Montag, 18. November 2019

Dreht sich die Stimmung? Kommt darauf an …

heute schreibe ich Dir in großer Sorge. Die öffentliche Debatte um die Atomenergie nimmt gefährliche Formen an. Eine Gruppe von Atom-Fans, meist Beschäftigte aus der Atombranche, hat sich im Verein „Nuklearia“ zusammengeschlossen und streitet mit Vehemenz für eine Neubewertung der Atomkraft in Zeiten des Klimawandels. Sie bedienen sich dabei der Mär vom neuen Reaktor, der angeblich sicher sei und angeblich allen Atommüll verbrenne. Den gibt es zwar nicht, wie ja im aktuellen .ausgestrahlt-Magazin nachzulesen ist. Aber das stört Nuklearia nicht.
Ein Problem: Diese falsche aber einfache Geschichte sorgt sowohl in der Klimadebatte als auch in der Atommüll-Debatte für Verwirrung: Könnten neue sichere AKW das Klima retten? Könnten neue Reaktoren ein tiefengeologisches Atommüll-Lager überflüssig machen? Gerade bei manchen jungen Leuten kommen diese Märchen erschreckend gut an.
Ein weiteres Problem: Die Medien lieben Menschen, die gegen den Mainstream argumentieren. Und da in Deutschland derzeit der Atomausstieg noch (!) Mainstream ist, räumen sie denjenigen viel Platz ein, die es anders sehen und das Blaue vom Himmel versprechen. Nuklearia-Vertreter*innen bekamen etwa ein großes Interview auf „Spiegel Online“ oder einen ganzseitigen Gastbeitrag in der „Zeit“.
Ein drittes Problem: Die Mitglieder von Nuklearia, zum Teil Ingenieur*innen oder Naturwissenschaftler*innen, sind extrem aktiv in den sozialen Medien (Facebook, Twitter, YouTube), in den Kommentar-Funktionen unter Artikeln von Online-Medien und auf den Leser*innenbrief-Seiten der Zeitungen. Ihre von Halbwahrheiten dominierte technische Argumentation ist für Laien schwer zu durchschauen oder gar zu widerlegen.
Ein Redakteur der Deister-Weser-Zeitung (Dewezet), Regionalzeitung um das AKW Grohnde, hat Gespräche mit Menschen geführt, die in den Kommentaren unter seinen Online-Artikeln Pro oder Contra Atom argumentiert haben. Ich zitiere diesen Text ausführlich, denn er macht deutlich, was derzeit passiert:
„Einer, der sich ebenfalls kräftig zu Wort meldete: Rainer Reelfs. Kaum einer weiß, dass er stellvertretender Vorsitzender des Vereins Nuklearia ist, der kräftig für die Kernenergie wirbt. Inzwischen dauert es manchmal nur wenige Minuten, bis der Diplom-Ingenieur als einer der ersten die Debatten nach Veröffentlichung eines Dewezet-Beitrages zum AKW auf Facebook eröffnet. (…)
Der Nuklearia-Sprecher sieht sich in seinem Ziel bestätigt. Das Thema Kernenergie ‚kommt aus der Tabuzone heraus‘, beobachtet er selbst die Tendenz, dass sich die Einstellung zu der umstrittenen Technik wieder wandelt. ‚Ich habe das Gefühl, dass wir die Faktenhoheit zurückgewinnen.‘ (…) Ohne es empirisch zu belegen, zeichnet die Entwicklung auf, dass die Befürworter zeitweise die Oberhand gewinnen. (…)
Einer, der im Frühjahr die Stimme gegen das AKW erhob, war Marcel M. – 30 Kommentare überwiegend von Befürwortern folgten. Selbst wenn er ebenfalls versucht, mit fundierten Erkenntnissen aus der Wissenschaft zu argumentieren: Marcel M. stand auf verlorenem Posten. (…) ‚Es ist aber sehr anstrengend, zeit- und nervraubend‘, meint Marcel M. über die Debatten. (…)
Reelfs unterscheidet zwischen drei Gruppen, wie er sagt. Die ‚Hardcore-Gegner‘, die für keine Argumente empfänglich seien, die zunehmende Zahl derer, die der Kernkraft positiv gegenüberstünde, und ‚die große Masse, die keine klare Meinung hat, sich aber oft von Medienberichten leiten lässt.‘ Die Unschlüssigen will Reelfs erreichen, wie er sagt. ‚Und ich habe das Gefühl, dass sich die Stimmung dreht.‘
Besonders drastisch beschrieb die aktuelle Situation der Pro-Atom-Aktivist „avi shomer“ in einer Diskussion auf Twitter: „Für die meisten Antis ist der Drops mit den AKW gelutscht, und nicht wir sind stärker, sondern die älter & lahmer geworden.“
Leider ist da was dran. Einige atomkritische Menschen denken ja wirklich, der Atomausstieg sei unumkehrbar. Sie kümmern sich inzwischen nicht mehr groß um die Atom-Debatte, sondern engagieren sich in anderen (nicht weniger wichtigen) Politikbereichen.
.ausgestrahlt dagegen kümmert sich weiter um die Atom-Debatte. Wir sind nicht „lahmer“ geworden, sondern weiter ziemlich munter. Doch wir können den Vielschreiber*innen von Nuklearia und Konsorten nur etwas entgegensetzen, wenn uns Menschen wie Du dabei unterstützen. Zum einen, indem Du Dich selbst in die öffentliche Debatte einmischst. Zum anderen, indem Du die Arbeit von .ausgestrahlt finanziell unterstützt.
Die Finanzierung unserer Basis-Kosten für das Jahr 2020 ist noch nicht gedeckt. Von den Spenden und Förder-Zusagen, die bis Ende des Jahres bei .ausgestrahlt eingehen, hängt es also ab, ob wir in bewährter Manier weiterarbeiten können oder unsere Aktivitäten einschränken müssen. Ob .ausgestrahlt also zukünftig „lahmer“ wird oder nicht, hängt auch ein wenig von Dir ab. Kannst Du unsere Arbeit im nächsten Jahr durch Deine Spende ermöglichen?
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