Die personelle Situation in der Justizvollzugsanstalt Freiburg ist aktuell so angespannt, dass regelmäßig behandlerische Maßnahmen ebenso entfallen, wie Freizeitangebote und sogar die Anstaltsbetriebe vorzeitig schließen müssen. Bedienstete sprechen von „gefährlichen Zuständen“, einer fast nicht mehr beherrschbaren Situation.
Oktober 2018
Zum wiederholten Male wurden am 19. Oktober die Gefangenen um 11 Uhr ins vorzeitig beginnende Wochenende geschickt. In der Strafanstalt gibt es um 11:45 Uhr Mittagessen, danach eine Stunde Spaziergang im Hof und anschließend werden alle Zellen verschlossen. „Einschluss!“ – bis zum nächsten Morgen um 8:05 Uhr.
Freizeitgruppen, schulische Angebote, die in der Freizeit durchgeführt werden, behandlerische Gruppen, alles entfällt. Die massive Unruhe unter den Gefangenen ist mit Händen greifbar, denn ein vorzeitiger „Feierabend“ bedeutet unmittelbar einen herben finanziellen Verlust, da der sowieso sehr spärliche Knastlohn von ca. 200 € noch schmaler ausfällt, denn die fehlenden Arbeitsstunden werden finanziell nicht entschädigt. Ferner verbringen die Gefangenen dann noch mehr Zeit isoliert in ihren winzigen Zellen, zu zweit zusammengepfercht auf weniger als 10 m², die Kloschlüssel nur durch eine Holzwand und einen Vorhang notdürftig abgetrennt. Auch in Folge dieser beengten Situation kommt es vermehrt zu Schlägereien.
Der Hintergrund
Wie Bedienstete berichten, hätte eine verfehlte Personalpolitik des baden-württembergischen Justizministeriums zu der jetzigen Krisensituation geführt. Der Strafvollzug sei personell nicht nur „auf Kante genäht“, sondern mittlerweile würden auch die letzten Sicherheitsfäden reißen.
Zum einen gibt es Bedienstete im uniformierten Dienst, die mittlerweile schlicht ausgebrannt seien, angesichts der zahllosen Überstunden, der Unplanbarkeit des Lebens, da man immer öfter an eigentlich freien Tagen zum Dienst beordert werde. Dies beschert der Anstalt dann einige „Dauererkrankte“ und mitunter steht morgens der Dienstleiter da und ist zusätzlich mit spontanen Erkrankungen konfrontiert.
Und zum anderen seien einige Bedienstete derart frustriert, dass sie sich bei anderen Behörden bewerben würden; so habe sich eine zweistellige Zahl der Freiburger Vollzugsbeamten beim Zoll beworben und werde mit hoher Wahrscheinlichkeit die Anstalt verlassen. Was freilich die Krise verschärfen dürfte, denn – wie das im Bürokratendeutsch so nett heißt – „unplanmäßige Abgänge“ sind nicht eingeplant, so schnell wie Bedienstete die Anstalt verlassen, wird kein Ersatz eingestellt werden können.
Der Sozialdienst
Mit den Engpässen hat freilich nicht nur der uniformierte Dienst zu kämpfen, sondern auch der Sozialdienst der Anstalt. Der Personalschlüssel lässt zumindest im Strafhaftbereich kaum eine sinnvolle, an den einzelnen Insassen und auf deren Bedürfnisse eingehende Arbeit zu. Ein/e SozialarbeiterIn ist dort mitunter für über 100 Gefangene zuständig. Wenn man weiß, dass für jeden Insassen jährlich eine schriftliche und umfängliche Vollzugsplanung zu erstellen ist, für Anträge auf Entlassung Stellungnahmen zu verfassen sind, es zahlreiche Dienstbesprechungen abzuhalten gilt, Krisenintervention zu leisten ist, bleibt für eine tiefergehende Arbeit am und mit den Menschen kaum Zeit. Erkrankt dann noch ein/e Bedienstete/r kann es auch mal passieren, dass ein/e SolzialarbeiterIn für 150 Menschen zuständig ist. Für Menschen, die aufgrund ihrer besonderen Situation als Inhaftierte eigentlich ganz besonders auf Unterstützung angewiesen wären, eine untragbare und indiskutable Lage.
Auch der Bereich Sicherungsverwahrung (SV) ist betroffen; zwar herrscht hier ein geradezu „paradiesischer“ Personalschlüssel. Auf eine/n SozialarbeiterIn kommen maximal 16 Insassen (zum Vergleich: Wie oben erwähnt, in der Strafhaft sind es bis zu 10 mal so viele), aber da eine Sozialarbeiterin mit erheblichen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat und regelmäßig für Wochen erkrankt, muss deren Arbeit von ihren KollegInnen aufgefangen werden. In wenigen Wochen verlässt zudem Sozialarbeiter S. die SV: Erst gehe er in Elternzeit, wie er offen berichtete, danach ziehe er weg. So dass ab Dezember zwei Sozialarbeiterinnen die Arbeit von zuvor vier werden erledigen müssen. Denn bis Ersatz gefunden, sicherheitsüberprüft, eingestellt und eingearbeitet ist, wird Zeit ins Land gehen. Erst 2017 hat eine Sozialarbeiterin der SV-Abteilung ihr Heil bei der Bundeswehr gesucht und wurde dort als Offiziersanwärterin angenommen. Ein als Arbeitstherapeut Beschäftigter meinte ganz offen, das hier sei kein wirklicher Behandlungsvollzug und wechselte in eine psychiatrische Anstalt der Schweiz. Freiburg ist manchmal eine sehr kleine Stadt: Da saß dann ein ehemaliger Sozialarbeiter aus der SV-Anstalt, der obwohl er hätte verbeamtet werden können, lieber kündigte und die Anstalt verließ, mit Freunden am Tisch und erzählte von dem aus seiner Sicht praktizierten Verwahrvollzug, wohl nicht ahnend, dass mit am Tisch jemand sitzt, der mich kennt.
Aus Insassensicht ist es doch auch erleichternd, dann von (ehemaligen) Beschäftigten zu hören, dass die eigene Wahrnehmung über die desolate Situation hier nicht pure Einbildung ist.
Kritik von Uniformierten
Kritisch äußern sich vereinzelt männliche Vollzugsbeamte über den steigenden Teil weiblicher Kolleginnen, denn diese würden in überschaubarer Zeit doch „eh Kinder kriegen“, dann in Mutterschutz und Elternzeit gehen. Und wenn sie überhaupt zurückkämen, dann in Teilzeit mit einer 30 % oder einer 40 %-Stelle, aber letztlich damit eine Vollzeitstelle blockieren, da das Land für den anteiligen Stellenrest nicht neues Personal einstellen würde. So dass die vorhandene Belegschaft das alles stemmen müsse.
Sicherheitstechnisch sei zudem äußerst bedenklich, andere sprechen auch von konkreten Gefahren, dass Auszubildende (sogenannte SekretärsanwärterInnen) jeweils alleine Stationsdienst machen müssten, d.h. Stationen mit 50 oder 60 Insassen alleine betreuen. Man würde ja auch einem/einer Krankenpfleger/Schwester-Auszubildenden alleine keine Intensivstation übertragen. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis es da „krache“.
Rechtlich, so merkte ein Beamter an, sei es auch problematisch, wenn hoheitliche Aufgaben von noch nicht verbeamteten Azubis ausgeführt würden. Manche Bedienstete fürchten um die eigene Sicherheit, da das aggressive Klima auch Angriffe auf sie wahrscheinlicher mache.
Sicherheitstechnisch sei zudem äußerst bedenklich, andere sprechen auch von konkreten Gefahren, dass Auszubildende (sogenannte SekretärsanwärterInnen) jeweils alleine Stationsdienst machen müssten, d.h. Stationen mit 50 oder 60 Insassen alleine betreuen. Man würde ja auch einem/einer Krankenpfleger/Schwester-Auszubildenden alleine keine Intensivstation übertragen. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis es da „krache“.
Rechtlich, so merkte ein Beamter an, sei es auch problematisch, wenn hoheitliche Aufgaben von noch nicht verbeamteten Azubis ausgeführt würden. Manche Bedienstete fürchten um die eigene Sicherheit, da das aggressive Klima auch Angriffe auf sie wahrscheinlicher mache.
Kritik von Insassen
Erst vor wenigen Tagen beschwerten sich lautstark Sicherungsverwahrte gegenüber der therapeutischen Leiterin der SV-Anstalt, Frau Dr. S. über die unmittelbaren Folgen der Personalknappheit: Kurzfristig abgesagte Ausführungen (d.h. das Verlassen der Anstalt unter Bewachung entfällt mitunter kurzfristig), oder Sport werden gestrichen, therapeutische Angebote entfielen (wodurch dann Gruppentherapien unverhältnismäßig lange dauern würden. Denn entfallene Sitzungstermine verschöben das Ende solcher Therapien immer weiter in die Zukunft). Was alles zusammen genommen letztlich eine Verlängerung der Haftzeit bewirke. Außerdem leide das Stationsklima, da immer mehr Bedienstete gefrustet seien. Ein Insasse empfahl dem Personal etwas wagemutig, sie mögen es wie ihr KollegInnen in Frankreich machen, nämlich streiken und vor dem Knasttor Reifen anzünden, dabei allerdings den rebellischen Geist des Personals etwas überschätzend.
Warum dieser Text heute?
Man könnte einwenden, weshalb macht jemand wie ich die Personalnot in einem Gefängnis zum Gegenstand eines ausführlichen Beitrages. Eigentlich müsse mir das doch recht sein, denn die Personalknappheit befördere eine Zuspitzung der Lage, könne vielleicht auch Aufstände auslösen, die Gefangenen dazu bewegen, die Freiräume zu nutzen um aufzubegehren. Derartiges wird aber wohl eher nicht passieren. Die Anstalt hat schon vor einigen Jahren „vorgesorgt“ und eine strikte Trennung einzelner Stationen untereinander eingeführt. Es wurde sogar der gemeinsame Hofgang beschränkt. Konnten noch 2013 und 2014 alle Gefangenen zusammen in den Hof, wurden nun mehrere verschiedene Hofgruppen eingeführt, so dass nie wieder alle Insassen zusammen unterwegs sein können. Die meisten Insassen sind in der Regel eingeschlossen; wenn die einen im Hof sind, sitzen sie in ihren engen Zellen. Gehen sie dann in den Hof, werden zuvor die anderen weggeschlossen. Was allerdings zunehmen wird sind Schlägereien in den Zellen oder auch auf den Fluren, denn eingepfercht in den kleinen Zellen steigt der Frust von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag.
Nicht wenige sprechen von einer Rückentwicklung zum Verwahrvollzug der 60’er Jahre. Weil also die personelle Situation unmittelbaren und vor allem negativen Einfluss auf die Lebenslage der Menschen hat, die hier leben müssen, sollte auch auf diese Seite des Vollzugslebens einmal hingewiesen werden. Freilich unterscheidet sich die prekäre personelle Situation, wie die nicht minder prekäre Lebenslage der Insassen hier im Freiburger Gefängnis nicht von derjenigen, die an den unterschiedlichsten anderen existenziellen Peripherien, beispielsweise Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäuser, vorzufinden ist.
Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8,- D-79104 Freiburg
https://freedomforthomas.wordpress.com
http://www.freedom-for-thomas.de
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