Ankara und Riad kämpfen um die Vormachtstellung im Nahen Osten – das zeigt auch der Fall Chaschukdschi
Von Wiebke Diehl
Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan (r.) trifft im saudischen Dschidda Kronprinz Mohammed bin Salman (Juli 2017)
Foto: Presidency Press Service/AP/dpa
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Der inzwischen 33jährige saudische Kronprinz Mohammed bin Salman hat mit Hilfe seines Vaters die gesamte Macht im Königreich an sich gerissen. Zu diesem Zweck hatte der Anfang 2015 inthronisierte König Salman entgegen der Tradition, die Thronfolge einvernehmlich zu bestimmen, den bisherigen Kronprinzen kurzerhand abgesetzt und die eigenen älteren Söhne zugunsten des Lieblingssohns übergangen. Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen Korruption innerhalb der Königsfamilie entledigte sich Mohammed bin Salman alsbald seiner potentiellen Konkurrenten um die Thronfolge.
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Es spricht viel dafür, dass sich Ankara und Riad als natürliche Partner begreifen müssten: Sowohl die Türkei als auch Saudi-Arabien sind von reaktionären, religiös »legitimierten« Ideologien geprägte und äußerst autoritär regierte Länder. Beide agieren extrem repressiv gegenüber Minderheiten und jeglicher politischer Opposition, und gemeinsam haben sie insbesondere in Syrien über viele Jahre terroristische Gruppen politisch, finanziell, logistisch und militärisch unterstützt, um einen Sturz der eng mit Russland und seit 1979 mit der Islamischen Republik Iran verbündeten syrischen Regierung herbeizuführen.
Aber das Beziehungsgeflecht zwischen den Staaten im Nahen Osten ist weitaus komplizierter, als es auf den ersten Blick erscheint, und alles andere als statisch. Sowohl Ankara als auch Riad beanspruchen für sich eine Vormachtstellung in der Region – Erdogan sieht sich als Erbe des Osmanischen Reiches, das saudische Königshaus betrachtet sich als Hüter der heiligsten Stätten des Islam in Mekka und Medina und ist einer der wichtigen Ölexporteure. Beide Regierungen unterhalten enge politische, wirtschaftliche und militärische Beziehungen zu Washington, wobei das Verhältnis der Türkei sowohl zu den USA als auch zu Saudi-Arabien in letzter Zeit erheblich gelitten hat. Der Grund hierfür war Erdogans Zusammenarbeit mit dem Iran und Russland bei den Astana-Gesprächen infolge seiner Niederlage im Syrien-Krieg und getrieben von der Furcht, an der türkischen Grenze könnte ein kurdischer Staat entstehen. Denn dem saudischen und US-amerikanischen Anspruch auf Dominanz in der Region steht vor allem Teheran im Wege, dessen vorwiegend schiitische Bevölkerung zudem in der Logik des Wahhabismus, der sektiererischen Staatsreligion des Wüstenkönigreichs, als abtrünnig und ungläubig gilt.
Wie Saudi-Arabien mit Konkurrenten umgeht, zeigte sich im letzten Sommer, als Riad gemeinsam mit Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain alle diplomatischen Beziehungen zum bis dahin verbündeten kleinen Golfemirat Katar abbrach, das in den vorangegangenen Jahren eine für den Geschmack Riads zu eigenständige und aktive Außenpolitik entwickelt hatte. Doha wurde aus allen regionalen Bündnissen ausgeschlossen, die Land-, See- und Luftgrenzen dicht gemacht. Nur durch die Unterstützung der Türkei und des Irans trotzt Katar bis heute dieser Blockade. Inzwischen plant Saudi-Arabien, Katar weiter zu isolieren und durch den Bau eines 61 Kilometer langen Kanals an der gemeinsamen Grenze zur Insel zu machen. Die Begründung für die radikalen Maßnahmen: Der katarische Emir habe sich zu kritisch über das Säbelrasseln gegenüber Iran geäußert, mit dem sich das Land eines der größten Gasfelder der Welt teilt, und unterstütze terroristische Gruppen.
Gemeint war damit nicht etwa der Al-Qaida-Ableger Nusra-Front in Syrien, den neben Katar und der Türkei auch Riad großzügig gefördert hatte, sondern vielmehr die 1928 in Ägypten gegründete und in faktisch allen arabischen Ländern präsente Muslimbruderschaft. Diese steht insbesondere in der Gunst der Türkei und Katars, deren Hoffnung, im Zuge des »arabischen Frühlings« von Muslimbrüdern dominierte und damit potentiell verbündete Regierungen in der Region installieren zu können, sich allerdings größtenteils zerschlagen hat. In Saudi-Arabien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten gilt die Muslimbruderschaft hingegen als terroristische Vereinigung.
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