Montag, 30. Juni 2014
Ukraine: EU-Polizeimission beschlossen
IMI-Standpunkt 2014/032
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 24. Juni 2014
Am gestrigen Montag beschloss der EU-Rat die Entsendung einer EU-Polizeimission in die Ukraine, die zur „Stabilisierung“ (sprich: Kontrolle) des Landes beitragen soll. Dies erscheint aus Brüsseler Sicht dringend notwendig, denn selbst wenn die aktuellen Waffenstillstandsverhandlungen zwischen der ukrainischen Regierung und separatistischen Kräften im Osten zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden sollten, haben sich die dahinterstehenden Konflikte damit schließlich noch lange nicht in Luft aufgelöst. Zwar stellte der neue Präsident Petro Poroschenko eine stärkere Föderalisierung in Aussicht (ohne allerdings zu präzisieren, wie dies konkret aussehen soll), ansonsten rückt er aber keinen Meter von seinem dezidiert pro-europäischen Kurs ab. Im Südosten sprechen sich aber lediglich knapp 25% der Bevölkerung für eine Annäherung an die EU aus, während knapp 47% einen Beitritt zur Zollunion (zwischen Russland, Weißrussland und Kasachstan) befürworten.[1] Dennoch will Poroschenko am 27. Juni 2014 in Brüssel auch die handelspolitischen Teile des Assoziationsabkommens mit der Europäischen Union unterschreiben, wodurch ein Beitritt zur Zollunion dauerhaft ausgeschlossen und die Ukraine (peripher) in die europäische Einflusszone integriert wird. Mit einem baldigen Ende der Konflikte in der Ukraine ist unter diesen Umständen wohl leider nicht zu rechnen und die jetzige Entscheidung zur Entsendung einer EU-Polizeimission dürfte genau mit diesem Wissen im Hintergrund gefallen sein.
Erstmals forderte die damalige „Übergangsregierung“ am 20. März 2014 Unterstützung bei der Europäischen Union an. Daraufhin signalisierte der Rat für Auswärtige Angelegenheiten am 14. April 2014 die Bereitschaft, die Entsendung einer EU-Mission im Rahmen der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (GSVP) zur Sicherheitssektorreform in der Ukraine zu prüfen. Ziemlich genau einen Monat später wurde der Europäische Auswärtige Dienst damit beauftragt, ein Krisenmanagementkonzept auszuarbeiten, das dann am 19. Juni 2014 vorgelegt und am 23. Juni 2014 vom Rat für Auswärtige Angelegenheiten verabschiedet wurde.[2]
Was sich die ukrainischen Machthaber von der Mission versprechen, zeigt ein Brief vom 8. Mai 2014 des damaligen Außenministers Andrii Deshchytsia an die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, der dem EU-Krisenmanagementkonzept für die GSVP-Polizeimission als Anhang beiliegt: „Ich würde es sehr begrüßen, wenn es eine dauerhafte Unterstützung der EU geben würde, die darauf abzielt, der russischen Aggression entgegenzutreten und die innere Situation zu stabilisieren.“ Betrachtet man die Details des „Revised Crisis Management Concept for a civilian CSDP mission in support of Security Sector Reform in Ukraine”, das nun beschlossen wurde, so scheint die EU genau diese beiden Ziele im Blick zu haben.[3]
Als Problemaufriss präsentiert das Krisenmanagementkonzept die Lage im Land folgendermaßen: „Mit wenig Gegenwehr haben pro-russische militante Gruppen in den östlichen Regionen Lugansk und Donezk die Kontrolle über lokale Polizei-, Geheimdienst- und Verwaltungsgebäude übernommen, die Geburt einer selbsternannten unabhängigen Republik erklärt und zunehmend gewalttätige Handlungen gegen ukrainische Sicherheitskräfte verübt. Die ukrainischen Vollzugsbehörden haben sich als unfähig erwiesen, Recht und Ordnung wieder herzustellen.“ (Artikel 5)
Diesen aus EU-Sicht misslichen Zustand, in dem der freundlich gesonnenen Regierung die Kontrolle über wesentliche Teile des Landes entglitten ist, zu beheben, scheint das Kernanliegen der EU-Polizeimission zu sein: “Das strategische Ziel besteht darin, Bedingungen zu schaffen, die eine stabilisierte Sicherheitslage ermöglichen sowie die Wiedereinführung des Primats der Rechtsstaatlichkeit und die Verbesserung der Fähigkeiten der ukrainischen Behörden, die adäquate und demokratische Kontrolle der Institutionen zu gewährleisten, die mit der inneren Sicherheit befasst sind.“ (Absatz 44)
Hierfür will die EU im Rahmen ihrer Polizeimission „Strategische Berater“ entsenden: „Zur Unterstützung der ukrainischen Bereitschaft zur Sicherheitssektorreform wird die nicht-exekutive zivile GSVP-Mission die relevanten Institutionen bei der Ausarbeitung neuer Sicherheitsstrategien und bei der Implementierung wesentlicher, umfassender und schlüssiger Reformanstrengungen beraten und anweisen (mentor and advise).“ (Artikel 48)
Über die Finanzierung der zunächst auf zwei Jahre mandatierten Polizeimission macht das Krisenmanagementkonzept keine Angaben, außer dass das Budget dem GASP-Haushalt entnommen werden soll. Der Umfang wird mit 40 „strategischen Beratern“, die in Kiew stationiert sein werden, angegeben. Ob weitere hinzukommen werden, sobald auch eine Präsenz in anderen Regionen wie vorgesehen etabliert ist, ist dem Konzept nicht zu entnehmen. Weiter heißt es zwar, “die EU-Mission wird sich nicht auf Bereiche der Reform des Verteidigungssektors erstrecken“ (Artikel 49), andererseits wird allerdings betont, „besonders die Koordination mit Akteuren die sich mit anderen Aspekten des Sicherheitssektors (Verteidigung) befassen, wird von zentraler Bedeutung sein.“ (Artikel 52)
Unter der Überschrift „Mögliche Risiken für die Missionsziele“ findet sich folgendes: „Sollten die ukrainischen Behörden nicht in der Lage sein, die legitimen Ansprüche der Bevölkerung auf effiziente und rechtsbasierte Fähigkeiten ihrer Strafverfolgungseinrichtungen einzulösen, seien sie im Westen oder Osten und ob sie diese Regierung unterstützen oder nicht, existiert mittel bis langfristig die Gefahr von Ernüchterung, Protest und sozialen Unruhen.“ (Artikel 73) Mit dem dezidiert pro-europäischen Kurs, besonders aber mit dem sozialen Kahlschlag, der der Ukraine nun auf Verlangen des Internationalen Währungsfonds verordnet wurde, werden – mit voller Unterstützung der EU – „Ernüchterung, Protest und sozialen Unruhen“ jedoch billigend in Kauf genommen, ja geradezu herbeigeführt. Deshalb hat es den Anschein, als ginge es der EU-Polizeimission vor allem darum, die ukrainischen Behörden besser in die Lage zu versetzen, auf solche sozialen Unruhen reagieren zu können. Denn welche „Kompetenzen“ zur Vorbereitung des Krisenmanagementkonzepts gesucht wurden, wurde aus einer Ausschreibung ersichtlich, die im Internet zu finden ist. Darin suchte der EAD u.a. einen Experten für „allgemeine polizeiliche Tätigkeiten, einschließlich der Aufstandsbekämpfung“.[4]
Anmerkungen
[1] The views and opinions of South-Eastern regions residents of Ukraine, Kiev International Institute of Sociology, April 2014.
[2] EU prepares civilian mission to assist security sector reform in Ukraine, Luxembourg, 23 June 2014 (11156/14), Presse 355.
[3] European External Action Service: Revised Crisis Management Concept for a civilian CSDP mission in support of Security Sector Reform in Ukraine, Brussels, 19 June 2014. Die folgenden Artikelangaben in Klammern beziehen sich auf dieses Dokument.
[4] CALL FOR DEPLOYMENT OF SIX (6) CRT, SSR OR OTHER MEMBER STATE EXPERTS IN THE FIELD OF BORDER POLICING, INTELLIGENCE, GENERAL POLICING INCLUDING RIOT CONTROL, JUSTICE, REPORTING OFFICER AND POLAND TO REINFORCE THE EEAS FIELD MISSION IN UKRAINE.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen