Montag, 18. November 2019

Spanner


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Ich erhalte viele Mails, die Leute kommen mir ständig auf die gleiche Weise: »Ich studiere Soziologie, und für meinen Bachelor suche ich …«, »Im Unterricht machen wir gerade Randgruppen, also auch Punks, und ich hätte da ein paar Fragen …«, »Für eine Ausstellung benötigen wir druckreife Punkfotos, und es wäre klasse, wenn Du …«, »Ich produziere für den Sender XYZ eine Dokumentation, und da bräuchte ich ein paar Infos und O-Töne …«, und damit genug für heute, bitte ein anderes Programm! Aber natürlich ist klar, daß es so weitergehen wird, bis es mich dahinrafft.
Manche wollen sich auch mit mir unterhalten, weil sie denken, daß sie das voranbringt. Sie halten mich für eine große Nummer, einen »Zeitzeugen« oder »Urgestein«, der dabei war, als Sid Vicious sich den Golden Schuß gab oder in Hannover Punks Polizistinnen vergewaltigen wollten.
Sie suchen Antworten auf Fragen, die ihnen nach reiflichem Nachdenken auf ihren Notizblock purzeln, während sie ihrem mentalen Ohrensessel vollfurzen und Halbverdautes im Darm rotiert.
Ich jedoch frage mich, warum sie auch nur eine Sekunde damit verschwenden. Ödet sie ihr eigenes Leben an, ihr Job, die Alte, der Stecher, die eigenen Kinder? Warum wollen sie etwas verstehen, was man nur verstehen kann, wenn man bereit ist, die eigene Bude anzuzünden?
Aber vielleicht wollen sie gar nichts verstehen, sondern nur ein paar vorgestanzte Sätze, die gut in ihren Text, ihre Ausstellung oder Sendung passen. Von irgendeiner Figur, die vorgestern mal wichtig war. Damit sie die lästige Aufgabe von der Backe kriegen, dafür eine gute Benotung kassieren, ein paar Streicheleinheiten, ich weiß es nicht.
Und wenn ich ihnen dann schreibe, daß ich keine Antwort auf ihre Fragen weiß – oder es mich nicht kümmert, Wissenschaft und Kunst zu unterstützen, dann vermuten sie, daß ich ihnen etwas verschweige, irgendein Geheimnis, das nur ich kenne. Oder daß ich ein arrogantes Arschloch bin, genau das!
Was sie nicht wissen: Ich habe bis heute nicht begriffen, was ich getan habe, was wir getan haben, jeden Tag fallen mir unterschiedliche Antworten ein. Manchmal denke ich, wir waren ein Haufen Totalgestörter, die mit Vollgas gegen die Wand gelaufen sind, und an anderen Tagen gefällt mir genau das.
Aber immerhin, wir haben es ausprobiert, während andere bis heute glauben, irgendjemand könnte ihnen die fertigen, richtigen, zitierbaren Antworten frei Haus liefern. Ohne Erschütterungen, ohne Gefahr für Leib und Leben. Das geht am besten, wenn man aus sicherer Distanz mit Pyromanen von DAMALS redet, weil man da nicht befürchten muß, daß sie einem HEUTE das Leben durcheinanderbringen.
Ich gieße mir eine Tasse Tee ein und schaue aus dem Fenster. Nichts los da draußen. Keine Chinesen, Islamisten oder Nazis unterwegs, die die Welt aus den Angeln heben wollen. Kein bißchen Krawall, nicht mal ein Unfall, nur graues Scheißwetter.
Ich bin ein Nichts, ein Niemand, niemand liefert mir ohne Kohle ’ne klasse Show oder will mir den Arsch abwischen. Alles muß man selbst machen. Ganz normal, so wie früher.
Mehr demnächst in diesem Theater. Ich fange ganz sanft an, damit die Mimosen unter Euch nicht gleich hyperventilieren und sich unterm Bett verstecken. Und manchmal bin ich eben nett, nachdenklich oder einfach nur ein Spinner. Immer nur Scheiße, Kacke, Tod wird ja irgendwann auch öde.
HINWEIS: Aktuell verlinke ich nur ausgewählte Texte bei Facebook und Twitter. Die Sachen, die ich derzeit schreibe, würden dort eh nur gegen die Wand fahren. Wer meinen Scheiß nicht verpassen will, sollte also diesen Blog abonnieren (oben links)!

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