Sonntag, 28. Oktober 2018

Die Rache des gekränkten Machos




Feministin Alexandra Wischnewski über Frauenmorde in Deutschland, und was wir von argentinischen Aktivistinnen lernen können.
Frau Wischnewski, fast immer lesen wir von einer „Familientragödie“ oder einem „Beziehungsdrama“, wenn Männer ihre Partnerinnen töten. Sie fordern mit Ihrer Initiative, stattdessen von Feminiziden, also Frauenmorden, zu sprechen. Was ändert das?
Es würde Bewusstsein dafür schaffen, dass es nicht zufällig um Frauen geht. Dass es kein Schicksalsschlag ist, der irgendwie zu Familien dazugehört. Es geht darum deutlich zu machen, dass es um Morde an Frauen geht, weil sie Frauen sind.
st das die Definition von „Feminizid“?
Ja. Das ist das engste Verständnis. In sozialen Bewegungen wird auch dafür geworben, auch Fälle mit einzubeziehen, in denen der Staat Mitverantwortung trägt, etwa wenn Frauen an den Folgen von illegalisierten Schwangerschaftsabbrüchen sterben oder von Frauenhäusern abgewiesen werden und dann einem höheren Risiko ausgesetzt sind. Das weitet die Perspektive. Wenn man aber über Statistiken und Strafrecht spricht, ist es natürlich schwierig diese weite Definition anzuwenden.
Der Begriff soll also auch darauf aufmerksam machen, dass Frauen qua Geschlecht in der Gesellschaft anderen Risiken ausgesetzt sind?
Genau, damit soll eine bestimmte Art von Verletzlichkeit deutlich gemacht werden – und dass es ein strukturelles Problem ist.
Was bedeutet das genau? Wie kann ein Mord ein strukturelles Problem sein?
Feminizide hängen eindeutig damit zusammen, welche Position Frauen insgesamt in der Gesellschaft haben. Ganz grundsätzlich schon damit, dass diese Form der Gewalt überhaupt als eine Möglichkeit präsent ist und die Täter offensichtlich das Gefühl haben, dass man das machen kann. Die Gefährdung von Frauen, getötet zu werden, ist statistisch betrachtet in der Trennungsphase und danach besonders hoch. Da sprechen Forscherinnen von der Rache des gekränkten Machismo.
Das heißt die Täter töten, weil sie Macht über Frauen verlieren?
Oft ist das so, ja. In einem Gutachten für den Gleichstellungsbericht der Bundesregierung ist zu lesen, dass Frauen, die mehr verdienen als ihre Männer, besonders häufig von sexualisierter Gewalt durch diese betroffen sind. Beratungsstellen berichten, dass auch dann, wenn der Mann seinen Job verliert, das Risiko steigt. Auch bei der #MeToo-Diskussion zeigt sich, dass Frauen, die an Macht gewinnen, häufig zum Ziel von sexualisierter Belästigung oder Gewalt werden.
Sind denn bei Feminiziden in Deutschland zumeist die Partner der Frauen auch die Täter?
Ja. Das Zuhause ist in dieser Hinsicht der gefährlichste Ort für Frauen – und nicht der dunkle Park, wie es oft dargestellt wird. Das macht es aber auch für viele so schwierig, darüber zu sprechen. Das Bewusstsein ist auch deswegen so gering dafür, weil die Geschichten verschieden erzählt werden. Es käme niemand darauf, von einer „Sporttragödie“ zu sprechen, wenn eine Frau beim Joggen überfallen und ermordet wird. Deshalb wollen wir auch einen Leitfaden für die Berichterstattung erstellen.
Wie groß ist das Problem in Deutschland, wenn man auf die Zahlen der Morde blickt?
Das ist schwierig. Weil es kaum Bewusstsein für Feminizide gibt, gibt es auch kaum Zahlen. Erhoben werden aber Tötungsdelikte in Partnerschaften. Im vergangen Jahr wurden 158 Frauen von ihren aktuellen oder ehemaligen Partnern getötet, und 211 Mal versuchten Männer, ihre Partnerin umzubringen, die Betroffenen haben aber überlebt. Im Schnitt heißt das: eine versuchte oder vollendete Tötung pro Tag. (Anm. d. Red: Meldungen vom Freitag sprechen von 149 von ihren Partnern getöteten Frauen im Jahr 2016. Diese beziehen sich auf dieselbe Datenbasis, rechnen aber Opfer von Körperverletzungen mit Todesfolge und Tötung auf Verlagen nicht dazu.)
Statistiken der autonomen Frauenhäuser verzeichnen andere Zahlen.
Ja, sie zählen 2016 sieben Tote mehr, weil sie auch Körperverletzung mit Todesfolge dazurechnen. Die Frauenhäuser berichten auch, dass viele versuchte Tötungen nicht als solche erkannt werden und nicht so zur Anzeige kommen, etwa Angriffe auf den Hals. In den offiziellen Statistiken tauchen Fälle nur auf, wenn der Beziehungsstatus zwischen Täter und Opfer ermittelt werden kann. Man weiß also nicht, ob auch andere Morde an Frauen eigentlich Feminizide waren.
Was heißt das im Vergleich zu anderen europäischen Ländern?
Für Italien gibt es eine Statistik, die für 2015 von 120 Tötungen durch den Partner ausgeht. Das wären etwa zwei Fälle pro eine Million Einwohner und damit relativ in etwa so viele wie in Deutschland, obwohl hierzulande ein anderes Bild vorherrscht. Aber es ist insgesamt schwer zu sagen, da die Daten auch hier spärlich sind oder aber nur schwierig mit den unseren zu vergleichen sind. Es ist positiv, dass die EU momentan daran arbeitet, ein europaweites Observatorium zu Feminiziden aufzubauen.
Eine Forderung antirassistischer Initiativen ist, dass bei Straftaten immer auch eine rassistische Motivation geprüft werden muss. Wäre das auch bei mutmaßlich frauenfeindlich motivierten Taten sinnvoll?
Auf jeden Fall. Frauenfeindliche Straftaten zählen bislang offiziell nicht als „politisch motiviert“. Auch im Paragraphen 46 zur Strafzumessung werden einige Beweggründe als erschwerend aufgezählt – etwa rassistische, fremdenfeindliche und menschenverachtende, nicht aber frauenfeindliche.
Andernorts gibt es längst große Kampagnen gegen Feminizide, „Ni una menos“ (Nicht eine weniger) in Argentinien zum Beispiel. Was haben sie erreicht?
Die Bewegungen haben dort ein größeres Bewusstsein geschaffen, dass es um patriarchale Strukturen geht. Dadurch gelingt es ihnen auch, viel mehr feministische Forderungen unter dieser gemeinsamen Losung auf die Straße zu bringen. Es geht längst nicht mehr ausschließlich um Gewalt. Das wäre auch unser Wunsch.

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