Angriffe auf Purépecha-Gemeinden
Poonal v. 7.5.2017
Von Luis Hernández Navarro
(Mexiko-Stadt, 11. April 2017, la jornada).-
Die Musik schallte in Uruapan in voller Lautstärke, doch sie wurde
noch von den Rufen der Menschenmenge übertönt: Silvano raus!
Silvano raus! Mörder! Mörder! So wurde der Gouverneur von
Michoacán, Silvano Aureoles, am 8. April vor Beginn des Umzugs bei
der traditionellen Kunsthandwerksmesse empfangen, der
üblicherweise am Palmsonntag stattfindet. Aktuelle und ehemalige
Repräsentant*innen des Rates von Kurhikuaeri K’uinchekua der Purépecha-Gemeinden
waren aufgebracht und betrachteten den Amtsinhaber als
unerwünschte Person bei den indigenen Völkern dieses
Bundesstaates. Sie werfen ihm Angriffe auf die indigenen Gemeinden
Arantepacua und Caltzontzin vor.
Gemeindebehörden konsultierten Bewohner*innen nicht
Caltzontzin liegt in der Gemeinde Uruapan im Bundesstaat
Michoacán. Hier wohnen Purépecha-Indigene, die aufgrund des
Ausbruchs des Vulkans Paricutín im Jahr 1943 gezwungen waren,
aus San Salvador Kumbutzio fortzuziehen. Die Bewohner*innen
haben erhebliche Probleme mit den Gemeindebehörden, die Gebäude
auf einem Gelände errichten wollen, das die indigene Bevölkerung
beansprucht, um dort ihren Avocado-Markt abzuhalten.
Zuerst hatte die Gemeindeverwaltung eine Gesundheitsstation
errichtet, ohne zuvor die indigenen Bewohner*innen (comuneros)
zu konsultieren. Gleich im Anschluss daran wurden auch noch
Büros als Verbindungsstellen zur Regierung des Bundesstaates
eingerichtet.
Um den Konflikt zu lösen, hatten die Indigenen wiederholt
versucht, ein Treffen mit Gouverneur Silvano Aureoles zu
arrangieren, der sie jedoch ignorierte. Deshalb besetzten sie
die Straße und die Bahngleise und versuchten so, Verhandlungen
zu erzwingen.
Tränengas als Antwort
Die Antwort der Regierung ließ nicht lange auf sich warten.
Statt zu verhandeln, warfen am 25. Februar zwei Hubschrauber
Tränengas über den Häusern der Bewohner*innen ab. Mehr als 1.000
Polizeikräfte stürmten das Dorf, nahmen unrechtmäßig
Beschlagnahmungen vor und stahlen Eigentum der
Dorfbewohner*innen. Dutzende Menschen wurden geschlagen. Es gab
17 Festnahmen.
Einige Zeit später, am 5. April, griff eine große Zahl von
Polizeikräften aus verschiedenen Einheiten des Bundesstaates von
Michoacán und der Staatspolizei die Bevölkerung in Arantepacua
an, das zur Gemeinde Nahuatzen gehört und nur 37 km von
Caltzonzin entfernt liegt. Sie gingen mit einem gepanzerten
Fahrzeug vor, das wegen seines Vorderteils auch als Rhinozeros
bezeichnet wird. Sie erschossen vier Menschen (darunter einen
15-jährigen Jungen), schlugen brutal auf Dutzende von Menschen
ein und nahmen 18 Personen fest – zusätzlich zu den 38 Menschen,
die tags zuvor bereits festgenommen worden waren. Die
Festgenommenen wurden wegen erfundener Tatbestände angeklagt. Es
war genau wie in Nochixtlán, als die Polizeikräfte
fälschlicherweise behauptet hatten, die Bevölkerung habe sie in
einen Hinterhalt gelockt.
Arantepacua ist eine Gemeinde mit 2.500 Einwohner*innen, von
denen 81 Prozent in Armut leben. Sie stellen Holzmöbel her und
verdingen sich in der Landwirtschaft. Seit mehr als 70 Jahren
besteht ein Konflikt mit der Gemeinde Capuacaro über den Besitz
von 520 Hektar Kiefern- und Steineichenwald.
Der Konflikt verschärft sich
Der Konflikt hatte sich vor mehr als einem Monat verschärft.
Die Bewohner*innen von Arantepacua informierten die Regierung
des Bundesstaates, dass die Bewohner*innen von Capacuaro den
zwischen 1930 und 1940 beschlossenen Friedensvertrag verletzt
hatten, als sie eine Straßensperre aufgebaut hatten, um den
Verkehr zwischen Nahuatzen und Uruapan zu blockieren. Doch die
Regierung wollte nichts davon wissen, im Gegenteil, sie nahm 38
Personen fest. Bewohner*innen von Nahuatzen beschlagnahmten im
Gegenzug Fahrzeuge, um ihre Mitstreiter*innen zu befreien. Die
Regierung ihrerseits antwortete mit einem verheerenden
Gegenschlag.
Die Repression in Arantepacua nahm die Form eines Verrats an.
Zunächst versperrte die Behörde von Silvano Aureoles, der
Mitglied der Partei der Demokratischen Revolution PRD ist, einer
Abordnung von indigenen Dorfbewohner*innen, die den Dialog mit
den Regierungsbehörden in Morelia, der Hauptstadt des
Bundesstaates Michoacán, suchte, den Weg. Und später, als man
sich endlich zu einem Dialog zusammengesetzt hatte, wurde die
Polizei geschickt, um das Dorf anzugreifen. Einige Stunden vor
dem Angriff hatten LKW-Fahrer*innen, die durch die
Straßensperrung behindert wurden, den Gouverneur aufgefordert
mit harter Hand gegen die Dorfbewohner*innen vorzugehen.
Die Dorfbewohner*innen von Arantepacua sind Teil eines
regionalen Projektes, das die Autonomie und die
Selbstverteidigung der Indigenen fordert, ebenso wie die
Gemeinden Cherán,
Pichátaro und Aranza. Sie hatten schon erste Schritte
unternommen, um eine kommunale,
unabhängige Bürgerwehr zu bilden.
Herkunft vergessen?
Das repressive Verhalten des Mandatsträgers steht im starken
Kontrast zu seiner Herkunft. Silvano Aureoles hatte einen
schwierigen Start ins Leben. Seine Mutter war alleinerziehend
und er lernte erst mit zehn Jahren Lesen und Schreiben. Er
musste schon in jungen Jahren arbeiten. Seinen Abschluss machte
er als Agraringenieur an einer staatlichen Universität und
arbeitete fortan als Berater für autonome bäuerliche
Organisationen der Land- und Forstwirtschaft.
Doch seine Herkunft geriet mit dem Eintritt in die
institutionelle Politik in Vergessenheit. Sein politisches
Profil ist von drei Charakterzügen geprägt ist: Ehrgeiz,
Eitelkeit und leicht zu verführen – so der Originalton seines
Parteikollegen Miguel Barbosa. Zu diesen Charakterzügen muss man
jetzt noch den Hass gegenüber den indigenen Völkern hinzufügen.
Belegen lässt sich das anhand der Angriffe auf die Orte
Arantepacua und Caltzontzin, aber auch anhand der Auflösung des
Amts für die Belange der Indigenen Völker (Secretaría de Pueblos
Indígenas) sowie seiner Aussage, wonach der Oberste Gerichtshof
über Fälle entscheide, ohne eine ausreichende Grundlage dafür zu
haben. Dabei bezog er sich darauf, dass der Oberste Gerichtshof
Mexikos der Gemeinde Cherán zugestanden hat, indigenes Recht
einzuführen.
Skandale in der Amtszeit
Erst vor kurzem, am ersten März hat Silvano seine Kandidatur
für das Amt des Staatspräsidenten für die PRD bekannt gegeben.
Es scheint ihm nichts auszumachen, dass seine Amtszeit als
Gouverneur von Skandalen wie Romanzen (er nahm die Sängerin
Belinda im Hubschrauber mit, um Papst Franziskus bei seinem
Besuch in Michoacán zu sehen) und Trinkgelagen geprägt ist.
Zahllose Zechtouren in den von ihm besuchten Ortschaften zeugen
hiervon.
Twitter-Hashtags zu Silvano Aureoles
Als er in der Halbzeit des Football-Spiels zwischen den
Mannschaften América und Morelia von Luis García und Christian
Martinoli, den Kommentatoren des Fernsehsenders Azteca 7
interviewt wurde, konnte der Mandatsträger nicht verbergen, dass
er zu viel getrunken hatte. In seinem Monarca-Trikot der
Mannschaft aus Morelia sagte er Sachen wie: Michoacán kann man
nicht verstehen ohne den Bundesstaat Michoacán. Direkt nach
diesen Äußerungen tauchte in Twitter der Hashtag
#SaquenLaCaguama auf (auf Dt. etwa: #RausMitDerMegaBierflasche)
und andere Sätze wie: Ich will, dass es mir wieder gut geht.
Silvano Aureoles wurde zum Top Hashtag.
Es ist unverkennbar, dass nichts mehr von seiner bescheidenen
Vergangenheit übrig ist und dass das Engagement Silvano Aureoles
für die ländlichen Regionen verflogen ist. Das beweisen die
brutalen Repressionen, die er gegen die indigene Bevölkerung in
Arantepacua und Caltzontzin anordnete.
Chiapas98 Mailingliste
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