Mittwoch, 16. Juli 2014
Ein deutscher Inlandsgeheimdienst namens Verfassungsschutz
„Einmal CIA, immer CIA“ ist
so ein Spruch, den man des
Öfteren in alten wie jungen
Spionagestreifen hört. Aber
er beinhaltet ein Quentchen
Wahrheit, wobei die Abkürzung
des US-Auslandsgeheimdienstes
CIA lediglich
eine Variabel ist, die im
Prinzip für jede x-beliebige
Spionageabteilung stehen
kann. Eng damit verbunden
ist die Annahme, wonach
nicht nur jeder Mensch und
somit alle Agenten sowie
Agentinnen eine Vergangenheit
haben, sondern auch
die geheimen Institutionen,
denen sie zu Diensten sind.
Kein Geheimdienst ist aus
dem Nichts entstanden.
Das wiederum bedingt,
dass es nicht ausreicht, den
Ist-Zustand eines Geheimdienstes
zu beschreiben,
ohne sich mit dessen Historie
und Entwicklung auseinanderzusetzen.
Erst danach
kann man sich auf konkrete
Felder konzentrieren,
wie zum Beispiel die Nähe
des Verfassungsschutzes zu
neonazistischen Organisationen,
Parteien und ihren
Mitgliedern.
Das Paradebeispiel
für die obengenannte
These
verkörpert Waldemar
Pabst. Der
kaiserliche Offizier
machte zuerst
Karriere im
Ersten Weltkrieg.
Seine Kriegserfahrung setzte er während
der Weimarer Republik gemeinsam mit
den Freikorps, die aus rechten Militärs
bestanden, im Kampf gegen die Linken
ein. Zu seinen prominentesten Opfern
gehören Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
Später hielt er engen Kontakt zu
den geheimen Stellen der Reichswehr
und der deutschen Industrie, die heimlich
die Wiederbewaffnung betrieben.
Diese Arbeit führte er auch unter den Nazis
fort. Pabst wurde so zu einer Schlüsselfigur
zwischen Militär, Politik, Ge-
heimdiensten und Unternehmen. In der
Endphase des Zweiten Weltkriegs nahm
Pabst Kontakt zum US-Geheimdienst
in der Schweiz auf. In der jungen Bundesrepublik
genoss er den Schutz der
Adenauer-Regierung und ihres Geheimdienstapparates.
Und bis zu seinem Tod
1970 war er auch in der NPD aktiv.
Pabsts Biografie erfordert zumindest
einen kurzen Blick auf die Vorgeschichte
des bundesdeutschen
Geheimdienstwesens.
Vorgeschichte der deutschen
Intelligence Community
Die Struktur der heutigen Intelligence
Community und ihr Umbau lassen
sich nur verstehen, wenn man die Geschichte
mit berücksichtigt. Als am 8.
Mai 1945 die faschistische Wehrmacht
bedingungslos kapitulierte, verfügte das
Deutsche Reich über einen riesigen Repressionsapparat.
Er hieß „Reichssicherheitshauptamt“
(RSHA) und unterstand
der Schutzstaffel des Nazi-Partei NSDAP,
der SS. So gewaltig wie sein Name war
seine Kompetenz. Das RSHA kontrollierte
die Kriminalpolizei und die Geheime
Staatspolizei (Gestapo). Hinzu kamen
die beiden Sektionen des Sicherheitsdienstes
(SD) der SS. Der Inland-SD beschäftigte
sich mit dem Ausspionieren
der Bevölkerung in Deutschland, der Ausland-
SD sammelte Informationen außerhalb
der deutschen Grenzen und verübte
dort auch Anschläge. 1944 schluckte
das RSHA den bis dato eigenständigen
militärischen Geheimdienst, die Abwehr.
Im Laufe der Jahre hatte diese eng mit
der Gestapo bei der Spionageabwehr
zusammengearbeitet. Beim Einmarsch
in die Nachbarländer stürmten gemeinsame
Spezial-Kommandos von Abwehr
und Gestapo Polizei-, Geheimdienst- und
Parteibüros in den jeweiligen Hauptstädten,
um dort wichtige Unterlagen
sicherzustellen.
Von Berlin aus steuerte das RSHA
die Erfassung der Juden, ihre Verhaftung
und den Transport in die Vernichtungslager.
An vorderster Stelle operierte die
Geheime Staatspolizei. Sie organisierte
die Einlieferung der „Staatsfeinde“
in die Konzentrationslager. Die Gestapo
bestimmte, welcher „Staatsfeind“ nach
Verbüßung seiner Haftstrafe in ein KZ
eingewiesen wurde oder freikam. Gegen
ihre Entscheidungen war keine Berufung
möglich. Das RSHA stellte jene
„Einsatzgruppen“ zusammen, die hinter
der vorrückenden Wehrmacht Juden
und andere „Staatsfeinde“ festnahm und
ermordete.
Bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes
für die Bundesrepublik Deutschland
wurde entschieden, dass polizeiliche
und geheimdienstliche Macht nicht
noch einmal in einer Regierungsbehörde
konzentriert werden dürfte. In ihrem so
genannten „Polizeibrief“ vom 14. April
1949 an den Parlamentarischen Rat hielten
die Militärgouverneure der westlichen
Besatzungszonen fest, dass Bundespolizeibehörden
keine Weisungsbefugnis
über Landespolizeibehörden haben sollten.
Außerdem durften die Nachrichtendienste
keine polizeilichen Befugnisse
besitzen. Aus diesen Vorgaben ist das so
genannte „Trennungsgebot“ von Polizeibehörden
und Geheimdiensten hervorgegangen.
Die Schaffung von Polizeien
und Geheimdiensten regelt Artikel 87
des Grundgesetzes. Ihre Befugnisse legen
die einschlägigen Gesetze fest. Zum
Trennungsgebot heißt es in Paragraph 2
des Bundesverfassungsschutzgesetzes:
„Das Bundesamt für Verfassungsschutz
darf einer polizeilichen Dienststelle nicht
angegliedert werden.“ An anderer Stelle
steht: „Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse
stehen dem Bundesamt
für Verfassungsschutz nicht zu; es darf
die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe
um Maßnahmen ersuchen, zu denen
es selbst nicht befugt ist.“
Bis zum Beitritt der Deutschen Demokratischen
Republik zum Geltungsbereich
des Grundgesetzes am 3. Oktober
1990 haben sich die verschiedenen Bundesregierungen
bemüht, das Trennungsgebot
mehr oder weniger zu respektieren.
Aber die Vereinigung der beiden deutschen
Staaten und der Zusammenbruch
der Sowjetunion veränderten die außenund
sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen
grundlegend. Die Politik verkündete
damals: „Wir sind von Freunden
umzingelt.“ Die Geheimdienste rutschten
in eine Sinnkrise, nachdem ihnen
die Hauptgegner – das Ministerium für
Staatssicherheit (MfS) der DDR und der
sowjetische KGB - abhanden gekommen
waren. Über Reformen wurde viel geredet,
und die Schlapphüte suchten nach
neuen Aufgabenfeldern, um ihre Existenz
weiter zu rechtfertigen.
In den 1990er Jahren beschloss
die damalige schwarzgelbe Koalition
unter Helmut Kohl (1982-1998) den
verstärkten Einsatz der Bundeswehr außerhalb
des Nato-Gebiets. Zu ihren neuen
Zielen gehörte die „Aufrechterhaltung
des freien Welthandels“ und den
„ungehinderten Zugang“ Deutschlands
zu den Märkten und Rohstoffen weltweit
zu garantieren. Die rotgrüne Regierung
unter Gerhard Schröder (1998-2005)
setzte diese Entwicklung fort, indem sie
zum ersten Mal seit 1939 Deutschland
in den Krieg führte: 1999 gegen Jugoslawien
und 2001 gegen Afghanistan. Damit
erweiterte sich auch das Einsatz- und
Aufgabengebiet der deutschen Intelligence
Community, wie wir noch sehen
werden.
Einen weiteren Meilenstein auf dem
Weg der deutschen Geheimdienste in
eine neue Zukunft stellten die Anschläge
vom 11. September 2001 in New York
und Washington dar. Seitdem gibt es
wieder ein klares Feindbild: „den“ Islamisten
à la Osama Bin Laden. Der damalige
Innenminister Otto Schily (SPD)
brachte ein „Sicherheitspaket“, den so
genannten „Otto-Katalog“, auf den Weg.
Dadurch erhielten die Polizeibehörden
größere Kompetenzen. Parallel dazu bekamen
die Geheimdienste neue Befugnisse.
Im Sommer 2006 beschloss die
Große Koalition von CDU/CSU und SPD
(2005-2009), dass Schilys „Sicherheitsgesetze“
weiter in Kraft blieben. Parallel
dazu ließ der damalige Innenminister
Wolfgang Schäuble (CDU) nichts unversucht,
um den Einsatz der Bundeswehr
im Innern zu legalisieren.
Rückblickend kann man sagen, dass
die Politik seit 1990 die „Sicherheitsarchitektur“
der Bundesrepublik massiv
umbaut. Die tiefsten Veränderungen
erlebt die deutsche Intelligence Community.
Mit der Selbstauflösung des
sogenannten Nationalsozialistischen
Untergrunds (NSU) im November 2011
steht der Verfassungsschutz erneut im
Mittelpunkt von Überlegungen, diesen
Geheimdienst den neuen politischen
Rahmenbedingungen im In- und Ausland
anzupassen.
Der V-Schutz aktuell
Das Bundesamt für Verfassungsschutz
(BfV) ist nach dem Bundesnachrichtendienst
(BND) der
zweitgrößte Geheimdienst, der der Bundesregierung
zuarbeitet. Er hat seinen
Sitz in Köln, ist aber dem Bundesinnenministerium
angegliedert. Das BfV gilt
als Inlandsgeheimdienst, weil es im Gegensatz
zum BND vorwiegend in Deutschland
zum Einsatz kommt. Das Bundesamt
hat etwa 2400 Mitarbeiter. Hinzu
kommen nochmal 3100 Angestellte und
Beamte, die in den 16 Landesämtern
Dienst tun. Seit 2000 leitet der SPD-Politiker
Heinz Fromm die Kölner Behörde.
Er hatte zuvor das Hessische Landesamt
für Verfassungsschutz geführt und war
danach als Staatssekretär im Innenministerium
tätig.
Das BfV entstand 1950 auf der Basis
des alliierten „Polizeibriefes“ und des
Grundgesetz-Artikels 87. Dem Bund wurde
es gestattet, eine „Stelle zur Sammlung
und Verbreitung von Auskünften
über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung
gerichtete Tätigkeiten zu
errichten.“ Ein Bundesgesetz regelt seine
Aufgabenfelder und die Zusammenarbeit
mit den anderen Geheimdiensten.
Auf Länderebene bestimmen ebenfalls
Gesetze den Wirkungsbereich des Inlandsgeheimdienstes.
Das BfV verfügte
2005 über einen Etat von 137 Millionen
Euro. Das Bundesamt untersteht dem
Bundesinnenministerium in Berlin, die
Landesämter dem Innenministerium des
jeweiligen Bundeslandes. Das BfV ist
nicht befugt, den Landesämtern Weisungen
zu erteilen.
Konkret beobachtet der
Verfassungsschutz den so genannten
„Links- und Rechtsextremismus“,
betreibt Spionageabwehr, bekämpft
„den“ Terrorismus, die Wirtschaftsund
Industriespionage und überwacht
die Arbeit der Scientology-Sekte in
Deutschland. Über seine Tätigkeit
veröffentlicht das BfV einen jährlichen
„Verfassungsschutzbericht“. Das machen
auch die Landesämter. Die öffentlichen
Berichte dienen weniger der Information
über die tatsächliche Arbeit der
Inlandsgeheimdienste, sondern zeigen
eher die roten Linien auf, bis zu denen
der deutsche Staat eine bestimmte Art
von politischer Arbeit noch duldet.
Zur Arbeitsweise der Dienste gehört
das Auswerten „öffentlich zugänglicher
Quellen“. Damit sind in erster Linie
Publikationen gemeint. Neben der Beobachtung
öffentlicher Veranstaltungen
hält sich der Verfassungsschutz so genannte
V(ertrauens)-Leute, die ihn mit
Insider-Informationen versorgen sollen.
Außerdem ist ihm gestattet, Telefonate
und Räume abzuhören sowie die Post
zu kontrollieren. Die Befugnisse des
Verfassungsschutzes sind seit 2001 massiv
erweitert worden.
Die Geschichte des V-Schutzes
Die Geschichte des Verfassungsschutzes
begann mit einem Skandal,
dem weitere folgen sollten. 1954 verschwand
sein erster Präsident Otto
John unter mysteriösen Umständen und
tauchte einige Tage später in der DDR
wieder auf. Nach seiner Rückkehr in die
Bundesrepublik wurde er zu vier Jahren
Haft verurteilt. Die Umstände seines Verschwindens
sind bis heute nicht eindeutig
aufgeklärt. Sein Nachfolger Hubert
Schrübbers musste 1972 zurücktreten,
als bekannt wurde, dass er unter den
Nazis als Staatsanwalt tätig war. Hinzu
kam, dass seit der Gründung des BfV und
seiner Landesämter zahlreiche SS-Angehörige,
die bei der Gestapo oder dem
SD tätig waren, hohe Posten bekamen.
Die „Rechtslastigkeit“ des Verfassungsschutzes
stellt eine Skandalschiene dar,
die sich bis heute fortzieht. Seine Unterwanderung
durch „Kundschafter“ des
MfS und des sowjetischen KGB zeigt die
andere Reihe von Pannen, über die heute
niemand mehr sprechen möchte. Ausgerechnet
der Leiter der Spionageabwehr
im BfV, Hans Joachim Tiedge, türmte
1985 in die DDR, als er seine Enttarnung
als Agent befürchtete.
Auch beim „Anti-Terror-Kampf“ der
70er Jahre bekleckerte sich der Verfassungsschutz
nicht mit Ruhm. 1978
organisierte das niedersächsische Landesamt
einen Bombenanschlag auf die
Haftanstalt in Celle, um so V-Leute in die
linke „terroristische Szene“ einzuschleusen.
Das Vorhaben scheiterte, die Presse
deckte die wahren Hintergründe der Tat
auf. Unaufgeklärt bleibt bis heute, wer
den V-Mann Ulrich Schmücker 1974 in
Berlin ermordete. Das Verfahren wurde
1991 eingestellt. Die Wahrheit ließ sich
nicht mehr feststellen, nachdem der Verfassungsschutz
von Anfang an mit der
Staatsanwaltschaft die Ermittlungen manipuliert
hatte. Daher weiß man nicht,
ob Schmückers Mörder aus den Reihen
der sogenannten „gewaltbereiten“ linken
Szene kam oder für den bundesdeutschen
Inlandsgeheimdienst arbeitete.
2000 flog der Münchener Filmemacher
Manfred Schlieckenrieder als Mitarbeiter
diverser staatlicher und privater
Geheimdienste auf. Er hatte vorwiegend
Umweltschützer und Linke ausspioniert
Als Erfolg verbuchte
der Verfassungsschutz
seinen V-Mann
Klaus Steinmetz. Der
Spitzel brachte die
Fahnder auf die Spur
der Mitglieder der
Rote Armee Fraktion
(RAF) Birgit Hogefeld
und Wolfgang
Grams. 1993 endete
die Festnahmeaktion
in Bad Kleinen im Fiasko:
Grams und ein
GSG9-Polizist starben
bei einem Schusswechsel,
Hogefeld
wurde verhaftet. Die
Zweifel, dass der Polizist
im „friendly fire“ starb, während
das RAF-Mitglied mit einem aufgesetzten
Kopfschuss hingerichtet worden sein soll,
wurden nie ausgeräumt.
Dass es bis Anfang 2012 keine Neuauflage
des Verbotsverfahrens gegen die
neonazistische Nationaldemokratische
Partei Deutschlands (NPD) gab, lag unter
anderem am Verfassungsschutz. Ende
März 2008 weigerten sich acht unionsgeführte
Bundesländer Innenminister
Wolfgang Schäuble entsprechende Informationen
zur Verfügung zu stellen.
„Aus juristischen wie nachrichtendienstlichen
Gründen“, hieß es unisono. Ein
Verbotsverfahren würde bedingen, dass
der Verfassungsschutz seine V-Leute aus
der NPD abziehen müsste. Da nicht klar
war, wer in welcher Funktion innerhalb
der Neonazi-Partei für den Inlandsgeheimdienst
arbeitet, scheiterte der erste
Verbotsantrag 2003. Damit ergibt sich
die widersprüchliche Situation, dass die
Behörde, die die Verfassung schützen
soll, durch ihr Handeln dazu beiträgt,
dass eine rechtsextreme Organisation,
die die verfassungsrechtliche Ordnung
in Frage stellt, weiterhin existieren kann.
Viel mehr Elan zeigt der Verfassungsschutz
bei der Verfolgung so genannter
„Linksextremer“. 2003 erfuhr der Fraktions-
Vorsitzende der PDS im Thüringer
Landtag, Bodo Ramelow, dass der Verfassungsschutz
in Land und Bund über
ihn eine Akte führte. Es folgte eine jahrelange
Auseinandersetzung vor Gericht,
wo der Politiker auf Akteneinsicht klagte.
Im Januar 2008 urteilte das Kölner Verwaltungsgericht,
dass die Beobachtung
des Bundestagsabgeordneten von „Die
Linke“ durch den Verfassungsschutz
rechtswidrig ist und er nicht länger geheimdienstlich
überwacht werden darf,
da die gesetzlichen Voraussetzungen
dafür nicht mehr vorliegen. Einsicht in
seine Verfassungsschutzakten erhielt Ramelow
aber nicht. Daher kann er auch
nicht sicher sein, dass der Inlandsgeheimdienst
ihn nicht doch noch indirekt
beobachtet. Schließlich überwacht
der Dienst weiterhin einzelne Strukturen
der „Linken“ wegen unterstellter
Verfassungsfeindlichkeit.
Dass der Verfassungsschutz seine
Gegner aus dem linken Lager unter Dauerbeobachtung
stellt, zeigt der Fall des
Bremer Bürgerrechtlers Rolf Gössner.
Seit 1970 sammeln die Schlapphüte die
Artikel des Juristen in linken Publikationen
oder beobachten seine öffentlichen
Auftritte. Gössner, der seinerzeit die Grünen
im niedersächsischen Landtag beraten
hat, ist mittlerweile Vorsitzender der
Internationalen Liga für Menschenrechte
und stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof
der Freien und Hansestadt
Bremen. Aber er steht nach wie vor unter
Beobachtung. 2006 ist Gössner vor
Gericht gezogen, um endlich Einsicht in
die Geheimdienstakten zu bekommen.
Der Anwalt klagt auf vollständige Auskunft
über alle zu seiner Person gespeicherten
Daten. Das BfV verweigert ihm
die Angaben über insgesamt 17 als Verschlusssachen
eingestufte Informationen.
Als Grund nennt es „Geheimhaltung“
und den Schutz von „Quellen“. Gössner
will außerdem erreichen, dass einerseits
die Rechtmäßigkeit der Datenerfassung
gerichtlich überprüft wird und andererseits
ob eine Löschung der Daten erstritten
werden kann. Hierzu ist noch ein
Verfahren anhängig.
Gössner und Ramelow
sind keine Einzelfälle.
Der Verfassungsschutz
hat in seinem
„nachrichtendienstlichen
Informationssystem“
(NADIS) etwa
eine Million Menschen
gespeichert.
Die Hälfte der Einträge
soll aus so genannten
„Sicherheitsüberprüfungen“
stammen. Diese werden
nicht nur bei der
Einstellung in den
Staatsdienst oder bei
„sicherheitsrelevanten“
Bereichen in der Industrie gemacht,
sondern auch bei der Bundeswehr. Der
Ansprechpartner des BfV ist dort der
Militärische Abschirmdienst (MAD), der
gemeinhin als der „kleine, uniformierte
Bruder“ des V-Schutzes gilt, obwohl auch
er in den letzten zehn Jahren seine Kompetenzen
wegen der Auslandseinsätze der
Bundeswehr erweitern konnte.
Dass die Zukunft des V-Schutzes in
seiner jetzigen Struktur mehr als fraglich
ist, hat weniger mit seiner Nähe zur NSU
und seiner Unfähigkeit zu tun, die Nazi-
Killer durch die Polizei festnehmen zu
lassen. Dieser Skandal dient vielmehr
dazu, die in über 50 Jahren verkrusteten
Strukturen aufzubrechen, um daraus die
neue „Sicherheitsstruktur“ zu bauen.
Gerade CDU-Kreise verfolgen die Idee,
das Bundeskriminalamt (BKA) mit den
Funktionen der US-Bundespolizei FBI
auszustatten. Letztere ist unter anderem
für die Spionageabwehr zuständig. Diese
Kompetenz nimmt noch der V-Schutz
federführend wahr. Aus der Perspektive
der herrschenden Kreise in der BRD betrachtet
reicht es vollkommen aus, wenn
das zukünftige Geheimdienst- und Polizeiwesen
auf den drei Säulen BKA mit
Bundespolizei, BND und Bundeswehr
ruht. Der V-Schutz steht damit in großen
Teilen zur Disposition. Die Umsetzung
hapert noch an innenpolitischen wie innerparteilichen
Befindlichkeiten. Aber es
dürfte nicht wundern, wenn die Untersuchungsausschüsse
zum NSU-Terror zu einer
tiefgreifenden Reform des V-Schutzes
führen würden.
• Weiterführende Informationen
http://www.geheim-magazin.de ❖
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