Vor 60 Jahren wurde Johannes XXIII. zum Papst gewählt. Er unterbrach die reaktionären Traditionen der katholischen Kirche
Von Gerhard Feldbauer
Erneuerer. Papst Johannes XXIII. eröffnet am 11. Oktober 1962 im Petersdom das Zweite Vatikanische Konzil
Foto: Gerhard Rauchwetter/dpa
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Retter unzähliger Juden
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Seine bedeutendste Leistung war das II. Vatikanische Konzil. Die 1962 einberufene Versammlung der Erzbischöfe, Bischöfe und Ordensoberen aus aller Welt erfolgte gegen den Widerstand der konservativen Kreise des Klerus, darunter des einflussreichen New Yorkers Francis Kardinal Spellmann. Herausragend waren die Beschlüsse zur Toleranz unter den Religionen, die in der Erklärung »Über die Religionsfreiheit« ihren Niederschlag fanden. Und in dem Dokument »Nostra aetate« wurde der Judenfeindschaft eine klare Absage erteilt. Darin hieß es, die Kirche beklage »alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgend jemandem gegen die Juden gerichtet haben«.
Der 1991 verstorbene französische Erzbischof Marcel Lefebvre, der 1970 die klerikalfaschistische Piusbruderschaft gründete, hatte die Beschlüsse damals eine Folge des satanischen Einflusses auf die Kirche genannt und seine Unterschrift unter das Toleranzdekret und das Dokument »Gaudium et spes« (Freude und Hoffnung) verweigert. Diese »Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute« sollte ein neues Verhältnis zu den Gläubigen, des Eingehens auf ihre Bedürfnisse und ihre Entfaltungswünsche, einleiten. Ebenso lehnte Lefebvre das Dekret über den Ökumenismus »Unitatis redintegratio«, die Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen »Nostra aetate« und die Lehre über das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen ab.
»Mater et Magistra«
1959, ein Jahr bevor in Afrika 17 Staaten die nationale Unabhängigkeit errangen und damit der endgültige Zerfall des alten Kolonialsystems eintrat, hatte Johannes XXIII. sich für die Anpassung der katholischen Kirche an den Entkolonisierungsprozess ausgesprochen und dem autochthonen Klerus der sogenannten dritten Welt volle Gleichberechtigung zugesichert. In der 1961 erlassenen Enzyklika »Mater et magistra« (Mutter und Lehrmeisterin) erörterte er Fragen von »Christentum und sozialem Fortschritt« und wollte eine vorsichtige Reform einiger überholter Leitsätze der katholischen Soziallehre einleiten, welche die »unerbittliche Hütung des Privateigentums« postuliert hatte. Er trat selbstverständlich nicht für dessen Beseitigung ein, setzte aber einige neue Akzente. Er mahnte die von Reichtum und Überfluss gesättigten Staaten, jene Völker nicht zu vergessen, die »vor Elend und Hunger fast zugrunde gehen«. Er erwähnte deren Bedarf an Grundgütern und forderte soziale Gerechtigkeit, die er als Teilnahme aller Menschen am Wohlstand definierte. Giovanni Ventitre sprach Probleme der »Vergesellschaftung« an und gebrauchte den Begriff der »Sozialisation«. Das waren lediglich reformistische Gedanken, die allerdings die meisten sozialdemokratischen Parteien zu dieser Zeit aufgegeben hatten. Roncalli unterschied sich in dieser Haltung von der antikommunistischen Kreuzzugsideologie und -praxis seiner Vorgänger.
In Italien widmete er sich der Arbeiterfürsorge, suchte den Ausgleich mit den Sozialisten und scheute auch nicht vor Kontakten mit den Kommunisten zurück. Der Papst beauftragte den berühmten Bildhauer Giacomo Manzù, von dem öffentlich bekannt war, dass er als Katholik mit den Kommunisten sympathisierte, ein amtliches Porträt in Büstenform von sich zu schaffen. Manzù nahm später Johannes auch die Totenmaske ab.
»Pacem in terris«
Nikita Chruschtschow übermittelte ihm zu seinem 80. Geburtstag im November 1961 persönliche Grüße »mit dem aufrichtigen Wunsch für gute Gesundheit und Erfolg bei dem edlen Bemühen zur Stärkung und Festigung des Friedens in der Welt durch Lösung der internationalen Probleme durch freimütige Verhandlungen«. Der Papst hörte nicht auf die Ratschläge, sie unbeantwortet zu lassen. Er sandte dem sowjetischen Führer seinen aufrichtigen Dank, dem er hinzufügte, »ich werde für das Volk Russlands beten«. Im Oktober 1962, als die Welt während der Kuba-Krise am Rande eines Atomkriegs zu stehen schien, blieb auch Johannes XXIII. nicht stumm. Nach Rücksprachen mit Chruschtschow und US-Präsident John F. Kennedy sandte er am 25. Oktober einen Friedensappell in die Welt. Vom Tauwetter in den Beziehungen zwischen dem Vatikan unter Johannes XXIII. und den sozialistischen Staaten zeugte, dass die Bischöfe aus Osteuropa am Konzil teilnahmen. Sicher, auch die Ostpolitik Johannes XXIII. fügte sich ein in die Strategie der Aufweichung der sozialistischen Staaten. Aber es war zweifellos eine Haltung, die sich von der erzreaktionären Linie eines Karol Wojtyla und eines Joseph Ratzinger unterschied.
In seinem Todesjahr erschien seine dritte Enzyklika »Pacem in terris« (Frieden auf Erden), in der er für ein Verbot der Atomwaffen und für das Ende des Wettrüstens eintrat, die Rassendiskriminierung verurteilte, sich für den Schutz von Minderheiten und die Rechte politischer Flüchtlinge einsetzte. Johannes XXIII. konnte das Konzil, das bis Ende 1965 andauerte, nicht zu Ende führen. Er starb am 3. Juni 1963.
Vor allem der polnische Papst Wojtyla und nach ihm der deutsche Papst Ratzinger sorgten dafür, dass die von Johannes XXIII. ins Auge gefassten sehr gemäßigten Reformen, wo sie nicht rückgängig gemacht wurden, wenigstens stagnierten. Angesichts der Pontifikate von Wojtyla und Ratzinger wird ersichtlich, dass Giovanni Ventitre während der kurzen Zeit, in der er den Stuhl Petri innehatte, Spuren des Wirkens für Frieden und Menschlichkeit hinterlassen hat, wie sie von keinem Papst vor und bisher nach ihm bekannt wurden.
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