Montag, 30. Juni 2014
Jungpolitiker gegen WM-Patriotismus: Fahnenwahn? Nein, danke!
Deutschland-Schminke? Flagge am Auto? Viele Jungpolitiker lehnen das ab, obwohl sie oft selbst Fußballfans sind. Für sie ist es vom Patriotismus nur ein kleiner Schritt zum Nationalismus. Die Spiele schauen sie sich trotzdem an.
Hamburg - Ein WM-Tor kostete bis Mittwoch 1894 Zwangsumsiedlungen, 20.455 Tonnen Kohlendioxid und 78 Millionen Euro. Die Website www.waskostetdiewm.de errechnet diesen Preis anhand der bisherigen Treffer-Zahl in Brasilien. Die Seite stammt von der Grünen Jugend. Sie will damit auf die enormen Kosten hinweisen, die das Fußballspektakel für Mensch und Umwelt hat.
Alle zwei Jahre ist Deutschland im Fußball-Ausnahmenzustand - das gilt auch für die Politik. Angela Merkel reist zu den Spielen, bejubelt die Nationalmannschaft bei EM und WM und besucht sie anschließend in der Kabine. Politiker wissen: Wer den Wählern nah sein möchte, muss sich fußballbegeistert zeigen. Dass allerdings bei Weitem nicht alle im WM-Fieber sind, zeigt schon ein Blick in die zweite Reihe: in die Jugendorganisationen der Parteien.
"Ich liebe Fußball", heißt es von der Sprecherin der Grünen Jugend, Theresa Kalmer. "Ich habe nichts dagegen, wenn Menschen mitfiebern. Aber ich habe etwas gegen den nationalistischen Hype, der jedes Mal damit einhergeht." Schwarz-rot-goldene Flaggen, Perücken, Schminke und Außenspiegelüberzieher, Kalmer hält das für "problematisch".
Die Grüne Jugend ist mit ihrer Ansicht nicht allein. Auch der Juso-Vorsitzenden Johanna Uekermann wird "unwohl, wenn ich die unheimliche Präsenz nationaler Symbolik sehe". Letztlich sei die WM eben doch ein "Wettstreit zwischen Nationen" - und sollte nicht genau der überwunden werden? Von der Linksjugend ['solid] heißt es daher knapp: "Eine Nation ist für uns kein Grund zum Feiern." Die Junge Union will sich nicht äußern.
"Fußball ja, Nation nein!" lautet der linke Konsens - ein Dilemma, so lange es Nationalmannschaften gibt.
Patriotismus führe zu Nationalismus, sagt Kalmer. Das hätten soziologische Studien gezeigt. Zudem würden die rassistischen Kommentare während des Deutschlandspiels gegen Ghana diesen Zusammenhang belegen. Mal eben vier Wochen Flagge zeigen und den Patriotismus danach wieder einmotten, geht nach dieser Logik nicht.
Fahnenklau oder Flagge gegen Bier?
Aus linken Kreisen wurde daher in den letzten Jahren immer wieder zum Flaggenklau aufgerufen. "Lieber Autofahrer. Ich habe Ihre Nationalfahne entfernt. (...) Sie produziert Nationalismus", stand auf den Flyern, die anstelle der Autofähnchen hinterlassen wurden.
Auch Imogen Wilkins, eine Sprecherin der Linksjugend ['solid], schlägt deswegen "kreative Formen des Protests, wie das Befreien des öffentlichen Raums von nationaler Symbolik" vor. Die Grüne Jugend ist zurückhaltender und empfiehlt "Tauschaktionen, wie Fahne gegen Bier". Für die Jusos ist klar: "Fußball allein ist mit Sicherheit nicht der Grund für Ressentiments".
Theresa Kalmer jedenfalls hat bisher jedes WM-Spiel verfolgt. Und auch die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann fiebert mit - nur eben ohne Flagge und nicht unbedingt für Deutschland. "Mir geht es um schönen Fußball und darum, ob ich im Tippspiel richtig liege", sagt sie.
Am Ende will dann doch niemand der Spielverderber sein.
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