Dienstag, 26. November 2019

Assange in Lebensgefahr

Der 48jährige Gründer der Enthüllungsplattform ­Wikileaks, Julian Assange, »könnte in Belmarsh sterben«. Davor warnen mehr als 60 Ärzte aus verschiedenen Ländern in einem 16seitigen Brief an Großbritanniens Innenministerin Priti Patel, aus dem die britische Nachrichtenagentur PA am Montag zitierte. Demnach bedürfe Assange, der seit April im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London inhaftiert ist, »dringend einer fachärztlichen Beurteilung seines physischen und psychischen Gesundheitszustandes«. Es gebe »keine Zeit zu verlieren«, Assange müsse umgehend in ein Universitätsklinikum überstellt werden.
Laut Guardian stützen die Mediziner ihre Aussagen auf »erschütternde Berichte von Augenzeugen«, die am 21. Oktober bei Assanges erstem Gerichtstermin nach sechs Monaten anwesend waren. Dort habe der Journalist schwach und desorientiert gewirkt und Schwierigkeiten gehabt, sich an sein Geburtsdatum zu erinnern.
Bereits im Mai hatte der UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer Assange im Gefängnis besuchen können und richtete danach einen aufsehenerregenden, aber weithin ungehörten Appell an die Öffentlichkeit: Der Gründer von Wikileaks zeige alle Symptome psychischer Folter, und sein Gesundheitszustand verschlechtere sich rapide. Jedoch hätten sich die britischen Behörden nicht darum gekümmert, wie er Anfang November in Genf konstatieren musste. Assange sei andauernder Willkür ausgesetzt, das könne »bald sein Leben kosten«, warnte auch der UN-Offizielle. Sevim Dagdelen, für die Fraktion Die Linke Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages, forderte angesichts des Brandbriefes am Montag entschiedenes Handeln des Auswärtigen Amtes und kritisierte: »Es ist eine Schande für die gesamte westliche Welt, dass Julian Assange in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis offenbar zu Tode gequält werden soll.«
Die britische Polizei hatte Assange am 11. April aus der ecuadorianischen Botschaft in London verschleppt, in der er fast sieben Jahre Zuflucht gefunden hatte. Von einem Amtsgericht wurde er zu 50 Wochen Gefängnis verurteilt, wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen in einem Jahre zurückliegenden Verfahren. Im Juni wurde dann dem von den USA gestellten Auslieferungsgesuch vom britischen Innenministerium zugestimmt. Die erste Anhörung ist für den 25. Februar 2020 anberaumt. Washington will an dem Enthüllungsjournalisten ein Exempel statuieren, seit er 2010 über die Plattform Wikileaks eine Viertelmillion streng geheimer US-Dokumente veröffentlichte, die unter anderem Kriegsverbrechen des US-Militärs im Irak und in Afghanistan belegen. Das Ermittlungsverfahren in Schweden wegen mutmaßlicher Vergewaltigung wurde vergangene Woche mangels Beweisen eingestellt.
Die australische Ärztin Lissa Johnson, die den Brief an die britische Regierung mitunterzeichnet hat, verweist laut Guardian ausdrücklich auf die Notwendigkeit einer unabhängigen medizinischen Meinung im Hinblick auf das anstehende Auslieferungsverfahren: »So wie es aussieht, betreffen ernste Fragen nicht nur die gesundheitlichen Auswirkungen der Haftbedingungen von Herrn Assange, sondern auch seine medizinische Eignung, vor Gericht zu stehen und seine Verteidigung vorzubereiten.« Gerade dafür bräuchte Assange alle verfügbaren gesundheitlichen Kräfte, drohen ihm doch bei einer Auslieferung in die USA mittlerweile 175 Jahre Haft, wenn nicht gar die Todesstrafe.

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