Samstag, 22. November 2014
Mordprozess gegen Faruk Ereren: Kronzeuge und Verräter Genc darf nicht aussagen
Das liegt hauptsächlich daran, daß es dem deutschen Obergericht nicht gelingt, die türkischen Machthaber dazu zu bewegen, einer Befragung des Verräters und Kronzeugen Genc durch das deutsche Gericht zuzustimmen. Sie haben das entsprechende Rechtshilfeersuchen der vorsitzenden Richterin rundheraus abgelehnt und statt dessen angeboten, Genc selber die Fragen des Gerichts zu stellen und seine Antworten zu übermitteln.
Obwohl das Gericht weiß, daß einer solchen Pseudozeugenbefragung nach deutschem Recht keinerlei Beweiskraft zukommt, sieht es sich außerstande das Angebot der türkischen Justiz abzulehnen nur um überhaupt etwas scheinbar Verwertbares in der Hand zu haben. Die Verteidigung wird sich an dieser Farce nicht beteiligen.
Inzwischen gibt es alle drei Wochen einen Pflichttermin zur Wahrung der Fristen, auf dem irgendwas verlesen wird oder mitgeteilt wird. Die Bundesanwaltschaft stellt einen weiteren Beweisantrag, Herrn Argad Yilderim, im Gefängnis in der Türkei, zu vernehmen. Er hat bei seiner Vernehmung 2005 durch die türkischen Behörden auch über die Stellung von Genosse Ereren in der Organisation gesprochen.
Die Auswertung einer beschlagnahmten Festplatte der Organisation in Belgien hat zum Ergebnis eine Schlagwortauswertung, bei der Namen wie F.E. oder Semi Genc eingegeben wurden. Insbesondere Auszüge aus Lebensläufen und Berichten zu Semi Genc und sein Aufgabengebiet in den 90ziger Jahren wurden ersichtlich.
Solche Belege sind aber in keiner Weise geeignet eine Mordanklage zu stützen, sondern belegen allenfalls das, was Faruk nie bestritten hat: Er bekennt sich dazu als überzeugter Marxist-?Leninist gegen die Unterdrückung aufzustehen und zu kämpfen.
Für Faruk wird eine amtsärztliche Untersuchung angeordnet wegen seiner Konzentrationsschwächen. Er hat deswegen seine Ärzte von der Schweigepflicht gegenüber dem Amtsarzt entbunden, die ihm eine Schlafmaske verordnet hatten, die aber das Sozialamt der Stadt Leverkusen nicht bezahlen will.
Das Gericht überbrückt die Zeit, die es braucht Druck auf die türkische Justiz betreffs der Befragung des Kronzeugen Genc auszuüben damit, Frau Dr. Tellenbach, Juristin und Islamwissenschaftlerin am Max Planck Institut in Freiburg, die Ergebnisse ihrer Recherchen zum Verrätergesetz (Kronzeugenregelung, die für Semi Genc maßgebend war) vortragen zu lassen.
Das „Reuegesetz“genannte Verrätergesetz ist einige Monate nach Erdogans Machtantritt am 29.6.2003 in Kraft getreten. Es gab schon seit 1985 Kronzeugenregelungen, die immer wieder überarbeitet wurden. Mit diesem Gesetz wollte Erdogan endlich mehr erreichen. Es ging um Aufdeckung und Enttarnung von rervolutionären Organisationen und Strukturen. Bereits 2005 gab es eine neue Kronzeugenregelung, die sich wieder nur noch auf die Mitgliedschaft einer „terroristischen Vereinigung“ beschränkte.
Nur bis 6 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 49/59 hatten Verräter Gelegenheit, sich zu stellen. Das Gesetz regelte genau die Straferleichterungen in Bezug auf die erbrachten Leistungen: Aufdeckung eines Komplottes, Enttarnung von Personen, etc . Auch der Zeitpunkt, an dem man sich stellte, hatte auf die Strafminderung Einfluss: Freiwillig vor einer Festnahme, nach einer Festnahme oder sogar erst nach einer Verurteilung. Die Strafminderungen waren regelrecht katalogisiert: z.B. Umwandlung einer Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe oder zeitlich verschiedene Reduzierungen der zeitlich begrenzten Haftstrafen. Außerdem gab es ein Zeugenschutzprogramm bis hin zu neuen Identitäten. Das Innenministerium prüfte die Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt und teilte das Ergebnis dem Gericht mit.
Die Sachverständige wies daraufhin, dass diese Zahlen nur ungefähre seien, da viele der Zeugenschutzprogramme ja geheim bleiben. Einige 1000 sollen von dem Verrätergesetz Gebrauch gemacht haben, nach dem Innenministerium wollten 3000 aus der Haft heraus gestehen. Es gibt kaum Aussagen von Betroffenen. Ein Buch wurde veröffentlicht und ein Interview steht im Internet, die Person soll jetzt in Schweden leben.
Danach gab es in den 90er Jahren eine Konzentration von Überfällen und Morden in „Südostanatolien“ (gemeint ist Nordkurdistan), die nie aufgedeckt wurden und einer Geheimpolizei zugeschrieben werden. Eine größere Zahl von Geständigen sollen in dieser Organisation „mitgearbeitet“ haben. F.E. spricht von ca. 500 Geständigen. Die Gruppe war eine Einheit der Gendarmerie auf dem Lande zur „Datenbeschaffung und Terrorbekämpfung“, die nach Dienstschluss Leute folterte und ermordete. Das ganze wurde aufgedeckt bei einem schwerem Autounfall 1997, der große Aufregung in der Türkei verursachte, als bekannt wurde, wer für die Überfälle verantwortlich gewesen war. Danach ging die Zahl der Morde in dem Raum zurück.
Obwohl in dem Gesetz alles fast katalogmäßig geregelt ist, sind Abweichungen denkbar für Personen, die man für besonders wertvoll hält. Es gibt einen Passus in dem Gesetz ohne weitere Erläuterungen, der besagt, dass der Strafvollzug zeitlich unbegrenzt ausgesetzt werden kann.
Das ganze Ausmaß von Verrat und Niedertracht wird deutlich als das Gericht Genc ´s Schreiben an die türkische Justiz verlesen lässt, in dem dieser fordert, angesichts seiner „Leistungen“ mit den Segnungen des „Reuegesetzes“ belohnt zu werden.
Nachdem Genc Jahre in der Landguerilla im Gebirge gekämpft hatte, setzte er sich nach Rumänien ab und trennte sich von der Organisation, die ihn daraufhin als Verräter brandmarkte. Er wurde von Rumänien an die Türkei ausgeliefert und dort verurteilt.
Genc fordert im Schreiben eine Reduzierung seiner Haft, da er dem Geheimdienst MIT umfassend Informationen über die Partei gegeben und diese so stark geschwächt habe. Er habe alle ihm bekannten Infos gegeben zur legalen und illegalen Arbeit im In– und Ausland. Durch seinen Verrat sei der Gebirgsguerillakampf beendet worden, er habe den Bulgarienverantwortlichen hochgehen lassen, die Schleichwege illegaler Kuriere offengelegt und Genossen denunziert, die sich zur Behandlung in ostdeutschen Krankenhäusern befanden. Er habe sich bereits während der Zeit der Gebirgsguerilla nicht an deren Aktivitäten beteiligt, habe sich innerlich bereits abgelöst. Was man ihm immer noch vorwerfe sei allein das Ergebnis illegaler Verhöre, sprich unter Folter erzwungener Geständnisse.
Angesichts solcher Willfährigkeit des Verräters verwundert die Ablehnung der türkischen Justiz, Genc durch das Düsseldorfer Oberlandesgericht befragen zu lassen.
http://www.linkezeitung.de/index.php/justiz/129-prozesse/2025-mordprozess-gegen-faruk-ereren-kronzeuge-und-verraeter-genc-darf-nicht-aussagen
Tags
Faruk Ereren | Weg mit den §§129 | §129b Prozess
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