Donnerstag, 28. Januar 2016

»Genug Hinweise auf sexuellen Missbrauch«

 

»Fall Lisa«: Polizei und Staatsanwaltschaft suggerierten, es sei eigentlich gar nichts geschehen. Ein Gespräch mit Alexej Danckwardt

Interview: Peter Wolter
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Alexej Danckwardt ist Rechtsanwalt in Leipzig
Der »Fall Lisa« schlägt Wellen: Die 13jährige Russlanddeutsche soll am 11. Januar angeblich von »Südländern« entführt, vergewaltigt und nach 30 Stunden freigelassen worden sein. Russische Medien werfen der Berliner Polizei Untätigkeit und Vertuschung vor – mittlerweile hat sich sogar Außenminister Sergej Lawrow eingeschaltet und lückenlose Aufklärung gefordert. Die Behörden dementieren allerdings, dass es eine Entführung gegeben habe. Lisas Familie hat Sie als Anwalt eingeschaltet – was sagen Sie dazu?
Erst einmal vielen Dank dafür, dass Sie uns die Möglichkeit geben, unsere Sicht der Dinge darzustellen. Wenn man sich die Pressemeldungen der Polizei anschaut, die durch diejenigen der Staatsanwaltschaft auch längst überholt sind, findet man nirgendwo die Aussage, es habe im »Fall Lisa« nichts Strafbares gegeben. Es wurden lediglich die Straftatbestände Vergewaltigung und Entführung bestritten, wodurch der Öffentlichkeit suggeriert wurde, es habe eigentlich gar nichts gegeben.
Was ist denn tatsächlich geschehen?
Die Staatsanwaltschaft konzentriert sich nunmehr darauf, dass es sexuellen Kindesmissbrauch zu Lasten meiner Mandantin gegeben haben kann – dazu werden jetzt die Ermittlungen geführt. Als Anwalt von Lisa möchte ich im Moment allerdings keineswegs behaupten, dass es wirklich keine Vergewaltigung und keine Entführung gegeben hat.
Lisa selbst hat bei der Vernehmung durch die Polizei zwei Versionen vom Tatgeschehen präsentiert. Die eine, direkt nachdem sie aufgefunden wurde, die andere bei einer späteren Vernehmung, die drei Stunden dauerte. Ich halte es für möglich, dass die zweite Version mehr oder weniger dem Vernehmungsdruck geschuldet ist.
Zunächst einmal steht fest: Es liegen ausreichend Hinweise auf sexuellen Missbrauch vor, so dass der Anfangsverdacht für Ermittlungen gegeben ist. Darüber hinaus: Mediziner haben bestätigt, dass Lisa geschlagen wurde, sie ist also zusätzlich Opfer einer Körperverletzung geworden.
Was hat Lisa Ihnen über den Ablauf ihrer angeblichen Entführung berichtet?
jW-Probeabo
Auf Details möchte ich im Moment nicht eingehen, nicht zuletzt aus ermittlungstechnischen Gründen. Bevor ich mich festlege, möchte ich auch erst einmal die wörtlichen Protokolle der Polizei einsehen und mir die Videoaufzeichnung der zweiten Vernehmung anschauen.
Eines ist mir noch wichtig: Wir möchten auf keinen Fall dazu beitragen, dass darüber spekuliert wird, aus welchem Kreis die Täter stammen. Flüchtlinge waren es mit ziemlicher Sicherheit wohl nicht, allein schon deswegen, weil die mutmaßlichen Täter ein Auto bei sich hatten. Welcher Flüchtling aus Syrien oder Libyen wäre in der Lage, sich wenige Wochen oder Monate nach der Ankunft in Deutschland ein Auto leisten zu können?
Autos werden mitunter auch geklaut …
Auch das ist nicht auszuschließen, aber zunächst spricht nichts für diese Annahme.
Was sagt denn das Strafgesetzbuch zum Kindesmissbrauch?
Die Strafandrohung unterscheidet sich nicht wesentlich von der der Vergewaltigung, überführte Täter müssen also auf jeden Fall mit Haftstrafen rechnen.
Wie wurde Lisa aufgefunden?
Sie wurde mitten in Berlin-Hellersdorf ausgesetzt und wandte sich sofort weinend an einen hilfsbereiten Passanten, sie hatte Spuren von Verletzungen. Der rief die Polizei, die dann die medizinische und psychologische Hilfe organisierte.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass einige russische Medien dieses Thema mit Absicht breittreten, um den deutschen Behörden etwas anzuhängen.
Wir sind keineswegs mit allem einverstanden, was diese Medien berichten. Andererseits: Ich habe in den vergangenen Tagen deutschen wie russischen Sendern etliche Interviews gegeben, wobei ich mich gewiss nicht dem angeblichen »Propagandaschema« Moskaus angepasst habe.
Das russische Fernsehen hat meine Äußerungen jedenfalls ungeschnitten und im Originalton gesendet, teilweise sogar live. Das ZDF-»Morgenmagazin« hingegen hat es fertiggebracht, meine Aussagen so zu schneiden, dass sie in ihr Gegenteil verdreht wurden.

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