Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman
Foto: Bandar Algaloud/Courtesy of Saudi Royal Court/Handout via REUTERS
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»Das Unvorstellbare ist eingetreten«, barmte Reinhard Baumgarten vom SWR am 20. Oktober auf www.tagesschau.de und meinte die Entsendung eines Folter- und Mordkommandos aus Riad nach Istanbul samt Pathologen mit Knochensäge. Sein »Unvorstellbar« wirkt ungefähr wie das »Unfassbar« und »Völlig überraschend« in Todesanzeigen für Verstorbene, die 100 Jahre alt wurden.
Ganz anders die fromme Prinzengarde Saudi-Arabiens. Sie verschafft von alters her Abweichlern von der Scharia-Treu- und Redlichkeit rasch ein Grab und fördert deswegen das traditionelle Kopf- und Handabhackgewerbe. Nach dem Freitagsgebet wird, wie es der verstorbene Journalist Peter Scholl-Latour formulierte, »in Riad hinter der Moschee geköpft«. Woche für Woche. Das nahm vor drei Jahren, nach Inthronisierung des neuen Stammeshäuptlings vulgo Königs solchen Umfang an, dass Fachkräftemangel entstand und acht Henkerstellen ausgeschrieben werden mussten. Online versteht sich. Die herrschende Mörderbande galt wegen solcher Umsicht und für mehr als 70 Jahre beständige Öllieferung Richtung Westen in Washington, also auch bei Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier und anderen hiesigen Betriebsnudeln, noch vor kurzem als »Stabilitätsfaktor« in der Region.
Mit diesem idyllischen Bei- und Miteinander ist es nun angeblich vorbei, denn: »Das Unvorstellbare ist eingetreten«, barmte Reinhard Baumgarten vom SWR am 20. Oktober auf www.tagesschau.de und meinte die Entsendung eines Folter- und Mordkommandos aus Riad nach Istanbul samt Pathologen mit Knochensäge. Sein »Unvorstellbar« wirkt ungefähr wie das »Unfassbar« und »Völlig überraschend« in Todesanzeigen für Verstorbene, die 100 Jahre alt wurden. Aber für einen Fachmann wie Baumgarten hat die Welt offenkundig eine Ordnung, in der Saudi-Arabien ähnlich wie USA oder Bundesrepublik niemanden von Staats wegen umbringt, auch wenn Riad Jemen in Schutt und Asche bombt, so wie jene beiden Länder z. B. in Afghanistan und anderswo für Mord und Totschlag sorgen. Ihm fällt daher die rhetorische Frage ein: »Ist Saudi-Arabien soweit gesunken wie Hussein und Ghaddafi, Oppositionelle einfach ermorden zu lassen?« Da wäre zu erwägen, ob Saudi-Arabien so tief sinken kann, dass es wie die US-Präsidenten George W. Bush und Barack Obama die von ihnen überfallenen Saddam Hussein und Muammar Al-Ghaddafi einfach ermorden lässt. Und überhaupt: Was ist ein Mordkommando in Istanbul gegen einen 17 Jahre andauernden Krieg am Hindukusch und die Zerstörung fast ganz Westafrikas durch den Libyen-Krieg von 2011?
Der in der Stadt am Bosporus ermordete Dschamal Chaschukdschi habe, so Baumgarten, »das zunehmend autokratische Gebaren sowie die bellizistische Außenpolitik« des saudischen Kronprinzen »in Frage gestellt«. Die Formulierung »zunehmend autokratisches Gebaren« verdient eine Anerkennung als freundlichste Phrase der Woche, »die bellizistische Außenpolitik« hat bislang nicht gestört, im Gegenteil. Die wurde wie erwähnt gern mit »Stabilitätsfaktor in der Region« zusammengefasst. Schließlich päppelte Riad den »Islamischen Staat« jahrelang und führte an dessen Seite gemeinsam mit USA und Bundesrepublik einen Feldzug für den Regime-Change in Damaskus. Da bombt und mordet gemeinsam, was zusammengehört.
Folgerichtig kam Baumgarten das Unvorstellbare am Ende wieder vorstellbar vor. Saudi-Arabien, schrieb er, werde »zunehmend zu einem unberechenbaren Partner«. Hauptsache Partner, »zunehmend« heißt, es dauert, hat also nie gestört. Es gibt noch allerhand zu zertrümmern, um Stabilität in der Region herzustellen.
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