Zeit, um Haltung zu zeigen
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- Von Hendrik Lasch, Leipzig
- 29.10.2018, 17:30 Uhr
- Lesedauer: 4 Min.
- Am Bauhaus hat man es noch einmal versucht: sich herauszuhalten aus den scharfen politischen Kontroversen der Zeit. Das Dessauer Haus verstehe sich als »unpolitischer« Ort, hieß es in einer Erklärung zur Absage eines Konzerts der Band Feine Sahne Fischfilet, die sich gegen Rassismus engagiert und für manche als linksextrem gilt. Aber so geht es nicht, sagt Gisela Kallenbach. Es sei nicht mehr opportun, sich unter dem »Deckmantel vermeintlicher Neutralität« vor klaren Positionen zu drücken. Es sei, sagt die einstige Europaabgeordnete der Grünen aus Leipzig, »höchste Zeit, dass wir Haltung zeigen«.Die Zeit ist reif, weil in Leipzig und Sachsen ein Wahljahr bevorsteht, das zu einer Zäsur werden könnte. Bei der Landtagswahl am 1. September droht die AfD in eine Position zu kommen, die ihr den angestrebten ersten Einstieg in eine Landesregierung ermöglicht. Umfragen lassen erwarten, dass sie die CDU - anders als bei der Bundestagswahl 2017 - im Freistaat zwar nicht erneut überholt, aber so stark abschneidet, dass sie nur durch eine Vier-Parteien-Koalition von der Macht ferngehalten werden könnte. Michael Kretschmer, CDU-Landeschef und Ministerpräsident, spricht sich zwar gegen eine schwarz-blaue Koalition aus; die Ablehnung wird in der Partei aber längst nicht von allen geteilt. Die Kommunalwahl im Mai wird die AfD als Generalprobe verstehen. Und bei der zeitgleich stattfindenden Europawahl drohen europafeindliche Kräfte weiter an Stärke zu gewinnen.Angesichts solch düsterer Aussichten formieren sich in Sachsen derzeit ungewöhnliche Bündnisse. In Leipzig hat eine Gruppe von acht Initiatoren, zu denen neben Kallenbach auch der Oberbürgermeister Burkhard Jung und der Ex-Pfarrer der Thomaskirche Christian Wolff gehören, einen Aufruf veröffentlicht, dessen Unterzeichner sich zum europäischen Gedanken, zu sozialem Zusammenhalt, der Integration von Zuwanderern und zu den Grundwerten der Verfassung bekennen. In Dresden formiert sich derweil eine Initiative mit dem Namen »Dresden kippt!«. Sie richtet den Blick vor allem auf die Wahl eines neuen Stadtrats, bei der eine schwarz-blaue Mehrheit aus CDU und AfD droht die seit 2014 regierende Kooperation von LINKE, Grünen und SPD abzulösen.Während die Zielrichtung in beiden Fällen ähnlich ist, unterscheidet sich die Herangehensweise. »Dresden kippt« mobilisiert explizit gegen ein Bündnis der lokalen CDU mit der AfD als deren »verselbstständigtem reaktionären Flügel«, der sich in der Stadt zudem mit »völkischen Personenkreisen sowie Neonazis« zusammengeschlossen habe. Aus Sicht der CDU, so wird gewarnt, binde die AfD »gesellschaftliche Milieus, die sie als ihre ureigenste Klientel betrachtet und zurückgewinnen möchte«. Die Initiative ruft alle Dresdner zur Beteiligung auf, die »eine schwarzblaue Machtübernahme 2019 verhindern wollen«.
- Im Text, den die Leipziger Initiative unter dem schlichten Titel »Aufruf 2019« veröffentlicht hat, wird die AfD nicht erwähnt. Es handelt sich, anders als in Dresden, nicht um eine »Negativ-Kampagne«. Vielmehr solle Bürgern die Möglichkeit gegeben werden, »zu sagen, wofür sie stehen«, sagt Jung - und zwar, »bevor es zu spät ist«. Der SPD-Mann warnt, es gebe »eine Gefährdung unserer gesellschaftlichen Haltung«. Der Aufruf solle die bislang schweigende Mehrheit zu einer Positionierung ermutigen. Eine Unterschrift, sagt Kallenbach, sei »ein Stück Bekenntnis«.Binnen einer Woche haben den Aufruf 190 Leipziger unterzeichnet, darunter Künstler und Politiker, Gewerkschafter, Kirchenleute, Betriebsräte und Wissenschaftler. Eine »Unterwanderung« durch die AfD, wie sie in Magdeburg anlässlich der »Meile der Demokratie« für Wirbel gesorgt hatte, fürchtet Wolff nicht. Der Aufruf sei so klar formuliert, dass »beides nicht zusammen geht«, sagt er. Wolff kündigt auch an, dass Aktivitäten jenseits des bloßen Appells geplant sind, darunter eine Demonstration am 14. Januar. Auf den Aufruf soll zudem mit Bannern im Stadtbild und mit anderen Werbematerialien aufmerksam gemacht werden, die aber allesamt über Spenden finanziert werden müssen. Wolff sieht die Initiative auch als Vorbild für andere Kommunen im Freistaat an: »Das passt in jeden sächsischen Ort.«Wie sich die praktische Arbeit der Dresdner Initiative gestaltet, ist noch offen. Sie wurde zunächst im Internet gestartet; inzwischen hat es aber am vergangenen Sonnabend auch ein erstes Vernetzungstreffen gegeben. Zudem fand eine Podiumsdiskussion statt, bei der der Dresdner Publizist Michael Bittner und der Soziologe Jerome Trebing über jüngste Entwicklungen in Österreich diskutierten - in einem Land also, wo bereits Schwarz-Blau an der Macht ist und wo sich die Konsequenzen in verschiedenen Bereichen studieren lassen - etwa der Arbeits- und Sozialpolitik. Weitere Veranstaltungen seien in den nächsten Monaten geplant, heißt es auf der Internetseite dresdenkippt.de. Diese könne, wie hinzugefügt wird, ihre Ziele indes »nur erreichen, wenn viele Menschen selbstständig und eigenverantwortlich aktiv werden«.
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