Regierungspartei
greift zu alten Methoden
Handelsblatt 28.04.2017
Mexikos Regierungspartei kämpft
bei den anstehenden Gouverneurswahlen ums Überleben und um
eine gutes Ergebnis bei den Präsidentschaftswahlen 2018. Nun
sollen alte und mehr als fragwürdige Methoden den
Machterhalt sichern.
Mexiko-Stadt. Die Szene war so
typisch für Mexikos seit langem dominierende
Regierungspartei, dass sie sich schon vor einem halben
Jahrhundert abgespielt haben könnte. Ärmliche Frauen
versammelten sich in der heißen Sonne, um auf den Auftritt
eines Politikers zu warten, der dann mit Stunden Verspätung
im Stadion erschien. Die Frauen waren verpflichtet, an der
Kundgebung teilzunehmen. Andernfalls, so hatte man ihnen
gedroht, würden sie Hilfen aus einem Programm zur Bekämpfung
der Armut verlieren.
Aber anders als vor 50 Jahren
waren eine Reihe Journalisten unabhängiger Medien vor Ort.
Sie interviewten die müden und verschwitzten Wartenden, die
ihrer Empörung darüber Luft machten, dass ein
Regierungsprogramm als Druckmittel für politische Zwecke
verwendet worden war. Das endete abrupt, als Mitarbeiter der
regierenden Partei der institutionalisierten Revolution
(PRI) auftauchten, um die Reporter zu vertreiben und den
Frauen zu sagen, sie sollten ihren Mund halten. Einem
Kameramann wurde die Ausrüstung entrissen, bevor er dann
handgreiflich aus dem Stadion entfernt wurde - begleitet von
Drohung, man werde ihn und andere Journalisten „verschwinden
lassen“.
„Als sie uns in den Toilettenraum (des Stadions) brachten,
sagten sie, „ihr werdet sterben“, und da bekam ich wirklich
Angst“, schilderte David Morales, Chef des
Internet-Nachrichtendienstes „Chiapas Without Censorship“
die Ereignisse vor der Kundgebung für PRI-Senator Roberto
Albores Gleason in Tuxtla Gutierrez.
Derartige Drohungen lösen Schrecken im ländlichen Mexiko aus, wo
in den vergangenen Jahren dutzende Journalisten getötet
worden sind. Und sie spiegeln wider, was viele für eine
Rückkehr korrupter alter Praktiken der PRI halten, die bei
Gouverneurswahlen im Juni in einigen ihrer letzten Bastionen
- dem Bundesstaat México und dem nördlichen Staat Coahuila -
ums Überleben kämpft. Auch bei den Präsidentschaftswahlen
2018 sieht es nach bisherigem Stand alles andere als gut für
sie aus.
Die Partei der Revolution hatte in Mexiko trotz Vorwürfen
gestohlener oder gekaufter Wahlen 71 Jahre lang regiert,
bevor sie 2000 von der Macht vertrieben wurde. Als sie 2012
unter Präsident Enrique Peña Nieto wieder ans Ruder kam,
wurden führende Vertreter nicht müde zu betonen, wie sehr
sich die PRI geändert habe.
Aber mittlerweile sitzen mehrere frühere Gouverneure der
Partei wegen Korruption im Gefängnis, stehen im Mittelpunkt
von Ermittlungen oder sind auf der Flucht vor der Polizei.
Die PRI befindet sich in schwerem Fahrwasser, Peña Nietos
Popularität hat ein Rekordtief erreicht, und Experten
meinen, dass die Partei nun wieder auf alte Methoden
zurückgreift, um an der Macht zu bleiben.
PRIs aktiver Kampf gegen Korruption
Doch die journalistische Landschaft sieht heute anders aus.
So waren die Reporter bei der PRI-Veranstaltung in Tuxtla
Gutierrez mit einem neuen Werkzeug ausgestattet: Facebook live. Und so wurde
denn übertragen, wie einer der Organisatoren der Kundgebung
die Frauen aufforderte, nicht mit den Journalisten zu
sprechen. Doch offenbar hatten die Veranstalter den Bogen
überspannt, indem sie die Frauen trotz 38 Grad Hitze
stundenlang warten ließen: Deren Zorn war schließlich so
groß, dass sich gegenüber den Journalisten die Schleusen
öffneten.
Die Reporter wurden ungefähr eine Stunde lang festgehalten
und dann der örtlichen Polizei übergeben, die sich weigerte,
sie festzunehmen. Albores Gleason, der PRI-Senator,
verurteilte das Vorgehen in einer schriftlichen Erklärung
und betonte, er sei „ein großer Unterstützer des Rechts auf
freie Meinungsäußerung“. Darauf, dass die Frauen zur
Teilnahme an der Kundgebung gezwungen worden waren, ging er
nicht ein. Dem mexikanischen Ministerium für soziale
Entwicklung zufolge wurden vier Mitarbeiter des Programmes
gegen Armut im Zusammenhang mit dem Vorfall gefeuert.
Ein anderes Beispiel jüngster Gewaltanwendung durch die PRI
oder deren Unterstützer wurde aus dem Bundesstaat México
gemeldet, einer der langjährigen Hochburgen der Partei. Als
Mitglieder der konservativen Nationalen Aktionspartei PAN
auf einem Wochenmarkt in einem Vorort von Mexiko-Stadt
Werbung betreiben wollte, wurden sie von einer Gruppe von
Schlägern verjagt.
Die PRI antwortet auf solche Vorwürfe mit der Aussage, dass
sie aktiv dabei sei, Korruption auszurotten. Dabei verweist
sie auf die jüngste Festnahme von zwei ehemaligen
Gouverneuren aus ihren Reihen. Aber keiner von ihnen wurde
daheim gestellt, sondern der eine in Guatemala und der
andere in Italien, nach vier Jahren Flucht, während der er
sich des Schutzes durch Offizielle in Mexiko erfreute.
Mexikos jüngster Skandal um den
Linken-Führer Andres Manuel Lopez Obrador schmeckt ebenfalls
nach alten PRI-Methoden, wie manche sagen. So tauchte
kürzlich ein clever produziertes Video mit Untertiteln auf,
das angeblich zeigt, wie eine Mittelsfrau von
„Geschäftsleuten“ für Lopez Obrador bestimmte Geldbündel in
Empfang nimmt. Dieser spricht von einem schmutzigen Trick
des politischen Establishments, ihn in Misskredit zu
bringen.
Allerdings ist die PRI nicht die
einzige Partei, die mehr als fragwürdige Praktiken anwendet.
So wurde im März in Chiapas eine Bürgermeisterin der mit der
PRI verbündeten Grünen-Partei festgenommen. Ihr wird
angelastet, über 1500 falsche Staatsbürgerschaftspapiere an
Migranten aus Guatemala ausgegeben zu haben - damit sie bei
einer Wahl für sie stimmten. Sie gewann, wenn auch knapp.
Associated Press
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