Vorläufig das alte
Vorwärts nimmer mehr: Kanzlerin Angela Merkel (l.) und die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer
Foto: Hannibal Hanschke/Reuters
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An die 60 Prozent der befragten hessischen Wähler gaben an, sie seien mit der Arbeit ihrer Landesregierung aus CDU und Grünen zufrieden. Etwa 75 Prozent beurteilten ihre finanzielle Situation als gut bis sehr gut – ein historischer Spitzenwert. Das hätte in früheren Zeiten der Bundesrepublik ein Alles-bleibt-beim-alten-Ergebnis bedeutet. Aber nicht 2018. Die Lust am Denkzettel bewirkt politische Änderungen. Die Stimmenverluste von jeweils rund elf Prozent für die regierende CDU und die in der Opposition sitzende SPD – fast gleiche Zahlen wie in Bayern vor zwei Wochen – haben offenkundig Ursachen, die in Berlin liegen: Die Bundesregierung erhält schlechte Noten, sie mag ihren Klassenauftrag, die Eigentums- und Vermögensverhältnisse für Reiche komfortabler, für Arme drückender zu machen und die Exportquote zu sichern, erfüllen oder nicht. Das Dauergezeter im Berliner Regierungsbunker verursachte eine heftigere Reaktion als die sonst übliche im ersten Jahr nach einer Bundestagswahl. Die permanente Pöbelei, wie dem ärmeren Teil der Bevölkerung das Fell noch schneller über die Ohren gezogen werden und die AfD rechts überholt werden kann, nervt selbst die, die ansonsten kaum Probleme haben.
Wie am Montag zu erfahren war: auch die Kanzlerin. Sie hatte bereits 2016 lange gezögert, ihre erneute Kandidatur bei den Bundestagswahlen 2017 bekanntzugeben. Es folgte die quälend lange Regierungsbildung. Nach ihren Angaben hat sie bereits vor der Sommerpause beschlossen, im Dezember nicht mehr für den CDU-Parteivorsitz zu kandidieren und spätestens 2021 aus allen politischen Ämtern auszuscheiden. Im Gegensatz zu zufriedenen Wählern in Hessen oder anderswo folgt die Physikerin der Macht allerdings nicht Stimmungen. Die Ära Merkel wird nicht wegen der Ergebnisse von Landtagswahlen zu Ende gehen, sondern weil das deutsche Kapital sich die Möglichkeit offenhalten muss und will, zu anderen, sozial härteren und politisch autoritären, rechten Formen der Krisenbewältigung überzugehen. Die Namen Friedrich Merz und Jens Spahn, die neben Annegret Kramp-Karrenbauer ihre Kandidatur für den CDU-Vorsitz angekündigt haben, stehen dafür.
Als die Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2008 die Bundesrepublik voll erfasste, erklärte Merkel mehrfach, ihr Ziel sei, dass »Deutschland gestärkt« daraus hervorgehe. Das ist gelungen. In einem Maß allerdings, dass die historisch möglicherweise einmalige Vorrangstellung des deutschen Imperialismus in EU-Europa und international neue, gefährliche Gegensätze geschaffen hat. Es genügen die Stichworte »Brexit«, Griechenland-Diktat, Italien-Streit, aber auch die Erinnerung an mögliche Konsequenzen, die sich aus der gewandelten US-Politik ergeben. Die Stärke der Wirtschaft, der Politik und nun auch des Militärs Deutschlands nahm seit 2009 fast sprunghaft zu, damit aber auch das Ungleichgewicht in der EU. Die Krise selbst schwelte weiter. Vieles deutet darauf hin, dass die nächste Erschütterung vor der Tür steht. Die Kanzlerin erwähnte am Montag auf ihrer Pressekonferenz die angekündigte Kündigung des INF-Vertrages durch die USA nach dem Brexit an zweiter Stelle in der Liste ihrer »großen« Probleme. Ebenfalls am Montag veröffentlichte die FAZ Forderungen führender deutscher Ökonomen, also der Sprachrohre des Großkapitals, nach raschem Handeln an die Bundesregierung. Da war von »Krisenherden in Europa« die Rede, davon, dass in der vergangenen Woche »wichtige Konjunkturindikatoren deutlich nachgegeben und schlechtere Aussichten für die kommenden Monate prognostiziert« hätten. Einigkeit herrscht darüber, dass die Hochkonjunktur in Europa zu Ende geht, eine Rezession wird nicht mehr ausgeschlossen. Das darf getrost so gedeutet werden, dass die Zeichen auf Sturm stehen.
Die SPD hat mit den Entscheidungen fast nichts mehr zu tun, sie ist eine abhängige Variable der Merkelschen Kanzlerschaft. Insofern kann sie froh sein, dass die noch eine Weile halten soll. Das hängt allerdings nicht mehr von Angela Merkel ab. Im Dezember will die SPD über ihre Haltung zur Koalition beraten. Es wird darum gehen, ob sie Steigbügelhalter für die anstehende Krisenbewältigung spielen will. Es darf gewettet werden: Sie will. Ihr klebt zwar der Hundekot namens »Agenda 2010« am Hacken, von diesem grundlegenden Beitrag zum deutschen Geschäftsmodell Dumpinglohn kann sich die gegenwärtige Führungsclique aber nicht lösen. Täte sie es, hätte sie das Kapital und dessen Medien gegen sich, stellte sich die Existenzfrage noch schneller, als wenn sie an Hartz IV und Co. festhält. Die »soziale Kompetenz« geht, wie Bayern und Hessen zeigten, folgerichtig auf Rechte und Neofaschisten über. Den Grünen, die bei Hartz IV und dem sozialen Dammbruch, in der Bundesrepublik einen Niedriglohnsektor einzurichten, freudig mitmachten, haben die Wähler in den Wohlstandsregionen alles verziehen. Sie taten aber auch nur selten so, als hätten sie mit sozialer Gerechtigkeit etwas am Hut. Auch in Hessen stützen sie sich auf ein Bürgerpublikum, dem es um Lifestyle, nicht um Mieten geht.
Insofern fand dort doch eine Alles-bleibt-beim-alten-Wahl statt, auch für die Bundespolitik. Volker Bouffier bleibt Ministerpräsident, Merkel und die Koalition machen vorläufig weiter mit ihrer Art des Krisenmanagements. Ob eine härtere Gangart eingeschlagen wird, entscheidet die kommende Krise.
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