Samstag, 22. November 2014
Zusammenfassung des IMI-Kongress 2014
IMI-Standpunkt 2014/064
Deutschland: Wi(e)der die Großmacht!
http://www.imi-online.de/2014/11/21/deutschland-wieder-die-grossmacht/
IMI (21. November 2014)
Über das gesamte Wochenende besuchten etwa 200 Menschen den diesjährigen
Kongress der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., der am
15./16. November 2014 zum inzwischen 17. Mal in Tübingen stattfand. Der
Kongress stand unter dem Motto "Deutschland: Wi(e)der die Großmacht!" -
ganz im Zeichen der seit einiger Zeit immer offensiver formulierten
deutschen Weltmachtansprüche. Dabei wurde auch diskutiert, auf welchen
Ebenen diese Großmachtpolitik zu beobachten ist und wie und wo dagegen
Widerstand organisiert werden kann.
Elitenkonsens
Der Kongress begann wie üblich am Freitagabend mit einer satirischen
Auftaktveranstaltung zum Thema "Gauck im Glück: Ein Abend zu Lage der
Nation". Dabei führten die IMI-Beiräte Michael Schulze von Glaßer und
Thomas Mickan unter viel Gelächter mit Zitaten des Bundespräsidenten
locker in den Kongress ein, bevor es am darauffolgenden Tag ernster
wurde. Den Samstag eröffnete IMI-Vorstand Jürgen Wagner und widmete sich
dabei "Deutschlands neuen Großmachtambitionen". Er führte dabei aus,
dass der seit Anfang des Jahres von deutschen Spitzenpolitikern und
insbesondere von Bundespräsident Joachim Gauck formulierte Anspruch auf
eine offensivere (militärische) Weltmachtrolle Deutschlands von langer
Hand vorbereitet worden sei. Insbesondere sei dies in dem vom
Planungsstab des Auswärtigen Amtes finanzierten Projekt "Neue Macht -
Neue Verantwortung" geschehen, in dem zwischen November 2012 und
September 2013 ein gleichnamiger Bericht von 50 Mitgliedern des außen-
und sicherheitspolitischen Establishments erarbeitet wurde: "Alle
wesentlichen Gedanken der Gauck-Rede bis hin zu teils wortgleichen
Formulierungen sind dem Bericht 'Neue Macht - Neue Verantwortung'
entnommen. Gauck wurde also lediglich zum Sprecher eines Elitenkonsenses
auserkoren, der darauf basiert, dass eine aggressivere Militärpolitik
die notwendige Bedingung für den angestrebten Aufstieg Deutschlands zu
einer veritablen Großmacht darstellt", so Wagners Kritik.
Im zweiten Panel wurden Schlaglichter auf unterschiedliche Aspekte der
Sicherheitspolitik der Großen Koalition geworfen. Zum Auftakt
rekapitulierte Tobias Pflüger die Genese der parlamentarischen Kontrolle
militärischer Auslandseinsätze und konstatierte einen sukzessiven Abbau
derselben. Anfänglich noch unter dem Aspekt der Geheimhaltung betrieben
- wie z.B. bei den Einsätzen des Kommandos Spezialkräfte - habe später
und unter der neuen Regierung eine aktive Aushebelung parlamentarischer
Rechte zur Information und Beteiligung stattgefunden. Mit dem Verweis
auf "Bündnisverpflichtungen" oder auch auf niederschwellige Einsätze
werde das Parlament bewusst und gezielt umgangen. Auch bei der
Entscheidung über Waffenexporte sei das Parlament außen vor, was
angesichts der zunehmend politischen Bedeutung der einzelnen
Entscheidungen überaus bedenklich sei (siehe die Lieferung von Waffen an
"nicht-staatliche" Akteure wie die Peschmerga).
Thomas Mickan skizzierte in seinem Beitrag den Versuch des
Verteidigungsministeriums, das Militär als Arbeitgeber attraktiver zu
gestalten und stellte das Maßnahmenpaket der Regierung hierzu vor sowie
den dazugehörigen Lobbyentwurf des BundeswehrVerbandes. Er wies darauf
hin, dass die Regierung die Bundeswehr als weltweit agierenden "Konzern"
verstehe und die Werbemaßnahmen dementsprechend an die
Marketingstrategien großer Unternehmen anlehne. Seiner Einschätzung nach
ist die Attraktivitätsoffensive auch als Binnenkommunikation innerhalb
der Bundeswehr zu verstehen, um verlorenes Vertrauen in die
Bundeswehrführung aufgrund der Bundeswehrreform wieder herzustellen und
Fachkräfte zu binden.
Reiner Rehak vom Forum Informatiker für Frieden und gesellschaftliche
Verantwortung analysierte die Tätigkeit der Geheimdienste im Bereich der
elektronischen/digitalen Bespitzelung und kam zum Schluss, dass der BND
ähnliche Strategien verfolge wie der US-amerikanische Geheimdienst NSA
und eng mit diesem zusammenarbeite. Er rekapitulierte auch, dass es die
modernen Medien und auch das Kommunikationsverhalten der Nutzer den
Diensten leicht machen würden, Informationen abzugreifen und in die
Privatsphäre einzudringen. Er konstatierte umgekehrt eine neue
Sensibilität gegenüber dem Thema, die auf gesellschaftlicher wie
politischer Ebene um sich greife.
Die Hardware der Großmacht
Am späten Nachmittag ging es dann um die Standorte und die
Rüstungsprojekte der Armee im Einsatz sowie um den bisherigen und
zukünftigen Einsatz von Drohnen durch die Bundeswehr. Christoph
Marischka stellte das Stationierungskonzept der Bundeswehr von 2011 vor.
Darin werde festgehalten, dass die Möglichkeit, sich an Kriegen hoher
Intensität sowie mehreren Interventionen gleichzeitig zu beteiligen, von
der Regierung als Voraussetzung gesehen wird, überhaupt Außenpolitik zu
betreiben. Die Einsatzorientierung und damit einhergehende Berufsarmee
führe auch zu einer räumlichen Reorganisation der Streitkräfte in
Deutschland. Standortschließungen ergäben sich aus Einsparungen im
Umgang mit Wehrpflichtigen, der Zentralisierung von Verwaltungsaufgaben
und einzelnen militärischen Aufgaben und umfassender Privatisierung
insbesondere bei Logistik und Instandhaltung. Demgegenüber würden jedoch
auch Standorte beträchtlich aufgewertet, in Baden-Württemberg
insbesondere jene der neuen Division Schnelle Kräfte und der
Deutsch-Französischen Brigade. Darüber hinaus wurden als wichtige
bundesweite Strukturen u.a. die Funktionen des Flughafens Halle/Leipzig,
des Gefechtsübungszentrums bei Magdeburg, der Luftlagezentren in Kalkar
und Uedem sowie der US-Standorte in Ramstein und Stuttgart kurz vorgestellt.
Arno Neuber beschrieb daraufhin die wichtigsten und größten
gegenwärtigen Rüstungsprojekte der Bundeswehr. Eine klare
Einsatzausrichtung zeige sich bei den neuen Tranporthubschraubern NH90,
dem Kampfhubschrauber Tiger und dem Schützenpanzer Puma. Dieser solle
auch im zukünftigen Militärtransporter A400M verlegbar sein, der
weltweit auch unter widrigen Umständen starten, fliegen und landen sowie
Spezialkräfte aus der Luft absetzen könne. Zugleich machte Neuber mit
Zahlen eindrücklich, dass sich die veranschlagten Kosten und die
Lieferzeiten vonseiten der Industrie stets und damit absehbar erhöhten.
Projekte wie der Eurofighter würden der gegenwärtigen Einsatzausrichtung
gar nicht mehr entsprechen und von Luftfahrt- und Rüstungsindustrie eher
als Subventionsprogramm verstanden. Verteidigungsministerin von der
Leyen inszeniere sich zwar gegenwärtig als mutige Kämpferin gegen diese
Mißstände, die Abhängigkeit der Armee von der Rüstung sei jedoch nicht
zu überwinden. Vor diesem Hintergrund sei auch die Aufhebung der letzten
Tabus in Sachen Waffenexporte zu verstehen, die gegenwärtig
vorangetrieben werde.
Zur gegenwärtigen und zukünftige Nutzung von Drohnen durch die
Bundeswehr sprach Matthias Monroy und problematisierte dabei v.a. auch
die Nutzung unbewaffneter Aufklärungsdrohnen mittlerer Größe. Nachdem
diese längst - und zuletzt in rasantem Tempo in immer neuen und größeren
Weltregionen - militärisch eingesetzt würden, interessierten sich
zunehmend auch Polizei- und Grenzschutzbehörden für ihre Verwendung, was
stärker in den Blick genommen werden müsse. Zukünftig werde sich die
Bundeswehr auch bewaffnete Drohnen anschaffen - ungeachtet der breit
angekündigten "gesellschaftlichen Debatte". Als Zwischenlösung werde
gegenwärtig das Nachfolgemodell der Heron 1 diskutiert, die
(unbewaffnet) bereits für die Bundeswehr in Afghanistan im Einsatz sei,
dabei aber von der Herstellerfirma geleast und durch private Angestellte
gestartet und gelandet werde. Mittelfristig strebten Deutschland und die
EU jedoch die Entwicklung einer eigenen Drohne dieser Klasse mit
Beteiligung der deutschen Industrie an, wofür sich im Bundestag v.a. die
SPD stark mache. Monroy verwies auch darauf, dass der Euro Hawk
keineswegs vom Tisch sei. Die darin verbaute Technologie zur
Signalerfassung solle zukünftig womöglich ebenfalls in einer
selbstentwickelten Drohne zur Anwendung kommen, das aus den USA
stammende Trägersystem Global Hawk werde für die NATO angeschafft und zu
wesentlichen Teilen aus dem Bundeshaushalt finanziert; zukünftig sei
überdies geplant, diese Aufklärungsdrohnen auch in Schleswig-Holstein zu
stationieren.
Medien im Krieg
Am Samstagabend analysierte IMI-Vorstand Claudia Haydt mediale
Ideologieproduktion. Sie ging dabei auf mediale Sprach- und
Argumentationsmuster ein, die einerseits militärisches Eingreifen als
einzig mögliche Option rahmten und anderseits Kriegsgegner_innen und
alternative Lesarten diskreditieren würden. Haydt stellte die Ergebnisse
von Uwe Krügers Buch "Meinungsmacht" vor, in dem er journalistische
Elitenetzwerke und ihre Verbindungen zur sogenannten Strategische
Gemeinschaft untersuchte. Dabei ließen sich die Sprach- und
Argumentationsmuster auch in Krügers Netzwerkanalyse von
meinungsführenden Journalist_innen wiederfinden, die ihrerseits die
medialen Kriegstrommeln rühren würden, gleichzeitig aber auch Mitglieder
in verschiedensten militärischen Lobbyorganisationen seien. Sie schloss
sich abschließend Krügers Forderungen für eine andere journalistische
Ethik an, die eine allzu enge Verbindung von Berichterstattungsfeld und
den beteiligten Personen untersagt.
Von Afghanistan nach Afrika
Den Sonntagmorgen eröffnete Lühr Henken, Sprecher des Bundesausschuss
Friedensratschlag. Er beschäftigte sich damit, welche Lehren in
Deutschland seitens Regierung und Militär aus dem Afghanistan-Krieg
gezogen wurden. Bei Betrachtung der einzelnen Beiträge hierzu zeige sich
zunächst einmal, dass die Hinterlassenschaft des Krieges, seine
unzähligen Opfer und die dramatischen Verheerungen, die er angerichtet
habe, in der Debatte keinerlei Rolle spielten. Dies habe wiederum zur
Folge, dass lediglich darüber diskutiert werde, wie ein solcher Krieg
künftig "besser" geführt werden könne, so Henken weiter. Es werde
debattiert, wie die Techniken der Aufstandsbekämpfung "verbessert"
werden könnten, insbesondere was den Häuserkampf anbelange. Vor diesem
Hintergrund sei eine feste Entschlossenheit zu erkennen, nicht etwa von
der kriegerischen Politik Abstand zu nehmen, sondern im Gegenteil vor
allem auch über weitere Aufrüstungsmaßnahmen und auf ihre Effektivierung
hinzuarbeiten.
Im Anschluss sprach IMI-Beirätin Christin Bernhold über die "neue"
Afrika-Politik der BRD. Aufgrund bedeutender Rohstoffvorkommen und sich
bietender Investitionsmöglichkeiten werde Afrika bereits seit einiger
Zeit seitens Industrie und Politik nicht mehr ausschließlich als
Krisen-, sondern auch als "Chancenkontinent" begriffen. Genau aus diesem
Grund werde aber verstärkt die militärische Flankierung gefordert, um
etwaige Profitmöglichkeiten und Rohstoffvorkommen abzusichern. Im
Wesentlichen seien diese Forderungen in dem im ersten Halbjahr 2014
veröffentlichten Afrika-Konzept des Entwicklungsministeriums sowie in
den Leitlinien zur Afrika-Politik der schwarz-roten Regierung übernommen
worden. Dabei setze die Bundesregierung aber eher auf "Outsourcing" von
Gewaltanwendung als auf großangelegte Militäreinsätze. Wenn möglich
werde der Aufbau lokaler pro-westlicher Kräfte bevorzugt, so Bernhold.
Gleichzeitig gehe es auch insgesamt darum, über militärische Präsenz in
Form von Ausbildungsmissionen die deutsche Position in Afrika zu stärken.
Ukraine als Testfall
Danach beschäftigte sich Jürgen Wagner mit der "Ukraine als Testfall für
Deutschlands neue Großmachtambitionen". "Die Ukraine- bzw.
Russland-Politik der Bundesregierung ist so etwas wie der Fleisch
gewordene Gauckismus“, so Wagner. Der Konflikt habe sich an der
Ablehnung des damaligen ukrainischen Präsidenten Janukowitsch entzündet,
ein Assoziationsabkommen mit der Ukraine zu unterzeichnen: "Die
Erweiterung des EU-Einflussgebietes ist aus Sicht der Elite
erforderlich, um auf der Weltbühne in der ersten Reihe mitspielen zu
können. Vor dem Hintergrund wachsender westlich-russischer Konflikte
stellt der Abschluss eines Assoziationsabkommens faktisch den Beitritt
zu einem der beiden zunehmend verfeindeten Blöcke dar. Denn mit ihm wird
ein Nachbarland fest in den EU-Binnemarkt und in die
EU-Militärstrukturen und damit auch in das EU-Einflussgebiet
integriert." Die Ukraine sei dabei eines der bedeutendsten Länder,
weshalb EU und USA nach der Weigerung, das Abkommen zu unterzeichnen,
massiv die Proteste unterstützt hätten, die schließlich zum gewaltsamen
Sturz des gewählten Präsidenten führten. Auch wenn Russland hierauf
durchaus ebenfalls mit harten machtpolitischen Bandagen reagiert habe,
sei die Ursache des Konfliktes deshalb in der westlichen
Expansionspolitik zu suchen, so Wagner.
Mobilisierung
Das enorme Eskalationspotential der Ukraine-Krise führte in der
anschließenden Diskussion mehrfach zu der Frage, wie nun von Seiten der
Friedensbewegung hierauf zu reagieren sei. Daran schloss das
Abschlusspodium an, auf dem Aktivisten von den Vorbereitungen zu den
Protesten gegen den Celler Trialog, die Königsbronner Gespräche und die
Nato-Sicherheitskonferenz berichteten. Diese stehen stellvertretend für
"Standorte der Ideologieproduktion", an denen sich der Elitenkonsens
formiere und nach Außen getragen werde, wo sich aber auch Widerstand
durch breite Bündnisse formiert und zeigt. In diesem Kontext wurde auch
auf den G7-Gipfel im Juni 2015 in Bayern verwiesen, zu dem breite
Proteste - auch gegen Deutschlands neue Großmachtambitionen - zu
erwarten seien.
--
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