Viele Flüchtlinge erhielten in Berlin wochenlang kein Geld fürs Nötigste. Senat und Polizei prüfen Nachricht über Todesfall
Von Susan Bonath
Jeden Tag warten etwa 600 Flüchtlinge vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin. Betreut werden sie dort einzig von Freiwilligen. Die Anliegen höchstens der Hälfte von ihnen werden bearbeitet
Foto: Jörg Carstensen/dpa
|
Vor dem Amt warten schon jetzt täglich etwa 600 Flüchtlinge, um Krankenscheine und Grundsicherung zu beantragen. Letztere beträgt außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen 359 Euro, wovon sich die Flüchtlinge einen Monat lang selbst versorgen müssen. Viele warten jedoch tagelang vergeblich. Das Lageso räumte bereits am Dienstag ein, wegen »hohem Krankenstand« weniger als die Hälfte der Anliegen bearbeiten zu können. Derzeit kämen nur »200 bis 300 Terminkunden« pro Tag an die Reihe. Inzwischen habe ein Krisengespräch mit Heimbetreibern stattgefunden. Unterstützer klagen seit Monaten, am physischen und finanziellen Limit zu arbeiten. »Seit einem halben Jahr helfen wir, rennen, pflegen, ernähren, versorgen, heilen«, schrieb eine Mitstreiterin von »Moabit hilft« am Mittwoch auf Facebook.
Ein weiterer Helfer des Bündnisses hatte am Mittwoch morgen einen Todesfall gemeldet, für den er die Versorgungskatastrophe mitverantwortlich machte. Es gehe um einen 24jährigen Syrer, sagte dessen Sprecherin Diana Henniges gegenüber dem RBB. Der Flüchtling habe tagelang vergeblich in der Kälte auf einen Termin gewartet. Als er an Fieber und Schüttelfrost erkrankt sei, habe der Helfer den Mittellosen und Geschwächten zu sich nach Hause geholt. In der Nacht zum Mittwoch sei es dem Mann sehr schlecht gegangen. Auf dem Weg in die Notaufnahme sei er im Rettungswagen an Herzversagen verstorben.
Die Behörden bestätigten den Fall bis Mittwoch nachmittag nicht. »Wir haben alle Aufnahmekrankenhäuser abgefragt«, sagte eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales laut dpa. »Dort gibt es keine Informationen darüber.« Ein Sprecher der Polizei antwortete auf Nachfrage von junge Welt: »Bis jetzt hat uns noch niemand eine Leiche gezeigt.« Allerdings würden dort »Fälle von natürlich Verstorbenen« nicht angezeigt. Man prüfe noch, hieß es. Auch die Berliner Feuerwehr hat keinen entsprechenden Einsatz eines Rettungswagens dokumentiert. Henniges sah keinen Anlass, die Angaben des Helfers anzuzweifeln. Der Mann war am nachmittag weder für andere Unterstützer der Initiative noch für die Polizei erreichbar gewesen.
Angesichts der Umstände sei es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ein solcher Fall eintrete, sagte Henniges. Wenn sich der Tod bewahrheite, müsse Berlins Sozialsenator Mario Czaja (CDU) zurücktreten. Oppositionspolitiker, Sozialverbände und ehrenamtliche Helfer werfen ihm seit langem schwere Fehler vor. Die Behörde sei unterbesetzt und arbeite mit veralteter Technik. Viele Mitarbeiter seien überfordert, die Flüchtlinge dauerhaft unterversorgt. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte Czaja Ende 2015 deshalb öffentlich kritisiert.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen