Samstag, 22. November 2014
Die Mutmaßliche Armee Fraktion
Die Ausstellung »RAF - Terror im Südwesten« im Deutschen Historischen Museum in Berlin
Die Stille statt des Schusses - sie empfängt die Besucher der neuen RAF-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Es hätte auch anders kommen können: Die Ausstellungsmacher hätten die Schau nämlich gerne »mit einem Knall begonnen«, wie Kuratorin Sabrina Müller zur Eröffnung sagte. Da ist es ausnahmsweise ein Glücksfall, dass die Audioaufnahme des tödlichen Polizeischusses auf Benno Ohnesorg den gleichen Weg wie zahllose Beweise in der Geschichte der Roten Armee Fraktion nahm: Sie ist spurlos verschwunden.
Über die für das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart konzipierte Ausstellung »RAF - Terror im Südwesten« ist bereits jetzt die Geschichte hinweggegangen. Sie eröffnet keine neuen Ebenen, sie findet keine Ansätze jenseits der seit den 70er Jahren wiederholten Erklärungsmuster. Der Version für die Hauptstadt wurde ein »Prolog« aus 17 Vitrinen mit »berlinspezifischen« Aspekten vorangestellt. Man ahnt, welch simple Formel hier erneut aufgemacht wird: Schah-Demo plus Ohnesorg-Mord plus Dutschke-Attentat ist gleich RAF.
Illustriert wird das durch Bauarbeiter- oder Polizeihelme, die Lederjacke eines GSG-9-Beamten, ein (originales!) Wrackteil der zerfetzten Limousine des (nur höchst mutmaßlich) von der RAF ermordeten Siemens-Managers Karl-Heinz Beckurts, das (mutmaßliche, aber originale!) Motorrad der (mutmaßlichen) Mörder des Generalbundesanwalts Siegfried Buback, eine Polizei-Maschinenpistole, eine RAF-Panzerfaust. Eine solche Materialsammlung erinnert an Artefakte, wie sie Ausstellungen zum Altertum oder aktuell zu den Wikingern nutzen. Die Kuratoren der RAF-Ausstellung stellen die Terroristen dadurch aber ins Licht einer eher prähistorischen Episode.
Andererseits kann man den Besuchern ja keine reine Textsammlung in die Vitrinen stellen. Daher hätten sich die Kuratoren wohl fragen müssen, ob es überhaupt möglich ist, zur RAF eine Ausstellung mit echtem Erkenntnisgewinn zu schaffen - und auch, warum das ohnehin reißerische Thema laut Paula Lutum-Lenger vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg zusätzlich »inszeniert« werden muss, mit einer »emotionalen Raumerzählung« gar, für die die Wände in ein knalliges, blutiges Rot getaucht wurden.
Und wenn überhaupt eine RAF-Ausstellung, warum gerade jetzt? Es gibt kein Jubiläum, keine neuen Taten und keinen Zeitgeist, der aktuell danach verlangen würde - auch wenn die Ausstellung ihr massenhaftes Publikum finden wird, denn das Thema ist und bleibt eben Pop.
Als aktueller Aufhänger hätte die kürzliche Freigabe vieler Akten zum Baader-Meinhof-Komplex sowie die diesen Oktober neu aufgenommenen Ermittlungen zum Fall des 1977 ermordeten Siegfried Buback dienen können. Doch diese Akten wurden entweder nicht studiert, oder es steht dort nichts Substanzielles. Denn neue Fragen scheinen sie nicht aufgeworfen zu haben, und wenn doch, dann haben sie es nicht in die Ausstellung geschafft.
Und so unternimmt die Ausstellung nicht einmal den Versuch, den eigenen Anspruch einzulösen - denn die Schau arbeitet nicht auf, wie sie ankündigt, sondern sie zementiert altbekannte Mythen.
Etwa den, dass die »RAF die größte Herausforderung für die deutsche Justiz überhaupt« gewesen sei, wie die Initiatoren behaupten. Tatsächlich aber war die RAF niemals auch nur fünf Minuten eine Herausforderung für den deutschen Staat. Und »die Justiz« hat sich geradezu die Finger geleckt, angesichts der durch die Terroristen eröffneten Möglichkeiten der Gesetzesverschärfungen. Die RAF hat konsolidierend gewirkt. Sie wurde von den Reaktionären der »Bild«-Zeitung, des Bundeskriminalamts und des Verfassungsschutzes herbeigesehnt und mit offenen Armen empfangen. Sie war Steilvorlage, Rechtfertigung und der propagandistische Hebel, mit dem man die Studentenbewegung erfolgreich spalten konnte.
Dass die RAF »spezifisch deutsch« gewesen sei, ist noch so eine unhaltbare These der Ausstellungsmacher. Sind ihnen die Vorgänge im Italien der 60er bis 90er Jahre nicht gegenwärtig? Und somit auch nicht die Parallelen zu dieser (aktenkundigen, von Gerichten und Parlamentsausschüssen belegten) geheimdienstlich und privatwirtschaftlich befeuerten »Strategie der Spannung«, der gezielten Förderung, Infiltration und Instrumentalisierung des »linken« Terrors?
In der Ausstellung ist auch die Pistole ausgestellt, mit der ein bis heute unbekannter Maskierter bei der Befreiung Andreas Baaders 1970 ohne Not und Vorwarnung auf einen Wachmann schoss. Doch die Pistole wirkt hier nicht als offene Frage nach Funktion und Identität dieses der V-Mann-Tätigkeit verdächtigten Schützen, sondern erscheint eher als ein weiteres Symbol für RAF-Gewalt.
Dabei drängen die Fragen ganz aktuell, etwa durch die Prozess-Farce um die mutmaßliche Beteiligung Verena Beckers am Mord an Siegfried Buback. Becker werden schon lange Verbindungen zum Verfassungsschutz nachgesagt. Dazu schrieb etwa RAF-Chronist Wolfgang Kraushaar in der »taz«: »Jedenfalls wird bereits seit längerem von Prozessbeobachtern gemutmaßt, dass in diesem Verfahren der Staat die Angeklagte verteidigt. Das aber wäre eine Perversion des Rechtsstaats, wenn der Vertreter der Anklage insgeheim die Interessen der Angeklagten, in diesem Fall einer Exterroristin, vertritt.« Der Journalist Thomas Moser sprach in einem Kommentar sogar von einer »Symbiose zwischen Anklage und Angeklagter« sowie von »Strafvereitelung im Amt«. Hat also Buback-Sohn Michael recht, wenn er von einer »schützenden Hand« spricht, die sich über einige Terroristen gelegt habe?
Niemand erwartet, dass ausgerechnet im Deutschen Historischen Museum »Verschwörungstheorien« à la Gerhard Wisnewskis »RAF-Phantom« unkritisch verbreitet werden. Niemand erwartet, dass dort klare Antworten auf all die Ungereimtheiten der RAF-Historie gegeben werden. Es gibt aber mittlerweile vielfachen begründeten Anfangsverdacht und zahlreiche Indizien, die Fragen nach einer Förderung, Infiltration und Instrumentalisierung des deutschen Terrorismus (ähnlich der bewiesenen Praxis in Italien) rechtfertigen.
Oder auch nach den gruseligen Parallelen zur Geheimdienstverstrickung mit dem NSU, die Kraushaar in der Zeitschrift »Cicero« zur provokanten Frage inspirierte, ob Verena Becker »die Beate Zschäpe von links« sei. Wie gesagt: Niemand erwartet Antworten. Doch all diese Fragen nicht zu stellen, ist fast schon Beihilfe zur Vertuschung.
Das erhellendste Exponat ist ein 45-minütiges Interview, das Günter Gaus mit Christian Klar führte. Die Kuratoren bedauerten gar ausdrücklich, dass sie dieses (nur in seiner Gänze sinnvolle) Dokument nicht zerschneiden durften - die hartnäckigen Angehörigen hatten einer Verstümmelung zum Glück nicht zugestimmt. Ob allerdings eine Ausstellung der richtige Ort für die Präsentation und den Konsum eines langen Interviews ist, darf bezweifelt werden.
Das gleiche gilt für die ausgestellten Textdokumente. Die RAF-Pamphlete sind stilistisch und inhaltlich schon schwer erträglich. Wer also liest sich tatsächlich - vor einer Vitrine stehend - drei eng bedruckte Schreibmaschinenseiten mit selbstverliebtem Soziologen-Jargon durch?
Man muss mit den Kuratoren aber auch nicht zu hart ins Gericht gehen. Die Schau bietet genau jenen Kurzabriss, jenen verengten, schlagwortartigen Blick auf »den Terror« und den »deutschen Herbst« wie zahllose halbstündige TV-Reportagen auch. Die allerdings kann man sich erheblich komfortabler auf dem heimischen Sofa ansehen.
Bis 8. März 2015, Deutsches Historisches Museum Berlin
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