Fotos für die Pressefreiheit
Heise Online, 09.05.2017
von Christine Bruns
Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat das Buch
"Fotos für die Pressefreiheit" veröffentlicht. c‘t
Fotografie unterhielt sich mit Emmanuel Guillén Lozano, der
auf seinen Bildern den Drogenkrieg in Mexiko dokumentierte.
Reporter ohne Grenzen veröffentlicht jährlich zum
Tag der internationalen Pressefreiheit den Bildband "Fotos
für die Pressefreiheit"[1]. Damit will die Organisation
auf die teils stark eingeschränkten Möglichkeiten der
Berichterstattung für Journalisten weltweit aufmerksam machen.
c‘t Fotografie hat die Buchvorstellung im Maxim-Gorki-Theater
in Berlin besucht und sich mit Emmanuel Guillén Lozano
unterhalten, der als Fotojournalist in Mexiko[2]
arbeitet.
Mexiko steht auf der Rangliste der Pressefreiheit weit hinten
und belegt nach Angaben von Reporter ohne Grenzen Platz
147 von 180[3]. Lozano, der selbst Mexikaner ist,
berichtet, dass Journalisten hier nicht nur mit korrupten
Beamten und Repressalien der Regierung zu kämpfen hätten,
sondern sich auch durch die Mafia und verschiedene weitere
Interessengruppen bedroht sehen. Nicht nur die
Berichterstattung über sensible Themen sei gefährlich, sondern
bereits die Arbeit als Reporter an sich.
Der Kampf gegen das Vergessen
Lozano selbst kämpft gegen das Vergessen. Die Gewalt in
Mexiko sei aus dem Medien zwar fast verschwunden, tatsächlich
aber habe sie zugenommen. Offiziellen Schätzungen zufolge
wurden in Mexiko seit 2007 32.000 Menschen infolge des
Drogenkrieges verschleppt, 186.000 wurden getötet. "Die
wirklichen Zahlen liegen sehr, sehr viel höher", sagt Lozano.
Als 2014 43 Studenten aus dem mexikanischen Bundesstaat
Guerrero verschleppt wurden, begann Lozano damit, die Familien
der Verschwundenen zu fotografieren. Auch reiste er in Dörfer,
in denen die verschleppten Menschen lebten, an die Universität
in Ayotzinapa und nach Iguala, dem Ort, an dem die
Lehramtsanwärter überfallen wurden. Er habe viel Zeit
benötigt, um das Vertrauen der Angehörigen zu gewinnen. Jedes
Einzelschicksal stehe stellvertretend für viele weitere,
erklärt Lozano. In Mexiko sei eine solch hohe mediale
Aufmerksamkeit wie im Fall der 43 Studenten selten.
Bei seinen Recherchen begegnete Lozano nicht nur den "Guten",
sondern begleitete auch Gangs und Auftragsmörder. Er bekam
Einblick in Folterhütten; musste zusehen wie Menschen erschossen
wurden. Die Frage, warum er sich immer wieder selbst in Gefahr
begab, beantwortet er damit, dass er die Verantwortung spüre,
das zu erzählen, was tatsächlich geschehe. "Wenn Du diesen Job
machst, dann gehst Du an Orte, wo niemand sonst hingehen will,
Du siehst Dinge, die niemand sonst sehen will, Du tust, was kein
anderer tun möchte", betont Lozano.
Ein Werkzeug, um einander zu Verstehen
"Sobald wir uns gegenseitig verstehen, als Gesellschaften,
als Länder, als Kulturen, wird Frieden zwischen uns sein",
sagt er. Der junge Fotograf, geboren 1992, sorgt sich um die
Menschen in seinem Land. "Sie lesen und sehen die Nachrichten
so, als ob das alles in Syrien, auf der anderen Seite der Welt
geschehen würde, aber es geschieht in ihrer Stadt. Die Leute
müssen verstehen, dass wenn wir nichts dagegen tun, wir früher
oder später alle selbst Opfer sein werden." Lozano hofft, dass
es noch nicht zu spät dafür ist.
Bislang hatte er Glück: Er überlebte etliche bedrohliche
Situationen. Einmal, sagt er, sei auf ihn geschossen worden.
Zum Glück habe er eine kugelsichere Weste getragen. Wirklich
schützen könne man sich aber nicht, gibt er zu.
"Ich musste es selbst sehen"
Seine Begeisterung für die Fotografie kam während des
Studiums. Für den Unterricht sollte er sich eine Kamera
kaufen. Fotografieren hätte ihn anfangs nicht interessiert.
Die Nachrichten über die 43 verschleppten Studenten aber
veränderten seine Einstellung. Im Anschluss an sein Studium
begann er zu reisen und zu dokumentieren. Er habe mit eigenen
Augen sehen wollen, wie die Dinge wirklich sind. "Die Orte
sind dunkler und viel gefährlicher, als ich es in meinen
Bildern zeigen kann", sagt er. Für viele Menschen dort sei es
die Hölle.
Anfangs habe Lozano sein Vorhaben selbst finanzieren müssen,
später erhielt er eine Auszeichnung der amerikanischen
Organisation Art Works for Human Rights, die dabei
half, seine Arbeit fortsetzen zu können. Über Ausstellungen in
Chicago und anderen Städten knüpfte er Kontakte zur New York
Times, dem Reportage-Portal Vice und einigen Fotoblogs. Lozano
konnte Fotos verkaufen und seine Feldrecherchen weiterführen.
Von den Menschen in Deutschland wünsche er sich mehr
Bewusstsein dafür, dass ihr Drogenkonsum in seiner Heimat mit
Blut bezahlt wird. Länder wie Deutschland seien in der Lage,
Druck auf die mexikanische Regierung auszuüben, damit sich
wirklich etwas ändert. Der Krieg in Mexiko müsse beendet
werden. Das aber könne nur geschehen, wenn ausländische
Regierungen die Realität und nicht die Selbstdarstellung
Mexikos akzeptieren.
Reporter ohne Grenzen beobachtet und dokumentiert
Verstöße gegen die Pressefreiheit weltweit. Aus den
Ergebnissen wird jährlich eine Rangliste aller Staaten
erstellt. Die Organisation unterstützt bedrohte
Journalisten[6] und deren Familien. Der Bildband
"Fotos für die Pressefreiheit"[7] finanziert einen Teil
der Arbeit der Organisation. Er ist unter der ISBN
978-3-937683-64-5 im Buchhandel erhältlich und kostet 14 Euro.
(cbr[8])
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