte des IPO.
  9. Ein Industriepark neben dem Barockgarten Großsedlitz?
Meiner Meinung nach ist das Projekt IPO keine Chance für die Region, es bedeutet nur den weiteren Werteverlust für die hier lebende Bevölkerung.  Niemand kann sich sicher sein, dass die risikoreiche Verwendung von mehr als 100(!) Millionen Euro Steuergelder zum Erfolg führen wird. Zudem treffen einige wenige Politiker und deren Stadträte riskante, irreversible Entscheidungen ohne die Meinung und Zustimmung der Bevölkerung einzuholen. Diese wird erst informiert, wenn „Tatsachen“  geschaffen wurden. Als bestes Beispiel ist der Vorentwurf des FNP der Stadt Heidenau zu nennen.
Was können wir tun?
Der beste Weg ist ein Dialog zwischen den Verantwortlichen des Projektes und den Bürgern der Region. Im Rahmen dieses Dialoges sollen die Vorteile und Nachteile erörtert und gemeinsam diskutiert werden. Wir, die Bürger der Region, sollten dann gemeinsam mit den Verantwortlichen Entscheidungen über das Schicksal des Projektes treffen und dies noch bevor größere Summen an Steuergeldern für das Projekt gebunden werden.
Welche Alternativen wären denkbar?
  1. Teile des Gebietes sollten renaturiert werden , d.h. einen Teil aufforsten und Gewässer anlegen, also eine Basis für die hier lebenden Tiere schaffen.
  2. Umbau der vorhandenen konventionellen Landwirtschaft in eine ökologische Landwirtschaft. Den Landwirten, die den Schritt in die richtige Richtung sollte eine anfängliche Unterstützung in Form Finanzierungsmöglichkeiten angeboten werden. Landwirtschaft ohne Gift funktioniert gibt es bereits und sie funktioniert. Wir können der Natur ein Stück zurückgeben. Wir sollten es sogar.
  3. Einige Streuobstwiesen anlegen, die ebenfalls zur Erhaltung der Artenvielfalt beitragen und den Menschen in der Region mit frischem Obst versorgt.
  4. "Kleinere" Gebiete zur Erschließung von Gewerbe und Industrie ausweisen, mit der  Vorgabe ein "Ausgleich" für ihre umweltbelastenden Verfahren zu schaffen. Stets umschlossen von großzügig angelegten Mischwald.
  5. Bereits bestehende Straßen ausbauen, d.h. umweltbewusste Gestaltung von Fahrtwegen und Schaffung von (Unter-)Querungsmöglichkeiten für die in der Region lebenden Tiere.
Wird es nicht Zeit, dass Sie wir und vor allem Sie, liebe Verantwortlichen des Projektes, aus Fehlern lernen und die Zukunft gemeinsam gestalten? Viele Bürger und Bürgerinnen dieser Region haben Ideen und möchten sich mit diesen einbringen. Wir, die Bürger, wollen respektiert werden. Wenn niemand mit uns kommuniziert, wie sollen wir eventuelle Vorteile des Projektes verstehen?
Gern stehe ich für Rückfragen zur Verfügung und stelle Kartenmaterial bereit. Wenn jemand Ideen, Anregungen oder Kritik mitteilen möchte, so bitte ich darum einen Kommentar zur Petition zu verfassen.
Informationsquellen:
Ein satirischer Kommentar zum Industriepark Oberelbe.
Im geplanten IPO der Kommunen Pirna, Dohna und Heidenau dürfen Industrieanla-gen gemäß der 4.Bundesimmissionschutzverordnung (4.BIDSchV, Anlage 1) gemäß der § 19 (mit Öffentlichkeitsbeteiligung) und § 10 (ohne Öffentlichkeitsbeteiligung) angesiedelt werden. Ein Ausschluss spezieller Industrieanlagen erfolgte durch die IPO-Planer bisher nicht. Unter die genehmigungsfähigen Anlagen fallen neben Müll-verbrennung, Tierkörperverwertung, Kraftwerke und Chemieanlagen jeder Art, La-gerung gefährlicher Stoffe auch industrielle Tiermastanlagen, so z.B. für mehr als 40.000 Stück Mastgeflügel oder auch mehr als 2000 Mastschweine. Es ist bekannt, dass der IPO zum großen Teil in einem für Pirna wichtigen Kaltluftentstehungsgebiet errichtet werden soll, dessen Luft sich selbst bei Windstille in die Talregion von Pir-nas Stadtzentrum bewegt. Nun könnte man meinen, es sei Geschmacksache, ob den Pirnaern die zu erwartende „würzige Landluft“ industrieller Tiermastanlagen zusagt oder nicht. (Die Einwohner von Krebs wissen schon lange, wovon hier die Rede ist.) Nein, hier handelt es sich um handfeste gesundheitsgefährdende Szenarien: Das aus Mastställen entweichende gasförmige Ammoniak (NH3) ist insgesamt für 45% an der Feinstaubbildung beteiligt, so dass in Gebieten solcher ländlicher Emissionen die Feinstaubbelastung ähnlich hoch ist wie im Zentrum von Großstädten (s. z.B. ARD, Monitor vom 17.1.19) Hinzu kommt die Feinstaubbelastung durch den Autobahnzu-bringer und der Südumfahrung. Dieser Schadstoffmix würde also ständig aus westli-cher Richtung über die Wohngebiete am Feistenberg und am Postweg in die Pirnaer Tallage hinab wabern. Bundesweit verursacht dies statistisch 50.000 vorzeitige To-desfälle pro Jahr, besonders bei ohnehin Lungen- und Herzkreislauf belasteten Ein-wohnern, die Erkrankungen als solche nicht mit gerechnet. Und in Pirna?

Bündnis 90/Die Grünen Pirna

Zum Tod von Sigmund Jähn

Der fehlende Buchstabe

Mögen wir aber aufbrechen zu fernsten Orten - das Fliegen und das Schweben über fremder Tiefe erhält seinen Wert nur immer aus der Weise, wie wir zurückkehren. Zur Erde, zu unserer Unvollkommenheit, zu uns selber. Und wie wir inmitten hochschießender, alle Himmel durchstoßender Metalle doch eines nicht vergessen: dass es Momente gibt, in denen Schmetterlinge dicht über einer Blüte das größere Wunder sind als unsere Raketen weit oben.
Gern sagte Sigmund Jähn er den Satz: »Ich war beeindruckt.« Der Schock, nachdem der junge Flieger sich aus einem plötzlich triebwerktoten Jagdflugzeug katapultiert hatte, per Schleudersitz, und wie er unter sich die MIG sieht, mit gesprengtem Kabinendach, dann den Wald, in den sie rast, er knickt wie Streichholz, und Jähn am Fallschirm, eine surreale Szene: »Ich war beeindruckt.« Schwere Seelenlagen, härteste Prüfungen, unvorhergesehene Prekärsituationen: »Ich war beeindruckt.«
Er kam aus einer Zeit, da die Lehrer in den Schulen noch prügelten. »Ich sah auf mein Schreibheft. Es färbte sich rot. Meine Nase blutete.« SA-Mann oder Lehrer, da war kein Unterschied. Wer nach solcher Schilderung dann von Neulehrern im befreiten Osten schwärmt und vom »Brechen eines Bildungsprivilegs«, der weiß, wovon er redet. Und wofür er sich einsetzt. Er geht zur Kasernierten Volkspolizei, denn ein Freund hatte ihm erzählt, dort würden »Spezialisten« gesucht. Oh! Spezialist wäre man gern! Flugzeugführer! Tatsächlich äußerte Jähn seinen Wunsch dann so: »Ich möchte Spezialist werden.« Was den Vorgesetzten etwas irritierte: »Hier wird nicht gewünscht.« Der junge Kader wird Jagdflieger, eine irrtümliche Blutkörper-Analyse machte beinahe noch einen Strich durch die Rechnung, aber Jähn hat, was er auffällig oft vor seine Leistungen stellt: Glück. Natürlich sind seine Leistungen größer, beständiger als der bloße Zufall des glücklichen Umstands.
So wird er eines Tages Kosmonauten-Kandidat. Der Mann, der die Technik liebt. Der seine Grundhaltung zur Präzision so formuliert: »Ein Flugzeug hat man gefälligst mit Sie anzureden.« Ins Raumschiff wird er übrigens den Fetzen einer verkohlten Flugkarte mitnehmen - sie stammt aus den Trümmern jener MIG, aus der sich Jähn einst per Schleudersitz gerettet hatte.
Gerhard Gundermann fragte ins All hinein - »Ist da wer« heißt sein Lied: »Der planet hier ist ein Apfel/und ich hab Angst, du wärst der Sturm/und ich bin nur der Apfelkern/oder bin ich nur der Wurm«. Und Heiner Müller ließ Gagarin sagen: »dunkel genossen ist der Weltraum sehr dunkel.« Wer geht, blickt zu den Sternen auf. Wer fliegt, blickt herunter. Das eine macht erhaben, das andere demütig. Schönste Aufgabe: neue Räume aufzureißen, ohne dass das wissende Lächeln der Wissenschaft frostig wird. Unser Spagat: Aufklärung - und dabei das Unerschließbare feiern. Das ist die wahre Gutartigkeit.
Die Spitzenmeldung für die Zeitungen, an jenem Aufstiegstag des Sigmund Jähn 1978, einem Sonntag, lagen schon Tage bereit, in den Panzerschränken der Chefredaktionen. Die gut behütete Sensation. Und als das Gesicht des Mannes dann die Verschwiegenheit verließ und sich zeigte, da zeigte sich auch, und eigentlich für alle künftigen Zeiten, dass der Name das Wesen dieses Menschen durch Weglassen eines einzigen Buchstabens trefflich erzählte: Sigmund, nicht Siegmund. Tat, nicht Sieg.
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Thomas Cook ist pleite

Konkurrenzdruck und der Brexit zwingen die Nummer zwei im europäischen Reisemarkt in die Knie

  • Von Simon Poelchau
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  • 23.09.2019, 17:47 Uhr
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  • Lesedauer: 4 Min.
    • Wer im Flug MT 2643 von Orlando in Florida nach Manchester saß, hatte noch mal Glück. Der britische Sender Sky News zeigte sogar seine Landung in Liveschaltung. Es war der letzte Flug der Thomas Cook Airlines, die zum gleichnamigen Reisekonzern gehört. Thomas Cook gab am Montagmorgen seine Insolvenz bekannt. Rund 600 000 Reisende haben indes weniger Glück als die Passagiere des Fluges MT 2643. Sie sind derzeit mit dem Veranstalter oder einer seiner Tochterunternehmen unterwegs und sitzen in ihrem Urlaub fest.
      Darunter sind auch 140 000 Urlauber aus Deutschland, die etwa mit Neckermann, Oeger Tours oder Bucher Reisen im Urlaub sind. Für die deutschen Tochterunternehmen wurde zwar noch kein Insolvenzantrag gestellt. Allerdings ist der Verkauf von jeglichen Reisen vorerst gestoppt. Auch Urlauber, die am Montag oder diesen Dienstag mit den Veranstaltern abfliegen wollten, müssen vorerst mit einem Urlaub auf Balkonien vorlieb nehmen. Einzig bei der Airline Condor, die ebenfalls zu Thomas Cook gehört, geht der Betrieb vorerst weiter wie gehabt.
    • Noch bis Sonntagabend hatte das Unternehmen mit Investoren erfolglos über zusätzliches Kapital in Höhe von 200 Millionen Pfund (226 Millionen Euro) verhandelt. Auch Großbritanniens umstrittener Premierminister Boris Johnson lehnte eigenen Angaben zufolge eine Bitte um eine Finanzspritze über 150 Millionen Pfund ab: »Das ist natürlich eine Menge Steuergeld und stellt, wie die Menschen anerkennen werden, eine moralische Gefahr für den Fall dar, dass Unternehmen künftig mit solchen wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert werden.«
      Dafür erhielt Johnson viel Kritik von der Gewerkschaftsseite. »Die Regierung hatte viele Möglichkeiten, Thomas Cook zu helfen, hat sich aber für das ideologische Dogma entschieden, anstatt Tausende Jobs zu retten«, sagte der Chef der britischen Transportgewerkschaft TSSA, Manuel Cortes. Dass Johnson die Gewerkschaftsmitglieder lieber hängenlasse, als Thomas Cook zu retten, sei beschämend und falsch.
    • Die Nummer zwei im europäischen Reisemarkt ist schon seit einiger Zeit in Schieflage. Im Jahr 2013 kündigte der Reisekonzern, für den weltweit zuletzt noch knapp 21 000 Menschen arbeiteten, etwa in Großbritannien einen massiven Stellenabbau von 2500 Jobs an. Im Mai dieses Jahres musste das Unternehmen für die ersten sechs Monate des laufenden Geschäftsjahres einen Verlust von über 1,4 Milliarden Pfund verkünden. Als Grund hierfür nannte Unternehmenschef Peter Fankhauser auch die ungewisse Zukunft bezüglich der laufenden Brexit-Verhandlungen, die dazu geführt hätten, dass die Verbraucher in Großbritannien ihre Urlaubsplanungen auf die lange Bank geschoben hätten.
      Doch Thomas Cook ist nicht das einzige Unternehmen in der Reisebranche, dem es nicht gut geht. Besonders den Airlines setzten der Konkurrenzdruck und Dumpingpreise von Billiganbietern zu. Laut Analysten der Deutschen Bank sind die Aktien der europäischen Flugunternehmen seit einem Jahr im Schnitt um 19 Prozent gesunken.
      Bei der Airline Condor, die Thomas Cook 2009 vollends von Lufthansa übernahm, verweist man derweil darauf, dass man »seit vielen Jahren profitabel« sei und »jährlich über acht Millionen Gäste zu über 100 Zielen weltweit« bringe. Dennoch hat man - ähnlich wie seinerzeit Air Berlin vor dessen Pleite - bei der Bundesregierung einen Überbrückungskredit beantragt, um finanzielle Engpässe zu verhindern. Unterstützung dafür erhält Condor auch von der Flugbegleitergewerkschaft UFO. »Es ist jetzt von entscheidender Bedeutung, dass Kunden und Lieferanten das Vertrauen in die Condor behalten«, erklärte UFO-Vorsitzende Sylvia De la Cruz. Dieses Ziel eint alle Mitarbeiter, die mit großem Engagement dafür sorgten, dass der Flugbetrieb aufrechterhalten wird. Ein gesundes und für sich genommen wirtschaftlich stabiles Unternehmen verdiene eine faire Chance, zu überleben.
      Der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Pascal Meiser, warnt davor, einen solchen Überbrückungskredit ohne Vorbedingungen zu vergeben: »Wenn Steuergelder fließen, muss verbindlich festgeschrieben werden, dass alle Rechte und Ansprüche der Beschäftigten garantiert und prioritär bedient werden.« Denn bei Air Berlin diente der Überbrückungskredit, so der Vorwurf von linker Seite, hauptsächlich dazu, Zeit zu gewinnen, um noch lukrative Geschäftsteile verkaufen zu können. Insbesondere um die begehrten Start- und Landeslots bei den Flughäfen ging es damals.
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Berlin erhält rund 239 Millionen Euro durch das Gute-Kita-Gesetz der Bundesregierung

Brennpunktzulage für Kitas kommt

Erzieherinnen und Erzieher, die in Kitas in Berliner Brennpunktkiezen arbeiten, können in Zukunft mit mehr Geld rechnen. Ab August 2021 soll es für die Fachkräfte in diesen Einrichtungen eine Zulage von monatlich 300 Euro geben. Das gab Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Dienstag bei der Senatspressekonferenz bekannt.
»Wir stärken Kitas in sozial schwierigen Gebieten, indem wir einen finanziellen Anreiz setzen, dort zu arbeiten«, sagte Scheeres. Von den derzeit rund 30 000 in Berlin beschäftigten Erzieherinnen und Erziehern arbeiten rund 4600 in Brennpunktkiezen. Die finanzielle Zulage will die Bildungssenatorin mit den Geldern der Bundesregierung bezahlen, die Berlin durch das Gute-Kita-Gesetz bekommen soll.
Verteilt auf vier Jahre kann Berlin ab November mit rund 239 Millionen Euro an Bundesmitteln rechnen. Insgesamt stellt der Bund den Ländern bis Ende 2022 rund 5,5 Milliarden Euro für Investitionen in die Kitas zur Verfügung.
»Da die Berliner Kitas schon komplett gebührenfrei sind, können wir die Gute-Kita-Mittel für die weitere Verbesserung der Kita-Qualität nutzen«, sagte die Bildungssenatorin. Eine der wichtigsten Maßnahmen, die Berlin mit dem Bund vereinbart hat, ist die Verbesserung des Kita-Leitungsschlüssels. Ab 85 Kindern soll die Leitung von der unmittelbaren pädagogischen Arbeit in den Gruppen freigestellt werden. Derzeit liegt der Leitungsschlüssel noch bei 90 Kindern. In Kraft treten soll der neue Leitungsschlüssel im nächsten Jahr. Rund 60 Millionen Euro will Scheeres für die Stärkung der Kita-Leitungen bereitstellen. »Eine gute Kita benötigt gute Fachkräfte und gute Arbeitsbedingungen«, sagte die Bildungssenatorin.
Um neue qualifizierte Erzieherinnen und Erzieher zu gewinnen, will Scheeres den Quereinstieg in den Beruf fördern. Um mehr Fachkräfte aus verwandten Berufsfeldern zu gewinnen, sollen die Träger im ersten Jahr der Tätigkeit zwei Anleitungsstunden mehr pro Woche finanziert bekommen. Für Personen in berufsbegleitenden Ausbildungen soll es ab 2020 zusätzlich zu den bisherigen Anleitungsstunden zudem Vor- und Nachbereitungszeiten geben. Insgesamt 77 Millionen Euro will der Bildungssenat für die Gewinnung und Sicherung qualifizierter Fachkräfte ausgeben.
Senatorin Scheeres
Senatorin Scheeres
»Mit den vereinbarten Maßnahmen setzen wir deutliche Schwerpunkte bei den Kita-Fachkräften«, sagte Scheeres. Diese Schwerpunktsetzung ist auch dringend notwendig. Aktuell fehlen in Berlin rund 1500 Erzieherinnen und Erzieher, weswegen vor allem Kitas im innerstädtischen Bereich häufig lange Wartelisten haben und aktuell keine neuen Kinder mehr aufnehmen können. »Wir stehen hier zweifelsohne vor einer großen Herausforderung«, betonte Scheeres.
Einen weiteren Investitionsschwerpunkt setzt die Bildungssenatorin bei der Kindertagespflege. So soll die Vergütung von Tagespflegepersonen ab Januar 2020 analog zum Landesmindestlohn angehoben werden. Auch Vor- und Nachbereitungszeiten sollen als »mittelbare pädagogische Arbeit« zukünftig angerechnet werden können. Im Gespräch sind 45 Euro pro Monat und Kind. Das Geld soll für 2019 rückwirkend ausgeschüttet werden.
Die rund 1600 selbstständigen Tagespflegepersonen dürften das Geld gut gebrauchen können. Im Sommer war nämlich bekannt geworden, dass sie über Jahre hinweg bei der Steuererklärung zu hohe Sozialversicherungspauschalen abgerechnet hatten. Nun werden Steuernachzahlungen fällig. »Für Tagesmütter- und -väter haben wir deutliche Verbesserungen vereinbart«, sagte Scheeres. Durch bessere Löhne und attraktivere Arbeitsbedingungen in der Tagespflege will Scheeres mehr Personen für diese Tätigkeit begeistern. Dadurch, so die Hoffnung, sollen die Kitas in ihrem Platzangebot entlastet werden.
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BER eröffnet nicht vor dem 5. Oktober 2020

Bahn bereitet sich auf Inbetriebnahme vor



  • Von Nicolas Šustr
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  • Lesedauer: 1 Min.
    • »Die S-Bahn ist bereit, dass es losgeht«, sagt Sandra Spieker, Sprecherin der S-Bahn Berlin GmbH zu »nd«. Für eine Betriebsaufnahme der Verlängerung vom Flughafen Schönefeld über den auf Kosten der Gemeinde gebauten Bahnhof Waßmannsdorf bis zur neuen Tunnelstation unter dem Aiport-Terminal werden dann auch ausreichend Wagen zur Verfügung stehen, versichert sie.
      Der FEX abgekürzte Flughafenexpress der Regionalbahn soll spätestens am Montag, dem 5. Oktober 2020 den Betrieb aufnehmen. Von 4 Uhr bis 23 Uhr soll der FEX dann den Hauptbahnhof über Gesundbrunnen und Ostkreuz im Halbstundentakt mit dem BER verbinden. Zusammen mit den Linien RE7 und RB14, die den neuen Flughafen über die Stadtbahn ansteuern, sind es dann vier Verbindungen pro Stunde ab Hauptbahnhof.
      »Der 5. Oktober ist der Termin, ab dem die Bahn Verkehr bereitstellt«, bestätigt Hannes Stefan Hönemann, Sprecher der Flughafengesellschaft, dem »nd«. Viele weitere Partner hätten ähnliche Termine, erklärt er. Da zu diesem Zeitpunkt noch der Sommerflugplan gelte, sei jedoch eine Umstellung noch nicht sinnvoll. Der Winterflugplan tritt 2020 am 25. Oktober in Kraft.
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Franco muss aus dem »Tal der Gefallenen« weichen

Oberstes spanisches Gericht erlaubt Umbettung des Langzeitdiktators



  • Von Ralf Streck, Barcelona
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  • Lesedauer: 3 Min.
    • Noch ruht Spaniens Diktator Francisco Franco (1892-1975) in einem Mausoleum im sogenannten »Tal der Gefallenen« nordwestlich von Madrid. Die sechsköpfige Kammer des Obersten Gerichtshofes kam einstimmig zum Beschluss, dass die geplante Umbettung rechtmäßig sei.
      Gegen den Widerstand der Familie des ehemaligen spanischen Diktators Franco ist nun grundsätzlich der Weg für eine Umbettung seiner Gebeine geebnet. Damit wurde für die geschäftsführende sozialdemokratische Regierung von Pedro Sánchez ein Stein aus dem Weg geräumt. Gewonnen wurde aber nur eine Schlacht im Kampf gegen die Ewiggestrigen, die das Mausoleum im sogenannten »Tal der Gefallenen« als Pilgerstätte nutzen, um die Franco-Diktatur (1939-1975) zu verherrlichen.
      Wichtig an der Entscheidung des Gerichtshofs ist auch, dass der Weg für die Familie versperrt wurde, Francos Gebeine in einer Krypta unter dem Altar der Almudena-Kathedrale umzubetten. Geplant ist von der Sánchez-Regierung, die Überreste auf dem Friedhof in El Pardo (bei Madrid) zu bestatten, wo die Franco-Familie eine Kapelle besitzt. Opferverbände hatten befürchtet, dass mit dem unvorbereiteten Vorgehen der Regierung nun sogar mitten in der Hauptstadt eine zweite Pilgerstätte entstehen könnte. Klar ist, dass aus dem »Tal der Gefallenen« keine Gedenkstätte für die Opfer des Faschismus wird, da dort weiter der ebenso von Franquisten verehrte Diktator Primo de Rivera bestattet bleibt, der von 1923 bis 1930 wütete. Seine Ruhestätte wurde von Zehntausenden Zwangsarbeitern errichtet. Viele kamen dabei ums Leben und wurden, wie Republikaner, Anarchisten und Kommunisten anonym im Mausoleum vergraben.
      Noch steht eine Entscheidung eines lokalen Gerichts aus. Von dort aus hatte der Richter José Yusty Bastarreche mit vorsorglichen Maßnahmen die Exhumierung bisher über das Baurecht gestoppt. Es bestehe angeblich Einsturzgefahr, wenn die Grabplatte abgehoben wird. Der Richter, dessen Vater als Admiral unter Franco diente, fiel immer wieder durch seine zweifelhafte Haltung und wegen seiner Nähe zur Franco-Familie auf. Er hatte sich auch offen gegen das Gesetz zur Wiederherstellung der historischen Erinnerung gewandt, über das 2007 zaghaft eine Aufarbeitung der blutigen Diktaturjahre begonnen wurde.
    • Die spanische Regierung, die die Exhumierung eigentlich schon vor einem Jahr abgeschlossen haben wollte, hat offenbar aus den bisherigen Niederlagen im Streit mit den Francos nichts gelernt. So kündigte die geschäftsführende Vize-Ministerpräsidentin nach der Entscheidung des Gerichtshofs am Dienstag im Radiointerview an, Franco werde noch vor den Neuwahlen am 10. November umgebettet.
      Diese Eile ist verständlich, denn in den Wahlen liegt eine große Gefahr für das Vorhaben. Da es Sánchez in zwei Anläufen nicht gelang, eine Regierung zu schmieden, stehen die vierten Wahlen in nur vier Jahren an. Eine Rechtsregierung, geduldet von der ultrarechten VOX, ist nicht unwahrscheinlich, wie sie schon unter anderem in Andalusien wegen der Zersplitterung der linkeren Kräfte regiert. Und diese Regierung würde die Umbettung zweifelsohne stoppen.

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Papua protestiert

30 Tote und 70 Verletzte bei Unruhen in der indonesischen Inselprovinz / 6000 Soldaten sollen Lage befrieden

  • Von Thomas Berger
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  • 24.09.2019, 17:19 Uhr
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  • Lesedauer: 3 Min.
    • Auf den Handyvideos, die es in die Nachrichten des australischen Fernsehsenders ABC schafften, sind Schüsse zu hören. Bereits Mitte August kam es in den indonesischen Provinzen Papua und West-Papua zu den größten Proteste der indigen Bevölkerung gegen die indonesischen Zentralregierung seit Jahren. Ein mutmaßlicher Vorfall von Rassismus ließ am Montag die Gewalt nach einer kurzen Ruhephase neu ausbrechen. Es gab abermals Tote und Verletzte.
      6000 zusätzliche Soldaten hat Indonesien seit den jüngsten Protesten in der Region zusammengezogen. Gemeinsam mit der Polizei versuchten diese, der erneut eskalierten Situation Herr zu werden. Brennpunkt war diesmal die Stadt Wamena. Dort setzten aufgebrachte Teilnehmer einer zunächst friedlichen Protestaktion ein Regierungsgebäude sowie mehrere Läden und Fahrzeuge in Brand. Der Flughafen von Wamena, der pro Tag 120 Flüge zählt, musste temporär seinen Betrieb einstellen, weil es dort ebenfalls brannte. Auch in Jayapura, der Provinzmetropole Papuas, sowie dem Vorort Waena kam es zu Unruhen. Die Bilanz des Tages verzeichnet 30 Tote und 70 Verletzte.
      Am Montagabend nannte Oberst Eko Daryanto, der Sprecher des indonesischen Militärs in der Provinz, der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua zunächst eine deutlich geringere Anzahl. Doch allein in Wamena gab es 26 Tote und 65 Verletzte. Unter den vier Todesopfern in Waena sei auch ein Soldat. Zudem seien dort fünf Angehörige einer mobilen Polizeieinheit verletzt worden. Die meisten Toten wurden nach Aussage Daryantos in den brennenden Gebäuden gefunden. Drei Demonstranten wurden offenbar erschossen.
      Auslöser dieser neuen Eskalation sollen rassistische Bemerkungen eines Oberschullehrers gewesen sein. Die Polizei ließ allerdings verlauten, dies wäre eine Falschmeldung. Verifizierbar ist derzeit keine der Behauptungen. Aus Papua stammende Studierende in indonesischen Großstädten hatten sich aber schon über Titulierungen wie »Affen« beschwert.
      Papua und West-Papua unterscheiden sich ethnisch-kulturell deutlich vom Rest Indonesiens. Sie gehören zu einer Insel, die schon zu Kolonialzeiten geteilt war. Während der größere östliche Teil kurzzeitig von Deutschland kontrolliert wurde, dann zu den Briten kam und schließlich als Papua-Neuguinea seine Eigenständigkeit erlangte, war der westliche Teil wie der Rest des Archipels Teil des holländischen Kolonialgebietes. Unter niederländischer Herrschaft verblieb diese Teilregion zunächst auch, als 1949 die indonesische Unabhängigkeitsbewegung siegte. Eigentlich liefen die Vorbereitungen für ein eigenes Staatsgebilde. Doch 1969, nach einem umstrittenen und mutmaßlich vom indonesischen Militär manipulierten Referendum, kam das seinerzeit noch ungeteilte Papua unter die Kontrolle Jakartas. Separatistische Bestrebungen flammten seither immer wieder auf, auch in jüngerer Zeit gab es in mehreren Dörfern Zusammenstöße zwischen Rebellen der West Papua Liberation Army und Soldaten der indonesischen Armee, die Zehntausende Menschen im Bezirk Nduga zu Flüchtlingen machten.
      Dass Indonesien ausländischen Berichterstattern schon länger den Zugang zu Papua weitgehend verwehrt, macht es noch schwieriger, Nachrichten aus dem Unruhegebiet unabhängig zu verifizieren. Die Mitte August begonnene Protestwelle traf Jakarta in dieser Intensität und Form unvorbereitet. Derzeit sind es nicht altgediente Separatisten, die die Bewegung anführen, sondern aufgebrachte Studenten und andere »normale Bürger«, die gegen eine empfundene Besatzungsmacht aufbegehren. 6000 Soldaten hatten Präsident Joko Widodo und sein Kabinett zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung in Marsch gesetzt, zeitweise das Internet abgeschaltet. Lange hielt die Ruhe nicht.
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Brandenburg: LINKE erst raus aus dem Spiel, wenn Kenia-Koalition den Ministerpräsidenten gewählt hat

Koalitionspoker bis zuletzt

Am Montag begannen in Brandenburg die Koalitionsverhandlungen von SPD, CDU und Grüne. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hofft, »dass wir Mitte Oktober durch sein können«. Spätestens am 25. Dezember - das ist ein Weihnachtsfeiertag, also eigentlich schon zu spät - müssen die drei Parteien soweit sein, dass der Landtag den Ministerpräsidenten wählen kann. Denn in Artikel 83, Absatz 3 der Landesverfassung steht: »Kommt die Wahl des Ministerpräsidenten innerhalb von drei Monaten nach der Konstituierung des Landtages nicht zustande, so gilt der Landtag als aufgelöst.«
Binnen von 70 Tagen müsste es Neuwahlen geben. Der Landtag konstituiert sich am 25. September. Ab da läuft die Zeit. Es dürfte nicht so einfach werden, eine Einigung zu erzielen, die die Basis der Grünen und zugleich der CDU befriedigt. Bei beiden Parteien soll aber in einem Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag abgestimmt werden. Wird nichts aus Kenia, dann wäre Mitte November noch etwas Luft, sich nach einer anderen Koalition umzusehen.
Im Landesvorstand der Linkspartei wurde das nicht offen ausgesprochen. Aber nach nd-Informationen haben die Genossen im Hinterkopf, dass eine Kenia-Koalition nicht hundertprozentig sicher ist und die LINKE doch noch einmal ins Spiel kommen könnte. Die Lust dazu hält sich in Grenzen nach dem niederschmetternden Wahlergebnis von 10,7 Prozent bei der Landtagswahl am 1. September und nach der Entscheidung von SPD und Grünen, Koalitionsverhandlungen nicht mit der Linkspartei, sondern mit der CDU aufzunehmen. Aber vor der Verantwortung würde sich die LINKE nicht einfach drücken. Auch Ministerpräsident Woidke hält sich ein Hintertürchen offen. Er äußerte zwar optimistisch, dass es mit Kenia klappen werde. Zugleich dankte er der Linkspartei aber auffällig freundlich für zehn Jahre »verlässliche« und »ertragreiche« Zusammenarbeit. Er fügte hinzu, in den Sondierungen habe die LINKE gute Ideen gehabt, von denen sich vielleicht einiges aufgreifen lasse.
Das könnte vordergründig nur so gemeint sein, dass im Landtag gemeinsame Anträge von Koalition und oppositioneller Linksfraktion denkbar sind. Als zwischen 1999 und 2009 die SPD mit der CDU regierte, war so etwas praktisch ausgeschlossen. Unter Rot-Rot hat es dann hin und wieder gemeinsame Initiativen der Koalition mit der CDU, den Grünen oder den Freien Wählern gegeben. Woidkes Hinweis kann aber auch als Wink verstanden werden, sich jetzt nicht vorschnell beleidigt zurückzuziehen. Angesichts der lobenden Worte Woidkes bedauerte Linksfraktionschef Sebastian Walter, dass nichts aus Rot-Rot-Grün werden soll. Mit so einer Koalition hätte Walters Ansicht nach »ein wirklicher Schritt nach vorn« gemacht werden können. Er nannte als Stichworte einen Mietendeckel, höhere Löhne und die Gemeinschaftsschule. Walter sagte außerdem, er habe bei den Sondierungen »viel gelernt über vermeintliche Machtpolitik und angebliche Stabilität«. Denn am Ende wollte die SPD Rot-Rot-Grün nur deshalb nicht, weil diese Konstellation im Parlament nur eine Stimme Mehrheit hätte.
Woidkes Freundlichkeit könnte auch Koalitionspoker sein. Denn mit Sozialisten in Wartestellung kann Druck ausgeübt werden nach dem Motto: »Wenn sich Grüne und CDU nicht einigen können, dann geht es auch anders.« Selbst die Gewissheit der Grünen, sie seien bei der Regierungsbildung unverzichtbar, sollte ins Wanken gebracht werden. Die SPD hat dem Vernehmen nach vorsichtshalber extra noch einmal bei der Linkspartei nachgefragt, ob diese sich eine Dreierkoalition mit der CDU vorstellen könnte. Die eindeutige Antwort lautete aber: nein. Die Basis würde das auch nicht mitmachen.
Die Grünen haben sich in den Sondierungen ebenfalls nicht gescheut, Druck aufzubauen, um inhaltliche Zugeständnisse zu erhalten. Der Landesvorsitzende Clemens Rostock hat am Wochenende auf einem Kleinen Parteitag verraten, dass seine Partei der SPD zu Beginn der letzten Kenia-Sondierungsrunde unmissverständlich bedeutet habe: »Gebt uns etwas! Unsere Basis will Rot-Grün-Rot.«
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Brandenburg: Die LINKE lehnt den AfD-Mann ab

Wahl des Abgeordneten Andreas Galau zum Vizepräsidenten des Landtags nicht sicher

  • Von Wilfried Neiße
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  • 24.09.2019, 18:33 Uhr
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  • Lesedauer: 4 Min.
    • Die Abgeordnete Ulrike Liedtke (SPD) kann bei der Wahl der neuen Landtagspräsidentin an diesem Mittwoch mit einer Mehrheit rechnen. Gleiches gilt auch für die von der CDU als Vizepräsidentin nominierte Abgeordnete Barbara Richstein. Nicht völlig sicher ist, dass Andreas Galau (AfD) der zweite Vizepräsident wird.
      Die definitive Ablehnung Galaus hat nur die Linksfraktion angekündigt. Allerdings können weitere Nein-Stimmen und dazu diverse Enthaltungen aus weiteren Fraktionen dafür sorgen, dass er den Posten nicht bekommt. Das wäre so, wenn die Nein-Stimmen die Zahl der Ja-Stimmen aus der AfD-Fraktion übertreffen sollte. Laut Gesetz kann die stärkste Fraktion im Landtag den Parlamentspräsidenten stellen. Der zweit- und der drittstärksten Fraktion steht je ein Vizepräsident zu.
      Die SPD wird künftig keinerlei Initiative der AfD unterstützen. Es gebe einen Abgrenzungsbeschluss gegenüber dieser Partei, die »auf den Trip zur Radikalisierung ist«, sagte am Dienstag SPD-Fraktionschef Mike Bischoff. Kein von dieser Partei nominierter Abgeordneter werde die Stimmen der SPD bekommen. »Egal, wer da antritt.« Es sei aber jedem SPD-Abgeordneten selbst überlassen, gegen Galau zu stimmen oder sich zu enthalten. Mit Blick auf die Entwicklungen innerhalb der AfD sagte Bischoff, dass »wir in Brandenburg vor einer radikalen Wand stehen«. Es sei »eine NPD in Blau«. So sehr sich auch AfD-Fraktionschef Andreas Kalbitz bemühe, diesen Anschein zu verwischen. In der AfD sei Brandenburg »Flügelland«, also die Heimat einer besonders radikalen Gruppe innerhalb der Partei.
      Der SPD-Abgeordnete Björn Lüttmann erinnerte, Galau sei in seinem Leben schon in vier Parteien gewesen: in der CDU, bei den Republikanern, »sehr lange« in der FDP und schließlich in der AfD. Er habe ein Selbstverständnis als »Schraubenschlüssel« der AfD. Sein Zwischenruf »Wie bescheuert ist das denn?« habe ihm in der vergangenen Legislaturperiode einen Ordnungsruf der damaligen Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD) eingetragen. Es bestehe »dringender Zweifel« daran, dass Galau für das Amt des Landtagsvizepräsidenten geeignet ist, sagte Lüttmann. Auch nach der Vorstellung von Galau in der Fraktion der Grünen wird er von dort keine Zustimmung erhalten. Das bekundete die Fraktionsvorsitzende Ursula Nonnemacher. Auch wenn Galau beteuert habe, als Landtagsvize mit allen Mitteln des Ordnungsrechtes auch gegen Grenzüberschreitungen der eigenen AfD-Fraktion vorgehen zu wollen. Doch könne es bei den Grünen »eine Menge Enthaltungen« geben. erklärte Nonnemacher, denn es könne nicht zweckmäßig sein, der AfD über Monate hinweg eine Bühne zu geben, um sich als Opfer zu präsentieren.
    • Linksfraktionschef Sebastian Walter erklärte, Andreas Galau nicht wählen zu wollen, weil dieser seine Vergangenheit bei den Republikanern nicht von vornherein offengelegt habe. Hingegen können Ulrike Liedtke und Barbara Richstein mit den Stimmen der Linksfraktion rechnen. Die beiden Frauen stellten sich am Dienstag in der Linksfraktion vor. Dagegen hatte die Linksfraktion Galau gab nicht erst eingeladen.


      Die Stimmen der CDU für Ulrike Liedtke sind sicher, die für Barbara Richstein ohnehin, und eine Wahl von Andreas Galau »werden wir jedenfalls nicht verhindern«, sagte CDU-Fraktionschef Jan Redmann. Er könne sich durchaus die eine oder andere Ja-Stimme der CDU für Galau vorstellen. Zur Ankündigung der Linksfraktion, AfD-Kandidaten grundsätzlich abzulehnen, meinte Redmann, dies zeuge von wenig Respekt vor der Verfassung. Ein solches Verhalten sei mit der Verfassung nicht vereinbar. Wie die Dinge nun einmal liegen, stehe der AfD das Vorschlagsrecht zu. Diese Vorschläge notorisch abzulehnen, müsse vor das Landesverfassungsgericht führen, das für diese Argumentation kaum Verständnis zeigen werde. Als Mitglied des Landtagspräsidiums habe sich Galau in den vergangenen Jahren als eher moderat erwiesen. »Wenn ich mir die Fraktion der AfD anschaue, fällt mir niemand ein, den ich mir in diesem Amt eher vorstellen kann als Herrn Galau.«
      Die Freien Wähler wollen generell nicht für Anträge der AfD stimmen. »Das hat es nicht gegeben und das wird es nicht geben«, kündigte Fraktionschef Péter Vida an. »Da gibt es eine Übereinkunft.« Was die Wahl der Landtagspräsidentin und der Vizepräsidenten betrifft, so können Ulrike Liedtke und Barbara Richstein auf die fünf Stimmen der Freien Wähler rechnen. Zur Personalie Andreas Galau gibt es in der Fraktion der Freien Wählern laut Vida keine Empfehlung.
      Andreas Galau selbst erklärte am Dienstag, bei seiner Vorstellungstour in den Fraktionen habe man ihm kritische Fragen gestellt, es habe aber überall auch »zustimmende Worte« gegeben. AfD-Fraktionschef Andreas Kalbitz sagte für den Fall, dass Galau keine Mehrheit bekommt: »Wir sehen keinen Anlass, von unserem Vorschlag abzuweichen.«
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Akute GroKo-Schmerzen

SPD-Basis begrüßt Kandidaten für den SPD-Parteivorsitz auch als Wundheiler

  • Von Christoph Ruf und Dieter Hanisch
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  • 24.09.2019, 18:10 Uhr
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  • Lesedauer: 5 Min
    • Acht Prozent - mehr SPD-Wähler gibt es laut jüngst veröffentlichter Umfrage derzeit auch in Baden-Württemberg nicht mehr. Dementsprechend groß ist der Frust bei der 16. Regionalkonferenz mit den Kandidaten für den künftigen SPD-Vorsitz am Montagabend in Ettlingen bei Karlsruhe. Als ein Mann berichtet, er bekomme am Infostand »Hass ab, als SPD-Vertreter soll man ja an allem schuld sein«, nicken Dutzende.
      Doch so groß die allgemeine Verzweiflung auch sein mag, so sehr herrscht Einigkeit, dass sowohl die auf 23 Vorstellungsrunden angelegte Kandidatenkür an der Basis als auch die damit einhergehende Neuausrichtung der Partei guttun. Selbst die gut 70 Demonstranten, die den 900 Genossinnen und Genossen das vergurkte Klimakonzept der GroKo vorhalten, werden als willkommene Mahner gesehen. Mehr Ökologie, mehr soziale Gerechtigkeit, klare Ziele statt großkoalitionäre Formelkompromisse - das sind die Themen, mit denen die Kandidatinnen und Kandidaten den lautesten Applaus bekommen.

      Wofür steht die Sozialdemokratie?

      Keine gute Ausgangslage für Klara Geywitz und Olaf Scholz. Der gemächlich argumentierende Vizekanzler erntet höflichen Applaus für sein Mantra, dass nichts von dem, was wünschenswert sei, in der Opposition verwirklicht werden könne. Mit Pragmatismus und Nüchternheit hatten beide Kandidaten zuvor schon in Neumünster am Samstag wenig Verständnis der aufgewühlten Parteibasis ernten können. Schleswig-Holsteins SPD-Landesvorsitzende Serpil Midyatli hatte die künftige Führung aufgefordert, den Menschen und Mitgliedern eindeutiger zu erklären, wofür Sozialdemokratie heute steht.
      Scholz versuchte, das Klima-Eckpunktepapier der Bundesregierung positiv zu verkaufen und erntete dafür Kopfschütteln. Für den Vizekanzler reichte es nur zu Höflichkeitsbeifall. Und dennoch war er nach der Veranstaltung der meistgesuchte Gesprächspartner der Medienvertreter. Geywitz, die in Brandenburg das Paritätsgesetz mitinitiierte, präsentiert sich wie zuvor in Neumünster auch in Ettlingen schwungvoller als Scholz. Auch die selbstbewusste Frau will jedoch Umweltpolitik »mit Augenmaß« betreiben. Voraussetzung sei es, dass diese sozialverträglich umgesetzt wird. Dass dies nicht die Grünen, sondern nur Sozialdemokraten können, gehört im Saal zum Grundkonsens.
      Ihre ostdeutsche Herkunft thematisiert Geywitz nicht. Das tut dafür die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping, die mit Boris Pistorius antritt. Kampf gegen rechts, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Ganztagesbetreuung - das seien Themen, bei denen DDR-Bürger einen Erfahrungsvorsprung hatten. »Wir haben etwas einzubringen«. Hier, unweit der französischen Grenze, geht das ein wenig unter, in Erfurt wurde sie für solche Sätze gefeiert. So oder so ist das Ost-Thema das Alleinstellungsmerkmal der beiden. Wie Köpping trifft auch Pistorius (»stehen für Flügelkämpfe nicht zur Verfügung«) die Stimmung an der Basis, die ja nicht nur eine inhaltliche Wende will, sondern auch ein Ende der innerparteilichen Grabenkämpfe, denen zuletzt Andrea Nahles zum Opfer fiel.
      Laut geklatscht wird auch in Ettlingen immer dann, wenn das Ende des ungeliebten Bündnisses mit der Union beschworen wird, was Kandidaten wie Karl Lauterbach, Nina Scheer, Ralf Stegner oder die schwäbische Parteilinke Hilde Mattheis mit Verve tun. Die Schröder-Jahre, den neoliberalen Schwenk der Partei, Hartz IV, die innerparteiliche Basta-Kultur - all das würden die meisten hier gern ungeschehen machen. Auch einige auf dem Podium haben das damals allerdings abgenickt.
      Hilde Mattheis nicht. Ihr Hinweis an die anderen Kandidaten, dass man »Glaubwürdigkeit nicht beweisen, sondern mitbringen« müsse, zielt darauf ab. Weg mit Hartz IV, steht im Forderungskatalog der Vorsitzenden des Forums Demokratische Linke 21, die mit ver.di-Chefökonom Dierk Hirschel antritt. Mit Blick auf die Groko stellen beide klar: »Wir dürfen nicht von einem Kompromiss zum anderen laufen!« Gesundheitsfachmann Karl Lauterbach mit der Energie- und Umweltexpertin Nina Scheer haben ebenfalls akute Groko-Schmerzen und rufen dazu auf, die Koalition zu verlassen. Denn es könne der SPD nicht reichen, immer wieder nur das Schlimmste verhindert zu haben.
    • Willy Brandt hätte die GroKo längst verlassen

      Als Team funktionieren Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken am besten - und das nicht nur, weil Michael Roth und Stegner heute ohne ihre Mitkandidatinnen Christina Knappmann und Gesine Schwan auskommen müssen, die sich entschuldigen lassen. »NoWaBo«, wie er hier genannt wird, und Esken, die im nahen Calw ihren Wahlkreis hat, haben den Segen der Jusos und des mächtigen NRW-Landesverbandes und schaffen es auch in Ettlingen, den Ton zu treffen, der an der Basis verfängt. Als Borjans ausruft, schon in der Regierungszeit unter Schröder habe sich die SPD von »Lotsen und Lobbyisten in eine neoliberale Politik führen lassen«, kennt der Applaus keine Grenzen mehr. Ironisch, gut gelaunt und mit kräftiger Stimme präsentiert sich Ralf Stegner: »Wir dürfen nicht nur wie Willy Brandt reden, wir müssen auch wie Willy Brandt handeln. Der hätte die GroKo längst verlassen.« Anstatt aus Angst vor den Demoskopen zu erstarren, müsse man glaubwürdig für die eigenen Themen werben, zeigt sich Stegner überzeugt. Dann seien linke Mehrheiten unter Führung der SPD wieder möglich.
      Am Ausgang schüttelt Stegner viele Hände und schaut in zufriedene Gesichter. Wie groß das Bedürfnis ist, wieder mutige und progressive Ziele zu propagieren, zeigt auch der Applaus, den der eloquente Außenseiter Roth für sein Schlussplädoyer bekommt. In Anlehnung an Martin Luther King (»I have a dream«) erträumt er für 2030 ein ökologisches Land, das ohne Waffenexporte auskommt, von der OECD für sein Bildungssystem gelobt wird, eine Grundsicherung hat und in dem die AFD auch noch aus dem letzten Landtag geflogen ist. All das, so Roth, gehe aber nur mit einer starken SPD. Es gibt nicht viel, was die 900 Menschen in Ettlingen gerade lieber hören würden.

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