Mittwoch, 30. Juli 2014

70 Jahre Bretton-Woods - die Geburtsstunde von IWF und Weltbank

von: Prof. Dr. Elmar Altvater Vor 70 Jahren tagten vom 1. bis zum 22. Juli 1944 in dem kleinen Ort Bretton Woods im US-amerikanischen Bundesstaat New Hampshire Vertreter aus 44 Staaten, um eine neue Weltwährungs- und Finanzordnung zu beschließen. Es gelang den Beteiligten trotz harter Gegensätze, dem Chaos, das im August 1914 die “Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ mit bedingte, ein Ende zu machen. Der Goldstandard des 19. Jahrhunderts ging in die Brüche und der Versuch, ihn nach dem Frieden von Versailles 1922 wieder zu beleben, scheiterte in der großen Weltwirtschaftskrise von 1929 kläglich. Die USA entwickelten sich zum „Supergläubiger“, dem alle anderen Nationen Schuldendienst leisten mussten. Insbesondere die deutschen Reparationen waren ein Hindernis für den so notwendigen Ausgleich der Leistungs- und Kapitalbilanzen. Davor hatte John Maynard Keynes im Jahr 1931 in einem Artikel über das „German Transfer Problem“ schon weitsichtig gewarnt. In den 30er Jahren kamen Weltwirtschaft, Welthandel und die globalen Finanzbeziehungen fast völlig zum Erliegen. Autarkie war für viele Länder die einzige Alternative zum Welthandel. Doch wie können rohstoffarme Industrieländer autark werden? Sie folgten jener Linie, die vom kolonialen Eroberer Cecil Rhodes schon im 19. Jahrhundert vorgegeben wurde: Wenn unsere Waren die Grenzen nicht überschreiten können, müssen es unsere Armeen tun. Autarkiepolitik schlägt in Aggressionspolitik um: in Ostasien verleibt sich Japan die Mandschurei und andere Gebiete Chinas ein, in Nord- und Ostafrika besetzt das faschistische Italien Territorien von Libyen bis Äthiopien, und Osteuropa wird vom nationalsozialistischen Deutschen Reich erobert und ausgeplündert. Das war die „Zeit der fürchterlichen Extreme“, die Epoche des Faschismus und der nationalsozialistischen Verbrechen und die Fortsetzung des schrecklichen Ersten Weltkriegs im noch schrecklicheren Zweiten Weltkrieg. Dem sollte in Bretton Woods mit der Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung ein Ende bereitet werden. Absichtlich wählte man für die Konferenz eine US-amerikanische Kleinstadt aus und keinen traditionsreichen Königs- oder Kaiserpalast einer europäischen Siegermacht. Das „amerikanische Jahrhundert“ begann 1944 mit diesem Ereignis im Hotel Mount Washington in Bretton Woods, nachdem die Hegemonie des britischen Empires im Chaos von Terror, Krieg und Zerstörung versunken ist. Es war von Anfang an für die meisten Beteiligten klar, dass das neue Währungssystem nicht mehr auf Gold und britischem Pfund gründen konnte, sondern in Zukunft auf dem US-Dollar. Die neue Weltwährung Die Wechselkurse der am neuen „Bretton Woods-System“ beteiligten Währungen wurden also an den US-Dollar gebunden, der seinerseits zu einem festen Kurs von 35 US-Dollar je Feinunze jederzeit in Gold konvertiert werden konnte. Die Goldbestände von Fort Knox gaben dem System zunächst eine hohe Sicherheit und Stabilität, die allerdings einen Preis hatte. Das war die sogenannte „Dollarlücke“ in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Daran zeigte sich schon früh ein Konstruktionsfehler des Systems: Wenn das neue Weltgeld US-Dollar sicher und wertbeständig sein sollte, musste es knapp gehalten werden. Sollte es entsprechend dem Bedarf in einer expandierenden Weltwirtschaft verfügbar sein, durfte es aber nicht knapp sein. Das war das sogenannte „Triffin-Dilemma“. Doch zunächst war das Dilemma nicht brisant. Denn die Dollarlücke konnte in Europa mit umfassender finanzieller Unterstützung der neuen Hegemonialmacht USA geschlossen werden. Die nach dem US-Außenminister benannte „Marshall-Hilfe“ für das kriegszerstörte Westeuropa betrug ca. 16 Mrd. $. Selbst Großbritannien hing (mit etwa 3,5 Mrd. $) an den Marshall-Hilfen und zeigte damit aller Welt, dass in der neuen Weltordnung die Muskelspiele eines britischen Empire nur mit Dollar-Injektionen aus den USA möglich waren. Das Bretton Woods-System funktionierte in den 1950er Jahren zunächst sehr gut. Das war kein Wunder, denn die westliche Wirtschaft boomte nach Kriegsende. Die drei Jahrzehnte bis Mitte der 1970er Jahre entstanden Wirtschaftswunder in Deutschland, Italien bis Ungarn, Polen und mit Zeitverzögerung auch in anderen Weltregionen. Später wurden diese drei Jahrzehnte als die „goldenen Jahre“, als die „trente glorieuse“ verklärt. Die Rekonstruktion der zerstörten Wirtschaften und der Nachholbedarf nach Jahrzehnten der Not waren die Treiber des Wachstums. Kein Wunder, dass die Bretton Woods-Institutionen ihre Aufgaben leicht bewältigten. Die Weltbank (offiziell: „Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung“) sollte ursprünglich den Wiederaufbau Europas finanzieren, doch das geschah umfänglicher und effektiver im Rahmen der Marshall-Hilfe. Es dauerte mehr als ein Jahrzehnt, bis die Weltbank sich als Entwicklungsbank für die „Entwicklungsländer“ in der seit der Bandung-Konferenz 1955 so genannten „Dritten Welt“ positionierte. Seitdem ist die Weltbank die bedeutendste entwicklungspolitische Institution. Für den Wiederaufbau Europas war sie unerheblich. Austeritäts-Politik wird das Markenzeichen des IWF Der Internationale Währungsfonds (IWF) sollte für die Stabilität der fixierten Wechselkurse und für die Finanzierung des Ausgleichs der Leistungsbilanzen sorgen. Dabei zeigte sich ein weiterer Fehler der Bretton-Woods-Architektur: Die Anpassungsleistungen beim Ausgleich der Leistungsbilanzen sollten die Defizitländer, also die Schuldner erbringen, nicht die Überschussländer, also die Gläubiger. Der US-amerikanische Verhandlungsführer in Bretton Woods, H. D. White, hatte dies gegen die britische Delegation mit John Maynard Keynes durchgesetzt. Er folgte dabei den Interessen der USA. Es kam hier bereits die bis heute wirksame Doppelrolle des US-Dollar zum Ausdruck: Er war das nationale Geld der USA und gleichzeitig Weltgeld im Rahmen des Bretton-Woods-Systems. Die USA als das einzige große Überschussland hatte kein Interesse daran, ihre Überschussposition und den Gläubigerstatus aufzugeben. Schuldner sollten sich anstrengen und durch Exportüberschüsse die Devisen einnehmen, mit denen sie ihre Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern, das waren aber bis in die 1960er Jahre in erster Linie die USA, begleichen konnten. Diese Regel, die von Anbeginn das Währungssystem und seine Institutionen, vor allem den IWF mit einer Peitsche gegen Schuldner ausstattete, wurde seit der „Schuldenkrise“ der Dritten Welt in den 1980er Jahren durch die „Konditionalität“ der Strukturanpassung verschärft. Von verschuldeten Ländern wurde „austerity“ verlangt: Druck auf Löhne und Sozialleistungen, Konsumverzicht, Kürzung der öffentlichen Investitionen und sozialen Transferleistungen, Privatisierung öffentlicher Güter. Von diesen Maßnahmen blieben die USA als Schuldnerland später verschont. Denn anders als alle anderen am Bretton Woods System beteiligten Länder waren die USA in ihrer eigenen Währung verschuldet, die sie selbst „drucken“ konnten. Der Widerspruch zwischen Weltgeld und nationaler Währung war für die USA ein Segen, aber auch für die schweren Währungs- und Schuldenkrisen seit den 1960er Jahren verantwortlich. Das erste Austerity-Opfer war Italien, als das Land 1976 zur Bewältigung der „Ölkrise“ (Enorme Preissteigerungen des Rohstoffs) einen IWF-Kredit benötigte. Seit 1982 waren es die Regierungsvertreter vieler Länder der sogenannten „Dritten Welt“, die in Washington bei den Bretton-Woods-Institutionen um Kredite anklopfen mussten. Von ihnen wurde immer wieder verlangt, die Auflagen des IWF (Konditionalität) zu erfüllen und diese als „freiwillige“ Leistung in einem „letter of intent“ zu deklarieren. Eigentlich grenzt dieses Verfahren an eine Erpressung von Schuldnern mit der Macht des Geldes. Offiziell wurde es als „Konsens von Washington“ verklärt. Beteiligt waren daran IWF, Weltbank, US-Regierung, aber auch die vielen Think Tanks und internationalen Einrichtungen mit Sitz in Washington. Auch die Wall Street war und ist eng verzahnt mit diesen Institutionen, denn die Gläubiger auf den internationalen Finanzmärkten waren inzwischen nicht mehr allein andere Staaten, sondern auch private Banken, die im Gegenzug zur Rettung überschuldeter Länder durch den IWF auf die Stundung fälliger Kredite verpflichtet wurden. Diese Pflicht ließen sie sich mit Zinsaufschlägen („spreads“) und hohe Sicherheiten vergolden. Zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts verfügt der IWF also über jahrzehntelange Erfahrungen mit Instrumenten der Sparpolitik. Diese Expertise ist, so sagt es der ehemalige deutsche Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen, ein Beleg für seine Eignung als Mitglied der europäischen Troika. Die Verfahren der Troika konnte der IWF im Management der Schuldenkrise der Dritten Welt entwickeln. Die Folgen sind in Europa ebenso desaströs. Der Zusammenbruch von Bretton-Woods Man konnte schon während der Ausnahmeperiode der drei “glorreichen Jahrzehnten“ bis Mitte der 1970er Jahre beobachten, dass es für Gläubiger keineswegs vorteilhaft sein muss, wenn Defizitländer Leistungsbilanzüberschüsse zur Bewältigung des Schuldendienstes erwirtschaften. Denn in einem System kommunizierender Röhren sind die Überschüsse der einen die Defizite der anderen. Das hatte John Maynard Keynes schon 1931 an der deutschen Verschuldung infolge der Reparationsverpflichtungen gezeigt und deshalb konsequent für einen Schuldenerlass plädiert. Spiegelbildlich verwandelten sich auch in der Nachkriegszeit die zunächst hohen US-amerikanischen Überschüsse in immer drückender werdende Defizite. Die dann folgende Abwertung des US-Dollar betraf aber keine nationale Währung sondern das Weltgeld. Das ganze Bretton-Woods-System geriet ins Wanken, als 1971 die Goldkonvertibilität des Dollars, die als Stabilitätsanker wirkte, aufgehoben werden musste. Als dann 1973 das Defizit der US-Leistungsbilanz strukturell zu werden drohte, wurde auch das System der fixen Wechselkurse aufgegeben. Das war die Stunde der von Milton Friedman so genannten „neoliberalen Konterrevolution“, die Chance für neokonservative Hardliner wie Margaret Thatcher und Ronald Reagan, nach Bretton Woods mit dem „big bang“ der Liberalisierung der Kapitalmärkte den multinationalen Banken, den Investmentfonds und transnationalen Unternehmen die Bildung der Wechselkurse und Zinssätze zu überlassen. Diese zentralen Preise in einer Weltwirtschaft wurden nun nicht mehr von offiziellen, staatlichen Institutionen politisch festgelegt, sondern von profitorientierten privaten Akteuren. Dies war einer der ersten Akte der Privatisierung, die in den folgenden Jahren wie ein politischer Tsunami über die ganze Welt fegte. Die neuen privaten Akteure verwendeten die ihnen gewährte Freiheit sofort, um neue Finanzmarktprodukte zu kreieren: neue Instrumente zur Steigerung ihrer Gewinne und zur Öffnung regulierter Märkte, um ihre Geschäftsfelder zu erweitern. Die politisch begründete Regulierung gilt den spekulierenden Finanzakteuren als „financial repression“, die in einer Welt „freier Märkte“ nichts zu suchen habe. Seit ihrer Liberalisierung haben die Finanzmärkte ihre eigenen Methoden der Unterdrückung gelernt: gegen die reale Wirtschaft und gegen soziale Systeme zum Zwecke des Transfers von Einkommen zu den Finanzakteuren. Dies ist die Umkehr der Keynes’schen Forderung, dass finanzielle Renditen unterhalb der realwirtschaftlich erzielbaren Profit- und Wachstumsraten liegen sollten. Diese finanzielle Unterdrückung („oppressive powers of capitalists“) wird seit den 1980er Jahren zu einem Hauptkennzeichen moderner neoliberaler Politik im globalen Raum. Das hat sich bis in die Gegenwart nicht grundlegend geändert. Eine Abfolge der Schuldenzyklen Die Entwicklung seit dem Zusammenbruch von Bretton Woods kann als eine Sequenz von Schuldenzyklen gedeutet werden, in denen immer ein Schuldneraustausch stattfand. Als sich ein anderer Schlüsselpreis der Weltwirtschaft, nämlich der Ölpreis schon einige Monate nach dem Zusammenbruch des Bretton Woods Systems infolge des koordinierten Vorgehens der OPEC nach dem arabisch-israelischen Oktoberkrieg 1973 von etwa 2 US-Dollar pro Barrel auf etwa 11 US-Dollar mehr als verfünffachte, stiegen die „Petrodollareinahmen“ der ölexportierenden Länder rapide an, während die Defizite der ölimportierenden Länder ebenso abrupt größer wurden. Dieses Ereignis hatte radikale Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der industrialisierten, westlichen Welt und der "Dritten Welt". Denn auf den liberalisierten Finanzmärkten konnten nun die Institute die "Petrodollars" aus dem Nahen Osten gewinnträchtig an ölimportierende Länder ausleihen, deren Exporteinnahmen wiederum zur Bezahlung des Öls nicht ausreichten. Durch dieses „Recycling“ wurde ein gewaltiger Schuldenberg im Verlauf weniger Jahre aufgetürmt. Das war weniger problematisch, solange die realen Zinssätze niedrig waren. Als aber 1979 das US-Federal Reserve-System die Zinssätze verdreifachte (das war der so genannte „Volcker Schock“, benannt nach dem damaligen Chef der „Fed“), um die Abwertung des US-Dollar zu stoppen, bekamen die hochverschuldeten Länder Probleme mit dem Schuldendienst. Mexiko musste 1982 die Schuldendienstzahlungen einstellen, Brasilien und fast alle anderen Länder der Dritten Welt folgten. Durch diese Pleiten wurden die 1980er Jahre für die Entwicklungsländer ein „verlorenes Jahrzehnt“. Das Bretton Woods System brach zwar in den siebziger Jahren zusammen, aber die Bretton Woods Institutionen (IWF, Weltbank) wurden danach mächtiger als jemals zuvor. Ihre Aufgabe war nun nicht mehr die Stabilisierung von Währungen, denn die Bildung der Wechselkurse war den „Märkten“, d.h. den großen Spekulanten übertragen worden, sondern die Sicherung privater Geldvermögen vor drohenden Pleiten. Der dem neoliberalen Dogma verpflichtete IWF sorgte nun dafür, dass der Schuldendienst mehr oder weniger verstaatlicht wurde, damit die privaten Forderungen der privaten Banken, Fonds, Versicherungen und transnationalen Unternehmen nicht abgewertet werden mussten. Schuldner mussten dazu angehalten werden, den Schuldendienst zu leisten. So wurde die verschuldete „dritte Welt“ unter die Kuratel von IWF und Weltbank gehalten und das war zugleich eine der Bedingungen dafür, dass die US-amerikanische Hegemonie, die nach der Niederlage in Vietnam 1975 und dem Verfall des Dollar in den 1970er Jahren gefährdet war, wieder wie Phönix aus der Asche neu erstehen konnte. Reformen der Bretton Woods-Institutionen, wie es vielfach von Nicht-Regierungsorganisationen gefordert wird, waren mit den USA und den Verantwortlichen in IWF und Weltbank nicht zu machen. Dann folgten in den 1990er Jahren die „Schwellenländer“ in die Schuldenfalle, die – das war bereits eine Finanzinnovation – nun nicht mehr Kredite aufnahmen und sich gegenüber einzelnen Banken oder Konsortien per Bankkredit verschuldeten, sondern verbriefte Anleihen platzieren konnten, mit denen Banken und Fonds einen schwunghaften Wertpapierhandel betreiben konnten. Dieses Spiel endete mit hohen Verlusten für die verschuldeten Länder. Einige Höhepunkte waren die Asienkrise 1996 und die Argentinienkrise 2001, wodurch ganze Gesellschaften verarmten. Nur die privaten Fonds retteten ihre Finanzvermögen. Auf den liberalisierten Finanzmärkten wurde die Kapitalflucht in sichere Häfen leicht gemacht. Immer neue Schuldner mussten gesucht werden, wenn die alten ausfielen. Geld können die Finanzakteure nur dort machen, wo jemand bereit war, Schulden zu machen und dafür Zinsen oder Renditen zu zahlen. Es folgte also die Verschuldung der „New economy-Start-ups“. Als diese New economy-Blase um die Jahrhundertwende platzte, folgte der durch „monetary easing“ ausgelöste Subprime-Immobilien-Boom, der 2008 explodierte. Die Subprime-Krise löste dann eine globale Bankenkrise aus. Denn Banken haben höchst windige Wertpapiere aus verbrieften Forderungen (Konsumentenkredite, Ausbildungsdarlehen etc.) „designed“ und weltweit verkauft. Und Rating-Agenturen haben die Papiere bewertet. Sie dienten als Basis, um mit einem großen Hebel Fremdkapital aufzunehmen und so die Eigenkapitalrendite zu steigern. Auch das Risiko wurde entsprechend größer und mit ihm stiegen die Zinsen und Renditen bis zu dem Punkt, an dem die Schuldner insolvent werden. Wenn deren „Systemrelevanz“ hoch eingestuft wird, mussten nun die Staaten die drohenden Verluste abschirmen oder bereits eingetretene Verluste ersetzen und zugleich jene Papiere, die sich als toxisch herausgestellt hatten, abschreiben. Woher hatten die Staaten das Geld für diese Rettungsaktionen? Vom Steuerzahler. Die Verluste der privaten Akteure auf den globalen Finanzmärkten wurden also nationalstaatlich sozialisiert. Die Bankenkrise wurde also in eine Staatsschuldenkrise transformiert und als solche auch politisiert. Nun galten die Sachzwänge der Finanzmärkte, mit denen „die Politik ins Schlepptau“ (Ex-Vorstandschef der Deutschen Bank Rolf Breuer) genommen wurde. Für die Banken ist das ein fantastisches Geschäft. Sie erhalten Geld von der Zentralbank fast zum Nulltarif, um es zu hoher Rendite an die Nationalstaaten zur Finanzierung der Schulden auszuleihen. Die Renditen sind vom Risiko abhängig und dieses wird wiederum durch Rating-Agenturen eingeschätzt. Die Bretton Woods-Institutionen sind in diese Prozesse der neoliberalen Umverteilung eingebunden. Auswege Wie kann dieser unhaltbare Zustand überwunden werden? Im Prinzip sind drei Lösungswege denkbar. Der erste führt auf einen Pfad hohen wirtschaftlichen Wachstums. Allerdings gelingt dies nicht, weil erstens die gleichzeitig verordnete Sparpolitik eine wirtschaftliche Depression mit rückläufiger Nachfrage und dem Abbau von Beschäftigung auslöst. Zweitens muss an die Grenzen des Wachstums erinnert werden, an die vielen „Peaks“ bei der Energie- und Rohstoffversorgung. Von Peakoil ist heute weniger die Rede, weil immer mehr Quellen von „unkonventionellem“ Öl, Gas und unkonventioneller Kohle angezapft werden – mit extrem hohen ökologischen Schäden. Wenn das Cancún-Klimaziel, die Erdmitteltemperatur nicht mehr als um 2 Grad in diesem Jahrhundert ansteigen zu lassen, erreicht werden soll, darf ab 2017 kein Kraftwerk auf der Basis fossiler Energieträger mehr ans Netz gehen. „Grünes Wachstum“, für das die OECD, die Bretton Woods-Institutionen und viele „Grüne“ plädieren, ist bei näherer Betrachtung eine Illusion, weil es den notwendigen Rückbau der fossilen Infrastrukturen nicht kompensieren kann. Eine zweite Möglichkeit wäre der Tausch finanzieller Schulden in reale Werte. Die Finanzvermögen, deren Werthaltigkeit infolge der Insolvenz von Schuldnern in Frage gestellt ist, werden in Realaktiva getauscht, „debt for nature“-, „debt for equity“. Diese Swapgeschäfte waren das Thema während der Schuldenkrise der 1980er Jahre. Schwerwiegende Einwände sind dagegen formuliert worden: wegen der Folgen der Swaps für die nationalstaatliche Souveränität, wegen der Verteilungswirkung, wegen der ökologischen Belastungen. Zum Beispiel wurde zur Reduzierung der griechischen Schulden von Boulevardblättern in Deutschland der Tausch von „debt for beaches“ oder „debt for beautiful islands“ ins Spiel gebracht. Wer den sozialen und politischen Frieden will, sollte diesen Weg aber besser nicht beschreiten. Aber keine Sorgen, Finanzinvestoren wollen Rendite sehen, und die ist beim Tausch von Schulden in „equity“, also in reale Werte nur bei langfristigem Engagement der volatilen Spekulanten zu erzielen. Auf einem dritten Weg findet eine gewisse Kontraktion der Forderungen des Finanzsektors durch Regulation der Finanzmärkte statt: durch eine Finanztransaktionssteuer, um kurzfristige, spekulative Kapitalbewegungen zu verteuern, durch eine höhere Transparenz des Finanzsektors, um Geldwaschanlagen, Schattenbankenparadiese, Offshore Finanzzentren entweder zu schließen oder zur Kooperation zu verpflichten. Bestimmte Geschäfte mit spekulativen Papieren müssen verboten werden. Das Investment Banking ist vom Detailgeschäft wieder zu trennen. Banken müssen generell restrukturiert werden, damit sie nicht losgelöst von der realen Ökonomie ihre Bilanzen aufblähen und dann irgendwann „too big to fail“ sind. Wenn Reformen dieser Art durchgeführt werden, braucht niemand die heutigen übermächtigen Rating-Agenturen, die durch nichts legitimiert sind und ein Fremdkörper in der demokratisch strukturierten Gesellschaft bleiben. Die politische Formierung des globalen Südens Besonders schwierig, aber besonders wichtig ist die Regelung der Insolvenz von souveränen Schuldnern. Diese Frage ist seit der Schuldenkrise der „Dritten Welt“ auf der Tagesordnung der Bretton Woods-Institutionen. Sie ist zuletzt während der Argentinienkrise zu Beginn des neuen Jahrhunderts von der Vizedirektorin des IWF Anne Krueger aufgeworfen worden – und sie ist jedes Mal wieder nach kurzer Zeit verschwunden. Auch Anne Krueger verfolgte ihre öffentlich geäußerte Idee von der Möglichkeit einer Insolvenzregelung für souveräne Schuldner nicht weiter. Offenbar wurde sie zurückgepfiffen. Aber die Idee kehrt gerade zurück, seitdem Argentinien vor kurzem von einem Provinzrichter aus New York zur Ableistung des Schuldendienstes an einige klagende Hedgefonds verurteilt wurde. Ein Ausgleich zwischen Schuldner- und Gläubigerinteressen ist also immer unausweichlich und er muss international politisch geregelt erfolgen. Das Recht des finanziell scheinbar Stärkeren muss sich an der politischen Legitimation und einer ethischen Rechtfertigung brechen. Das internationale Finanz- und Währungssystem, für dessen Stabilität die Bretton Woods-Institutionen seit 1944 Verantwortung tragen, steht also 70 Jahre nach der Gründung vor einer Aufgabe, die schon oft in der Geschichte der Menschheit zu bewältigen war: die Spaltung der Gesellschaften in Schuldner, die Schuldendienst leisten müssen, und Gläubiger, die ihr Geldvermögen mehren. Das ist komplizierter als die Verteidigung von Wechselkursen wie im Jahr 1944. Große Staatsmänner, Philosophen, ja Religionsstifter haben sich damit beschäftigt, von Hammurabi, Solon von Athen, Aristoteles, Augustin und vielen anderen bis zu Fidel Castro. Dieses Problem ist eigentlich so groß, dass es ganz weit oben auf die Tagesordnung des IWF gehört, auf eine Reformagenda des internationalen Geld- und Finanzsystems. Fehlanzeige…..die Mächte, die in IWF und Weltbank das Sagen haben, sind zu durchgreifenden Reformen nicht bereit. Sie müssten Macht abgeben, weil sie dann nicht mehr den Mächtigen folgen würden. Also wird ihnen die Erneuerung des Währungssystems zu dessen 70. Geburtstag im Juli 2014 von den BRICS-Ländern (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) nahegelegt. Auf ihrem Gipfeltreffen in Brasilien beschlossen sie die Gründung einer BRICS-Entwicklungsbank und eines eigenen Währungsfonds. Die explizite Begründung für diesen Schritt ist die Unfähigkeit der Bretton Woods-Institutionen zu notwendigen Reformen. Um die Abhängigkeit von IWF, Weltbank und Wall Street zu verringern und mehr Entwicklungsspielraum zu erhalten, werden daher gegen den Währungsfonds und die Entwicklungsbank des globalen Norden ähnlich strukturierte Organisationen des globalen Südens gegründet. Der 70. Geburtstag des Bretton Woods System ist möglicherweise das Datum, von dem spätere Historiker einmal schreiben werden, es sei die Geburtsstunde einer autonomen politischen Formierung des globalen Südens gegen den globalen Norden.

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