Großartig, wie der Zeitgeist spielt; in der deutschen Provinz ist das schärfer als in Haupt- und Wichtigstädten zu sehen.
Als sich das Deutsche Reich Ende des 19. Jahrhunderts aus franzmännischer Bedrohung erhob, wachte auch die Fürstenresidenz Rudolstadt auf: Es wurde eine große Kaserne gebaut, und der Platz davor erhielt den Namen »Sedanplatz«, deutschen Sieg erinnernd. Die Rudolstädter nannten ihn in ihrer Mundart »Seetangplatz«, und so blieb es bis nach Weltkrieg Zwo. Da aber sollte all die Heldenverehrung verschwinden, Generalsnamen mussten denen von Dichtern und Widerstandskämpfern weichen, und so wurde auch aus dem »Seetangplatz« der »Gorrmorgsplatz«. In dessen Mitte stellte man eine meterhohe Karl-Marx-Büste auf, vom Bildhauer Fritz Cremer gefertigt.
Es kam aber wiederum eine große deutsche Zeit, die der Vereinigung. Der Name Karl Marx verschwand mitsamt seiner Büste. Die örtliche Baubehörde hatte man mit der Bereinigung beauftragt. Viele Jahre später aber ging deren Chef in den Ruhestand, und bei einer Inventur fand man die noch immer eindrucksvolle Büste in einer der vielen Baulagergruben.
Gerade war das Karl-Marx-Jahr herangereift, und so gedachte man auch in Rudolstadt dieses bedeutenden Deutschen zu gedenken. Wir haben da doch gerade diesen Nischl – zwar nicht so groß wie der in Chemnitz, aber von einem bedeutenden Bildhauer. Stellen wir ihn öffentlich irgendwo auf. Oder lieber heimlich? In der Provinz ist man immer für den goldenen Mittelweg. Am besten halböffentlich. Die Bibliothek, einst fürstliche Schule, hat doch diesen schönen großen Hof, zugänglich zu den Öffnungszeiten, viel Grün ringsum, weitere historische Gebäude in Sichtweite.
Also geschah es. Aufstellungsfeier mit Reden wichtiger Persönlichkeiten wie dem Theaterintendanten. Auch die Ortszeitung nahm Notiz.
Und musste alsbald ständig Leserbriefe abdrucken. Zunächst kamen sie von Kirchenleitern. Denn, wie einst üblich, stehen Schule und Religionsbehörde eng beieinander. Die Superintendentur grenzt ans Bibliotheksgrundstück, keine Mauer zwischen Bildung und Religion, nur ein paar Blumenrabatten. Von der Superintendentur hat man einen sehr freien Blick auf Karl Marx, exakt auf dessen Rückansicht, denn Marx blickt ja zum Bücherhort. Ob den Pastoren genau dies missfiel oder doch der ganze Marx, war nicht genau herauszufinden im vielstimmigen evangelischen Gesang: Wir wollen keinen Marx im biblischen Umfeld! Marx hat die DDR erfunden und gebilligt! In die Hölle mit ihm, aber nicht ins Umfeld einer rechtgläubigen Behörde!
Zum Höhepunkt der Auseinandersetzung meldete sich ein Bürger, der in der DDR Abitur gemacht, studiert und promoviert hatte, seit dem Großen Andersrum aber überall verkündete, dass nur Parteikader Karriere hatten machen dürfen. Und diese Marx-Verherrlichung sei ein Relikt alten Parteikader-Karrieredenkens.
Weil der Doktor aber in der DDR gebildet worden war, wusste er das, was jeder in der DDR neben zwei Zeilen aus dem Manifest und vier aus dem »Kapital« wusste: Marx hatte mit seiner Haushälterin einen unehelichen Sohn. Der von Friedrich Engels als leiblicher anerkannt wurde, was dem Sohn zweifellos zugutekam: Lieber vom Kapitalisten-Kapital leben als im Elend der sich selbst ausbeutenden Intelligenz.
Diese Tatsache brachte der Doktor nun in die Welt kleinstädtischen Denkens: Ein uneheliches Kind! Und das noch verschwiegen! Kann eine demokratische Gesellschaft sich Schlimmeres denken!?
Einem solchen Tunichtgut, der sich mit abhängig Beschäftigten geschl. einließ, der Kinder in die Welt setzte, ohne sie anzuerkennen, dem darf man einfach kein Denkmal setzen. Die schlimme Kehrseite dieses Mannes wie der ganze Marx gehören auf den Misthaufen der Geschichte.
Die Diskussion wogte noch eine Weile hin und her. Vermutlich aber wird man zukünftig die pikanten Tatsachen historisch zurechtrücken. Neben der Marx-Büste wird eine ebenso große Tafel aufgestellt werden, die verkündet:
»Karl Marx war der Erfinder der DDR und Vater eines unehelichen Sohnes. Die demokratische Bürgerschaft Rudolstadts verurteilt beides aufs Schärfste!«
Als sich das Deutsche Reich Ende des 19. Jahrhunderts aus franzmännischer Bedrohung erhob, wachte auch die Fürstenresidenz Rudolstadt auf: Es wurde eine große Kaserne gebaut, und der Platz davor erhielt den Namen »Sedanplatz«, deutschen Sieg erinnernd. Die Rudolstädter nannten ihn in ihrer Mundart »Seetangplatz«, und so blieb es bis nach Weltkrieg Zwo. Da aber sollte all die Heldenverehrung verschwinden, Generalsnamen mussten denen von Dichtern und Widerstandskämpfern weichen, und so wurde auch aus dem »Seetangplatz« der »Gorrmorgsplatz«. In dessen Mitte stellte man eine meterhohe Karl-Marx-Büste auf, vom Bildhauer Fritz Cremer gefertigt.
Es kam aber wiederum eine große deutsche Zeit, die der Vereinigung. Der Name Karl Marx verschwand mitsamt seiner Büste. Die örtliche Baubehörde hatte man mit der Bereinigung beauftragt. Viele Jahre später aber ging deren Chef in den Ruhestand, und bei einer Inventur fand man die noch immer eindrucksvolle Büste in einer der vielen Baulagergruben.
Gerade war das Karl-Marx-Jahr herangereift, und so gedachte man auch in Rudolstadt dieses bedeutenden Deutschen zu gedenken. Wir haben da doch gerade diesen Nischl – zwar nicht so groß wie der in Chemnitz, aber von einem bedeutenden Bildhauer. Stellen wir ihn öffentlich irgendwo auf. Oder lieber heimlich? In der Provinz ist man immer für den goldenen Mittelweg. Am besten halböffentlich. Die Bibliothek, einst fürstliche Schule, hat doch diesen schönen großen Hof, zugänglich zu den Öffnungszeiten, viel Grün ringsum, weitere historische Gebäude in Sichtweite.
Also geschah es. Aufstellungsfeier mit Reden wichtiger Persönlichkeiten wie dem Theaterintendanten. Auch die Ortszeitung nahm Notiz.
Und musste alsbald ständig Leserbriefe abdrucken. Zunächst kamen sie von Kirchenleitern. Denn, wie einst üblich, stehen Schule und Religionsbehörde eng beieinander. Die Superintendentur grenzt ans Bibliotheksgrundstück, keine Mauer zwischen Bildung und Religion, nur ein paar Blumenrabatten. Von der Superintendentur hat man einen sehr freien Blick auf Karl Marx, exakt auf dessen Rückansicht, denn Marx blickt ja zum Bücherhort. Ob den Pastoren genau dies missfiel oder doch der ganze Marx, war nicht genau herauszufinden im vielstimmigen evangelischen Gesang: Wir wollen keinen Marx im biblischen Umfeld! Marx hat die DDR erfunden und gebilligt! In die Hölle mit ihm, aber nicht ins Umfeld einer rechtgläubigen Behörde!
Zum Höhepunkt der Auseinandersetzung meldete sich ein Bürger, der in der DDR Abitur gemacht, studiert und promoviert hatte, seit dem Großen Andersrum aber überall verkündete, dass nur Parteikader Karriere hatten machen dürfen. Und diese Marx-Verherrlichung sei ein Relikt alten Parteikader-Karrieredenkens.
Weil der Doktor aber in der DDR gebildet worden war, wusste er das, was jeder in der DDR neben zwei Zeilen aus dem Manifest und vier aus dem »Kapital« wusste: Marx hatte mit seiner Haushälterin einen unehelichen Sohn. Der von Friedrich Engels als leiblicher anerkannt wurde, was dem Sohn zweifellos zugutekam: Lieber vom Kapitalisten-Kapital leben als im Elend der sich selbst ausbeutenden Intelligenz.
Diese Tatsache brachte der Doktor nun in die Welt kleinstädtischen Denkens: Ein uneheliches Kind! Und das noch verschwiegen! Kann eine demokratische Gesellschaft sich Schlimmeres denken!?
Einem solchen Tunichtgut, der sich mit abhängig Beschäftigten geschl. einließ, der Kinder in die Welt setzte, ohne sie anzuerkennen, dem darf man einfach kein Denkmal setzen. Die schlimme Kehrseite dieses Mannes wie der ganze Marx gehören auf den Misthaufen der Geschichte.
Die Diskussion wogte noch eine Weile hin und her. Vermutlich aber wird man zukünftig die pikanten Tatsachen historisch zurechtrücken. Neben der Marx-Büste wird eine ebenso große Tafel aufgestellt werden, die verkündet:
»Karl Marx war der Erfinder der DDR und Vater eines unehelichen Sohnes. Die demokratische Bürgerschaft Rudolstadts verurteilt beides aufs Schärfste!«
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