Aus der ila Nr. 405 (Mai 2017; https://www.ila-web.de/ausgaben/405)
Die barfüßigen Riesen aus dem Gebirge – Triquis-Kinder schreiben Basketballgeschichte
von Gerold Schmidt
Januar
2015 in der
Tübinger Uhlandhalle: Gut 700 Zuschauer, davon schätzungsweise
die Hälfte
überwiegend in Süddeutschland lebende Mexikaner, feiern die
Sieger des
U-14-Basketballturniers. „So eine Welle der Begeisterung hat
die Uhlandhalle
letztmals zu Zweitliga-Zeiten der Tübinger Basketballer
erlebt”, schreibt das
Schwäbische Tagblatt. Dabei sind die Jugendmannschaften aus
der Region in diesen
Tagen geradezu aus der Halle gefegt worden. Der BV Hellas aus
Esslingen gar mit
157 zu 6, die SV03 Tübingen mit 85 zu 65 und auch das Team von
der
Basketballakademie Ludwigsburg (BBA) hatte keine Chance. Doch
der Gegner ist
nicht irgendwer. Es handelt sich um „die barfüßigen Riesen aus
dem Gebirge“,
die „Niños Triquis“, die Basketballkinder aus dem Hochland des
mexikanischen
Bundesstaates Oaxaca. Die sind zu diesem Zeitpunkt schon
international berühmt.
Es ist
eine Geschichte,
fast zu schön, um wahr zu sein. 2010 entschloss sich der
ehemalige mexikanische
Basketballprofi Sergio Zúniga in die Region zu gehen, die von
der Ethnie der
Triquis bewohnt wird. Im Kopf hatte er ein Projekt, aus dem
bald darauf die
Indigene Basketballakademie Mexikos (ABIM) entstehen sollte.
Zúñiga wollte in
marginalisierten Gemeinde indigene Grundschulkinder in
Basketballmannschaften
organisieren. Obwohl er anfangs mit großer Skepsis in den
Dörfern empfangen
wurde, fiel seine Initiative auf fruchtbaren Boden. Der
Hintergrund entbehrt
dabei nicht einer skurrilen Komponente. Noch unter der
Regierung von Präsident
Carlos Salinas de Gortari (1988-1994) und dessen Nachfolger
Ernesto Zedillo
(1994-2000) gab es ein landesweites Programm für den Bau von
Basketballfeldern
in indigenen Gemeinden. Das Programm sollte durchaus der
Sportförderung dienen.
Gleichzeitig erfüllten die Felder aber die Funktion von
Hubschrauberlandeplätzen. Damit waren die oft abgelegenen
Dörfer schneller von
Regierungsfunktionären zu erreichen. Angesichts des indigenen
Zapatistenaufstandes in Chiapas Anfang 1994 stand ebenso der
Gedanke Pate, bei
bewaffneten Konflikten schnell kleinere Truppen in
aufrührerische Zonen
verlegen zu können. Unzweifelhaft dienten die neuen Plätze
jedoch der
Verbreitung des Basketballspiels in mehreren indigenen
Regionen im Land, vor
allem unter Kindern und Jugendlichen. In der Regel
praktizierten diese den
Sport barfuß. Meistens, weil Geld für Turnschuhe ein
unbezahlbarer Luxus
gewesen wäre.
Von der
Öffentlichkeit
weitgehend unbemerkt weitete sich das Projekt mit der
Beteiligung von vielen
Schulen in Oaxaca schnell aus. Die talentiertesten
SpielerInnen – auch Mädchen
spielen in den Teams mit – kamen jedoch aus der Triquis-Region
und trainierten
regelmäßig in der ABIM. Scheinbar aus dem Nichts heraus dann
der Durchbruch.
Praktisch bei ihrem ersten internationalen Auftritt gewann
eine barfüßig
spielende Triquis-Auswahl 2013 in Argentinien souverän und
ungeschlagen die
Mini-Basketballweltmeisterschaft für Kinder. Einsatz,
Spielwitz und Fair Play
beeindruckten dabei gleichermaßen. Die Niños Triquis erzielten
ihre Erfolge
zudem gegen körperlich weit robustere und größer gewachsene
Mannschaften. Es
begann die offizielle Erfolgsgeschichte. Einladungen in die
ganze Welt, weitere
Turniersiege oder gute Platzierungen bei internationalen
Wettbewerben in
Spanien, Japan, Italien und den USA folgten. Die Nationale
Sportkommission
erfand den einprägsamen Slogan von den barfüßigen Riesen aus
dem Gebirge. 2014
wurde Zúñiga mit dem nationalen Sportpreis in der Kategorie
„Trainer“
ausgezeichnet.
Die
wenigen mexikanischen
Profibasketballer von internationalem Format lassen sich
inzwischen ebenso mit
den Niños Triquis ablichten wie die Stars der
US-Basketball-Liga NBA, die aus
Werbegründen jedes Jahr ein paar ihrer Spiele in Mexiko-Stadt
durchführt. So
hatten die Triquis schon die Mannschaften der Houston Rockets
und der San
Antonio Spurs bei deren NBA-Gastauftritten als
Trainingspartner. Die Spurs
zogen sich dabei Schuhe und Socken aus (Wer die NBA-Liga ein
bisschen verfolgt,
weiß, dass wahrscheinlich kein anderes Team als die Spurs mit
ihrem Kulttrainer
Greg Popovich zu solch einer Geste in der Lage wäre).
Kein
Wunder, dass sich
auch die mexikanische Politik gerne mit der Mannschaft
schmückt. Als das
Triquis-Team im Sommer 2016 nach zwei zweiten Plätzen im
dritten Anlauf den
Barcelona Cup gewann, gratulierte Präsident Enrique Peña Nieto
umgehend auf
Twitter. Die Triquis „erfüllen Mexiko
mit Stolz“, schrieb er. Mit dem erhobenen Pokal in den Händen
und die mexikanische
Fahne schwenkend, rief die dort komplett in Basketballschuhen
angetretene
Mannschaft in Barcelona: „Wir sind Triquis, wir sind Kraft und
Haltung, und so
ist Mexiko“. Diesen Spruch hatte sie sich wahrscheinlich nicht
aus
Eigeninitiative auf das Banner geschrieben. Bei dem
Fremdfeiern der Erfolge des
Teams ist in den offiziellen Verlautbarungen zudem keine Rede
davon, dass die
Triquis-Region nach wie vor eine der ärmsten Regionen in
Mexiko bleibt, die
dortigen Organisationen vielfach der Regierungspartei PRI nahe
stehen und
Kazikentum sowie politische Gewalt stark ausgeprägt sind (in der Triquis-Region wurden vor sieben Jahren Bety
Cariño und Jyri
Jaakkola ermordet).
Der Jubel über
die Erfolge der nicht mehr ganz so barfüßigen Riesen aus dem
Gebirge kontrastiert
stark mit dem nach wie vor in weiten Teilen der Politik und
Gesellschaft
herrschenden Rassismus gegenüber der indigenen Bevölkerung.
Trainer
Sergio Zúñiga
hat wiederholt betont, es gehe ihm darum, dass seine
Schützlinge ihrer
indigenen Kultur verhaftet blieben und ihre Sensibilität
behielten. Dies wird
nicht einfach sein. Mehrere der Triquis-Auswahlspieler sind im
Rahmen von
Stipendien längere Zeit im Ausland gewesen. Sechs Spieler
beispielsweise ein
halbes Jahr in Stuttgart, andere in den USA. Die erste
Generation der ABIM geht
inzwischen auf weiterführende Schulen, das Programm ist nicht
mehr nur auf
Grundschulen begrenzt. Einige der Spieler sprechen von ihrem
Traum, in ein paar
Jahren als Profibasketballer Geld verdienen zu können. Doch
auf nationaler
Ebene sind die Möglichkeiten begrenzt. Ständige Streitigkeiten
und gegenseitige
Korruptionsvorwürfe zwischen Regierungs- und
Verbandsfunktionären behindern
seit Jahren sowohl die Entwicklung der Vereine und
funktionierender
Basketball-Ligen als auch Erfolge der mexikanischen
Basketball-Nationalmannschaft. Eine Konstellation, die auch
dem ABIM-Projekt
auf Dauer nicht zuträglich sein kann. Dennoch haben die Niños
Triquis in nur
sieben Jahren Basketballgeschichte geschrieben.
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