Samstag, 14. Juni 2014

WM 2014: Faszination – Korruption – Rebellion!

Was Überlieferungen zufolge schon in der Antike begonnen haben soll, setzte sich im Mittelalter fort. Damals wurde ein Ball zwischen zwei Dörfern hin- und hergetrieben. Mehr oder weniger alles war erlaubt, um ihn ins gegnerische Dorf zu befördern. Mit der Neuzeit kam der Fußball vom Land in die Stadt. Ausgehend von England verbreitete er sich in Verbindung mit der Entwicklung der Industrialisierung in immer mehr Ländern. Nach und nach bildeten sich, gegenüber der „Wildheit“ der Entstehungsphase, feste Regeln heraus. Eine der wichtigsten war die, das Spiel mit den Händen zu verbieten. Allein beim Einwurf war es noch erlaubt – und natürlich den Torhütern. Die Regel führte nicht zuletzt auch zur Trennung von Fußball und Football (Rugby), dem in den USA heute noch populärsten Spiel. Mit der Bildung von Nationalstaaten entwickelten sich Nationalmannschaften und das erste Länderspiel fand 1872 statt: Gegenüber standen sich elf Schotten und elf Engländer. In Brasilien spielen vom 12. Juni bis 13. Juli 32 Mannschaften um den Titel. Sie setzten sich zuvor in einem Wettbewerb aus 202 nationalen Verbänden durch. Die Vorfreude rund um den Globus ist riesig. Wichtig ist auf dem Platz, aber nicht nur! Wer wird Weltmeister? Leicht zu beantworten ist die Frage nicht, obwohl es wie immer wenige Favoriten und jede Menge Geheimtipps gibt. Interessant ist aber auch, was letztlich den Ausschlag für gute Spiele und viele Tore geben wird. Für Bundestrainer Jogi Löw steht das schon fest: „Ballgewinn und schnelles Umschaltspiel, das ist der Schlüssel.“ „Wichtig ist auf dem Platz!“, wie eine alte Fußball-Weisheit besagt, aber nicht nur: Die wahren Helden sind – auch im Fußball – die Massen. Sie sorgen im Breitensport für die Basis und den Nachwuchs der Talente. Allein der DFB hat 6,8 Millionen Mitglieder, organisiert in 25.500 Vereinen. Und als Zuschauer – zigtausendfach in den Stadien, millionenfach an den Bildschirmen – bringen sie Begeisterung zum Ausdruck, je nachdem aber auch ihren Unwillen, Kritik, Pfiffe und Protest. Das Milliardengrab Den massenhaften Protest spüren die Verantwortlichen allerdings schon vor Beginn der WM. Maßgeblicher Anlass ist, dass Fußball-WMs – wie überhaupt viele internationale Sportveranstaltungen – zu gigantischen Objekten der Spekulation geworden sind – parallel zur dominierenden Rolle, die die Spekulation heute in der kapitalistischen Weltwirtschaft insgesamt einnimmt. Das beginnt bei den Kapitalsummen, die die Spieler wert sind. Hier laufen Spanien mit 650 Millionen Euro und Deutschland mit 575 Millionen Euro als die teuersten Mannschaftsteams auf. Noch mehr geklotzt wird bei den Investitionen. Kostete die WM in Südafrika im Jahre 2010 noch 6 Milliarden Euro, sind es 2014 in Brasilien geschätzte 11,5 bis 15,5 Milliarden. Früher hieß es zur Rechtfertigung solcher Unsummen, sie bewirkten auch zahlreiche Anschlussinvestitionen in Infrastruktur, Bildung und Kultur. Das wird spätestens in Brasilien ad absurdum geführt. Noch 2007 bei der Vergabe der WM hatte die Regierung versprochen, dass der Bau der Stadien von privaten Unternehmen finanziert würde und dass öffentliche Gelder für die Verbesserungen in den Städten, für die Infrastruktur, das Gesundheitswesen, die Schulen, Krankenhäuser usw. – verwendet werden. Doch der Ausbau des Verkehrsnetzes verschwand im Korruptionssumpf, die Zahl der Krankenhäuser und Pflegekräfte wurde amputiert, massenweise Zwangsumsiedlungen wegen Baumaßnahmen vollzogen. Wer bleibt, bezahlt dafür horrende Mieterhöhungen. Schon 11 Prozent der Menschen in Metropolenregion Sao Paulo leben in Armenvierteln und Slums, den sogenannten Favelas. Was soll das für ein „Heimvorteil“ sein, wo man sein Heim verliert?! – fragt die Bewegung der Wohnungslosen bei ihren Aktionen. Aber auch unter den Ärmsten steigt die Spannung. Allgegenwärtig ist die Losung „Copa para quem?“ – „Die WM für wen?“ Auf ihrer Homepage greift die argentinische marxistisch-leninistische Partei PCR das sogenannte „FIFA-Gesetz“ an, dem das brasilianische Parlament zustimmte. Es gibt dem Weltfußballverband FIFA alle Rechte – von der Steuerfreiheit für ihre Gewinne bis zur Vergabe des Bierausschanks. Imperialistische Megaprojekte Auch im 20. Jahrhundert profitierten vor allem die großen Monopole von WMs und Olympiaden. In den letzten Jahren aber entwickelten sie sich, wie auch andere Investitionen dieser Größenordnung zu imperialistischen Megaprojekten. Das Buch „Katastrophenalarm! Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur?“ von Stefan Engel führt aus, wie immer mehr überschüssiges Kapital in unnütze Großprojekte gesteckt wird, ohne Rücksicht auf die Menschen und ihre natürlichen Lebensbedingungen. So lassen in Brasilien internationale Finanzgesellschaften überdimensionierte und nagelneue Fußball-Arenen mitten in Urwälder bauen, statt vor allem die vorhandenen zu nutzen. Viele dieser Stadien werden noch dazu nach der WM so gut wie leer stehen. So etwas „wird jedoch bewusst in Kauf genommen, um spekulatives Kapital profitabel anzulegen und die Staatsfinanzen zu plündern“, schreibt Stefan Engel in seinem Buch. Seit der WM 2006 in Deutschland sind deutsche Architekturbüros, wie „gmp“ oder „Schlaich, Bergmann und Partner“ führend dabei. Sie haben England und die USA von dieser Stelle verdrängt und sind unter anderem für den Bau des Amazonas-Stadions in Manaus verantwortlich. Landesweit wird Widerstand geleistet gegen die wuchernde Korruption, für höhere Löhne und gegen Milliardenausgaben für die WM, die dem Volk und seinen Grundbedürfnissen fehlen – aber auch gegen die staatlichen Gewalteinsätze und deren Vorbereitung für die Zeit der WM durch Polizei und Militärs. 180000 Soldaten, Polizisten und private Sicherheitskräfte stehen dafür zur Verfügung. Viele wurden vorsorglich schon in den Vorstädten stationiert, um Demonstrationen und ihre Organisierung frühzeitig unterdrücken zu können. „… nicht einverstanden, wie das Land regiert wird“ Der frühere deutsche Nationalspieler mit brasilianischen Wurzeln und Profi des VfB Stuttgart, Cacau, stellt sich bewusst an die Seite der kämpfenden Massen und hält Demonstrationen auch während der WM für richtig: „Ich finde gut, dass die Menschen merken, dass ihre Stimme etwas wert ist. Sie wehren sich und viele sind nicht einverstanden, wie das Land regiert wird.“ (dpa 24. 5. 2014) Wie übrigens auch Pelè warnt er zugleich vor Gewalt. Die reaktionäre Gewalt droht jedoch vom Staatsterror der brasilianischen Regierung unter Verantwortung der Präsidentin Dilma Roussef. Gegen einen Staatsapparat, der die Interessen des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals auf den Straßen Brasiliens durchsetzen will, ist Rebellion gerechtfertigt! Die revolutionäre Weltorganisation ICOR ordnet den Aufruhr in Brasilien in eine weltweit neue Erscheinung ein. „All diesen Protesten ist gemeinsam, dass sie sich gegen Korruption richten und für Demokratie eintreten. In fast allen diesen Protesten erheben sich Stimmen gegen korrupte Praktiken, Preiserhöhungen, Arbeitslosigkeit usw.“, heißt es in einer entsprechenden Resolution der 2. ICOR-Weltkonferenz.1 Diese Rebellion braucht indes keinen blinden Aktionismus, sondern feste Organisationsformen, antiimperialistische und sozialistische Perspektiven und den internationalen Zusammenschluss. Vor allem ist der Aufbau einer marxistisch-leninistischen Partei und deren Verankerung in der revolutionären Weltorganisation ICOR notwendig. Zweierlei Politisierung Immer mehr politisieren sich große Sportereignisse, längst nicht mehr nur auf Seiten der Herrschenden, die sie seit jeher für ihre Macht auszuschlachten versuchen. Dafür stand auch die WM zu Zeiten der argentinischen Faschisten 1978 in Buenos Aires. Sehr spät – doch immerhin – erhoben jetzt die ehemaligen Nationalspieler, Paul Breitner, Sepp Maier und Karl-Heinz Rummenigge Anklage gegen den DFB, der seinerzeit in den 1970er Jahren die WM nicht nutzte, um gegen die Militärjunta aufzutreten und dabei auch das Leben der 30-jährigen Elisabeth Käsemann zu retten. Sie wurde von der argentinischen Junta ermordet und war eine von mindestens 30.000 Menschen mit dem gleichen Schicksal. „Der DFB hat nicht einmal ausgelotet, ob es eine Möglichkeit der Verhandlung gegeben hätte. Wenn man da nicht empört sein soll, wann dann?“, erklärte Paul Breitner. Das zeigt: Herausgehalten wurde die Politik aus dem Sport niemals, auch wenn es heuchlerisch behauptet wurde. Relativ neu ist heute aber, was sich gerade am Beispiel Brasiliens zeigt, wie nämlich immer mehr auch die Unterdrückten und ihre politischen Anliegen bis zu den sportlichen Großereignissen vordringen und sie zur Tribüne machen. Mit einem internationalistischen Geist Milliarden Menschen freuen sich auf die WM, kritisieren Nationalismus und chauvinistische Erscheinungen. Viele besorgen sich auch Trikots und Fahnen anderer Nationalmannschaften und werden die Public Viewings bevölkern. Sie werden mit den Mannschaften zittern, feiern oder trauern. Der Kritik an der FIFA und den Zuständen in Brasilien tut das keinen Abbruch. Und jetzt geht’s los – vamos! 1 www.icor.info oder RF 22/14, S. 25 Artikelaktionen

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