Sonntag, 28. Oktober 2018

Stichwahl über neuen Präsidenten. Faschist Bolsonaro in Umfragen vorn

Brasilien am Scheideweg


Von Peter Steiniger
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Linker Hoffnungsträger: Anhänger von Fernando Haddad einer Wahlkampfveranstaltung in Recife (25.10.2018)
Ihre Totenglocken läuten bereits: Hält Brasiliens angeschlagene Demokratie dem Sturm von ganz rechts stand? Am Sonntag gehen die Bürger des südamerikanischen Landes drei Wochen nach dem ersten Durchgang erneut an die elektronischen Wahlurnen. Nach den Umfragen dürften sie Jair Bolsonaro zum nächsten Staatschef bestimmen. Der frühere Hauptmann und langjährige Kongressabgeordnete möchte dem Land eine ultraliberale Radikalkur verordnen. Er glorifiziert die 21 Jahre währende Militärdiktatur und deren Folterknechte; er droht seinen politischen Gegner gern mit Erschießung, Haft oder Ausweisung. Mit seinen rassistischen, schwulen- und frauenfeindlichen Tiraden galt Bolsonaro lange nur als übler Politclown. Heute sehen ihn viele in Brasilien als eine Art Volkstribun gegen eine korrupte politische Klasse.
Gegen die Barbarei steht der Name Fernando Haddad. Der Exbürgermeister der Metropole São Paulo und zuvor von 2005 bis 2012 Bildungsminister in den Kabinetten des damaligen Präsidenten Lula da Silva tritt für eine Allianz der Arbeiterpartei PT mit kleineren Parteien links von ihr an. Haddad, ein gemäßigt linker, kompetenter Pragmatiker, übernahm die Kandidatur kurz vor Ultimo, nachdem die Wahlbehörde dem seit April wegen angeblicher Korruption in Haft sitzenden PT-Mitgründer Lula – dem eigentlichen Favoriten dieser Wahl – einen Antritt untersagt hatte. Im ersten Durchgang vor drei Wochen erreichte Haddad – seine Vizekandidatin ist die Kommunistin Manuela d’Ávila – 29 Prozent und zog als Zweitplazierter in die Stichwahl ein.
Mit 46 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen lag Bolsonaro am 7. Oktober allerdings klar vorn. Damit wählte ihn etwa jeder Dritte, der wählen darf oder muss. Für Staatsangehörige zwischen 18 und 70 Jahren herrscht in Brasilien Wahlpflicht. In fast allen der gewaltgeplagten Metropolen lag der Bewerber von der sich sozialliberal nennenden PSL, der die Waffengesetze lockern und Polizisten, die töten, auszeichnen möchte, deutlich vorn. Dass es kein Durchmarsch wurde, dafür sorgten vor allem die Wähler in den PT-Hochburgen im Nordosten, wo der frühere Fallschirmjäger keinen Fuß auf die Erde bekam.
Nur vier Jahre, nachdem mit Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei Lulas Nachfolgerin wiedergewählt wurde, haben sich die politischen Kräfteverhältnisse nach rechts verschoben, ist die Gesellschaft extrem polarisiert. Wesentlich dazu beigetragen hat die mit einsetzender Krise der Exportwirtschaft von den großen Medien einseitig gegen die PT instrumentalisierte Korruptionsdebatte. Diese fiel allerdings auch deren traditionellem Gegenspieler, der großbürgerlichen PSDB, gehörig auf die Füße. Etliche ihrer Granden laufen nur frei durch die Gegend, weil die Justiz auf einem Auge blind ist. Auch deren Kumpanei mit dem 2016 durch einen institutionellen Putsch gegen Rousseff als Staatschef für den Übergang installierten Neoliberalen Michel Temer, tief in Skandale verstrickt, wirkte sich auf die Wahlchancen ihres Kandidaten toxisch aus. São Paulos Exgouverneur Geraldo Alckmin landete in Runde eins abgeschlagen bei nur 4,8 Prozent – ein historisches Debakel für seine Partei.
Die letzte Phase des Wahlkampfes prägten taktische Manöver. Bolsonaro bemühte sich um einen sozialen Anstrich. Zum ersten Mal in der jungen Demokratie gab es keine einzige Debatte mit den beiden wichtigsten Präsidentschaftskandidaten. Nach einem Messerangriff im Wahlkampf konnte sich Bolsonaro dem mit ärztlichen Attesten entziehen. Eine solche entlarvende Konfrontation zu vermeiden, passte ihm ins Konzept. Haddad bemühte sich um die Unentschiedenen und ein Bündnis der Demokraten, auch im bürgerlichen Lager. Die Erfolge blieben überschaubar. Die PSDB erklärte sich neutral, etliche ihrer Parteigrößen biedern sich indes bei Bolsonaro an. Auch Expräsident Fernando Henrique Cardoso kam nur wenig aus der Reserve, twitterte, dass ihn Bolsonaros Auftreten unangenehm »an andere Zeiten«, die der Diktatur, erinnere.
An die von klassischen Medien erzeugte Anti-PT-Hysterie knüpft der Spam an, mit dem das Bolsonaro-Lager die sogenannten sozialen Netzwerke überflutet. Dabei bedient man sich insbesondere des Dienstes Whats-App, über den Bolsonaros Helfer millionenfach die absurdesten Lügen und verleumderischen Erfindungen über den linken Kandidaten verbreiten. Große Unternehmen, darunter die Kaufhauskette Havan, stecken illegal Millionen in die Kampagne des Faschisten. Mithilfe von Führern der immer mächtigeren evangelikalen Kirchen, mit der religiös-fundamentalistischen Rechten in den USA verschwistert, hat sich virtuell und auf den Straßen eine sektenartige Pro-Bolsonaro-Bewegung formiert, die aggressiv und gewalttätig auftritt und bereits mehrere Morde an politischen Gegnern auf dem Konto hat.
Die linken und demokratischen Kräfte kämpfen bis zuletzt für einen Umschwung. In letzten Umfragen zog Haddad immerhin in der Stadt, die er von 2013 bis 2016 regierte, an Bolsonaro vorbei. Eine Niederlage an den Urnen würde Bolsonaro, wie er mehrfach deutlich machte, keinesfalls akzeptieren, sondern in der Manier seines Vorbilds Trump mit Betrug erklären und Brasilien noch tiefer ins Chaos stürzen. Sein Sieg wäre ein moralischer Bankrott für das Land. Unabhängig vom Ausgang der Wahl bewegt es sich weiter am Abgrund.

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