Menschen werden festgenommen, weil die Polizei sie wegen ihres Äußeren als links einstuft. Ein Gespräch mit Marco Noli
Interview: Gitta Düperthal
Gegen den Polizeistaat: Claudia Stamm (Partei Mut), Ates Gürpinar (Die Linke), Natascha Kohnen (SPD,), Martin Hagen (FDP), Katharina Schulze (Bündnis 90/Die Grünen) und Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) am 10. Mai in München
Foto: Felix Hörhager/dpa
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Marco Noli ist Rechtsanwalt in München
Für Mittwoch, den 3. Oktober, hat das Bündnis »#noPAG« ab 13 Uhr zur Großdemonstration unter dem Motto »Jetzt gilt’s – Gemeinsam gegen die Politik der Angst« auf dem Münchener Odeonsplatz aufgerufen. Mehr Informationen dazu finden sich unter: nopagby.de
Die Bundespolizei hielt in Freilassing einen Zug an, der von München nach Salzburg unterwegs war, und kontrollierte alle Leute, die zur Demo gegen die Politik des Sozialabbaus und der Militarisierung der EU unterwegs waren. Vormittags um elf Uhr nahm sie 18 Personen in Gewahrsam, einige hielt sie bis abends um 21.30 Uhr auf der Wache fest. Es ging darum, Leute festzunehmen, die dem linken Milieu zugerechnet werden – ansonsten nannte die Polizei weder einen konkreten Verdacht noch bestimmte Anhaltspunkte.
Welche Folgen hatte die Aktion für die Betroffenen?
17 der Festgenommenen erhielten ein Ausreiseverbot nach Paragraph 10 des Passgesetzes nach Österreich. Das erstreckte sich von Donnerstag vorvergangener Woche bis auf den Folgetag, Freitag 24 Uhr. An dem Tag mussten sie sich um sieben Uhr morgens bei der Polizei in München melden: zur Überprüfung, ob sie sich daran hielten. Laut diesem Gesetz soll verhindert werden, das Ansehen der BRD im Ausland zu beeinträchtigen. Zumindest hätte es also Anhaltspunkte dafür geben müssen, dass erhebliche Straftaten hätten verübt werden können – oder erhebliche Vorstrafen im Einzelfall nachgewiesen werden können. Die Begründung für das Ausreiseverbot wird einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten.
Die 17 haben mich nun beauftragt, Rechtsmittel einzulegen. Ein Gericht soll feststellen, dass das Ausreiseverbot und ihre stundenlange Ingewahrsamnahme rechtswidrig waren. Eine Anwaltskollegin vor Ort hatte erst durch ihr Insistieren in den Abendstunden durchsetzen können, dass überhaupt eine Bereitschaftsrichterin herbeigerufen wurde. Nachmittags sei kein Richter zu erreichen gewesen, hatte die Polizei behauptet. Zu vermuten ist, dass es reine Schikane war, die Dauer der Maßnahme so lange auszudehnen.
Wo sehen Sie den Zusammenhang zum PAG?
Mit der Gesetzesverschärfung könnte eine Kultur Einzug halten, bei der die Polizei in bestimmten Situationen denkt, sie könne machen, was sie will – als könne sie über einen Selbstbedienungsladen an Maßnahmen frei verfügen oder sich mit Hilfe selbst geschaffener Auswahlkriterien anmaßen, Leute festzuhalten. Als genüge es, mit dem Verweis auf »linke Demonstranten« ihre Eingriffe zu rechtfertigen, welche die Grundrechte in erheblichem Maße berühren.
Haben Ihre Mandanten erfahren, weswegen sie festgenommen worden sind?
Ein Grund sei ihnen nicht mitgeteilt worden, sagen sie. Auf ihre Nachfrage, was los sei, hätten Polizisten geantwortet: »Ihr wisst schon, warum.« Das wussten sie nicht. Die Anwältin vor Ort hatte nur in Erfahrung bringen können, dass die Polizei jeden Einzelfall prüfen wolle, um zu entscheiden, wer ein Ausreiseverbot erhält. Tatsächlich erhielten dazu allerdings alle ein nichtssagendes Standardschreiben. Die Maßnahme stützt sich auf Vermutungen, dass jemand vielleicht an Gewalttätigkeiten hätte teilnehmen können. Ich gehe davon aus, dass es sich um eine klar rechtswidrige Aktion handelt. Um solchen Tendenzen Einhalt zu gebieten, ist eine gerichtliche Klärung notwendig.
Ist das eine neue Qualität der Repression?
Bisher bezeichnet man ein häufig auf Stereotypen und äußerlichen Merkmalen basierendes Agieren der Polizei als »Racial Profiling« – dabei geht es meist um die Hautfarbe einer Person. Dass aber eine tiefgreifende Polizeimaßnahme wie die von mir geschilderte gegen eine Vielzahl von Personen aus vagen Motiven durchgeführt wird, weil sie äußerlich dem linken Spektrum zugerechnet werden: Das ist eine neue Dimension.
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