Montag, 30. Juni 2014
Enteignung der Landbevölkerung zugunsten von Energiekonzernen
MEXIKO
Zu ihren Diensten?
Freitag, den 27. Juni 2014
von Luis Hernández Navarro
Hier hat Blackfire auf Ejido-Land einfach mal für Explorationsarbeiten
Tatsachen geschaffen (in Chiapas, 2010)
(Mexiko-Stadt, 17. Juni 2014, la jornada).- Im Mittelalter trugen die
Leibeigenen Gewänder mit dem Wappen ihres Feudalherren. Heute haben die
Bauern statt ihrer traditionellen Strohhüte Kappen mit dem Logo ihrer
Unternehmerherren auf dem Kopf: Monsanto, Cargill oder John Deere.
Zukünftig werden sie Mützen ihrer neuen transnationalen GebieterInnen
benutzen müssen: British Petroleum, Halliburton oder Shell.
Zukunft des Sozialeigentums an Boden ist in Frage gestellt
Mit den Ausführungsgesetzen im Energiebereich wird in der ländlichen
Gesellschaft die sogenannte Dienstbarkeit (servidumbre) für fossile
Brennstoffe und das Stromwesen eingerichtet. Ejido-Bauern und
bäuerinnen, KleineigentümerInnen und indigene Gemeinden können dann in
Gebieten, in denen es Öl und Gasvorkommen gibt oder Stromleitungen
vorgesehen sind, ganz legal ihrer Güter, Böden und Territorien beraubt
werden.
Das, was vom alten Sozialpakt zwischen Staat und Bauern nach der Zäsur
durch die Reformen des Verfassungsartikels 27 vom 6. Januar 1992 noch
übrig geblieben ist, soll endgültig begraben werden. Das Recht der
Bauern und Bäuerinnen darauf, dass ihr Land unübertragbar ist, ist
aufgekündigt worden. Die Zukunft des Sozialeigentums an Boden ist in
Frage gestellt.
Um dem in den Reformen des Artikels 27 inhärenten Privatisierungsprojekt
zu entgehen, traten Bauern und Indigene mit Ejido-Land massiv dem
Programm für die Zertifizierung von Ejido-Rechten und der Verleihung von
Grundstückstiteln (Procede) bei. Von den etwa 31.000 mexikanischen
Agrargemeinden stiegen nur 2.700 nicht in das Programm ein. Doch 70
Prozent der Böden wurden im Procede als Eigentum gemeinsamer Nutzung
eingetragen. Damit blieben hierfür die zentralen Eigenschaften des
Ejido-Landes erhalten: unverpfändbar, unübertragbar und unveräußerbar.
„Halbsklaven im Dienste der multinationalen Herren“
Die vorgesehenen Ausführungsgesetze im Energiebereich machen diese
Beschränkungen nichtig. Von nun an werden Ejido- und Gemeindebauern ihr
Land den ausländischen Öl- und Stromunternehmen überlassen müssen.
Begleitet von der Drohung, bei gegenteiligem Vorgehen im Eilverfahren
enteignet und dafür mit Sachleistungen oder Arbeitsverträgen bezahlt zu
werden. Von EigentümerInnen und BesitzerInnen ihrer Territorien werden
sie zu einer Art Halbsklaven im Dienste der multinationalen Herren.
Die neuen Gesetzesinitiativen treiben Bauern, Bäuerinnen und Indigene
noch mehr in die Enge. Nach Angaben der Kommission für den Dialog der
Indigenen Völker hat der mexikanische Staat an ausländische Unternehmen
(in der Mehrheit mit kanadischem Kapital oder mit kanadischem Namen)
mehr als 2.600 Konzessionen vergeben, die die Ausbeutung von 35
Millionen Hektar Land erlauben. Das sind 17,6 Prozent des nationalen
Territoriums.
Dieses Vorrücken des Bergbaus hat fast 200 Konflikte zwischen
Unternehmen und indigenen Gemeinden im ganzen Land verursacht.
Mindestens zehn Gegner von Bergbauprojekten sind in den Bundesstaaten
Oaxaca, Chiapas, Sinaloa und Chihuahua von Pistoleros erschossen worden.
Weit davon entfernt, abzunehmen, ist der Widerstand mit der Zeit jedoch
gewachsen und hat sich radikalisiert.
Politik: Bauern und Bäuerinnen finden kein Gehör
Die Verabschiedung der Ausführungsgesetze im Energiebereich, die
Bedrohung durch eine weitere Reform des Agrargesetzes und einer Reform
des Landbaus haben Mobilisierungs- und Konvergenzprozesse der nationalen
Bauernorganisationen wiederbelebt. Dabei nehmen sogar Dachverbände teil,
die der regierenden Partei der Institutionellen Revoluation PRI (Partido
Revolucionario Institucional) nahestehen. Überall im Land gibt es
Treffen und werden Erklärungen abgegeben. So geschehen in der Stadt
Torreón am 7. Juni und in Playa del Carmen im selben Monat. Weitere
Treffen: am 21. Juni in Oaxaca-Stadt und am 27. Juni in Celaya
(Bundesstaat Guanajuato). Während die BauernführerInnen in den
Reformprozess einbezogen werden wollen, schenken ihnen die Abgeordneten
interessanterweise kein Gehör und stimmen ohne sie über die Reformen ab.
Bei den nationalen Bauernorganisationen handelt es sich um eine Vielzahl
unterschiedlichster Dachverbände, Koordinationen, Netzwerke und
Vereinigungen, die seit mehr als 20 Jahren tiefgehende Spaltungen
durchleben. Im Wesentlichen verhandeln sie staatliche Projekte für
Wohlfahrtsleistungen und ländliche Entwicklung. Trotz der Zersplitterung
verschwindet keine Organisation von der Bildfläche.
Zuletzt traf sich eine breite Palette dieser Organisationen am 11. Juni
mit Emilio Gamboa Patrón, dem PRI-Fraktionschef im Senat. Die
Bauernvertreter beklagten sich über die Ausführungsgesetze, vor allem
über das Konzept der Dienstbarkeit. Der Senator verwies sie an Luis
Miranda, Staatssekretär im Innenministerium. Auch mit ihm sprachen sie.
Als die Abordnung auf die Ausführungsgesetze zu sprechen kam, erklärte
ihnen der Staatssekretär, für das Thema sei er nicht zuständig, es werde
noch in der Legislative behandelt und er werde es nicht diskutieren. Am
Ende schlug er ihnen vor, die Reform für den Landbau zu erörtern. Das
Agrarministerium soll den Juristen bezahlen, der Dekrete oder notwendige
Gesetze ausarbeite.
Zwischen sozialem Kampf und Eigennutz
Über die Unzufriedenheit mit der Dienstbarkeit für die fossilen
Brennstoffe hinaus, haben sich die Organisationen verschiedene regionale
und sektorbezogene Forderungen auf ihre Fahnen geschrieben. Die
MaisproduzentInnen in Sinaloa fordern einen Betrag von 3.850 Pesos pro
Tonne des Getreides. Die BohnenproduzentInnen aus Zacatecas, Chihuahua,
Durango, Sinaloa und Nayarit wollen ihre Ernten verkaufen und einen
Aufschlag von zwei Pesos pro Kilo. Fast überall im Land wird die
Bestrafung von Unternehmen gefordert, die Raubbau an den
Grundwasservorkommen betreiben.
Einstweilen haben verschiedene Organisationen Komitees zur
Landverteidigung und eine landesweite Demonstration am 23. Juli in
Mexiko-Stadt angekündigt. “Der Boden”, so drohte einer der Bauernführer,
“wird mit Blut verteidigt werden.” Doch abgesehen von der Ablehnung der
Dienstbarkeit für die fossilen Brennstoffe und ihren Drohungen, die
Prärie in Brand zu setzen, hat jede Organisation ihre eigenen
Interessen. Obwohl einige durchaus kämpferisch sind, haben viele in der
Vergangenheit die landesweiten Mobilisierungen, bei denen allgemeine
Forderungen geäußert werden, dafür genutzt, ihre Sonderanliegen zu
regeln. Angesichts der verschiedenen, in 2015 anstehenden Wahlen, wollen
nicht wenige BauernführerInnen die Unzufriedenheit mit der Reform
nutzen, um sich selbst als mögliche AbgeordnetenkandidatInnen zu
positionieren.
Viele der wichtigsten ländlichen Auseinandersetzungen in Mexiko haben
sich ohne Mitwirken dieser Organisationen abgespielt. Bei den
Mobilisierungen der indigenen Völker für die Anerkennung ihrer Rechte,
dem Aufbau ihrer de facto-Autonomie, dem Widerstand gegen die
Umweltzerstörung, der Opposition gegen die transgenen Pflanzen, bei
Landbesetzungen und der Bildung von Gemeindewachen und
Selbstverteidigungsgruppen sind die traditionellen BauernführerInnen
nicht präsent gewesen oder haben nur eine marginale Rolle gespielt.
Absprachen mit ihnen auf hoher Ebene, die als Gegenleistung für
Sonderanliegen die Ablehnung der Dienstbarkeit für die fossilen
Brennstoffe nicht berücksichtigen, werden wenig Erfolg haben.
URL:
http://www.npla.de/de/poonal/4758-zu-ihren-diensten-enteignung-der-landbevoelkerung-zugunsten-von-energiekonzernen
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