Mexikos Präsident reitet auf einer Popularitätswelle – doch das hat er wirklich geleistet.
Die Mordrate hat Rekordzahlen erreicht, und die Wirtschaft schwächelt. Die Mehrheit der Mexikaner liebt Präsident Andrés Manuel López Obrador nach sechs Monaten im Amt trotzdem weiterhin.
Nicole Anliker,
Neue Zürcher Zeitung v. 25.6.2019
Neue Zürcher Zeitung v. 25.6.2019
Ein silbriger Lamborghini Murciélago, ein blauer Porsche Cayman oder ein roter Ford Shelby gehörten zu den 82 Luxuskarossen, die Ende Mai anlässlich der ersten Versteigerung des Instituts zur Rückgabe des Diebesguts an das Volk in Mexiko-Stadt unter den Hammer kamen. Die Regierung hatte die Fahrzeuge von Drogenbossen, Steuerhinterziehern und sonstigen Korrupten konfisziert. Die Versteigerung wurde zu einem Happening, das sich viele Schaulustige nicht entgehen lassen wollten. Die erlangten rund 1,4 Millionen Franken flossen in die Kassen zweier bedürftiger Gemeinden im Gliedstaat Oaxaca. Am Sonntag kamen bei einer weiteren Auktion konfiszierte Protzvillen mit Schwimmbädern und Fluchttunneln von Kriminellen unter den Hammer. Der Erlös von umgerechnet 2,9 Millionen Franken geht an drogenabhängige Jugendliche.
So viele Morde wie nie
Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador, kurz Amlo genannt, kündigte bei der Präsentation des Rückgabe-Instituts Anfang Mai an, dass die Einnahmen aus den Versteigerungen Ende Jahr bei 62,6 Millionen Franken liegen werden. Sie sollen vor allem in Infrastrukturprojekte fliessen. Das Vorgehen gehört zu den jüngsten Austeritätsmassnahmen des Präsidenten. Ob tatsächlich so viel Geld gespart wird, ist dennoch fraglich. Die Auktion vom Sonntag erzielte nur ein Drittel des erwarteten Betrags. Für Amlo ist das Vorgehen aber auch ein Weg, das exzessive Luxusleben der korrupten Elite und seinen Kampf gegen illegale Finanzquellen, die kriminellen Netzwerken zugrunde liegen, zur Schau zu stellen.
Beim Volk kommt das an. Genauso wie die Streichung der Pensionszahlungen an frühere Präsidenten, der Verkauf des Regierungsflugzeugs oder die Öffnung des Präsidentenpalasts für die Öffentlichkeit. Das beweisen die hohen Popularitätswerte des Linkspolitikers nach über sechs Monaten im Amt. Je nach Umfrageinstitut bewegen sie sich um die 70 Prozent. Vor allem untere Gesellschaftsschichten, Amlos Kernwählerschaft, glauben weiterhin an ihn.
Intellektuelle, Journalisten, Analysten, aber auch Wähler aus der Mittel- und der Oberschicht, die Amlos Wahlsieg begrüssten, weil sie sich davon einen Wandel erhofften, sind inzwischen skeptischer. Die Ersteigerung konfiszierter Luxusgüter mag Aufsehen erregen, die Wirtschaft lässt sich damit aber nicht ins Lot bringen. Das Wachstum ist im ersten Quartal geschrumpft, die Investoren sind verunsichert, und die mexikanische Zentralbank hat das BIP-Wachstum für das laufende Jahr eben von 1,6 auf 1,3 Prozent weiter nach unten korrigiert. Vor allem Amlos Pläne zur Sanierung der hochverschuldeten Erdölgesellschaft Pemex überzeugen nicht.
Einen düsteren Eindruck vermittelt auch der Blick auf Mexikos Mordstatistik. 14 510 Personen wurden zwischen Amlos Amtsantritt am 1. Dezember und Ende April offiziell getötet. Das sind durchschnittlich vier Morde pro Stunde. Der Linkspolitiker steuert damit auf das blutigste erste Amtsjahr in der Geschichte Mexiko zu, seit es ein Mordregister gibt. Eine überzeugende Sicherheitsstrategie fehlt bis jetzt.
Amlo hatte im Wahlkampf versprochen, das Militär im Kampf gegen das organisierte Verbrechen abzuziehen und damit den umstrittenen Ansatz seiner Vorgängerregierungen rückgängig zu machen. Mit der Gründung einer Nationalgarde aus Militärs und Polizisten unter dem Kommando eines Generals tat er aber das Gegenteil. Deren Erfolgsaussicht ist bescheiden. Der Einsatz der Armee im Drogenkrieg hat in der Vergangenheit zu verbreiteten Menschenrechtsverletzungen geführt. Statt Drogenhändler zu jagen, ist die Nationalgarde derzeit mit der Abweisung von zentralamerikanischen Migranten an der Südgrenze beschäftigt. Amlo steht vonseiten der USA unter Druck, was seine innenpolitische Agenda etwas durcheinandergebracht hat.
Als ein in den USA lebender, profilierter mexikanischer Journalist Mitte April Amlos Sicherheitsstrategie bei einer Pressekonferenz mit Verweis auf die hohe Mordrate infrage stellte, fühlte sich der Präsident offenbar brüskiert. Tage später lobte er die Umsichtigkeit der Journalisten, die sich kaum derartige Kritik erlauben: Diese wüssten eben, wie es ihnen ergehe, wenn sie zu weit gingen. Die Drohung kam schlecht an. Mexiko wird von Reporter ohne Grenzen als eines der gefährlichsten Länder weltweit für Journalisten eingestuft. Seit Anfang Jahr wurden sechs Medienschaffende ermordet.
Dieser teilweise autoritäre Anstrich Amlos ist Wasser auf die Mühlen jener, die seit je befürchten, der Linkspolitiker könnte aus Mexiko ein zweites Venezuela machen. Auch das Thema Volksbefragung ist ein Beispiel dafür. Während die einen darin die Stärkung der partizipativen Demokratie sehen, werten sie andere als autoritäres Getue ab. Denn die Befragungen werden nicht von der unabhängigen Wahlbehörde organisiert, sondern von Amlos Partei. Die Beteiligung ist angesichts dessen gering, wichtige Entscheide rechtfertigt er trotzdem damit. So auch den Baustopp beim neuen Flughafen in Mexiko-Stadt. Von den 89 Millionen Stimmberechtigten nahmen bloss 1,7 Millionen an der Befragung teil. 69 Prozent von ihnen folgten Amlos Alternativprojekt und stimmten für den Stopp, den er aufgrund des Resultats auch veranlasste.
Festnahmen in der Elite
Mittelfristig wird Amlo ausser an der Wirtschaftsleistung und der Reduktion von Gewalt aber vor allem an seiner Korruptionsbekämpfung gemessen werden. Die Mexikaner haben ihn gewählt, weil er ihnen in diesen Bereichen Grosses versprach. Mit seinem einfachen Lebensstil geht er als gutes Beispiel voran und grenzt sich von seinen Vorgängern ab. Damit bekämpft er die tief verwurzelte Korruption aber nicht. Wie bereits seine Vorgängerregierung vergab Amlo laut der NGO Mexicanos Contra la Corrupción in den ersten drei Amtsmonaten 74 Prozent der Aufträge ohne offizielle Ausschreibung. Weshalb die Unternehmen ausgewählt wurden, bleibt undurchsichtig.
Im Kampf gegen die Korruption in der Verwaltung hat der Präsident zudem die staatliche Unterstützung für soziale Institutionen wie Kinderkrippen gestrichen. Ein Teil dieser Gelder wird fortan direkt den Familien ausbezahlt. Dasselbe gilt für die Mittel für von ihm ins Leben gerufene Stipendien-, Renten-, Förder- oder Beschäftigungsprogramme, die ärmeren Bevölkerungsschichten zugutekommen. Kritiker bemängeln allerdings die Intransparenz dieser Prozesse und befürchten, dass diese Institutionen und soziale Organisationen schwächen könnten.
Am meisten Applaus hat Amlo bisher für sein Vorgehen in einem Korruptionsskandal im Zusammenhang mit der brasilianischen Baufirma Odebrecht erhalten. Das Finanzministerium hat Ende Mai die Konten des früheren Pemex-Chefs Emilio Lozoya und des Stahlherstellers Ahmsa eingefroren und sogleich auch Haftbefehle erlassen. Dem früheren Pemex-Chef wird vorgeworfen, beim Kauf einer Düngemittelanlage von Ahmsa Bestechungsgelder erhalten zu haben. Diese sollen über zwei Strohfirmen mit Nähe zum brasilianischen Bauriesen Odebrecht auf sein Konto gelangt sein. Lozoya ist wegen Bestechung und Steuerbetrug angeklagt. Amlo legt sich so mit der bisher beinahe unantastbaren Elite des Landes an, was ihm hoch angerechnet wird. Bereits für seine im Dezember lancierte Offensive gegen ein Korruptionsnetzwerk innerhalb von Pemex mit Ablegern in Wirtschaft und Politik erntete er Lob.
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