Samstag, 14. Juni 2014
Fußball in der Wüste (I)
BERLIN/DOHA
german-foreign-policy vom 11.06.2014 – Aktuelle Vorwürfe in der Affäre um die Vergabe der Fußball-WM 2022 an Qatar werfen erneut Fragen zur etwaigen Einflussnahme Berlins auf die Entscheidung auf. Aktuelle Presseberichte beleuchten die bislang unklare Rolle, die der langjährige deutsche Fußball-Funktionär Franz Beckenbauer in der Affäre spielte. Bereits vor einiger Zeit hat FIFA-Chef Sepp Blatter berichtet, „europäische Länder“ hätten erheblichen Druck ausgeübt, für Qatar zu votieren – dabei habe sich insbesondere Deutschland hervorgetan. Aussagen von Beteiligten legen nahe, dass der damalige Bundespräsident Christian Wulff Einfluss auf die Entscheidung zu nehmen versuchte. Von den Baumaßnahmen, die für die Fußball-WM in Qatar notwendig sind, profitieren zahlreiche deutsche Unternehmen; vergleichbare Aufträge hätten sie kaum erhalten, wäre die WM an die USA vergeben worden, die sich gleichzeitig mit Qatar beworben hatten. Die Entscheidung zugunsten des Emirats erfolgte zudem zu einem Zeitpunkt, da deutsche Konzerne – schwer von der Finanzkrise getroffen – stützende Investitionen und Milliardenaufträge aus Doha empfangen hatten und der dort herrschende Al Thani-Clan auf Gegenleistungen hoffte. Vor der Entscheidung über die WM-Vergabe Ende 2010 hatten sich die Kontakte zwischen Berlin und Doha stark verdichtet.
Korruptionsvorwürfe
In der Affäre um die Vergabe der Fußball-WM 2022 an das Emirat Qatar werden neue Vorwürfe laut. Medienberichte untersuchen – auf Grundlage interner E-Mails – die Rolle, die der langjährige deutsche Fußball-Funktionär Franz Beckenbauer in der Angelegenheit spielte. Beckenbauer verweigert jede Auskunft darüber, für welches Land er in der abschließenden Abstimmung votierte. Wie jetzt bekannt wird, ist er ein gutes halbes Jahr nach der Entscheidung, im Juni 2011, als Vermittler für Geschäfte im siegreichen Qatar aufgetreten – in der Schifffahrtsbranche, in der er nie zuvor tätig gewesen ist. Demnach hat er den Hamburger Reeder Erck Rickmer nach Doha begleitet und ihm dort Kontakte hergestellt. Wie es heißt, habe Rickmers zuvor eine namhafte Summe an die Franz-Beckenbauer-Stiftung gespendet: eine Viertelmillion US-Dollar.[1] Während Medien weitere Enthüllungen in Aussicht stellen, bleibt der polit-ökonomische Hintergrund weithin unbeleuchtet. Er macht die eigentliche Bedeutung der Affäre erst deutlich.
„Qatar National Vision 2030“
Das Emirat Qatar steckt, seit der bis 2013 amtierende Emir Hamad bin Khalifa al Thani im Jahr 1995 seinen Vater aus dem Amt putschte, in einer langfristig konzipierten Modernisierungsphase. Ziel ist es, die immensen Einkommen aus der Flüssiggasproduktion – Qatar besitzt die drittgrößten Erdgasvorräte der Welt – zu nutzen, um dem Land eine dauerhafte wirtschaftliche Basis jenseits von Gas und Öl zu sichern. Zu diesem Zweck hat das Emirat eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. So sind in den letzten 15 Jahren systematisch die Wirtschaftsbeziehungen ins Ausland intensiviert worden, nicht zuletzt in die Bundesrepublik; Ende 2002 wurde der privatwirtschaftliche German Business Council Qatar gegründet, 2007 folgte die Einrichtung einer Deutsch-Katarischen Gemischten Wirtschaftskommission unter Beteiligung des deutschen Wirtschaftsministeriums. Doha bildete zudem im Jahr 2005 einen Staatsfonds, die Qatar Investment Authority (QIA), die zu Milliardeninvestitionen in der Lage ist, und verabschiedete im Juli 2008 die „Qatar National Vision 2030“, die Entwicklungsziele für die laufende und die kommende Dekade formuliert. Eine zentrale Rolle darin spielt der Ausbau der qatarischen Infrastruktur und Industrie.[2]
Milliardengeschäfte
Während Qatar mitten im Ausbau seiner boomenden ökonomischen Aktivitäten steckte, geriet die Bundesrepublik ab 2008 zunächst in die globale Finanz-, dann ab 2010 in die Euro-Krise. Berlin war entsprechend intensiv um zahlungskräftige Käufer deutscher Waren und um finanzstarke Investoren bemüht. Unter anderem boten sich die Diktaturen der Arabischen Halbinsel an, die bereits in der rot-grünen Ära Schröder/Fischer verstärkt ins Visier deutscher Politiker und Manager gerückt waren.[3] Zu ihnen zählte auch Qatar. Zu dessen wirtschaftlichen Plänen passte es bestens, westliche Konzerne, auch deutsche, ins Land zu holen, um seine Modernisierung voranzutreiben. Während in Deutschland die Krise zu schweren Einbrüchen führte, vergab Doha erste hilfreiche Milliardengeschäfte an Unternehmen aus der Bundesrepublik. Schlagzeilen machten 2009 etwa Aufträge an Hochtief (1,3 Milliarden Euro für den Bau einer acht Kilometer langen Einkaufsstraße) sowie an die Deutsche Bahn (Bau eines Schienennetzes in Qatar gemeinsam mit der Investmentgesellschaft Qatari Diar – Volumen: 17 Milliarden Euro). Gleichzeitig stieg das Emirat mit Milliardensummen bei deutschen Konzernen ein; an Volkswagen etwa hält es mittlerweile 15,6 Prozent, an Hochtief 11,1.
Gegenleistungen
Klar war freilich, dass Qatar Gegenleistungen der einen oder anderen Art erwarten würde. „Katar hilft deutschen Unternehmen in schwierigen Lagen“, hieß es Ende 2010 in der Wirtschaftspresse: „Die Investitionen in Deutschland sind massiv gestiegen. Nun fordern die Scheichs Entgegenkommen.“[4] Die Aussage bezog sich im Kontext des zitierten Artikels auf ein von Doha gewünschtes Steuerabkommen mit Berlin. In der deutschen Hauptstadt sind allerdings womöglich noch weitere Gegenleistungen in Betracht gezogen worden. Darauf deuten neue Berichte über Aktivitäten des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff im Jahr 2010 hin.
„Keine Chance“
Treffen die Berichte zu, dann hat Wulff sich energisch für die Vergabe der Fußball-WM 2022 an Qatar eingesetzt. Dohas erstaunliches Ansinnen, das sommerliche Sport-Großereignis in einem Wüstenstaat mit Temperaturen von bis zu 50 Grad abzuhalten, wurde zunächst als völlig aussichtslos abgetan. Der damalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Theo Zwanziger, wurde 2013 mit der rückblickenden Einschätzung zitiert: „Ich habe damals keine Chance für Katar gesehen“. Wie er berichtet, habe er diese Aussage gegenüber Bundespräsident Wulff getätigt, als dieser sich „nach der bevorstehenden WM-Vergabe erkundigt“ und „nach den Chancen für Katar gefragt“ habe. Wie es danach weiterging, ist Gegenstand der aktuellen Korruptionsuntersuchungen, die mittlerweile auch den langjährigen Fußball-Funktionär Franz Beckenbauer erreicht haben. Zwanziger erklärt, er habe kurz vor der Abstimmung über den WM-Austragungsort am 2. Dezember 2010 mit Beckenbauer gesprochen: „Da hat er mir gesagt, man müsse wohl auch die Option Katar ins Blickfeld nehmen“.[5]
Druck aus Berlin
Als am 2. Dezember 2010 dann die Entscheidung für Qatar verkündet wurde, hatte offenbar ein Meinungsumschwung auf breiter Basis eingesetzt: In der letzten Wahlrunde gab es 14 Stimmen für das Emirat und nur acht für die USA. FIFA-Chef Sepp Blatter hat im vergangenen November über das überraschende Ergebnis geäußert: „Es gab politischen Druck aus europäischen Ländern, die WM nach Katar zu bringen. Zwei der Länder, die Druck auf die Wahlmänner in der Fifa machten, waren Frankreich und Deutschland.“[6] Äußerungen des Schweizer Nationalrats Andreas Gross lassen vermuten, dass Blatter auch den deutschen Bundespräsidenten meinte. Gross wird mit der Aussage zitiert, Blatter habe ihm „berichtet, dass vor der Vergabe der WM 2022 im Dezember 2010 Bundespräsident Wulff Kontakt zu ihm gesucht habe. Herr Wulff habe ihn mit dem Hinweis auf enorme Aufträge für deutsche Unternehmen im Emirat gebeten, für Katar zu stimmen“.[7]
In engem Kontakt
Berlin war in dem Zeitraum, den Blatters Aussagen betreffen, in überaus engem Kontakt mit dem Herrscherclan aus Doha. Im März 2010 hatte der damalige Ministerpräsident des Bundeslandes Niedersachsen, Christian Wulff, gemeinsam mit der Führungsspitze von Volkswagen und Porsche Qatar bereist und mit dem Stellvertreter des Emirs künftige Kooperationen besprochen. Im Mai 2010 hielt sich Kanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation in Doha auf, lobte „beeindruckende Projekte“, die in dem Emirat geplant würden, und erklärte: „Die deutsche Wirtschaft möchte an diesen Projekten natürlich Anteil haben.“[8] Am 29. September empfing Wulff, inzwischen zum Bundespräsidenten aufgestiegen, den Emir und eine seiner drei Ehefrauen persönlich im Schloss Bellevue. „Viele“ der anwesenden „hochrangigen Gäste hier im Saal aus bedeutenden Unternehmen, den größten Unternehmen Deutschlands“, seien „in Katar bereits präsent“, sagte Wulff in seiner Tischrede: Sie seien „bereit“, die „vielfältigen Investitions- und Geschäftsmöglichkeiten in Katar“ deutlich „stärker als bisher zu nutzen“. „Unser Interesse gilt dem Zugang zu den katarischen Gasvorkommen“, fuhr der Präsident fort; „unsere Unternehmen bieten ihre Mitwirkung auch an der weiteren Modernisierung ihres Landes an: vom Auf- und Ausbau von Flug- und Seehäfen, Brücken, Straßen- und Schienenwegen bis hin zu Forschung und Bildung. … Ich bin überzeugt, dass deutsche Unternehmer und Forscher dazu viel beitragen können“.[9]
Überraschender Sieg
Knapp zwei Monate später trug Doha in der Abstimmung über die Vergabe der Fußball-WM 2022 einen überraschenden Sieg davon. Danach dauerte es nicht lange, bis deutsche Unternehmen sowie Vertreter der Bundesregierung Ansprüche auf Aufträge im Zusammenhang mit dem kommenden Sportereignis anmeldeten – mit erstaunlichem Erfolg. german-foreign-policy.com berichtet am morgigen Donnerstag.
[1] Jens Weinreich: Beckenbauer und die WM 2022 in Katar: Fährt ein Kaiser zum Emir. www.spiegel.de 08.06.2014.
[2] General Secretariat for Development Planning: Qatar National Vision 2030. Doha, July 2008.
[3] S. dazu Partner, Großer Aufschwung und Deutsche Tradition.
[4] Katar verlangt Steuerabkommen. www.handelsblatt.com 17.12.2010.
[5] Tim Röhn: So warb Christian Wulff für die WM der Scheichs. www.welt.de 11.05.2014.
[6] Thomas Kistner: Stunde der Wahrheit für Deutschland und Frankreich. www.sueddeutsche.de 25.11.2013.
[7] Tim Röhn: So warb Christian Wulff für die WM der Scheichs. www.welt.de 11.05.2014.
[8] Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Museum für Islamische Kunst in Doha. 27.05.2010.
[9] Tischrede von Bundespräsident Christian Wulff beim Staatsbankett zu Ehren Ihrer Hoheiten des Emirs des Staates Katar und Scheicha Mozah bint Nasser Al Missned am 29. September 2010 in Berlin.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen